00:00:00
Also uns sollte ja eigentlich gar nichts mehr wundern in Bezug auf merkwürdige Nachrichten
00:00:17
bei Social Media, oder?
00:00:19
Was war da so deine letzte Weirde, an die du dich erinnern kannst oder die du vielleicht
00:00:26
einfach auch lieber verdrängen würdest?
00:00:28
Du, da fällt mir gleich der Schnucki ein, der dir ja auch danach geschrieben hat, der nämlich
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auf eine Insta-Story von mir meinte, ich solle aufhören zu labern und mich lieber auf sein
00:00:40
Ach ja, so schlimm.
00:00:42
Und nachdem ich den blockiert habe, hat er dann Laura geschrieben, dass ich ihn mal entblockieren
00:00:49
soll, weil er würde ja nur die Wahrheit sagen.
00:00:52
Ja, er meint, er würde aussprechen, was eigentlich eh sowieso jeder männliche Hörer denken würde,
00:00:58
wenn er unseren Podcast hört.
00:00:59
Finde ich eh immer total sympathisch, wenn man seine eigenen Verfehlungen damit rechtfertigt,
00:01:05
dass andere angeblich ganz genau so sind und man als Einziger oder Einzige aussprechen
00:01:12
würde, was alle anderen denken.
00:01:14
Ja, aber auch, wieso sollst du ihn jetzt entblockieren?
00:01:17
Du hast halt einfach keinen Bock, dir sowas anzuhören.
00:01:20
Ach so, ich dachte, du sagst jetzt, wieso solltest du sich auf sein Gesicht setzen?
00:01:25
Das sind das natürlich auch.
00:01:27
Ich habe hier so eine schöne Wolldecke, da sitze ich viel lieber drauf.
00:01:33
Sag doch, wie es ist.
00:01:35
Du sitzt doch auf Fussels Kissen, oder nicht?
00:01:39
Nee, diesmal nicht.
00:01:41
Das war nur bei der letzten Aufnahme so.
00:01:44
Ich würde dir gerne von einer Nachricht erzählen, von einem Screenshot eines Sperrbildschirms,
00:01:50
den ich geschickt bekommen habe.
00:01:52
Den zeige ich dir jetzt mal.
00:01:55
Bitte beschreiben und auch sagen, was da noch dabei steht.
00:01:58
So habe ich nicht reagiert, kannst du dir vorstellen.
00:02:08
Also ich sehe darauf, Laura ist Ehemann bei der Hochzeit in seinem schicken Hemd.
00:02:17
Und ja, in der Tat ist das der Sperrbildschirm jetzt von jemandem.
00:02:23
Und da drunter steht, schon seit der Hochzeit mein Sperrbildschirm.
00:02:27
Aber wer hat dir das jetzt geschickt?
00:02:29
Hat dir die Person, die das als Sperrbildschirm hat, geschickt?
00:02:32
Und da sind bei mir.
00:02:35
Ich muss dazu sagen, ich sehe hier nur den Verlauf, wo sie dir dann noch schreibt,
00:02:41
danke für alles.
00:02:42
Und ich sehe aber nicht die körperlichen Gewaltandrohungen, die du ihr sicherlich daraufhin geschrieben hast.
00:02:48
Das ist übrigens ein Der.
00:02:51
Ich halte mich eigentlich für eine recht aufgeklärte Person und denke dann offenbar trotzdem noch stark in Stereotypen Geschlechterbeziehungen.
00:02:57
Traurig, Paulina.
00:02:59
Und ja, also natürlich haben da dann alle Alarmglocken bei mir gleich geläutet, weil wie weird ist das?
00:03:06
Auf diesem Bild müsst ihr wissen, da ist nur mein Mann.
00:03:10
Nur mein Mann und sonst nichts.
00:03:12
Und zwar richtig groß.
00:03:15
Und das Blöde ist ja auch, dass er ja gar nichts mit so Öffentlichkeit zu tun hat und das ja auch nicht will.
00:03:20
Und deswegen ist es noch weirder, dass das jetzt bei jemandem auch ein Sperrbildschirm ist.
00:03:25
Und deswegen habe ich dann einfach nur geschrieben, das ist sehr weird.
00:03:32
Und dann kam aber direkt eine Antwort.
00:03:37
Und dann kommt folgende Sprachnachricht.
00:04:02
Das Ding ist, ähm, so ein bisschen weird so, aber das war so eine Wette mäßig, irgendwie, ob man es schafft, wenn man so richtig weirde Sachen einfach schreibt, dass dann so eine Antwort kommt.
00:04:18
Weißt du, wie ich meine?
00:04:19
Glaube ich ihm nicht.
00:04:21
Aber ich weiß nicht, vielleicht ist es jetzt ein Ding, dass man einfach die weirdesten Sachen schreibt, nur damit man eine Antwort bekommt.
00:04:32
Ich finde viel wahrscheinlicher, dass jemand dir eine Nachricht schreibt, du signalisierst der Person, ich finde es nicht cool, die Person merkt, das war cringe.
00:04:42
Ja, klar, normalerweise schon bin ich voll bei dir.
00:04:49
Wenn jetzt ich auf diesem Sperrbildschirm gewesen wäre, ja, wäre ich voll bei dir, aber das ist wirklich so weird, dass ich fast denke, das könnte wahr sein mit der Wette.
00:05:01
Aber trotzdem frage ich mich dann, was bringt denn, also gut, einfach nur bei der Wette zu gewinnen oder ist es jetzt wirklich toll, dass ich geantwortet habe, weil das war ja keine richtige Konversation, die da entstanden ist.
00:05:12
Und du mochtest die Person in dem Moment ja auch schon nicht.
00:05:15
Nee, und am Ende hat er dann auch sich nochmal und nochmal entschuldigt und mir auch versichert, dass er eigentlich ganz normal ist und seine Freunde als Sperrmütze.
00:05:27
Was die wohl von der Aktion hält.
00:05:31
Weißt du, ich glaube einfach, dass der Typ genau das wollte.
00:05:35
Der wollte mal in den Podcast, als Gast werde ich nicht eingeladen, hat er sich gedacht, da bringe ich jetzt mal so eine Nummer.
00:05:40
Ja, gut, das könnte natürlich echt sein.
00:05:43
Und damit, dass ich dir das jetzt erzählt habe, habe ich das auch noch wahr werden lassen und mich als Werkzeug benutzen lassen.
00:05:51
Ja, und er ist der mittelbare Täter.
00:05:55
Auf jeden Fall habe ich mich neulich ja auch so ein bisschen angelegt mit jemandem in den Nachrichten.
00:06:05
Und dann hat die Person halt ganz dreist auch noch gesagt, so, ich bin mir sicher, darüber redest du im Podcast.
00:06:11
Und dann habe ich gesagt, nee, ist zu unwichtig.
00:06:14
Aber ich hatte so das Gefühl auch, dass die Person das auch wollte.
00:06:17
Die wollte, dass ich darüber im Podcast rede.
00:06:21
Mache ich aber nicht.
00:06:24
Obwohl es wirklich so blöd war, dass man es eigentlich erzählen müsste.
00:06:29
Und ich hätte es auch getan.
00:06:31
Hätte die Person nicht gesagt, du redest darüber wahrscheinlich im Podcast.
00:06:34
Dann hätte ich es auch gemacht.
00:06:35
Das kriegt sie jetzt nicht mehr von uns.
00:06:39
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust.
00:06:41
Ein True Crime Podcast von der Partner in Crime.
00:06:44
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:06:46
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:06:49
Jetzt hat sie schon wieder, muss sie aufschreiben und gucken, dass sie Laura Wollers ist.
00:06:53
Ich kann es nicht fassen.
00:06:54
Und ich bin Laura Wollers.
00:06:59
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Fälle nacherzählen, darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:07:08
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander.
00:07:10
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt, sondern das ist für uns immer so eine Art Comic Relief, damit wir auch mal wieder durchatmen können.
00:07:17
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
00:07:19
Heute geht es bei uns um Star-Anwälte und Star-Anwältinnen.
00:07:24
Wir haben nämlich im Laufe unserer Podcast-Produktion ein paar Mal so gemerkt, hä, den kenne ich irgendwoher, den Namen?
00:07:32
Und dann festgestellt, ah ja, der war schon mal irgendwie Thema in einem Fall, der Anwalt oder die Anwältin.
00:07:38
Also einige Nasen laufen einem da immer mal wieder über den Weg.
00:07:42
Und manche sind auch ziemlich beeindruckende Persönlichkeiten, aber eigentlich gibt es diesen Begriff Star-Anwalt so gar nicht.
00:07:50
Ja, denkt euch da bitte immer, wenn wir den heute benutzen, die Tüdelchen vorne und hinten dazu.
00:07:55
Genau, weil das ist eben so ein mediengeprägter Begriff.
00:07:58
Ja, wenn ich das Wort Star-Anwalt höre, dann denke ich eigentlich direkt an so Ami-Strafverteidiger,
00:08:04
die dann die Jury mit tollen Vorführungen und Geschichten von der Unschuld ihres Mandanten überzeugen wollen.
00:08:11
Wie halt in dem Fall von O.J. Simpson zum Beispiel mit diesem Handschuh.
00:08:15
Ja, if it doesn't fit, you must acquit.
00:08:19
Ja, und von denen gibt es in den USA ja tatsächlich einige, also die so bekannt dafür sind,
00:08:23
sehr aussichtslose Verfahren für sehr mächtige Menschen zu gewinnen.
00:08:28
Und zwar dann eben nicht nur mit ihrem Können und dem Fachwissen,
00:08:32
sondern vor allem mit der Ausstrahlung, die die haben und halt mit dem Theater, das die da inszenieren.
00:08:37
Ja, also denen man auch nachsagt, die können jeden und jede rausboxen.
00:08:41
Egal, was die gemacht haben, sowas gibt es ja in Deutschland eher nicht.
00:08:45
Was aber auch sicherlich damit viel zu tun hat, glaube ich,
00:08:49
dass wir hier halt keine Geschworenen sitzen haben, die überzeugt werden müssen.
00:08:53
Aber es gibt in Deutschland natürlich auch Anwältinnen, die jetzt in den Medien präsent sind,
00:08:59
weil sie zum Beispiel einen richtig krassen Fall angenommen haben,
00:09:04
wie die drei im NSU-Prozess zum Beispiel.
00:09:07
Oder weil sie Bücher über ihre Fälle schreiben, wie Ferdinand von Schirach.
00:09:12
Ja, auch wenn das nicht alle seine Fälle waren, über die er da geschrieben hat.
00:09:16
Und es gibt natürlich auch noch die Möglichkeit, dass Star-Anwältinnen berühmt werden,
00:09:19
weil sie halt so viele Prominente vertreten.
00:09:22
So wie der Strafverteidiger aus meinem Fall.
00:09:25
Die Geschichte, die ich euch jetzt erzähle, hat mir gezeigt,
00:09:28
dass nicht alle aus der DDR das Glück meiner Eltern hatten,
00:09:32
die vor der Wende mit mir schon auf dem Weg über Ungarn in den Westen geflohen sind
00:09:37
und danach ein freieres Leben leben konnten.
00:09:40
Dieser Fall handelt von einer Mauer, die Deutschland in zwei Länder teilte,
00:09:45
die an einem Abend aber sechs junge Männer zusammenbrachte und deren Schicksal besiegelte.
00:09:52
In dem Berliner Landgericht hört man durch die Gänge nervös die Fotoapparate klicken.
00:09:57
Wie wild wird auf den Auslösern herumgedrückt,
00:10:00
damit auch ja das beste Bild des ca. 1,80 Meter großen Stars dieses Verfahrens eingefangen wird.
00:10:06
Obwohl dieser Prozess ein geschichtsträchtiger ist
00:10:10
und richtungsweisend für viele weitere seiner Art wird,
00:10:12
geht es vielen PressevertreterInnen gar nicht so sehr darum,
00:10:16
wer hier auf der Anklagebank sitzt,
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sondern vielmehr, wer hier verteidigen wird.
00:10:22
Star-Anwalt Rolf Bossi
00:10:27
Sie hatte es schon lange gewusst.
00:10:29
Sie hatte es gewusst, als Chris damals als Kind auf den flimmernden Fernseher starrte,
00:10:34
der Programmen aus dem Westen spielte.
00:10:36
Und erst recht hatte sie es gewusst,
00:10:38
als er den Journalisten Dieter Kronzucker über die Mattscheibe auf seiner Amerika-Reise begleitete.
00:10:43
Da würde ich auch gerne mal hin, dieses Land angucken, hatte Chris damals gesagt.
00:10:48
Das wird nicht gehen, antwortete Chris' Mutter Karin.
00:10:52
Wenn ich erwachsen bin, geht das, entgegnete Chris.
00:10:56
Und da war sie sich sicher, dass es Chris in der DDR nicht leicht haben wird.
00:11:00
Dass es für ihren neugierigen Sohn schwierig wird, in einem kommunistischen Staat zu leben,
00:11:05
der die große, weite Welt mit einer Mauer von sich abschottet.
00:11:08
Jetzt ist Chris Gaffroy erwachsen und war natürlich noch nie in Amerika.
00:11:14
Doch den 20-Jährigen mit dem freundlichen Gesicht und hellbraunen Locken beschäftigt nicht nur die Grenze entlang des Ostens.
00:11:21
Es sind vor allem die beruflichen Grenzen, die das Leben des Berliners so unerfüllt erscheinen lassen.
00:11:26
Dabei sah es zunächst so rosig aus, als stünden Chris alle Türen offen.
00:11:31
Als er schon in der dritten Klasse von Sportfahndern entdeckt wird, darf er zur Kinder- und Jugendsportschule des FC Dynamo Berlin wechseln.
00:11:38
Chris liebt das Turnen und erhofft sich eine große Karriere als Profisportler.
00:11:42
Doch die Tagesabläufe der angehenden AthletInnen sind streng reglementiert, woran sich Chris nie wirklich gewöhnen mag.
00:11:49
Als er sich dann nach dem Schulabschluss weigert, zur Nationalen Volksarmee zu gehen, wird ihm die Möglichkeit auf ein Abitur verwehrt.
00:11:56
Und das war es dann, mit der Hoffnung auf ein Studium und der großen Sportkarriere.
00:12:00
So beginnt Chris im September 1985 also eine Ausbildung als Kellner in einem Flughafenhotel.
00:12:06
Auch in der damals gut bezahlten Gastro herrscht Korruption, die Chris regelrecht anwidert, wie er Mutter Karin manchmal nach dem Feierabend klagt.
00:12:14
Und trotzdem macht er den Job gerne, denn er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, irgendwann doch nochmal studieren zu können.
00:12:20
Doch dann flattert Anfang 1989 der Dämpfer an Chris' Briefkasten.
00:12:25
Im Mai soll er jetzt endgültig zur Nationalen Volksarmee eingezogen werden.
00:12:29
Seitdem plagen dem sonst so lebensbejahenden Chris Zukunftssorgen.
00:12:34
Nie selbst entscheiden zu können, wo er hingehen kann, was er machen will.
00:12:38
Das alles schwebt über Chris wie eine fette Gewitterwolke, die keinen Funken Sonne durchlässt.
00:12:45
Auf keinen Fall will Chris die Uniform eines Staates tragen, der ihm so viele Steine in den Weg legt.
00:12:50
Als eine Freundin von Mutter Karin in den Westen übersiedelt, will Chris wissen, warum sie denn noch in der DDR bleiben müssen.
