00:00:00
Hallo, wir haben da was für euch.
00:00:13
Nee, du sollst auch Hallo sagen.
00:00:16
Eigentlich sollten ja alle wissen, dass es jetzt gerade kein Merch mehr gibt.
00:00:23
Wir haben nämlich letzte Folge ausdrücklich gesagt, von dann bis dann gibt es Merch.
00:00:27
Und da hatten wieder viele Leute Tomaten auf den Augen oder haben es vergessen.
00:00:31
Und jetzt kriegen wir die ganze Zeit Nachrichten, wann es wieder einen Merch-Drop gibt.
00:00:35
Ich sage, wie es ist. Erstmal gar nicht.
00:00:38
Aber ihr habt noch zwei Möglichkeiten, an Merch zu kommen.
00:00:41
Entweder ihr kommt auf die Tour, denn da gibt es einen Merch-Stand.
00:00:45
Oder ihr könnt an unserem Gewinnspiel teilnehmen.
00:00:49
Das veröffentlichen wir nämlich an diesem Wochenende, also am 14. und 15. Mai 2022 auf Instagram.
00:00:55
Bei uns bei Mordlust, der Podcast.
00:00:57
Da könnt ihr vorbeischauen und dann daran teilnehmen.
00:01:00
Und bitte schickt uns übrigens keine Fotos von euch, wie ihr euch für wahrscheinlich viel mehr Geld eine hässliche Kopie von unseren Shirts gemacht habt.
00:01:09
Oder bei einem kriminellen Online-Shop gekauft habt, die wir übrigens alle verklagen werden.
00:01:15
Das ist ja schlimmer als ein Gucci-Pullover und gefakte Gucci-Pullover zusammen.
00:01:20
Weil bei uns sind die Originale ja gar nicht so teuer.
00:01:23
Ja, das hat mich ein bisschen geschockt, als ich da irgendwo markiert wurde, wo jemanden, der ich nicht das Spektierlicht-T-Shirt anhatte und das einen ganz anderen Druck hatte als wir.
00:01:35
Wieso werden wir da überhaupt markiert?
00:01:37
Aber erst mal gefragt, das ist doch nicht von uns.
00:01:40
Vielleicht hat es ihr ja jemand geschenkt, habe ich noch gedacht.
00:01:46
Und sie denkt, es ist ein Original.
00:01:49
Auf jeden Fall wird Fussel jetzt abgerichtet und kommt mit auf Tour und wird dann die gefakten Shirts erkennen und zerreißen.
00:01:57
Ja, und wenn ihr nicht oben ohne dastehen wollt, dann bitte die Originalen besorgen.
00:02:04
Vielleicht jetzt beim Gewinnspiel-Gewinn.
00:02:07
Herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
00:02:11
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:02:13
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:02:15
Und ich bin Laura Wohlers.
00:02:16
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen, über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:02:24
Wir reden hier auch ein bisschen lockerer miteinander.
00:02:26
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit für die Themen fehlt, sondern das ist für uns immer so eine Art Comic Relief, damit wir zwischendurch auch mal aufatmen können.
00:02:34
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:02:36
Heute geht es bei uns um jugendliche StraftäterInnen.
00:02:41
Also Menschen wie du und ich, die straffällig werden, obwohl wir eigentlich gar nicht mehr offiziell unter Jugendliche fallen, fühlen wir uns ja noch oft so.
00:02:51
Aber in dieser Folge geht es nur um Personen zwischen 14 und 18, die Verbrechen begehen.
00:02:57
Also eigentlich um Leute, die halb so alt sind wie wir.
00:03:00
Ich habe gestern mal so ein bisschen mein Fotoalbum durchgeguckt und ich habe da Videos und Bilder von unserer Tour von 2020 gesehen und dachte mir so, scheiße.
00:03:11
Also das sieht man mir im Gesicht richtig an, die zwei Jahre.