00:12:57
Seine Mutter erwidert, dass sie keine Verwandten im Westen hätten.
00:13:01
Ihr ganzes Leben sei doch in der DDR.
00:13:03
Chris wird wütend.
00:13:05
Mutti, das reicht nicht fürs Leben.
00:13:07
Arbeit, ein kleines Auto, Geld auf der Bank, das ist zu wenig.
00:13:12
Ähnlich wie Chris geht es seinem Freund Christian, den er von der Gastronomieschule kennt.
00:13:16
Auch ihn zieht es, genau wie Chris, in die neue Welt, zu anderen Horizonten.
00:13:21
Daher beschließen die beiden, ihre Zukunft für ein Leben in Freiheit zu ebnen und in den Westen zu gehen.
00:13:27
Zu dieser Zeit ist ein Mauerfall noch nicht in Sicht und Erich Honecker verspricht noch Mitte Januar,
00:13:32
dass die Mauer noch 50 und auch noch 100 Jahre stehen würde.
00:13:37
Einen Ausreiseantrag wollen die beiden aber nicht stellen.
00:13:39
Zu groß ist die Sorge vor der Ablehnung und weiteren Repressalien.
00:13:43
Allerdings hatten die beiden gehört, dass es bei großen Staatsbesuchen verboten sei, auf Flüchtende zu schießen,
00:13:49
um dem Image der DDR nicht zu schaden.
00:13:52
Da aktuell ein Besuch des schwedischen Ministerpräsidenten ansteht, steht der Entschluss endgültig fest.
00:13:57
Chris und Christian wollen über die Berliner Mauer in den Westen fliehen.
00:14:01
Sollten sie scheitern, würden sie ihre Strafe einfach absitzen und vielleicht ja sogar bald in den Westen abgeschoben werden.
00:14:08
Am 5. Februar ist es kalt, als sich die beiden gegen 21 Uhr mit zwei Wurfankern bepackt auf den Weg in eine bessere Welt machen.
00:14:16
Chris hatte Mutter Karin vorher erzählt, er würde in Prag Urlaub machen wollen.
00:14:20
Wenig später kommen Chris und Christian in der Kleingartenkolonie Harmonie in Berlin-Pankow an.
00:14:26
Dort verharren die beiden eine Weile, spähen den Grenzzaun aus und warten auf eine gute Gelegenheit.
00:14:32
Dann geht's los.
00:14:33
Vielleicht verleitet der Ausdruck, über die Mauer fliehen.
00:14:37
Einige dazu anzunehmen, es wäre tatsächlich damit getan, an ein paar Wachmännern vorbeizuhuschen und dann über eine Mauer zu klettern.
00:14:45
Dem ist aber nicht so.
00:14:46
Vor Chris und Christian liegt eine Aneinanderreihung von Hindernissen vor der eigentlichen Grenzmauer.
00:14:53
Hinterlandsmauer, Signalzaun, dahinter ein beleuchteter Kolonnenweg für die Grenzsoldaten,
00:14:58
dahinter ein Kontrollstreifen mit Sperrgraben, um vor durchfahrenden Autos zu schützen,
00:15:02
dahinter wieder ein Kontrollstreifen und danach ein drei Meter hoher Metallgüterzaun
00:15:07
und erst dahinter befindet sich dann die eigentliche Grenzmauer.
00:15:11
Chris hilft Christian mit einer Räuberleiter auf die über drei Meter hohe Hinterlandsmauer hinauf,
00:15:16
der von oben dann wiederum Chris hochzieht.
00:15:19
Dass beide sehr sportlich sind, kommt ihnen hier sehr zugute.
00:15:23
Die Drähte des zwei Meter hohen Grenzsignalzauns biegen sie mit den Händen auseinander.
00:15:27
Doch als die beiden die andere Seite des Zauns, den sogenannten Todesstreifen, betreten,
00:15:32
wird es plötzlich hell.
00:15:33
Und mit kurzer Verzögerung durchschneidet ein lauter Alarm die verheißungsvolle Stille der Nacht.
00:15:39
Jetzt müssen sie rennen.
00:15:41
Auf die nächste Hürde zu.
00:15:42
Bis zur Westseite sind es noch ca. 40 Meter.
00:15:44
Zwischen zwei Lichtmasken hindurch schaffen es die beiden bis über den Sperrgraben.
00:15:50
Und plötzlich fallen Schüsse.
00:15:51
Chris und Christian laufen weg von der Richtung, aus der die Schüsse kommen, weiter am Zaun entlang.
00:15:56
Die Einschläge der Patronen hinterlassen ein paar Meter hinter ihnen helle, rote Funkenschläge am Metallgitterzaun.
00:16:03
Doch plötzlich feuert auch jemand aus der Richtung in die die beiden gerade laufen, zielt, drückt ab und trifft.
00:16:10
Mutter Karin sitzt gerade bei sich zu Hause auf der Couch und liest ein Buch, als sie die Schüsse hört.
00:16:17
In ihrer Wohnung, die weniger als einen Kilometer von der Mauer entfernt ist, hört sie manchmal die Schüsse, die sie immer wieder unverhofft erschrecken lassen.
00:16:24
Ganz in der Nähe ist eine Selbstschussanlage.
00:16:27
Und so macht sie sich, als sie zu Bett geht, auch nicht wirklich Gedanken darüber, wem diese Schüsse gegolten haben könnten.
00:16:36
Als nicht zu vermeidendes Übel hatte Andreas seinen Wehrdienst abgestempelt.
00:16:43
Zwar hätte er den auch ablehnen können, dann hätte er aber trotzdem 18 Monate sogenannter Bausoldat oder Spatensoldat sein und sich körperlich schwer betätigen müssen.
00:16:53
Außerdem ist für Andreas der Wehrdienst auch irgendwie sowas wie eine staatsbürgerliche Pflicht.
00:16:58
Zwar war er nie wirklich politisch aktiv, glaubt aber an das politische Weltbild, das dem 25-Jährigen all die Jahre eingetrichtert wurde.
00:17:06
Die DDR will nur Frieden und wird vom bösen Kapitalismus aus dem Westen bedroht.
00:17:12
Natürlich hatte auch Andreas in seinen jungen Jahren noch nie ein westliches Ausland bereist, das ihn vielleicht eines Besseren belehrt hätte.
00:17:19
Stattdessen verbrachte Andreas seine Kinderjahre bei den jungen Pionieren und trat danach der FDJ bei.
00:17:25
Und jetzt hatte er eben seine berufliche Laufbahn als Elektromontierer unterbrechen müssen.
00:17:30
Ein halbes Jahr Grundausbildung, danach wird er nach Berlin zu den Grenztruppen versetzt.
00:17:35
Weg von seiner jungen Familie mit dem kleinen Kind in Erfurt.
00:17:38
Zu den Grenztruppen kommen nur ausgesuchte, zuverlässige Soldaten, denen man zutraut, dem Regime die Treue zu halten und die selbstverständlich keine Westkontakte pflegen.
00:17:48
An der Grenze bekommt Andreas eingebläut, Flüchtige seien Verräter und Verbrecher.
00:17:54
Immerhin könne man ja auch einen Ausreiseantrag stellen, wenn man nichts zu verbergen habe.
00:17:58
Als man Andreas bei seinem Dienstantritt fragt, ob er auch für einen Einsatz mit Schusswaffen bereit wäre, verneint Andreas das.
00:18:06
Das würde er nur machen, wenn sein eigenes Leben in Gefahr sei.
00:18:10
Weil sich das Regime aber besonders folgsame Wehrdienstleister wünscht, wird Andreas jetzt doch nicht zum Grenzdienst eingesetzt.
00:18:16
Am nächsten Tag findet er seinen Namen auf dem schwarzen Brett für den Küchendienst.
00:18:22
Andreas fühlt sich dadurch erniedrigt, erzählt das auch einigen Kameraden.
00:18:28
Mensch, das ist doch nur ein Wisch, sagen die.
00:18:32
Da schreibst du drauf, dass du dein Vaterland verteidigen wirst, mit der Waffe in der Hand passiert schon nichts.
00:18:38
Und das hoffen tatsächlich auch fast alle beim Grenzdienst.
00:18:42
Wieder mit weißen Handschuhen, wie man sagt, nach Hause kommen zu können.
00:18:47
Und so steht Andreas einige Wochen später eben doch in Uniform und bewaffnet mit einer Kalaschnikow an der Mauer, im Grenzregiment 33.
00:18:55
Oft ist er nach nur drei bis vier Stunden Schlaf bis zum nächsten Dienstantritt müde und ausgelaugt.
00:19:01
Besonders die Nachtdienste sind hart, die im Grunde nur daraus bestehen, den ca. 175 Meter breiten Streifen Land zu bewachen, um sogenannte Grenzdurchbrüche zu verhindern.
00:19:11
So ist es auch am 5. Februar.
00:19:13
Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Peter, genau wie Andreas, 25 Jahre alt, bewacht er den Posten Straße 16, nah am Britzer Zweigkanal.
00:19:22
Die Tage zuvor hatte er eine Einschränkung des Schusswaffengebrauchs gegolten, da der schwedische Ministerpräsident zugegen war.
00:19:29
Allerdings war der jetzt schon wieder abgereist und die Einschränkung damit auch wieder aufgehoben.
00:19:35
Es ist kurz vor 24 Uhr, als der Abschnitt Straße 16 von einer Rundumleuchte in rotes Signallicht getaucht wird.
00:19:43
Kurz darauf ertönt auch der Alarm.
00:19:46
Andreas und Peter wissen sofort, in ihrem Abschnitt gibt es einen Grenzdurchbruch.
00:19:50
Und plötzlich rennen aus der Dunkelheit zwei Männer ins Licht, direkt auf den letzten Grenzzaun vor der Mauer zu.
00:19:57
Peter schreit, hinterher!
00:19:59
Und beide rennen in Richtung Grenzzaun über den Sperrgraben.
00:20:03
»Halt! Stehen bleiben!«, schreien die beiden.
00:20:06
Doch die Flüchtenden interessiert das nicht.
00:20:08
Peter gibt Warnschüsse ab.
00:20:10
Als die beiden nicht stehen bleiben, eröffnet er das Feuer.
00:20:13
Andreas sieht das als Aufforderung, jetzt auch zu schießen und zählt nach unten auf die Füße der Männer.
00:20:18
Doch anstatt eines Schusses entlädt seine Waffe ein Dauerfeuer.
00:20:22
Andreas hatte den Hebel der Waffe offenbar aus Versehen so eingestellt.
00:20:27
Und obwohl er über die hohe Streuwirkung bei Dauerfeuer weiß, schießt Andreas trotzdem.
00:20:32
Rennt hinterher, schießt, rennt, schießt, während die Flüchtenden einen immer größeren Abstand hinter sich lassen.
00:20:39
Die beiden Männer laufen weg von Andreas und Peter, immer der Mauer entlang, in Richtung des nächsten Grenzpostens.
00:20:47
Ingo und Mike, zwei Wachhabende im Abschnitt neben Andreas und Peter, wollen gerade ihren Wachtturm für die Ablösung verlassen,
00:20:54
als sie den Alarm und auch schon die Schüsse von dem benachbarten Abschnitt hören.
00:20:58
Die beiden Flüchtigen befinden sich mittlerweile in ihrem Grenzabschnitt und sind gerade dabei,
00:21:03
den Metallzaun vor der Mauer mithilfe einer Räuberleiter zu überwinden.
00:21:06
Mike, der Postenführer der beiden, setzt aus ca. 40 Meter Entfernung seine Waffe an, drückt aber nicht ab.
00:21:14
Stattdessen ruft er Ingo zu, schieß doch!
00:21:16
Ingo, der im Rang unter Mike steht, kniet daraufhin nieder, stützt den linken Arm auf das linke Knie,
00:21:22
zählt über Kimme und Korn auf die Füße des einen und drückt zweimal ab.
00:21:27
Doch der Flüchtende macht keine erkennbaren Anstalten und ergibt sich auch nicht.
00:21:31
Daraufhin zählt Ingo noch einmal, diesmal weiter nach oben.
00:21:36
Der Fluchtversuch ist gescheitert. Fast zeitgleich kommen die vier Grenzsoldaten bei den Männern an.
00:21:42
Einer liegt auf dem Boden und blutet aus der Brust, der andere ist am Fuß verletzt.
00:21:47
Beide sehen noch aus wie Teenager.
00:21:49
Mike, Postenführer des zweiten Abschnitts, beschimpft den, der am Boden liegt, als Schwein
00:21:54
und droht ihm, ihn abzuknallen, wenn er sich rühren würde.
00:21:57
Die vier bringen beide, wie es die Vorschrift verlangt, in den Sperrgraben,
00:22:00
weil der von der Westseite nicht einzusehen ist, und warten auf den Abtransport.
00:22:06
Danach ist ihre Wache vorbei. Andreas, Peter, Ingo und Mike werden zur Kompanie gebracht und dort zu den Vorkommnissen befragt.
00:22:12
Alle vier sind niedergeschmettert, ganz anders als ihre Vorgesetzten.
00:22:16
Man gibt ihnen Alkohol zum Runterkommen, danach wird Lob ausgesprochen.
00:22:21
Sie hätten das Richtige getan, versichert man.
00:22:24
Doch so fühlt sich das für Andreas nicht an.
00:22:27
Als er und seine Kameraden aufgefordert werden, die übrigen Patronen in ihren Gewehren zu zählen,
00:22:31
ist keiner von ihnen dazu in der Lage.
00:22:33
Andere müssen das übernehmen.
00:22:35
Ergebnis? Andreas hatte zwölf abgefeuert, sein Postenführer Peter sechs und Ingo drei.
00:22:41
Mike hatte nur den Schussbefehl gegeben.
00:22:43
Noch ahnt keiner, was dieser Abend für die Zukunft der Männer bedeuten wird.
00:22:48
Die Tage danach erhält Andreas Sonderurlaub, Belobigungen vom Regimentskommandeur,
00:22:54
eine Urkunde, einen Orden, 150 Mark Geldprämie und die Pflicht auferlegt über den Vorfall zu schweigen.
00:23:01
Ingo, der die letzten Schüsse abgab, wird zusätzlich noch befördert.
00:23:05
Seinen Orden steckt Andreas nicht an.
00:23:08
Ihm ist er peinlich.
00:23:10
Auf diesen Abend ist er alles andere als stolz.
00:23:13
Was danach mit den beiden jungen Männern passiert ist, weiß er nicht.
00:23:18
Es klingelt an der Tür.
00:23:20
Eigentlich war Karin Geffreu an diesem Morgen des 7. Februar mit ihrem Sohn Chris zum Frühstücken verabredet.
00:23:26
Doch es ist nicht er, der vor der Tür steht.
00:23:29
Stattdessen begrüßt sie einen Freund von Chris,
00:23:31
der sie fragt, ob sie schon von den Schüssen in der Nacht gehört habe
00:23:34
und fügt hinzu, dass Chris und Christian in dieser Nacht über die Mauer fliehen wollten.
00:23:39
Karin ist überrascht, davon wusste sie nichts.
00:23:42
Nun gut, aber es wird schon alles in Ordnung sein.
00:23:44
Dann wäre was Schlimmes passiert, wäre die Stasi doch schon längst da gewesen, denkt sie.
00:23:49
Doch die lässt nicht mehr lang auf sich warten.
00:23:52
Am Abend klingelt es erneut an der Tür und ein Herr bittet Karin auf ein Gespräch zur Klärung eines Sachverhalts
00:23:58
auf das DDR-Polizeipräsidium.
00:24:01
Über zwei Stunden lang muss Karin dort Auskunft über ihren Sohn geben,
00:24:05
versichern, dass sie von seiner Flucht nichts wusste.
00:24:07
Dann kommt ein Mann zur Vernehmung und sagt,
00:24:10
ihr Sohn hat einen Attentat auf eine militärische Einrichtung unternommen und ist dabei ums Leben gekommen.
00:24:15
Seine Leiche sei schon eingeäschert.
00:24:18
Und erst da begreift Karin, dass sie der Tötung ihres Sohnes offenbar akustisch beigewohnt hatte.
00:24:25
Zu etwa gleichen Zeit liegt ein noch immer ahnungsloser Christian mit Schussverletzung am Fuß im Krankenhaus.
00:24:30
Auf dem Mauerstreifen hatte er noch mitbekommen, wie sich Chris an den Oberkörper gefasst und aufgestöhnt hatte.
00:24:36
Doch hatte man sie danach noch 30 Minuten im Grenzgraben untersucht und liegen lassen,
00:24:40
bevor sie ins Krankenhaus gebracht worden waren.
00:24:42
Da war Chris schon an dem Schuss durch sein Herz gestorben.
00:24:46
Das wird Christian aber erst Tage später erfahren.
00:24:48
Danach wird ihm der Prozess gemacht.
00:24:50
Im Mai 1989 wird er wegen versuchten, ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
00:24:59
Nach nur wenigen Monaten wird er im Oktober allerdings von der Bundesregierung freigekauft.
00:25:04
Christian ist nicht dabei, als sein Freund Chris unter Bewachung von DDR-Staatssicherheitskräften beigesetzt wird.
00:25:11
Wir trauern in unendlichem Schmerz und voller Liebe um Chris Geffroy, der durch einen tragischen Unglücksfall von uns gegangen ist,
00:25:19
hatte auf der Traueranzeige stehen müssen und ähnliche Ausdrücke benutzt auch der Begräbnisredner,
00:25:25
der von der Stasi ausgesucht wurde, aber von Karin bezahlt wird.
00:25:29
Kein Wort von Schüssen an der Mauer.
00:25:31
Wäre Chris' Freiheitsdrang nicht schon in jungen Jahren so groß gewesen,
00:25:36
hätte er seinen großen Traum von Amerika schon bald in die Tat umsetzen können.
00:25:40
Neun Monate nach dem Fluchtversuch fällt die Mauer am 9. November 1989.
00:25:45
Chris war das letzte Schussopfer der SED-Diktatur.
00:25:49
Mindestens 136 Menschen kamen zwischen 1961 und 89 an der Berliner Mauer ums Leben.
00:25:56
Darunter 42 Kinder und Jugendliche.
00:25:59
Mit ihrem Sohn Chris stüpfe Karin auch der Staat DDR.
00:26:03
Sie erstattet im Januar 1990 bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige, reißt aber schon Ende 89 aus.
00:26:10
Als sie mit ihren zwei Koffern an der Grenze steht, denkt sie, Chris, dort ist recht.
00:26:14
Man kann immer neu anfangen.
00:26:17
Das Verfahren übernimmt nach der Wiedervereinigung die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität.
00:26:24
Die beginnt gegen die vier Grenzsoldaten zu ermitteln, die, genau wie Karin und Christian, lange nichts von einem Todesopfer wussten.
00:26:32
Andreas erfuhr erst Tage später, dass einer der beiden Männer die Schüsse nicht überlebte.
00:26:36
Nach dieser Information kann er nicht mehr richtig schlafen, wird von Schuldgefühlen geplagt.
00:26:41
Hoffentlich habe ich den nicht getroffen, sagt er einmal zu Ingo.
00:26:45
Ingo meint, dass er sicher sei, dass die Schüsse von ihm kamen.
00:26:49
Kurz darauf werden alle vier versetzt.
00:26:51
Andreas wird krank, er leidet einen Nervenzusammenbruch.
00:26:55
Als er im Dezember 1990 mit seiner Frau und seiner Tochter an der Ostsee Urlaub macht,
00:26:59
bekommt er Besuch von Kripo-Beamten aus Berlin, die ihm mitteilen,
00:27:02
dass gegen ihn und die anderen drei Grenzsoldaten ein Verfahren eröffnet wird.
00:27:06
Andreas weiß nicht, wie ihm geschieht, ist total fertig, zittert und weint.
00:27:11
Er kommt in Untersuchungshaft.
00:27:13
Von außen klebt an seiner Zelle ein roter Punkt.
00:27:16
Der Insasse hinter dieser Tür ist suizidgefährdet, heißt das.
00:27:20
Es ist ein medienwirksamer Prozess auf Takt am 27. Mai 1991 vor dem Landgericht Berlin.
00:27:27
Chris Mutter Karin tritt als Nebenklickerin auf.
00:27:30
Ihrer Meinung nach hätten die drei nicht schießen müssen und hätten andere Alternativen gehabt.
00:27:35
Ob das auch das Gericht so sieht, wird dieser Prozess zeigen.
00:27:37
Jeder ahnt, dass bei einem Schuldspruch dieser der erste von vielen sein wird.
00:27:42
Daher sind alle Presseaugen auf das Landgericht Berlin gerichtet.
00:27:45
Und ein Anwalt, der taucht in den letzten Jahren immer dort auf,
00:27:49
wo die Chance, von ihnen gesehen zu werden, sehr hoch ist.
00:27:52
Rolf Bossi, ein Anwalt der Extraklasse, bekannt geworden vor allem durch seine namhaften MandantInnen
00:27:58
wie Ingrid van Bergen und Romy Schneider, aber auch durch seine theaterreife Inszenierung eines Prozesses.
00:28:04
Der 68-jährige Star-Anwalt ist das komplette Gegenteil seines Mandanten Andreas.
00:28:10
Der mittlerweile 27-Jährige wirkt bleich und eingeschüchtert,
00:28:14
während sich Bossi selbstsicher und souverän im Gerichtssaal gibt.
00:28:18
Sein Eröffnungsplädoyer lässt erahnen, wie sich die nächsten Prozesstage zu tragen werden.
00:28:23
Kommen Sie doch endlich mal zur Sache, fordert der Vorsitzende Richter,
00:28:27
sichtlich überfordert mit einem Prozess dieser Tragweite
00:28:31
und gleich zehn Bossi-ähnlichen Anwälten auf der Verteidigerseite.
00:28:36
Einer von ihnen stellt gleich zu Beginn in Frage, ob eine ausschließlich westdeutsche Besetzung
00:28:41
über die Täterschaft von Ostdeutschen entscheiden könne.
00:28:44
Einwand zurückgewiesen, weiter im Programm.
00:28:47
So geht's etliche Male.
00:28:50
Unorganisiert blättert der Vorsitzende an manchen Prozesstagen in den Akten,
00:28:53
um dann doch nicht zu finden, wonach er sucht.
00:28:55
Er versucht, gegen die lautstarken Verteidiger anzukämpfen, manchmal sogar zu schreien,
00:29:00
hält sich nicht an seine eigene Prozessorganisation und zickt die Verteidiger an,
00:29:04
sie sollen ihm bezüglich seines Jobs keine Ratschläge erteilen.
00:29:08
Das Verfahren ist von Patzigkeit geprägt und lässt einen professionellen Umgang missen.
00:29:12
Als Andreas seine Aussage macht und sich auf den Stuhl unterhalb des Richterpults setzt,
00:29:17
wirkt er in seinem eh schon zu großen Jackett noch kleiner.
00:29:20
Seine hektischen Bewegungen zeigen, wie nervös er ist.
00:29:24
Für das Gericht zeichnet sich das Bild eines jungen Mannes,
00:29:27
der die DDR kaum hinterfragt hat, genügsam und regimetreu war, wenn auch aus Angst.
00:29:32
Ich habe an das System da oben geglaubt.
00:29:35
Der Vorsitzende unterbricht ihn.
00:29:37
Außer Bananen und Autos gab es doch noch andere Dinge, die ihm gefehlt haben müssen.
00:29:41
Andreas mohrt leise auf seinem Stuhl.
00:29:44
Ich hatte keine Probleme.
00:29:46
Ich war glücklich.
00:29:47
Man ahnt, dass die Nacht auf den 6. Februar bei ihm am meisten Spuren hinterlassen hat.
00:29:53
Andreas ist aufgeregt, versucht das Tatgeschehen trotzdem nüchtern zu erzählen.
00:29:57
Karin beißt sich dabei auf ihre Faust, um nicht loszuschreien.
00:30:01
Die Frageführung des Richters verwirrt Andreas und seine Verteidiger.
00:30:05
Manchmal weiß Bossi gar nicht, worauf der Richter hinaus will.
00:30:08
Nach einer Pause beschließt Bossi daher, Andreas nicht weiter aussagen zu lassen.
00:30:12
Der gräbt seine nassen Augen tief in sein Taschentuch, als er sich wieder zurück neben seinen Verteidiger setzen darf.
00:30:18
Bossi spricht von seinem Mandanten als überangepassten Jammerlappen, der gar nicht hätte anders können, als einem Befehl Folge zu leisten.
00:30:27
Auch wenn es so scheint, als hätten die Verteidiger denselben Feind auf der Richterbank, dessen Oberlehrermanier sie sich regelmäßig verbieten, so sind sie sich in der Kriegsführung doch uneins.
00:30:38
Den Szenen gelingt es nicht, sich auf eine Strategie zu einigen.
00:30:41
Einer der Anwälte rückt das indoktrinierte Weltbild der DDR in den Vordergrund.
00:30:46
Ein anderer stellt in Frage, ob die vier überhaupt verurteilt werden können, wenn zur Tatzeit das DDR-Recht gegolten habe und beruft sich auf den Befehl des Staates.
00:30:54
Andreas, Ingo, Peter und Mike seien nur die Ausführenden gewesen, die sich bei einer Verweigerung strafbar gemacht hätten.
00:31:01
Sie seien sogar Marionetten gewesen, sagt ein anderer.
00:31:04
Ingos Verteidiger versuchen am Ende die Theorie eines Querschlägers einzuführen, der Chris erwischt haben soll.
00:31:10
Und Bossi, der zieht den Vergleich zum Dritten Reich.
00:31:14
Wenn man von der Strafverfolgung vermeintlicher NS-Verbrecher abgesehen habe, weil was damals recht war, kann heute kein Unrecht sein,
00:31:22
dann müsste dies auch für die vier Angeklagten gelten.
00:31:25
Das Einzige, worin sich die Verteidiger einig sind, ist die Forderung nach einem Freispruch für alle.
00:31:30
Mittlerweile geht es in den Pressemeldungen gar nicht mehr um den Fall an sich, sondern viel um das Verfahren und seine Protagonisten.
00:31:37
Dabei kommt besonders Bossi nicht gut weg.
00:31:40
Die Presse zitiert den Vorsitzenden, der sich wundert, dass Bossi gar nicht zu allen Prozesstagen erscheint.
00:31:45
Bossi muss sich, wie auch schon bei anderen Prozessen, den Vorwurf gefallen lassen, der kommt immer nur, wenn geknipst wird.
00:31:51
Und gerät erst recht in die Kritik, als bekannt wird, dass er einen Exklusiv-Deal mit dem Stern hat,
00:31:57
weshalb Andreas Mutter nur mit diesem Magazin sprechen darf.
00:32:00
Die ausgehandelten 10.000 Mark sollen dann einen kleinen Teil von Bossis Anwaltskosten decken.
00:32:05
Am Tag der Urteilsverkündung ist das Presseaufgebot größer als an jedem davor.
00:32:11
Andreas, Mike und Peter haben Schwierigkeiten, überhaupt in den Verhandlungssaal zu kommen.
00:32:15
So dicht drängt sich die Presse vor der Tür.
00:32:17
Nur Ingo kann unbehelligt an den Kameras vorbeilaufen, als die gerade alle auf Bossi gerichtet sind,
00:32:23
der 45 Minuten auf sich warten ließ und damit den Prozessbeginn verzögerte.
00:32:28
Herr Bossi, ist ihr schönes Jackett von Mooshammer?
00:32:31
Fragt ein Journalist.
00:32:34
Nein, dies ist nicht von Rudi.
00:32:36
Nach 29 theaterreifen Prozesstagen wird das Urteil gefällt.
00:32:41
Ingo wird wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt,
00:32:46
weil das Gericht anhand des Eintrittswinkels des Schusses mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte,
00:32:51
dass er von Ingo abgefeuert wurde.
00:32:53
Das Gericht hat sich für ein höheres Strafmaß entschieden als erwartet,
00:32:56
weil es in der Erschießung von Chris ein besonderes Maß an Gefühlskälte und Verwerflichkeit sah.
00:33:02
Die DDR habe nie einen Befehl zur Tötung an der Grenze ausgesprochen.
00:33:06
Andreas wird wegen seiner Dauerbeschießung, wegen zweifachen versuchten Totschlags,
00:33:10
im minderschweren Fall verschuldig befunden und bekommt zwei Jahre auf Bewährung.
00:33:14
Auch durch DDR-Gesetze sei die Tat schlechthin nicht gerechtfertigt, befindet der Vorsitzende.
00:33:20
Sie verstoße gegen Kernbereiche des Menschenrechts.
00:33:23
Die beiden verurteilten jungen Männer hätten als Grenzsoldaten der DDR ihr Gewissen prüfen
00:33:28
und dem Schießbefehl ihren Gehorsam verweigern müssen.
00:33:31
Auch als die letzten Glieder in einer langen Kette von Verantwortlichen seien sie verantwortlich.
00:33:37
Peter und Maik werden freigesprochen.
00:33:40
Obwohl Maik den Schießbefehl gegeben hatte, konnte ihm kein Tötungsvorsatz nachgewiesen werden.
00:33:45
Chris' Mutter Karin ist zufrieden mit dem Urteil.
00:33:48
Sie hatte vorher mit sich ausgemacht, dass sie jedes Urteil hinnehmen werde.
00:33:52
Sie wollte Bestrafung, keine Rache.
00:33:54
Die mediale Bühne überlässt sie den empörten Verteidigern.
00:33:58
Peinlich, nennt Ingos Rechtsbeistand das Urteil.
00:34:01
Und auch in der Öffentlichkeit stößt die Entscheidung auf Protest.
00:34:05
Die Justiz habe die Verantwortung der ca. 200 Grenztoten
00:34:08
in der langen Reihe der staatlichen Verantwortung auf die Grenzsoldaten abgewälzt.
00:34:13
Und damit an das unterste Glied in der Kette.
00:34:16
Natürlich lässt Bossi das Urteil nicht auf sich sitzen und legt Revision ein.
00:34:21
Der BGH hebt es im März 1994 auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin.
00:34:29
Das Gericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass Ingo in der Hierarchie ganz unten stand
00:34:35
und im Gegensatz zu den noch nicht zur Verantwortung gezogenen Funktionsträgern in gewisser Weise auch Opfer des Grenzregimes gewesen sei.
00:34:43
Damit stellt der BGH nicht nur die Verantwortung der vier DDR-Soldaten in Frage,
00:34:47
sondern weist auch auf die derer, die über ihnen in der Reihe standen.
00:34:51
In der zweiten Verhandlung wird Andreas freigesprochen und Ingo zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.
00:34:58
Der Prozess war auch, abgesehen von Bossis Auftritt und den der anderen Verteidiger, geschichtsträchtig.