00:03:14
Und ich führe es auf die Arbeit bei Mordlust zurück.
00:03:19
Aber wie war das jetzt bei mir?
00:03:21
Sieht man mir das auch?
00:03:22
Ich habe jetzt in meinem Fotoalbum nicht nach Bildern von dir von vor zwei Jahren gesucht.
00:03:27
In meiner Freizeit beschäftige ich mich ausschließlich mit mir selbst und meinem Narzissmus.
00:03:36
Ja, zwei Jahre Pandemie haben sich ja auch angefühlt wie fünf Jahre.
00:03:41
Von daher ist das vielleicht ganz natürlich, dass man so ausseht, dass man so gestresst aussieht wie wir.
00:03:49
Naja, in dem Fall, den ich euch jetzt erzähle, geht es um Menschen, die tatsächlich noch sehr jung sind und ganz andere Probleme als das Aussehen haben.
00:03:59
Ein besserer Übergang fällt mir jetzt nicht an.
00:04:02
Die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:04:07
Und alle Namen habe ich geändert.
00:04:11
Es ist Ostersonntag 1991.
00:04:14
Darf ich nochmal raus zum Spielen?
00:04:17
Fragt der kleine Nico um ca. 18.30 Uhr seine Eltern.
00:04:20
Aber nur, wenn er in 20 Minuten wieder da sei, sagt seine Mutter.
00:04:24
Okay, mach ich, antwortet Nico.
00:04:27
Und schon ist der schmale Junge mit dem runden Gesicht und den gescheitelten, dunkelblonden Haaren durch die Eingangstür verschwunden.
00:04:33
Nico spielt öfter im Hinterhof des Nachbarhauses in der Arthur-Hoffmann-Straße, die die Leipziger Innenstadt mit dem Stadtteil Connewitz verbindet.
00:04:41
Hier, in der ehemaligen DDR, gibt es im Jahr nach der Wiedervereinigung viele baufällige Häuser mit bröckelnden Fassaden, viele Mietwohnungen, einige kleinere Geschäfte und Spielplätze.
00:04:51
Für den 10-jährigen Nico also einiges zu entdecken und verstecken kann man sich hier auch super.
00:04:57
Deswegen verbringt Nico oft Zeit draußen und eigentlich ist er auch ein zuverlässiges Kind.
00:05:02
Deswegen sind seine Eltern sofort in Alarmbereitschaft, nachdem er nach den abgemachten 20 Minuten nicht nach Hause kommt.
00:05:09
Noch am selben Abend wenden sich die Eltern besorgt an die Polizei.
00:05:13
Eine tagelange intensive Suche nach Nico beginnt.
00:05:16
Spürhunde versuchen in den Häusern der Nachbarschaft und auf Dachböden eine Spur ausfindig zu machen.
00:05:22
Die Suche wird immer mehr ausgeweitet und auch Tageszeitungen berichten über das Verschwinden des kleinen Jungen.
00:05:28
Niemand kann sich erklären, wieso Nico an diesem Abend nicht wie sonst immer nach Hause gekommen ist.
00:05:34
Besser als die Spürhunde suchen offenbar die Nachbarn, denn die sehen sich den Hinterhof nochmal genauer an, dort, wo Nico auch zuletzt gespielt hatte.
00:05:43
Sie nehmen sich das getürmte Chaos aus Kisten und Abfall vor, das sie nun versuchen zu beseitigen.
00:05:50
Stück für Stück tragen sie den Stapel ab, bis sie darunter eine furchtbare Entdeckung machen.
00:05:55
Darunter liegt ein kleiner Junge.
00:05:58
Es ist Nico und sein Körper ist bereits kalt.
00:06:02
An seinem Hals befinden sich Würgemale und seine Haare nahe der Stirn sind kurz geschnitten.
00:06:07
Nicos Leiche wird zur Obduktion gebracht, die zumindest ein bisschen mehr Hintergrund zur Tat liefert.