00:35:06
Denn das Urteil war richtungsweisend für alle Verfahren, die danach kamen.
00:35:09
Weil es seit 1961 an der Mauer einen Schießbefehl gab, handelten die Soldaten nur ausführend und wurden in den folgenden Mauerschützenprozessen meist zu Bewährungsstrafen verurteilt.
00:35:20
Außerdem legten die Prozesse die Grundlage für die Verurteilung hoher DDR-Funktionäre als Täter hinter dem Täter.
00:35:28
Auch wenn viele die milden Urteile zu beanstanden haben, so kann trotzdem wenigstens keiner mehr sagen, was beim Prozess gegen Andreas, Peter, Ingo und Maik im Raum stand.
00:35:37
Die Kleinen will man hängen, die Großen lässt man laufen.
00:35:43
Erstmal muss ich sagen, dass das alles für mich sich so fern anhört, diese ganze Geschichte.
00:35:48
Und dass ich mir das gar nicht vorstellen kann, dass das 35 Jahre oder weniger als 35 Jahre her ist und in Berlin, da wo du wohnst und wo ich auch sehr oft bin, dass das dort stattgefunden hat.
00:36:02
Dass man da auf Leute, die gerannt sind, weggerannt sind, geschossen hat.
00:36:08
Das ist doch so fern.
00:36:10
Und vor allem hat die DDR ja immer behauptet, da gibt es keine Kriminalität.
00:36:15
Das war ja immer die Geschichte nach außen und deswegen wurde ja alles immer an Kriminalität unter den Teppich gekehrt.
00:36:19
Und dann aber selber auch noch Täter sein als Land und als Staat.
00:36:25
Ja, und ich muss aber auch sagen, dass ich jetzt diese zwei Jahre auf Bewährung auch einfach nicht genug finde.
00:36:31
Die Person hat ja trotzdem geschossen und ein Menschenleben ausgelöscht von einem Mann, der da auf seine Freiheit gehofft hat.
00:36:40
Und das Tragische ja auch noch neun Monate später, das auch noch bekommen hätte normalerweise.
00:36:46
Daran habe ich auch die ganze Zeit gedacht, dass dieser Chris jetzt, wenn das nicht passiert wäre, was weiß ich, in Amerika wohnen würde oder so, weißt du?
00:36:55
Also ja, ich habe ehrlicherweise so ein bisschen Probleme, das Urteil von dem Ingo zu kommentieren, weil ich mich tatsächlich nicht in diese Lage damals reinversetzen kann.
00:37:10
Ich finde allerdings, dass alle vor Gericht ein bisschen sehr doll so taten, ach, ich habe das ja alles nicht hinterfragt und so.
00:37:17
Also das wurde uns ja so erzählt und ja gut, aber weißt du, es gibt ja zum Glück zwei Dinge, die wir mitgegeben bekommen haben und die heißen moralischer Kompass und freier Wille.
00:37:29
Wenn wir so tun würden, als würde man den Menschen nur irgendwelche Märchen erzählen und dann wären sie sofort gebrainwashed, dann kann niemand mehr für seine Handlung zur Verantwortung gezogen werden, weißt du?
00:37:40
Aber was mich ehrlicherweise ein bisschen sehr doll gewundert hat, ist, dass der Maik, der der Postenführer war, straffrei davon gekommen ist.
00:37:48
Ja, das geht auch gar nicht.
00:37:49
Weil der hat sich fucking nicht getraut, in Anführungszeichen, zu schießen und hat es seinen Untergebenden befohlen.
00:37:55
Der Ingo hätte nämlich vermutlich nicht selbst geschossen, hat er ja vorher auch nicht.
00:37:59
Das verstehe ich auch überhaupt nicht.
00:38:01
Das Gericht meinte halt, dass Maik nicht davon ausgehen konnte, dass Ingo auf den Oberkörper zielt und dementsprechend keinen Tötungsvorsatz hatte.
00:38:09
Ja, aber das kann der ja so gar nicht einschätzen und hat das dann meiner Meinung nach schon in Kauf genommen.
00:38:17
So, nun geht es in dieser Folge ja aber um die Star-Anwälte und ich sage euch jetzt mal, was das bezogen auf Bossi und diesen Podcast bedeutet.
00:38:25
Also, ich zähle auf.
00:38:25
Alles Fälle, die wir in diesem Podcast besprochen haben.
00:38:47
Alles Fälle, bei denen Bossi irgendwo als Verteidiger aufgetreten ist.
00:38:51
Ja, habe ich auch gedacht.
00:38:53
Also, so eine Dichte, das hat auch nur der Bossi geschafft im Podcast, das ist ganz klar.
00:38:57
Das ist aber auch gar nicht so verwunderlich, dass der so viele spektakuläre Fälle verhandelt hat.
00:39:02
Der hat immerhin über 50 Jahre Anwaltsein auf dem Buckel gehabt, bevor der gestorben ist, 2015.
00:39:08
Wir sehen bei diesen Fällen manchmal vertrat er schillernde Persönlichkeiten, wie halt Ingrid van Bergen oder Postel.
00:39:17
Manchmal war aber auch er eigentlich diese schildernde Persönlichkeit.
00:39:20
Also, er hat manchmal auch einfach für den Glam gesorgt, weil er eben schon selbst irgendwann so berühmt war.
00:39:27
Aber dass er so bekannt wurde, hatte natürlich auch mit seinen MandantInnen aus dem Showbusiness zu tun.
00:39:33
Oder halt eben damit, dass ihre Taten so spektakulär waren, dass die Medienwelt dann eh auf diese Prozesse geschaut hat.
00:39:39
Wie halt beispielsweise bei Barge.
00:39:43
Anwaltreporterin Gisela Friedrichsen sagt über Bossi, er sei einer der Ersten gewesen, die verstanden hatten,
00:39:48
wie man als Anwalt auch die Öffentlichkeit gewinnen müsse, wenn man ein Gericht überzeugen wolle.
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Gegen die öffentliche Meinung, da wird es sehr schwierig, so Friedrichsen.
00:39:58
Bossi war jetzt aber nicht nur so erfolgreich und so bekannt, weil er dieses Medienspiel so gut beherrschte.
00:40:03
Anwalt Professor Christoph Knauer, der zwischen 2013 und 2016 für den Bereich Strafrecht,
00:40:10
beziehungsweise Wirtschaftsstrafrecht in die Fokusliste Deutschlands Top-Anwälte aufgenommen wurde.
00:40:16
Der hat uns Folgendes gesagt.
00:40:18
Ich glaube, dass die bloße, reine mediale Aufmerksamkeit kurze Beine hat.
00:40:23
Ohne Fachkompetenz geht es nicht.
00:40:25
Und das ist natürlich unglaublich wichtig, auch über Rolf Bossi zu sagen.
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Rolf Bossi hat in der Fachwelt sehr, sehr viel juristisch inhaltlich bewegt.
00:40:33
Der hat es geschafft, dass etwa im Fall Bartsch das erste Mal ein psychologisches statt ein psychiatrisches Gutachten dazu führt,
00:40:40
dass ein Mandant für schuldunfähig erklärt wird vor dem Bundesgerichtshof.
00:40:43
Das sind alles fachliche Erfolge.
00:40:45
Ohne die wäre Rolf Bossi auch nicht Rolf Bossi gewesen.
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Also nur die Nase in die Kamera reicht nicht.
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Ja, also der hat ja auch Bücher geschrieben über das Justizsystem.
00:40:54
Eines habe ich damals zur Vorbereitung auf unsere Folge namens Justitias Irrtümer gelesen,
00:41:00
weil er da eben auch so vieles an den Pranger gestellt hat.
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Also wie zum Beispiel, dass wir kein geeignetes Korrekturmittel haben, um Justizirrtümer aufzudecken,
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weil das Revisionsgericht keine Tatsachen mehr prüft,
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sondern in dem Urteil nur so nach Rechtsfehlern sucht.
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Dieses Buch, das heißt Halbgötter in Schwarz.
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Und man hört da schon so ein bisschen raus, dass der Bossi da einige offene Rechnungen hatte.
00:41:22
Und auch der Meinung war, dass einige, viele Fehlurteile eben an der Unfähigkeit von RichterInnen liegen.
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Und ich glaube, mit dem Buch wollte er auch dem einen oder anderen an Karren pissen.
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Weil der Bossi, der war im Gerichtssaal auch nicht zimperlich.
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Der hat auch schon öfter mal raushängen lassen, dass er findet,
00:41:41
dass RichterInnen da so ein Geklüngel untereinander haben.
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Und er hat sogar einmal bei einer Verhandlung den Staatsanwalt
00:41:48
nationalsozialistische Weltanschauung vorgeworfen.
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Und wurde dann wegen Beleidigungen verurteilt.
00:41:54
Und einmal musste er 24.000 Euro Strafe zahlen,
00:41:59
weil er eine Zeugin als schäbige, kriminelle Drecksperson
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mit nicht zu übertreffender Charakterlosigkeit bezeichnet.
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Nicht dein Ernst.
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Im Gericht hat der die so bezeichnet.
00:42:14
Und dann sagt man sich aber auch, dass Bossi öfter mal zu schnell gefahren ist
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und den Führerschein dann aber nicht abgeben wollte,
00:42:21
weil er dann ja nicht hätte weiter arbeiten können.
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So schreibt das zumindest damals die FAZ.
00:42:27
Und er war zumindest auch mal formell Geschäftsführer eines Stripclubs.
00:42:32
Beziehungsweise Edelkabarett.
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Wie manche es nannten.
00:42:38
Und da schrieb die FAZ zu.
00:42:40
Er soll dafür gesorgt haben, dass eine Varieté-Künstlerin nackt auf einem Schimmel reiten durfte,
00:42:46
indem er die für die Genehmigung zuständigen Beamten zu einer Sondervorstellung einluht.
00:42:52
Also der ist schon gewitzt, der Typ, ne?
00:42:56
Wenn es denn so war, ne?
00:42:57
Also der Artikel, der erschien erst nachdem Bossi 2015 gestorben war.
00:43:01
Und ich glaube, das ist auch besser so, weil im Spiegel, da gibt es nämlich einen Artikel,
00:43:05
der nur aus Gegendarstellung von Bossi besteht.
00:43:09
Also offenbar hatte das Magazin da einige Sachen geschrieben, die nicht stimmten oder Bossi nicht passten.
00:43:14
Und dann hat er entweder eine Gegendarstellung erwirkt, wenn er so lange nervt und droht,
00:43:19
bis der Spiegel dann einfach online stellt.
00:43:22
Ja, aber ich glaube, du musst halt auch wirklich, also um so eine Stellung zu haben wie der Bossi
00:43:29
und das so durchzuziehen und auch diese großen Prozesse zu machen und da im Rampenlicht zu stehen,
00:43:34
da musst du ja schon irgendwie eine Persönlichkeit haben, die das auch braucht oder irgendwie geil findet,
00:43:40
Ja, glaube ich auch.
00:43:41
Und man sagt ja auch, dass der sehr wortgewandt und charismatisch war und das kann ich mir auch sehr gut vorstellen.
00:43:48
Und für die Staatsanwaltschaft und das Gericht wahrscheinlich echt ein Pain in the Ass.
00:43:54
Also wenn der kommt, dann denkst du doch, gute Nacht, Alter.
00:43:57
In meinem Fall spielt ein Anwalt eine Rolle, der sich auch sehr gut in der Promi- und Künstlerszene auskennt.
00:44:07
Die Triggerwarnung zu meinem Fall findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
00:44:12
Es ist der 27. April 1990.
00:44:15
Bei der geschlossenen Anhörung im Rahmen des Entlastungsprozesses sind Presse und Schaulustige nicht erlaubt.
00:44:21
Die einzigen Anwesenden sind Untersuchungsrichter, Verteidiger und ein paar ausgewählte Zeuginnen.
00:44:27
Denn es geht um intime Details aus dem Leben des Verurteilten.
00:44:31
Die Frage, die man sich hier nämlich stellt, ist, darf ein Mörder frühzeitig aus der Haft entlassen werden?
00:44:38
Der Verteidiger, Wiener Künstler und Promi-Anwalt Dr. Georg Zanger ist der Meinung, ja, und versucht den Richter davon zu überzeugen.
00:44:46
Und tatsächlich wirkt der Mann, um den es geht, absolut geläutert.
00:44:50
In den letzten 15 Jahren hat er eine unglaubliche Wandlung vollbracht.
00:44:54
Vom ungebildeten Kriminellen zum gefeierten Schriftsteller und Journalist.
00:44:58
In Haft hat er nicht nur eine eigene Zeitschrift herausgebracht, sondern wurde auch für seinen autobiografischen Roman mit dem Titel
00:45:05
»Fegefeuer« oder »Die Reise ins Zuchthaus« mit einem Literaturpreis für Gefangene ausgezeichnet.
00:45:11
In dem Buch erfährt man von seiner traurigen Kindheit, ohne Vater und mit einer Mutter, die, wenn sie nicht gerade in Haft saß, als Sexarbeiterin arbeitete, während ihr Kind im Bett daneben lag.
00:45:22
Von einem gewalttätigen, alkoholkranken Großvater und einer Tante, die ebenfalls anschaffen ging und dabei von ihrem letzten Kunden ermordet wurde.
00:45:31
Das Abgleiten in die Kriminalität schien die einzig logische Konsequenz und die Arbeit als Schriftsteller nun als Weg hinaus.
00:45:38
Genau so sieht das auch der vom Gericht beauftragte Psychiater, der eine wohlwollende Prognose abgibt.
00:45:44
Er erklärt, dass die literarische Berufung dem Verurteilten eine konstruktive Arbeit ermögliche, in die er all seiner Energie stecken könne.
00:45:52
Seine Werke hätten ihm zu einigem Ansehen verholfen, was ihm viel bedeute, so der Gutachter.
00:45:59
Dieses Ansehen hat Verteidiger Georg Zanger quasi ausgedruckt dabei.
00:46:03
In Form einer seitenlangen Unterstützungserklärung, unterzeichnet von allem, was in der Literatur- und Kunstszene Rang und Namen hat und sich seit Jahren für die Entlassung des Verurteilten einsetzt.
00:46:13
Am Ende dieser Erklärung hatte Zanger geschrieben, am Fall Jack Unterweger wird die österreichische Justiz gemessen werden.
00:46:22
Weniger als ein Monat später kommt Jack Unterweger, der Paradefall des erfolgreich resozialisierten Verbrechers, frei.
00:46:29
Presse und Öffentlichkeit sind begeistert.
00:46:32
Am Tag seiner Freilassung blickt er gleich von mehreren Titelseiten Gedanken verloren und in Nadelstreifenanzug gekleidet in die Welt und in den nächsten Monaten kann er sich vor Anfragen gar nicht retten.
00:46:43
Der 1,70 kleine Mann mit den feinen jugendlichen Gesichtszügen wird in Talkshows eingeladen, zu Interviews gebeten und von der Wiener Schickeria hofiert.
00:46:51
Seine Lieblingsthemen, Resozialisierung und Reformierung des Strafvollzugs.
00:46:56
Auch seine eigene Arbeit treibt der mittlerweile 39-Jährige voran, geht auf Lesereise durch ganz Österreich, arbeitet als Schauspieler, Regisseur und freier Journalist.
00:47:05
Oft mit dabei sein Anwalt Georg Zanger, der ihn jetzt als Medienanwalt berät, Verträge kontrolliert und bei Filmprojekten hilft.
00:47:14
Genau wie Zanger liebt Jack mediale Auftritte, kleidet sich dafür in schicke und außergewöhnliche Anzüge, die immer ein bisschen aus der Zeit gefallen wirken.
00:47:22
So als sei Jack noch in den 70er Jahren hängen geblieben, in der Zeit, in der er in Haft gekommen war.
00:47:27
Dank der vielen Arbeit kann sich Jack aber nicht nur teure Klamotten leisten, sondern auch eine große Wohnung in einem Wiener Nobelfiertel und einen neuen Wagen.
00:47:36
Ein Mercedes mit dem Wunschkennzeichen W Jack 1.
00:47:40
Nur eines von vielen Autos, die er sich innerhalb des ersten Jahres in Freiheit leisten wird.
00:47:45
Der Mann, der mehr als 15 Jahre hinter hohen Gefängnismauern saß, genießt sein neues Leben, das gar nicht conträrer hätte aussehen können, als das, was er vor seinem Eintritt ins Fegefeuer gelebt hatte.
00:47:57
Ein Jahr nach Jacks Entlassung wird am Pfingstmontag 1991 im Wiener Wald eine fast nackte Frauenleiche gefunden.
00:48:07
Sie scheint geradezu im Waldboden zu versinken, mit dem Gesicht nach unten und weit gespreizten Beinen.
00:48:13
Ihr Körper ist von bläulich-grauem Pilz bedeckt und sie trägt nur noch ein Top, das ihr bis zu den Schultern hochgeschoben wurde und eine Strumpfhose um ihren Hals.
00:48:21
Die Obduktion ergibt, dass die junge Frau mit ihrer eigenen Nylonstrumpfhose erdrosselt worden war,
00:48:27
wobei der Täter diese in eine Schlinge verwandelt, mit aller Kraft zusammengedrückt und anschließend kompliziert verknotet hatte.
00:48:33
Das Opfer ist die 25-jährige Sabine Meuzi, die vor einem Monat von ihrem Ehemann als vermisst gemeldet worden war.
00:48:40
Sabine war tagsüber Verkäuferin in einer Bäckerei, doch der Lohn reichte nicht aus, um ihre Heroinsucht zu finanzieren,
00:48:47
weshalb sie nachts heimlich als Sexarbeiterin tätig war.
00:48:50
Von dem Straßenstrich in der Nähe des Wiener Westbahnhofs war Sabine dann am 16. April nicht mehr zurückgekehrt.
00:48:57
Und da war sie in letzter Zeit nicht die Einzige.
00:48:59
Drei ihrer Kolleginnen, die alle im selben Teil des Rotlichtbezirks arbeiteten,
00:49:04
sind zwischen April und Anfang Mai ebenfalls verschwunden.
00:49:07
Neben Sabine noch Sylvia Zagler, Regina Prem und Karin Eroglu.
00:49:12
Und es dauert nicht lange, da wird die zweite Leiche gefunden.
00:49:16
Ebenfalls im Wiener Wald.
00:49:17
Ebenfalls nackt.
00:49:18
Ebenfalls mit dem Gesicht nach unten abgelegt.
00:49:22
Bei der Obduktion von Karin Eroglu wird klar, dass sie zuerst brutal mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen
00:49:27
und erst danach erdrosselt worden war.
00:49:29
Das Mordwerkzeug war in ihrem Fall ihr Oberteil gewesen, das zu einer Schlinge geknotet worden war,
00:49:35
die an die Strumpfhose des ersten Opfers erinnert.
00:49:38
Die Wiener ErmittlerInnen glauben nach diesem Fund an einen und denselben Täter
00:49:43
und daran, dass die beiden noch vermissten Frauen bald in ähnlicher Weise aufgefunden werden würden.
00:49:48
Und so beginnen groß angelegte Ermittlungen im Rotlichtmilieu,
00:49:51
auf die sich die Presse wie die Aasgeier stürzt.
00:49:54
Einer der Journalisten, die sich besonders für die Frauenmorde interessieren, ist Jack Unterweger.
00:50:00
Er hat am 3. Juni, und damit zehn Tage nachdem die zweite Leiche gefunden worden war,
00:50:05
einen Termin mit dem Leiter des Wiener Sicherheitsbüros,
00:50:08
um für eine ORF-Radiosendung ein Interview zu führen.
00:50:11
Auf die Frage, wie weit man bei der Suche nach dem Täter sei,
00:50:15
antwortet der Kriminalbeamte Max Edelbacher.
00:50:17
Was uns wirklich fehlt, sind die Sachbeweise.
00:50:20
Da die Prostituierten, die wir bis jetzt gefunden haben, relativ lange dort gelegen sind
00:50:24
und durch das schlechte Wetter auch jeglicher Sachbeweis vernichtet wurde.
00:50:27
Muss es für einen Beamten nicht frustrierend sein,
00:50:30
wenn man sozusagen gegen diese tote Wand rennt?
00:50:32
Hakt Jack nach, obwohl die Antwort natürlich klar ist.
00:50:36
Für die Wiener Polizei ist diese Mordserie eine noch nie dagewesene Herausforderung
00:50:40
und der Druck der Öffentlichkeit dementsprechend groß.
00:50:42
In dem Radiobeitrag mit dem Titel
00:50:44
Die Angst im Rotlichtmilieu, der ein paar Tage später im ORF erscheint,
00:50:48
ist aber nicht nur Max Edelbacher zu hören, sondern auch Sexarbeiterinnen.
00:50:52
Darin erzählen sie dem Reporter Jack von ihren Sorgen.
00:50:55
Jetzt hast Angst natürlich, jetzt stehst ganz unsicher da.
00:50:58
Du glaubst bei jedem Auto, das stehen bleibt, das ist der Mörder.
00:51:02
Es gibt überhaupt kein Einsteigen mehr bei uns.
00:51:05
Das müsst ihr euch jetzt übrigens in einem österreichischen Dialekt vorstellen.
00:51:09
Wie schützt man sich dagegen, hört man Jack nachfragen.
00:51:12
Du kannst dich gar nicht schützen, weil passieren kann dir so oder so etwas auf der Straße.
00:51:16
Ob das jetzt der Mörder ist, der die ganzen umbringt oder nicht, passieren kann immer was.
00:51:20
In einem Artikel, den Jack für die Wochenzeitung Falter schreibt,
00:51:24
kritisiert er die Berichterstattung der anderen Medien,
00:51:26
die nur auf die Befriedigung des Voyeurismus abziele und die Sexarbeiterinnen dadurch in Panik versetze.
00:51:32
Diese Panik bringe die Frauen dazu, jeden zu verdächtigen und der Polizei zu viele Tipps zu geben.
00:51:37
Das koste wertvolle Zeit bei der Suche nach dem wahren Mörder, schreibt er.
00:51:41
Während Jack mit seinen Recherchen im Rotlichtmilieu beschäftigt ist,
00:51:45
meldet sich ein pensionierter Polizeibeamter aus Salzburg bei der Wiener Mordkommission.
00:51:49
August Schenner erklärt dem Polizisten am anderen Ende der Leitung,
00:51:53
dass er einen Verdacht hat, wer der Täter in den Frauenmorden sein könnte.
00:51:56
Der verurteilte und mittlerweile wieder freigelassene Mörder und Journalist Jack Unterweger.
00:52:03
Schenner erklärt, er habe ihn 1973 in einem seiner Fälle in Verdacht gehabt,
00:52:07
doch nie dingfest machen können.
00:52:09
Damals ging es um den Mord an der 24-jährigen Marika Horvath,
00:52:13
die im April 1973 nackt, gefesselt und geknebelt in einen See geworfen wurde und ertrunken war.
00:52:20
Als Max Edelbacher, der Leiter des Sicherheitsbüros, von dem Verdacht hört,
00:52:24
ist er nicht gerade überzeugt.
00:52:26
Der Mann, der ihn gerade noch zu den Frauenmorden interviewt hatte, soll der Täter sein?
00:52:30
Edelbacher entschließt sich, trotzdem Jack beschatten zu lassen,
00:52:33
aber eher aufgrund mangelnder anderer Verdächtiger.
00:52:36
Doch die Beschattung bestätigt Edelbachers Gefühl nur.
00:52:39
Jack Unterweger führt das Leben, was man von einem Schriftsteller und freien Journalisten erwartet.
00:52:43
Er ist entweder zu Hause in seiner Wohnung, wahrscheinlich im Arbeitszimmer,
00:52:47
trifft sich mit anderen Menschen aus der Kunstszene in Cafés
00:52:50
oder abends zum Cocktail.
00:52:51
So stelle ich mir auch das Leben eines freien Journalisten vor.
00:52:56
Genau so sieht unsere Arbeit auch aus.
00:52:59
Leben wir ein anderes Leben?
00:53:01
Nein, wir leben dieses Leben.
00:53:04
Das alles passt nicht zu einem Prostituiertenmörder.
00:53:09
Und als Jack dann am 10.
00:53:10
Juni wieder bei Edelbacher auf der Matte steht und ihn nach einem Kontakt bei der Polizei in Los Angeles fragt,
00:53:16
weil Jack vorhat da eine Geschichte über die Polizeiarbeit zu recherchieren,
00:53:19
hält der Leiter des Sicherheitsbüros ihn auch nicht auf.
00:53:22
Und so landet Jack am 11.
00:53:24
Juni am Flughafen in der Stadt der Engel.
00:53:26
Als er die große Ankunftshalle betritt, trägt er weiße Hosen, weiße Cowboystiefel aus Schlangenleder,
00:53:32
einen weißen Cowboyhut und einen weißen Mantel mit hellem Blumenmuster.
00:53:36
Er mietet sich einen Wagen und fährt damit zum Cecil Hotel in Downtown LA.
00:53:40
Eine Gegend, in der nicht nur die Obdachlosigkeit, sondern auch die Kriminalitätsrate und die Anzahl von Sexarbeiterinnen hoch ist.
00:53:47
Nur zwei Blocks vom Hotel entfernt liegt die Zentrale des LAPD.
00:53:51
Und tatsächlich schafft es Jack schon bald, in einer Polizeistreife mitzufahren und einem Detektiv Fragen zu stellen.
00:53:57
Am Ende seines fünfföchigen Aufenthalts erscheint in der Zeitschrift Tirolerin ein Artikel von ihm
00:54:02
zu den Schattenseiten der Metropole, für die er nicht nur mit Polizisten,
00:54:06
sondern auch mit Sexarbeiterinnen und Drogensüchtigen Interviews geführt hat.
00:54:10
Kurz Zeit nach seiner Heimkehr wird am 4. August schließlich die dritte Leiche einer der vermissten Prostituierten gefunden.
00:54:17
In einem Wald in der Nähe von Wolfsgraben, acht Kilometer von Wien entfernt,
00:54:21
liegt der tote Körper von Silvia Zagler, auf dem Bauch, bedeckt mit einer dünnen Schicht Erde.
00:54:26
Aufgrund der langen Liegezeit kann nur mehr noch mit Sicherheit festgestellt werden,
00:54:31
dass eine Gewalttat vorlag, nicht aber wie Silvia genau zu Tode gekommen war.
00:54:35
Noch fast ein Jahr wird es dauern, bis auch die Leiche der vierten vermissten Frau, Regina Prem, gefunden wird.
00:54:41
Im Oktober meldet sich Jack aber dann erstmal wieder bei Max Edelbacher.
00:54:45
Er erzählt ihm von einer neuen Geschichte, an der er gerade arbeitet,
00:54:48
über die Obdachlosigkeit in Los Angeles und Wien.
00:54:51
Doch diesmal ist Edelbacher derjenige, der Fragen stellen will.
00:54:55
Die Mordkommission hat zwar nichts gegen Jack in der Hand,
00:54:57
aber Edelbacher entscheidet sich dafür, mit offenen Karten zu spielen.
00:55:01
Er erklärt Jack, dass er bei ihren Ermittlungen in der Verdächtigenliste aufgetaucht war.
00:55:06
Das überrasche ihn nicht, erklärt Jack.
00:55:08
Und weiter könne er sich auch genau denken, von wem dieser Tipp kam.
00:55:12
August Chenner, der pensionierte Polizist aus Salzburg, der sich an die Wiener Mordkommission gewandt hatte,
00:55:18
versuche laut Jack seit Jahren, ihm einen Mord aus Salzburg anzuhängen.
00:55:22
Doch Jack versichert Edelbacher, dass er nie wieder ein Verbrechen begehen würde.
00:55:26
Damit würde er ja nicht nur seine Freiheit verlieren,
00:55:28
es wäre auch eine schreckliche Enttäuschung und Beleidigung für all diejenigen, die ihm geholfen haben.
00:55:33
Der Leiter des Sicherheitsbüros erklärt ihm, dass er von ihm Alibis bräuchte, um seinen Namen von der Liste zu streichen.
00:55:39
Jack versichert, er würde versuchen, seinen Aufenthaltsort für die vier Nächte zu rekonstruieren,
00:55:44
in denen die Frauen in Wien verschwunden waren.
00:55:46
Zwei Wochen gibt Edelbacher ihm dafür Zeit.
00:55:50
Ein paar Tage später trifft ein Bericht aus Graz bei der Mordkommission in Wien ein.
00:55:55
Auch hier sucht man seit geraumer Zeit nach einem Prostituiertenmörder.
00:55:59
Im Oktober 1990 war die erste Frau verschwunden, Brunhilde Massa, im März 1991 die zweite, Elfriede Schrempf.
00:56:07
Beide wurden mittlerweile tot aufgefunden.
00:56:09
Die eine mit dem Gesicht in einem Bach, die andere im Waldboden.
00:56:13
Brunhilde Massa wurde mit einem Stoffstück erdrosselt.
00:56:17
Von Elfriede Schrempf war nur noch ein Skelett übrig geblieben.
00:56:20
Die Parallelen zu den Fällen in Wien sind deutlich.
00:56:22
Nachdem zwei Wochen verstrichen waren, steht Jack wieder vor Edelbachers Schreibtisch.
00:56:27
Bezüglich der vier Tage im April und Mai könne er leider keine Alibis angeben.
00:56:31
Und so bleibt Jack auf der Liste der Verdächtigen.
00:56:34
Und jetzt nicht mehr nur in Wien, sondern auch in Graz,
00:56:37
wo Beamten daraufhin mit seinem Foto durch das Rotlichtmilieu streifen.
00:56:41
Eine Sexarbeiterin aus Graz kann sich tatsächlich an den kleinen Mann erinnern.
00:56:45
Sie erzählt, dass Jack Unterweger bei ihr war und von ihr gefordert hatte,
00:56:48
sich in einem Wald von ihm fesseln zu lassen und so zu tun, als ob sie Angst vor ihm habe.
00:56:53
Das sei im Oktober 1990 gewesen.
00:56:56
Genauer neun Tage, bevor Brunhilde Massa nur eine Straße weiter verschwunden war.
00:57:02
Bei ihren Ermittlungen erfahren die Beamtinnen, dass Jack im Herbst 1990 für eine Reportage in Graz war.
00:57:07
Auch hier durfte er bei einer Streife mitfahren und hatte im Rotlichtmilieu recherchiert.
00:57:12
Im März 1991, in dem Monat, in der die zweite Frau verschwand, war Jack auch wieder in Graz.
00:57:18
Diesmal für eine seiner Lesungen.
00:57:20
Aber nicht nur in Graz, auch in Bregenz schrillen auf einmal die Alarmglocken bei seinem Namen.
00:57:25
Denn hier war am 5. Dezember 1990 die Sexarbeiterin Heidemarie Hammerer verschwunden,
00:57:30
die am Neujahrsabend nackt und tot in einem Wald mit ihrer eigenen Strumpfhose um den Hals aufgefunden worden war.
00:57:35
Bei der Überprüfung von Jacks Lesereise wird klar,
00:57:39
dass er am 6. Dezember morgens bei einer Aufzeichnung einer seiner Stücke im ORF-Studio ganz in der Nähe war.
00:57:45
Sieben ermordete bzw. vermisste Sexarbeiterin und ein Mann,
00:57:50
der zur Zeit ihres Verschwindens in der jeweiligen Stadt unterwegs war und wegen Mordes vorbestraft ist.
00:57:56
Das reicht für die Polizei, einen Haftbefehl vorzubereiten.
00:57:59
Doch bevor sie Jack die Handschellen anlegen können, kommt ihnen die Presse zuvor.
00:58:03
Am 15. Februar 1992 titelt die kleine Zeitung in Graz Mordserie Haftbefehl gegen Jack Unterweger.
00:58:11
Am Nachmittag greifen alle österreichischen Medien die Geschichte auf
00:58:15
und nehmen Jack nochmal so richtig unter die Lupe.
00:58:17
In den meisten Redaktionen zum ersten Mal.
00:58:20
Dabei wird deutlich, dass wohl nicht alles so stimmt, wie Jack es in seinem Buch geschrieben
00:58:25
oder nach außen hatte wirken lassen wollen.
00:58:28
So finden JournalistInnen nämlich heraus, dass Jacks Mutter und auch seine Tante
00:58:32
gar keine Sexarbeiterinnen waren und die Tante auch nicht getötet wurde.
00:58:35
Jacks Halbschwester erzählt außerdem, dass der Großvater gar kein gewalttätiger Mann war,
00:58:40
sondern Jack stattdessen verwöhnt und geliebt hatte.
00:58:43
Viele hören jetzt auch zum ersten Mal von Jacks Zeit vor seiner Haft,
00:58:47
in der er bereits einige Straftaten angesammelt hatte.
00:58:50
Raub, Autodiebstahl, Einbruch, Betrug, eine Entführung eines 16-jährigen Mädchens,
00:58:56
das er zur Prostitution zwingen wollte, eine Vergewaltigung, bei der er eine Frau mit einem Eisenstab missbrauchte
00:59:02
und andere gewalttätige Vergehen an Frauen zieren seine Akte.
00:59:06
Und dann war da ja noch der Mord, für den er 15 Jahre ins Gefängnis kam,
00:59:10
von dessen Einzelheiten die Öffentlichkeit auch noch nichts gehört hatte,
00:59:13
weil Jack diesen in seinem neuen Leben als Schriftsteller in den Hintergrund geschrieben hatte.
00:59:18
In seinem Buch Fegefeuer wird er beispielsweise nicht mit einer Silbe erwähnt
00:59:22
und wenn er nach seiner Freilassung dazu befragt wurde, hieß es entweder, er wolle nicht darüber reden
00:59:27
oder er habe in dem Opfer seine Mutter gesehen und sie deshalb umgebracht.
00:59:32
Doch jetzt sind die Details auf einmal interessant, denn der Mord aus dem Jahr 1974
00:59:37
an der 18-jährigen Margret Schäfer weist tatsächlich Parallelen zu der neuen Serie auf.
00:59:42
Auch sie war fast nackt und mit den Händen auf dem Rücken gefesselt im Wald aufgefunden worden,
00:59:47
auch sie war zunächst mit einer Stahlrute geschlagen und dann mit ihrem eigenen BH erdrosselt worden.
00:59:52
Der Unterschied zu den neueren Fällen war eigentlich nur, dass Margret keine Sexarbeiterin war
00:59:57
und Jack sie bei einer Freundin an dem Tatabend kennengelernt hatte.
01:00:00
Für die Presse steht fest, Jack ist der gesuchte Frauenmörder.
01:00:05
Als Anwalt Georg Zanger an diesem 15. Februar die Zeitung aufschlägt, ist er schockiert.
01:00:11
Nicht so sehr über die Vergangenheit seines Mandanten, sondern über die Vorverurteilung in den Medien.
01:00:16
Was folgt, ist ein Krieg gegen die Zeitungen, die Jack bereits als Täter darstellen,
01:00:20
von denen Zanger jeden einzelnen Prozess gewinnen wird.
01:00:23
Auch Jack selbst kann die Hetze gegen ihn nicht lange ertragen.
01:00:26
Kurz nach der Meldung über den Haftbefehl hatte er sich nach Miami abgesetzt,
01:00:30
von wo er nun am 20. Februar um kurz nach 21 Uhr im ORF anruft.
01:00:35
Er kündigt an, am Tag darauf um 17 Uhr ein Live-Interview zu geben.
01:00:39
Dort erklärt er, er habe sich selbst an die Polizei gewandt
01:00:42
und da seien alle einhellig der Meinung gewesen, es gäbe keine Beweise gegen ihn.
01:00:46
Nur weil die Polizei nun unter so einem hohen Druck stehe, sei er jetzt auf der Verdächtigenliste gelandet.
01:00:52
Daraufhin fragt ihn der Interviewer, warum sind sie dann auf der Flucht, wenn sie sich selbst völlig unschuldig fühlen?
01:00:57
Weil ich nicht in eine Zelle hineingehe.
01:01:00
Ich stelle mich jeder Behörde, jedem Juristen, jedem Kriminalbeamten, ist mir vollkommen egal, aber nicht in der Zelle.
01:01:07
Dass Jack bei diesem Interview in Miami ist, bekommt die österreichische Polizei über einen Hinweisgeber mit,
01:01:12
der von einer geplanten Geldabhebung am 27. Februar berichten kann.
01:01:16
Denn für ein Interview soll Jack 10.000 Dollar erhalten, die er an diesem Tag in einer Bank in Miami abholen will.
01:01:22
Die BeamtInnen melden sich daraufhin bei ihren Kolleginnen in Miami und bitten um unbürokratische Hilfe.
01:01:29
Es klappt und so wird Jack am 27. Februar 1992 in Miami festgenommen.
01:01:34
Während er in den USA in U-Haft sitzt, durchsuchen österreichische ErmittlerInnen seine Wohnung in Wien.
01:01:40
Dabei finden sie viele Rechnungen und Quittungen, die Jacks Aufenthaltsorte während seiner Zeit nach der Haftentlassung nachzeichnen
01:01:47
und ihn während der Morde in Wien, Bregenz und Graz jeweils dort verorten.
01:01:51
Aber es gibt auch Aufzeichnungen aus anderen Städten, z.B. von Prag, wo Jack vier Monate nach seiner Entlassung
01:01:57
genauer vom 14. bis zum 16. September 1990 gewesen war.
01:02:02
Um sicherzugehen, dass kein Mord unentdeckt bleibt, wendet sich die Polizei an das Prager Büro von Interpol
01:02:08
und fragt nach, ob es in diesen zwei Tagen zufällig ungeklärte Tötungen in der Stadt gab.
01:02:13
Die Antwort überrascht. Ja, am 15. September 1990 wurde die 30-jährige Blanka Bokova getötet.
01:02:20
Ihre Leiche war danach nackt und mit weitgespreizten Beinen in einem seichten Gewässer aufgefunden worden.
01:02:25
Sie war erdrosselt worden, sowohl mit den Händen als auch mit einem Strangulationswerkzeug, das aber fehlte.
01:02:31
Blanka war allerdings keine Sexarbeiterin gewesen und sie lag auch nicht mit dem Kopf nach unten wie die anderen Frauen.
01:02:37
Trotzdem ist auffällig, dass wieder Jack Unterweger ganz in der Nähe war.
01:02:42
Bei ihren Ermittlungen kommt nämlich heraus, dass Jack auch hier ZeugInnen gegenüber angegeben hatte,
01:02:47
eine Geschichte über das Prager Rotlichtmilieu zu schreiben und daher mit Sexarbeiterinnen und Zuhältern reden wollte.
01:02:52
In der Wohnung in Wien finden die Ermittlerinnen neben dem Hinweis auf Prag auch noch die auf Los Angeles.
01:02:58
Auf gut Glück melden sie sich also noch einmal bei Interpol, um zu fragen,
01:03:02
ob in L.A. für die Zeit vom 11. Juni bis 19. Juli 1991 vielleicht auch irgendwelche ungelösten Fälle aufgetreten waren.
01:03:10
Als sie kurze Zeit später jemand vom LAPD zurückruft und berichtet, dass genau in dieser Zeit drei Sexarbeiterinnen ermordet wurden,
01:03:17
werden die österreichischen Ermittelnden aufmerksam.
01:03:20
Shannon Exley, Irene Rodriguez und Peggy Booth waren alle zuerst geschlagen und dann mit ihrer eigenen Unterwäsche erdrosselt worden.
01:03:29
Durch diese Durchsuchung hatten sich also nun vier weitere Morde aufgetan, die möglicherweise in die Serie mit eingereiht werden konnten.
01:03:37
Doch dass die Sexarbeiterinnen aus Los Angeles Opfer von Jack Unterweger waren, glauben zumindest, die amerikanischen Ermittelnden nicht beweisen zu können.
01:03:44
Die Spurenlage sei zu gering.
01:03:47
Daher wird Jack nicht in den USA vor Gericht gestellt, sondern nach Österreich ausgewiesen, wo er am 28. Mai 1992 am Wiener Flughafen ankommt und lächelnd in die Kameras schaut.
01:03:58
Anwalt Zanger erklärt der anwesenden Presse, die erste Etappe hat Unterweger gewonnen.
01:04:02
Der zuständige amerikanische Staatsanwalt hat mir bestätigt, dass keinerlei Indizien gegen meinen Mandanten in den drei Prostituiertenmorden in Los Angeles vorliegen.
01:04:10
Meiner Meinung nach vermutet die österreichische Polizei auch mehr, als dahinter steckt.
01:04:14
Ich werde den Enthaftungsantrag stellen.
01:04:16
Doch diesen bringt Zanger nicht durch, sodass Jack fast zwei Jahre in U-Haft verbringen muss, bis sein Prozess am 20. April 1994 startet.
01:04:27
In diesem Jahrhundertprozess, wie ihn die Presse nennt, werden Jack dann die Morde an sieben Österreicherinnen, drei US-Amerikanerinnen und einer Tschechien vorgeworfen.
01:04:35
Schon um 4.30 Uhr am Morgen versammeln sich die ersten Schaulustigen vor dem Gerichtsgebäude, in der Hoffnung, einen Platz zu ergattern.
01:04:42
Als die 32 Sitzkarten drei Stunden später verteilt und die Fernsehteams zu ihrem eigens eingerichteten Bereich geführt wurden,
01:04:49
betreten die ersten Prozessbeteiligten den Saal.
01:04:52
Auftritt Zanger.
01:04:53
Er geht von Pressevertreter zu Pressevertreterin, schüttelt Hände und wirkt dabei wie ein Politiker im Wahlkampf.
01:04:59
Nachdem ihm Staatsanwälte und RichterInnen gefolgt sind, kommt nun kurz nach neun sein Mandant dazu.
01:05:05
Gekleitet in einem dunkelgrauen, zweireihigen Anzug, ein hellblaues Hemd und eine Krawatte mit Paisley-Muster lächelt Jack in die Kameras.
01:05:12
Bevor der Richter die Geschworenen vereidigt, bringt Zanger seine Anträge vor.
01:05:16
Er fordert unter anderem die Einstellung des Verfahrens aufgrund der Hexenjagd in den Medien und den Vorsitzenden durch einen anderen Richter wegen Befangenheit zu ersetzen.
01:05:24
Alle Anträge werden vom Richter abgelehnt, sodass nach eineinhalb Stunden dann doch die Hauptverhandlung eröffnet und die Anklage verlesen werden kann.
01:05:33
Jack Unterweger ist ein Meister der Manipulation, ein Meister der Selbstdarstellung.
01:05:37
Er nimmt ein Exemplar des Buches aus Mangel an Beweisen in die Hand und schlägt es auf.
01:06:03
Sie müssen von folgender Annahme ausgehen, liest er.
01:06:06
Bis zum Beweis des Gegenteils ist der Angeklagte unschuldig.
01:06:10
Nach Zanger darf auch Jack etwas an die Geschworenenbank richten.
01:06:14
Er steht auf und sagt
01:06:15
Meine Damen und Herren Geschworenen, wir sind jetzt für die nächsten zwei Monate zusammen und ich möchte kein steriler Schauspieler sein.
01:06:22
Ich möchte es mit Ihnen so haben wie im Kaffeehaus.
01:06:25
Falls Sie Fragen haben, stellen Sie sie bitte und ich werde Ihnen auf alles, wirklich alles eine Antwort geben.
01:06:31
Sehen Sie, ich habe den großen Vorteil, dass ich nichts zu verbergen habe, da ich nicht der Mörder bin.
01:06:36
Wenn Sie mich bei einer Lüge erwischen, dann verurteilen Sie mich.
01:06:39
In den nächsten Verhandlungstagen präsentiert die Staatsanwaltschaft ihre Indizienkette.
01:06:44
Zunächst besteht ihre Strategie darin, Jacks Glaubwürdigkeit zu zerstören, zu zeigen, dass er ein Lügner ist.
01:06:50
Nicht nur, was seine Lebensgeschichte anbetrifft, sondern auch seine Alibis, die so gut wie keiner Nachfrage standhalten.
01:06:56
Außerdem wird ein psychiatrischer Gutachter geladen, der Jack zwar als zurechnungsfähig, aber geistig abnorm einstuft.
01:07:04
Jack leide laut dem renommierten Experten an einer tiefgreifenden, narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit sadistischen Handlungen.
01:07:12
Was die Sachbeweise angeht, ist neben ein paar Faserspuren von Jacks Schal und seiner Blutgruppe nur ein Beweismittel wirklich überzeugend.
01:07:20
Ein Haar mit Wurzel des Prager Opfers Blanka Bokowa, das in dem Auto gefunden worden war, mit dem Jack nach Prag gefahren ist.
01:07:28
Zanger wählt für seine Verteidigung die Strategie, die Aussagen der dürftigen Beweismittel infrage zu stellen und zu betonen, dass zu viele Zweifel im Raum blieben.
01:07:36
In Bezug auf das gefundene Haar unterstellt er den Behörden sogar, dieses absichtlich platziert zu haben.
01:07:42
Daher bleibt Zanger in seinem Abschlussplädoyer dabei, es gebe kein einziges Indiz, keinen einzigen Beweis für einen Mord durch Jack Unterweger.
01:07:52
Auch Jack darf am Ende der Hauptverhandlung noch etwas sagen.
01:07:55
In seinem letzten Wort appelliert er an die Geschworenen und beteuert noch einmal seine Unschuld.
01:08:00
Doch von der sind am 28. Juni 1994 am Ende nur zwei von acht Geschworenen überzeugt.
01:08:07
Jack Unterweger wird in neun von elf Fällen des Mordes schuldig gesprochen.
01:08:11
In zwei Fällen war der Zerfallsprozess der Leichen so weit fortgeschritten,
01:08:15
dass man nicht einmal mehr die genaue Todesursache hatte angeben können, weshalb sich hier fünf Geschworene dazu entschieden hatten, Jack freizusprechen.
01:08:23
Nach der Urteilsverkündung fragt der Vorsitzende noch an Jack Gewandt,
01:08:26
haben sie zu diesem Urteil noch irgendwas zu sagen?
01:08:28
Ich werde in Berufung gehen, sagt Jack trotzig, aber mit Tränen in den Augen.
01:08:33
Doch sechs Stunden später ist Jack tot.
01:08:36
Erhängt wird er in seiner kleinen Zelle aufgefunden.
01:08:39
Mit der Kordel seiner Jogginghose hatte Jack sich eine komplizierte Schlinge geknotet.
01:08:44
So, wie es der Serientäter mit der Unterwäsche seiner Opfer gemacht hatte.
01:08:48
Also ich bin richtig sauer, dass der das jetzt gemacht hat und diese Strafe nicht absitzen muss.
01:08:55
Ja, das ist echt krass, sich so aus der Verantwortung da zu ziehen.
01:09:00
Aber wozu das natürlich geführt hat, ist, dass er nie rechtskräftig verurteilt wurde.
01:09:05
Also dass das Urteil nie rechtskräftig wurde und er rechtlich gesehen nicht als Serienmörder bezeichnet werden darf.
01:09:14
Was wir auch hier jetzt nicht gemacht haben.
01:09:16
Von daher sind wir fein raus.
01:09:18
Haben wir nicht gemacht.
01:09:18
Ja, also ich glaube, wir wissen alle, dass man das rechtlich nicht so sehen kann.
01:09:22
Aber auf einer anderen Ebene geht man ja sehr stark davon aus.
01:09:27
Ich finde es halt so krass, dass es halt auch dann mit dieser komplizierten Technik war, wie er offenbar diesen Knoten geknotet hat.
01:09:35
Viele sehen das auch als Eingeständnis, zu zeigen, haha, ja hier, ich war es doch sozusagen.
01:09:42
Und wenn er es wirklich war, was für ein krasser Typ muss man eigentlich sein, dass man dann diese Artikel darüber schreibt.
01:09:53
Und was für ein sadistisches Arschloch musst du sein, dich daran so zu ergötzen an dem Leid dieser Sexarbeiterin und da hinzugehen und zu fragen, ja wie ist es denn, wie dolle Angst hast du denn und wie schützt du dich denn und so.
01:10:07
Also wenn das Urteil nicht rechtskräftig ist, dann kann man das ja jetzt nicht so sagen, wozu das womöglich diente.
01:10:12
Aber der Verdacht liegt ja nahe, das sollte er es gewesen sein, er halt gucken wollte, was macht meine Tat, vor allem halt auch mit potenziellen Opfern.
01:10:23
Also der hat natürlich wahrscheinlich auch in der Redaktionskonferenz den Arm gehoben, hat gesagt, lass uns doch mal ein Stück darüber machen.
01:10:30
Ich biete mich gerne an.
01:10:32
Ja, richtig widerlich, ja.
01:10:34
Und ORF wusste nicht, warum der vorher in Haft saß.
01:10:37
Das weiß ich nicht, aber so aus meiner Recherche heraus hat er das auch sehr, also er hat es auch sehr schlau gemacht und sich sehr schlau verkauft und eben über diesen Mord, den er begangen hat und natürlich auch, und dass er vorher auch mal als Zuhälter gearbeitet hat, das hat er natürlich alles verschwiegen und hat halt so getan.
01:10:56
Er hat sich wirklich als Opfer seiner Kindheit präsentiert, wie wir das eben kennen, ja, vernachlässigt, keine Mutter, kein Vater, einen alleinerziehenden Großvater, der ihn geschlagen hat und da konnte er dann quasi nur so werden.
01:11:11
Und dadurch, dass er darüber geschrieben hat, hat er sich dann sozusagen davon befreit.
01:11:14
So hat er sich dargestellt, ne.
01:11:15
Man wollte natürlich an das Gute glauben.
01:11:18
Und weißt du, was mich da so aufregt?
01:11:20
Er saß ja schon mal 15 Jahre in Haft und hat dann das Leben zurückgekriegt und hätte ja nochmal von vorne anfangen können.
01:11:30
Und man, offenbar hat man ihn ja auch lassen.
01:11:32
Ja, alle Türen waren offen und am Anfang ging das auch noch gut.
01:11:37
Also der hat dann Theaterstücke auch aufgeführt und so und dann blieb so ein bisschen der Erfolg aus, weißt du, den er hatte von seinem ersten Buch, wo ihn alle so wow gefeiert haben und so.
01:11:49
Und da spekulieren eben einige auch, dass das ihn so in seinem narzisstischen Bild sehr geschadet hat und dass das vielleicht auch ein Grund war, warum er dann auch die Taten wieder begangen hat.
01:12:00
Wobei man aber ja sagen muss, wenn er diese Persönlichkeitsstörung hat und ein Sadist ist, dann konnte er das wahrscheinlich auch gar nicht abstellen und vielleicht war alles genau so geplant, wenn er wieder rauskommt, dass er wieder anfängt.
01:12:13
Man hätte es gern von ihm gehört, ja.
01:12:16
Aber Jacks Anwalt, Dr. Georg Zanger, mit dem ich für die Folge auch ein Interview geführt habe, der hat mir erzählt, dass er sich sicher ist, dass das Urteil in zweiter Instanz aufgehoben worden wäre.
01:12:26
Nicht nur wegen der wenigen Sachbeweise, sondern schon allein wegen all der Anträge, die abgelehnt wurden.
01:12:31
Und auch Jack wusste laut Zanger, dass die Chancen dafür nicht schlecht standen, weshalb Zanger der Ansicht ist, dass es gar kein Suizid war, sondern eine Tötung.
01:12:43
Er glaubt, dass Beamte in dem Gefängnis ihn getötet haben, weil der sie genervt hat.
01:12:50
Weil der sie genervt hat. Und dann haben die auch den Knoten so gelernt.
01:12:58
Er hat mir aber erzählt, deswegen denkt er das, ja. Der hatte sich nicht einfach nur ausgedacht, sondern er wurde nämlich morgens um 6 Uhr am Tag nach der Urteilsverkündung von einem Mitarbeiter des Gerichts angerufen,
01:13:11
der seine Identität aber nicht preisgeben wollte. Und der hatte Zanger erzählt, dass Unterweger gerade ermordet wurde.
01:13:16
Und so hatte Zanger quasi von dem Tod seines Mandanten noch vor allen anderen vor der Öffentlichkeit erfahren.
01:13:22
Und erst ein paar Stunden später gab es dann, wie er sagt, die offizielle Version des Suizids.
01:13:29
Ja, aber dieser Beamte, der kann das ja auch falsch verstanden haben.
01:13:34
Zanger meint halt, Unterweger hätte keinen Suizid begehen wollen, auch wenn der schon früher mal damit gedroht hatte.
01:13:40
Er meint halt, das war von Unterweger immer nur so ein Schrei nach Aufmerksamkeit, wenn er darüber geredet hat.
01:13:46
Ich habe Herrn Zanger übrigens auch gefragt, ob er eigentlich von der Unschuld Unterwegers überzeugt war oder ist.
01:13:53
Und das hat er mir geantwortet.
01:13:55
Also ich sage Ihnen das ganz ehrlich. Ich war von Anfang an aufgrund seiner Erzählungen überzeugt, dass er ein Recht ist.
01:14:02
Und es hat Phasen gegeben, wo ich überlegt habe, ob es nicht auch anders gewesen sein könnte.
01:14:08
Und am Schluss war ich der Meinung, ziemlich gespalten 50-50.
01:14:13
Hätte ich jemals die Überzeugung gehabt, dass er der Täter ist, hätte ich aufgehört.
01:14:17
Das wusste er aber auch.
01:14:18
Okay, aber dass er von, ich bin überzeugt, er ist unschuldig, zu 50-50 geht, ist ja, also das sagt ja auch schon was.
01:14:26
Also sagen wir mal so, ist er es nicht gewesen, dann wären das sehr, sehr viele Zufälle, die da zusammengekommen sind.
01:14:35
Ja, und Zanger war ja auch eigentlich eher so sein Medienanwalt.
01:14:39
Und dass mal so ein Prozess auf den zukommt, das hat er, glaube ich, auch nicht kommen sehen.
01:14:45
Kennengelernt hat er Jack nämlich tatsächlich über seine prominenten MandantInnen.
01:14:49
Also ich wurde von der Kulturszene, die mir vertraut war, mit der ich ständig zusammengearbeitet habe, gebeten, mich um den Fall zu kümmern.
01:14:59
Das habe ich dann auch getan und habe Jack Unterweger besucht, habe ihn kennengelernt, habe ihn mehrmals besucht,
01:15:06
habe die Entlassungsanträge mit ihm vorbereitet und habe dann auch gemeinsam mit ihm besprochen,
01:15:14
wie man sich dort verhält, wie das vor sich geht.
01:15:18
Mein persönlicher Eindruck war damals, dass er sehr zielstrebig ist, dass er eine Vorstellung von dem hat, was er haben will und dass er auch gut vorbereitet ist.
01:15:30
Nachdem Zanger Unterweger dann aus der Haft bekommen hat, war er dann ja eben eher so wie so ein Manager für den tätig.
01:15:36
Und als sich die Medien dann 1992 nach diesem Haftbefehl dann so auf den gestürzt haben, dann war Zanger natürlich total in seinem Element.
01:15:45
Die Art und Weise, wie diese Publikationen waren, die in Wahrheit schon eine Vorverurteilung dargestellt haben,
01:15:52
so dass eigentlich in der breiten Bevölkerung gar kein Zweifel mehr sein konnte, dass er der Täter ist und zwar von einer Vielzahl von Morden,
01:16:00
habe ich mich entschlossen, hier gegen die Medien vorzugehen und ihm zu empfehlen, Medienprozesse anzustellen,
01:16:08
weil sich jemand so etwas, auch dann, wenn er verdächtig ist, nicht gefallen lassen muss,
01:16:13
weil ja die Art der Vorverurteilung jede objektive Beurteilung in einem späteren Prozess unmöglich macht.
01:16:21
Herr Zanger kannte sich damals auch schon sehr gut mit solchen Medienprozessen aus.
01:16:25
1989 hatte er nämlich einen der sogenannten Todesengel von Lines in solch einem vertreten.
01:16:31
Über die Mandantin war er im Vorfeld von der Kronenzeitung nämlich auch vorverurteilend berichtet worden.
01:16:37
Und Zanger hat es dann geschafft, die Zeitung juristisch zu einer Gegendarstellung zu zwingen.
01:16:42
Das war aber dann nicht irgendeine Gegendarstellung, so wie wir das kennen, vielleicht auf Seite 5 oder so.
01:16:47
Die Zeitung musste mehrere Sonderausgaben rausbringen und alles klarstellen.
01:16:53
Und so eine Gegendarstellung erreicht Zanger dann später auch für Unterweger.
01:16:57
Und auch wenn der Zanger dann jetzt quasi der Schreck der Presse ist, weiß der natürlich auch,
01:17:06
dass die Presse ihm bei seiner Verteidigung auch helfen kann, beziehungsweise er sie auch nutzen sollte.
01:17:11
Vor allem bei so großen Fällen, in denen die öffentliche Meinung auch indirekt Einfluss auf das Gericht
01:17:16
beziehungsweise die Geschworenen haben kann.
01:17:18
Ja, das kennen wir ja zum Beispiel aus dem Prozess gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann.
01:17:22
Da kam es in der Presse und auch in sozialen Medien zu so einer Art Parallelprozess regelrecht,
01:17:29
wo darüber diskutiert wurde, ob er jetzt der angeklagten Vergewaltigung schuldig ist oder nicht.
01:17:34
Und die Informationen, die die Medien bei solchen Verfahren und Ermittlungen bekommen,
01:17:38
die sind ja in der Regel erstmal von der Staatsanwaltschaft und Polizei.
01:17:41
Entweder halt durch Pressekonferenzen, Interviews oder weil halt jemand was durchsickern lässt.
01:17:46
Und das ist dann natürlich auch relativ einseitig erstmal, wenn das von dieser Seite kommt.
01:17:51
Und um dagegen anzugehen, dass sich da jetzt vorschnell eine Meinung bildet oder so,
01:17:56
da wenden sich halt die VerteidigerInnen dann auch an die Presse.
01:18:00
Und bei Kachelmann war das ja ganz interessant, weil bei ihm der Star-Anwalt denn erst relativ spät im Verfahren dazu kam.
01:18:07
Und das war Johann Schwen.
01:18:09
Von dem haben wir hier im Podcast auch schon mal gesprochen.
01:18:11
Und der hat zum Beispiel auch Jan Ullrich und Gregor Gysi vertreten.
01:18:14
Und der ist seit neuestem jetzt auch der Anwalt des Verdächtigen im Fall von Maddie McKenn.
01:18:20
Ja, und der Schwen hatte natürlich die ganze Vorverurteilung im Fall von Kachelmann ja mitbekommen.
01:18:26
Und hat dann aber darauf gedrängt, dass die Hauptverhandlung noch stärker in der Öffentlichkeit stattfindet.
01:18:31
Und zwar deshalb, weil es dort halt auch Indizien gab, die Kachelmann entlasteten.
01:18:36
Die waren nur, bis Sven dazu kam, alle von der Staatsanwaltschaft unter Verschuss gehalten worden.
01:18:41
Mit dem Verweis auf die Persönlichkeitsrechte der ZeugInnen.
01:18:44
Wo man sich natürlich so ein bisschen fragt, wie fair das ist.
01:18:49
Weil bis dato kamen dann über Jörg Kachelmann schon ungefähr alle privaten Einzelheiten an die Oberfläche.
01:18:58
Aber nachdem dann eben auch die andere Seite sozusagen gezeigt wurde, gab es wenigstens so ein besseres Gleichgewicht in der Berichterstattung.
01:19:06
Zumindest waren Spiegel und Zeit auf der Seite von Kachelmann.
01:19:09
Das waren übrigens auch Gisela Friedrichsen, von der ich von erzählt habe, und Sabine Rückert.
01:19:14
Ja, also die waren einfach auf der Seite der Unschuldsvermutung.
01:19:18
Und auf der anderen Seite standen halt Bild und Burda.
01:19:22
Ja, und ganz vorne Alice Schwarzer.
01:19:24
Ja, und an diesem Fall sieht man das ganz gut, wie wichtig es auch ist für die VerteidigerInnen, mit der Presse zu sprechen und sozusagen die richtigen Infos zu platzieren.
01:19:34
Das hat mir auch der Strafverteidiger Dr. Alexander Stevens, der selbst viele prominente und medienwirksame Fälle vertritt, bestätigt.
01:19:42
Also, dass Medien und das Zusammenarbeiten mit den Medien immer ein Instrument sein kann, um quasi die Waage der Justiz ja wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
01:19:50
So nach dem Motto halt.
01:19:53
Ich habe ihn dann gefragt, wie er das aber entscheidet, ob er mit den Medien zusammenarbeitet oder eben nicht.
01:19:59
Ob man sich letztlich dazu entscheidet, mit den Medien in Anführungszeichen zusammenzuarbeiten, also mit ihnen zu sprechen oder nicht, ist ein Abwägungsprozess, der doch einiges an Erfahrung bedarf.
01:20:11
Vor allem auch im Umgang mit den Medien.
01:20:13
Da gibt es kein Patentrezept.
01:20:15
Natürlich muss man ganz hart die Pros und Cons abwägen.
01:20:19
Das spricht dafür, was dagegen.
01:20:20
Wie groß könnte der Schaden sein, wenn das Ganze nach hinten losgeht?
01:20:24
Wie groß war die Vorverurteilung in den Medien?
01:20:27
Gab es überhaupt eine Vorverurteilung?
01:20:29
Macht es Sinn, Dinge richtig zu stellen?
01:20:31
Oder könnte das im Rahmen des Gerichtsprozesses wiederum nachteilige Auswirkungen haben?
01:20:35
Das sind nur wirklich wenige Faktoren, die in eine solche Abwägung einzustellen sind.
01:20:39
Ein weiterer Grund, sich an die Medien zu wenden, ist sicherlich auch die Frage, kann man in der öffentlichen Wahrnehmung eine gewisse Empathie und Sympathie für einen meist geständigen Angeklagten bewirken, wenn es nachvollziehbare Gründe für eine Tat gibt?
01:20:56
Im Zweifel würde ich als Anwalt allerdings eher dagegen raten, als zuzuraten.
01:21:01
Denn der potenzielle Schaden, der dadurch verursacht werden kann, dass man mit den Medien zusammenarbeitet bzw. mit den Medien redet, ist einfach viel zu groß.
01:21:11
Was mich noch ein bisschen Fragen zurückgelassen hat bei diesem Bossi-Mauerschützen-Prozess, ist dieser Exklusiv-Deal, den die abgeschlossen haben.
01:21:21
Ja, bei dem Zanger gab es auch einen Deal, der hat den direkt mit dem Jack gemacht.
01:21:26
Also quasi im Gegenzug für seine Verteidigung hat er die Rechte an Jacks Buch bekommen und macht da quasi bis heute mit Geld, obwohl der Jack-Unterweger schon lange tot ist.
01:21:38
Ja, also irgendwie kam mir das so ein bisschen komisch vor, dass die AnwältInnen das machen.
01:21:44
Warum man manchmal auf solche Deals zurückgreift, wenn ein Mandant oder eine Mandantin der Täterschaft beschuldigt wird, das hat uns Dr. Stevens auch erklärt.
01:21:55
In den meisten Fällen entscheidet man sich für eine exklusive Zusammenarbeit mit den Medien, die dann auch honoriert wird, wenn damit zum Beispiel Anwaltskosten bezahlt werden sollen, weil die Familie oder der Angeklagte selbst gar nicht in der Lage sind, einen, ich sage jetzt mal, guten Anwalt zu bezahlen.
01:22:12
Mit gutem Anwalt soll letztlich nicht irgendwie gesagt werden, dass es schlechte und gute Anwälte gibt, sondern es gibt einfach Anwälte, die, wenn sie mehr Geld bekommen, damit auch viel mehr Zeit in ein Verfahren investieren können.
01:22:28
Macht man zum Beispiel nur Pflichtmandate und bekommt dann auch das nicht gerade üppige Salär eines Pflichtverteidigers, wird man deutlich weniger Zeit in einen Fall investieren können, als wenn man als Wahlverteidiger mit Stundensätzen von 450 bis 800 Euro gedient wird.
01:22:47
Und natürlich lassen sich Spezialisten ihre jahrelange Spezialisierung, in die sie natürlich selbst noch sehr viel Geld investiert haben, dann auch teuer bezahlen.
01:22:56
Und damit man sich das als Mandant leisten kann und dann auch die bestmögliche Verteidigung für sich beanspruchen kann, muss man entsprechend Geld in die Hand nehmen und oftmals bleibt einem ganz anderes übrig, als irgendein Deal, sofern es sich hier um einen sehr öffentlichkeitswirksamen Prozess handelt, dann auch einzugehen.
01:23:16
Die meisten Deals sehen in der Regel vor, dass man sich erst und nur im Falle eines Prozessendes äußert, damit man das Verfahren an und für sich nicht gefährdet.
01:23:27
Bei Opfern, mutmaßlichen Opfern, die vor Gericht noch aussagen müssen, die im Gericht als Opferzeugen geladen sind, würde ich gänzlich davon abraten, denn man müsste sich sonst immer dem Vorwurf aussetzen, dass man dieses ganze Verfahren und damit auch die Anschuldigung nur deshalb betreibt, um damit Kasse zu machen.
01:23:49
Dr. Stevens hat übrigens auch einen Crime-Podcast, True Crime heißt der, von Bayern 3, hört da gerne mal rein.
01:23:56
Und wozu Stevens auch nicht raten würde und was jetzt auch echt nur eine Ausnahme wäre, ist, dass die MandantInnen während eines laufenden Prozesses Interviews geben, wobei das natürlich halt auch für viel Presse sorgen würde.
01:24:12
Genau so war das im Fall von Gina-Lisa Lohfink. Wir erinnern uns. Von ihr taucht im Sommer 2012 ein Sex-Video im Internet auf.
01:24:21
Also für alle, die Gina-Lisa nicht kennen, die wurde durch Germany's Next Topmodel berühmt und war dann in so ein paar Trash-Formaten danach.
01:24:30
Und sie ist im Juni 2012 in Berlin feiern und lernt da den 23-jährigen Paar des F und den 29-jährigen Sebastian C. kennen.
01:24:39
Dere Nacht endet in ihrem Hotelzimmer.
01:24:42
Am nächsten Abend sind die drei wieder zusammen aus.
01:24:45
Im Stern erklärt Gina-Lisa dazu, ich weiß noch, wie sich ein Mädchen zu mir gesetzt hat und dann Filmriss.
01:24:50
Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass wir in irgendeiner Wohnung sind und die zwei Typen auch da sind und dass wir weiter getrunken haben.
01:24:56
Ja, und dann taucht eben dieses Video im Internet und auch in allen Boulevard-Medien auf.
01:25:02
Gina-Lisa erstattet dann mithilfe ihres Anwalts Burkhard Benneken Anzeige gegen die beiden Männer.
01:25:07
Sie sollen sie mit K.O.-Tropfen betäubt und dann vergewaltigt haben.
01:25:10
Es kommt dann auch zum Prozess und Gina-Lisa erhält viel Solidarität.
01:25:16
Doch ein Gutachten bringt alles zum Einstürzen, denn das besagt, dass Gina-Lisa keine K.O.-Tropfenintos hatte
01:25:22
und dass sie eigentlich sehr wach und orientiert war auf diesem Video.
01:25:27
Der Vorwurf der Vergewaltigung gegen die beiden Männer wird dann also fallen gelassen und Gina-Lisa vom Opfer zur Täterin,
01:25:33
weil sie darauf dann eben wegen falscher Verdächtigung auch zu einer Geldstrafe verurteilt wird.
01:25:40
Während dieser ganzen Verfahren, die sich tatsächlich über mehr als vier Jahre erstrecken,
01:25:44
ist Anwalt Burkhard Benneken immer an Gina-Lisas Seite, wenn die Paparazzi vor der Tür stehen.
01:25:50
Die gehen zusammen in Fernsehstudios und geben Interviews für Zeitungen.
01:25:54
Und auch im Revisionsverfahren zu dieser falschen Verdächtigung 2017 kommen die beiden zusammen
01:25:59
und werden von plötzlich Gewitter empfangen.
01:26:01
Obwohl der Termin eigentlich geheim war und nur die AnwältInnen davon wussten.
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Gina-Lisa sieht bei diesem Termin sehr mitgenommen aus
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und dabei hätte sie eigentlich gar nicht anwesend sein müssen.
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Also das hätte auch der Anwalt alleine machen können.
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Der Richter vermutet dann, dass ihr Anwalt es war, der der Presse Bescheid gesagt hat
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und auch Gina-Lisa halt zum Erscheinen zu diesem Termin geraten hat.
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Dann Gina-Lisa gewandt, erklärt er dann im Prozess,
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sollten ihre Anwälte sie hinter ihrem Rücken den Haien zum Fraß vorgeworfen haben,
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sollten sie klagen.
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Ich empfehle ihnen, sich einen Anwalt zu suchen, dem ihre Interessen näher stehen als er sich selbst.
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Das sind natürlich jetzt nur Vermutungen seitens des Richters.
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Es ist aber auffällig, wie breit sich dieser Anwalt mit dem Fall in den Medien gemacht hat.
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Er hat nämlich zum Beispiel auch noch ein Buch zum Thema Promi-Phänomen geschrieben
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und in dem Klappentext steht, dieses Buch zeigt Stars unter anderem Gina-Lisa Lofink in offenen Porträts ihrer Krisen.
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Der Autor, der sie alle anwaltlich vertritt, identifiziert anhand ihrer Geschichten das Promi-Phänomen,
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gibt einen psychologischen Einblick in den Hintergrund unseres Interesses
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und deckt auf, welchen Einfluss die Jagd auf Prominente, auf das Leben von uns allen hat.
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Also die Jagd, die er offenbar ganz maßgeblich im Fall von Gina-Lisa sozusagen angetrieben hat.
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Also ganz offenbar war ihm sein Platz im Rampenlicht in dem Fall wichtiger als jetzt das Wohl oder die Rechte seiner Mandantin.
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Über den Fall habe ich auch mit Alex Stevens geredet und er meinte, dass man bei dem Fall jetzt rein auf die mediale Ebene bezogen neidlos anerkennen muss,
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was den beiden da für eine Druckkulisse auf die Ermittlungsbehörden gelungen ist
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und dass man das eben auch als Instrument benutzt, wenn da von vornherein so eine gewisse Skepsis herrscht von Seiten der Medien.
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Und das war offenbar bei Gina-Lisa ja so.
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Und damit hat er natürlich auch was erwirkt.
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Plus ist er, also der Anwalt, der Hauptperson, natürlich seit diesem Fall noch viel bekannter, als er vorher war.
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Und das ist natürlich auch eine Art Währung.
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Genau, ein Star-Anwalt zu sein, macht einen nämlich nicht unbedingt reicher, wie uns unser Experte Knauer berichtet hat.
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Das ändert sich durch mediale Situationen überhaupt nicht.
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Sie haben als Verteidiger einen bestimmten Marktwert und der Marktwert besteht natürlich daraus, wie gut sie sind und wie erfolgreich sie sind.
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Der bildet sich in der Regel in einem Stundensatz ab und der verändert sich nicht durch ein Verfahren.
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Selbstverständlich ist sicher bei den Kollegen, die mediale Aufmerksamkeit haben und suchen, der Stundensatz auch dadurch mitgeprägt.
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Aber kleine eitle Zwischenäußerung, der ist im Zweifel auch nicht höher als meiner.
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Also sie können ja sozusagen eine öffentliche Anerkennung haben oder sie haben eine fachliche.
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Und ich glaube, das wiegt sich im Preis nichts auf.
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Ja, und ansonsten gibt es aber noch eine andere Möglichkeit, mit der AnwältInnen zusätzlich Geld machen können.
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Sie müssen einfach nur Influencer werden.
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Laura hatte in Folge 15 mal vom Katzenkönig erzählt und hatte sich zur Recherche das Video eines Anwalts dazu angesehen, der sich als Katze angemalt hat.
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Und das fandst du ja gut erklärt, ne?
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Ich fand das einfach nur, dass das der Wahnsinn war.
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Also wie cool kann man eigentlich sein, dass man, also der hatte damals ja noch fast überhaupt keine Views und hat dann diesen Fall erklärt und so ein aufwendiges Make-up und Kostüm von diesem Katzenkönig gemacht.
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Und ich fand das einfach nur cool.
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Und wir schauen ja für Mordlust viele solcher Jura-Videos und das war einfach perfekt erklärt.
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Und genau, ja, da war ich dann schon Fan.
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Und diese Katze ist jetzt ein Internetstar, der Anwalt, hat schon länger halt eben diese YouTube-Videos gemacht, ist dann aber irgendwann auf TikTok umgestiegen.
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Und das war dann sein Durchbruch.
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Da hat er mittlerweile 4,8 Millionen Follower, die ihm dabei zugucken, wie er vor allem für junge Leute recht erklärt.
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Tja, wie lange dürfen Kinder und Jugendliche eigentlich draußen bleiben?
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Eine Minute Jura.
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Und jetzt die große Überraschung.
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Es gibt überhaupt keine feste zeitliche Grenze, wann Jugendliche zu Hause sein müssen.
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Denn das entscheiden die Eltern an besonderen Orten, wie beispielsweise im Kino gilt etwas anderes.
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Da darf man je nach Alter nur bis 8, 10 oder 12 Uhr da sein.
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Und ansonsten, wenn man sehr, sehr klein ist und draußen rumrennt irgendwie um 12 Uhr, dann kann die Polizei einen durchaus mal nach Hause fahren.
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Denn dann gehen die davon aus, dass die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen.
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Und dann wollen die euch auch nichts Böses.
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Das war eine Minute Jura.
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Und ich kann so lange draußen bleiben, wie ich will.
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Wie ich das damals mitbekommen habe, war Herr Anwalt halt auch so einer der Ersten, der so einen Infokanal überhaupt, also für das deutsche TikTok, gelauncht hat.
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Auf Insta hat er jetzt auch eine halbe Million Follower in und ist ja tatsächlich jetzt auch Influencer, hat natürlich auch Werbedeals und damit natürlich auch noch zusätzliche Einnahmen zu seinem Anwaltstar sein.
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Und ich kenne jetzt keine anderen JuristInnen, die das geschafft hätten, sich selber zu so einer Person des öffentlichen Lebens zu machen.
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Ja, ja, Bossi ist der Star-Anwalt unserer Eltern und Herr Anwalt ist der Star-Anwalt unserer nicht vorhandenen Kinder.
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Aber der ist ja eigentlich, ja, aber er ist ja eigentlich kein Star-Anwalt, sondern er ist selber ein Star, weil er Anwalt ist.
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Weil er hat weder berühmte MandantInnen, ist ja Familienrechtler, noch sind die Fälle, die er vertritt, jetzt so spektakulär, dass schon mal in den Medien darüber berichtet wurde, ja.
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Ja, wir erweitern den Begriff jetzt hier.
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Er ist ein Star-Anwalt, okay.
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So, ganz kurz noch.
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Einige von unseren ZuhörerInnen hat es massiv verwirrt, dass wir die alten Folgen umbenannt haben.
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Also die heißen jetzt nicht mehr frisch verlegte Fliesen und Hackepeter.
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Also so random Namen, wie halt früher.
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Sondern die haben jetzt die Namen unserer Oberthemen.
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Das machen wir ja auch schon eine Weile so.
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Nur hießen die alten Folgen halt immer noch völlig verwirrend.
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Und wir wurden halt oft gefragt, so welche Folge war nochmal, wo das und das passiert ist.
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Und das konnte man anhand des Folgentitels halt nicht erkennen.
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Und wir glauben, so kann man sich jetzt besser orientieren.
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Ich weiß gar nicht, was du meinst.
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Nichts genützt und Liebeswahn?
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Weiß man doch direkt, dass es da um Stalking geht.
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Aber jetzt haben wir neue Folgentiteln.
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Und ich muss sagen, ich bin auch ein bisschen stolz auf einige.
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Was ist dein Fave?
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Die habe ich mir jetzt nicht nochmal angeguckt.
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Das ist ja schon eine Weile her jetzt.
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Doch, der fällt dir direkt ein.
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Na gut, mein Fave ist hochgestapelt.
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Der ist dir eingefallen.
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Aber ich mag auch ein bisschen despektierlich mag ich auch irgendwie.
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Weil das ist tatsächlich unsere zweite Folge.
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Also die war despektierlich und deswegen ein bisschen despektierlich.
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Und deswegen heißt sie jetzt ein bisschen despektierlich.
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Gut, jetzt wisst ihr Bescheid.