00:06:13
In seinem Mund werden Spermaspuren gefunden.
00:06:16
Offenbar eine sexuell orientierte Tat.
00:06:19
Doch viel mehr Anhaltspunkte hat man nicht.
00:06:22
Nicos Tod wirft Fragen auf.
00:06:25
Fragen, auf die man vielleicht schon Antworten hätte, wenn man zwei Kindern aus der Wohnsiedlung ein wenig mehr Glauben geschenkt hätte.
00:06:31
Die beiden Geschwister hatten nämlich bereits am Ostersonntag, am Tag von Nicos Verschwinden, eine ziemlich verdächtige Beobachtung gemacht.
00:06:39
Komm mal her, da ist ein toter Junge, hatte der fünfjährige Philipp zu seiner Schwester Sabine gesagt, während er durch das Küchenfenster auf den Innenhof spähte.
00:06:48
Und tatsächlich sah auch Sabine den Blondschopf, der wie ein Sack über den Schultern eines anderen Jungen getragen wurde.
00:06:54
Die beiden Kinder hatten das sofort der Mutter berichtet, aber als die aus dem Fenster schaute, war im Hinterhof nur noch ein Junge zu sehen, der sich verstohlen umblickte.
00:07:03
Ihr seht wohl zu viel fern, hatte der Vater erwidert, war dann aber doch in den Hinterhof gegangen, um sich den Jungen vorzunehmen, der dort scheinbar gespielt und dabei mit alten Kisten, Abfällen und Kartons eine ganz schöne Unordnung angerichtet hatte.
00:07:17
Der fremde Junge sagte, er würde sich nur verstecken, warf aber nach der Ansage die Sachen trotzdem wieder aufeinander.
00:07:24
Nachdem Nicos Leiche gefunden wird und sich die Nachbarn an diese Situation erinnern, wird nun also eine Täterbeschreibung nach einem anderen Kind ausgeschrieben.
00:07:32
Ein Junge, 12 bis 14 Jahre alt, ca. 1,50 Meter groß wird gesucht.
00:07:38
Es werden Kinder in der Umgebung, Nicos Freunde und Schulkameraden befragt.
00:07:42
Doch weiter bringt das die Polizei nicht.
00:07:46
Acht Monate ziehen ins Land, in denen die Ermittlungen keinen Fortschritt machen, bis sie schließlich am 6. Dezember 1991 eingestellt werden.
00:07:54
Hätten Philips und Sabines Eltern ihren Kindern mehr Glauben geschenkt, wäre ihr Vater oder jemand anderes aus der Nachbarschaft ein paar Minuten eher in den Hinterhof gegangen,
00:08:04
dann hätten sie den Täter, der Nico das angetan hat, auf frischer Tat ertappt.
00:08:08
Und dann hätten sie jetzt schon gewusst, dass sie den, den sie suchen, schon bei der Befragung vor sich hatten und er ihnen einfach so durchs Netz gegangen ist.
00:08:19
Henry wird an Heiligabend 1977 in Leipzig geboren.
00:08:25
Da ist seine Mutter gerade 23 Jahre alt.
00:08:28
Er wächst mit einer Schwester und einem Bruder in der Arthur-Hoffmann-Straße auf.
00:08:33
Anfälligkeiten in der Familie gibt es nicht, die Verhältnisse sind geordnet.
00:08:37
Henry ist der Einzige, der schon früh aus der Reihe tanzt.
00:08:41
Und das schon als Baby.
00:08:42
Im Gegensatz zu seinen beiden anderen Geschwistern ist er eher unruhig, zappelt viel und beansprucht die Aufmerksamkeit seiner Eltern enorm.
00:08:50
Auch im Kindergarten fällt er auf.
00:08:52
Mehr als einmal beißt er seine ErzieherInnen, schlägt um sich und zu Hause zerstört er das Spielzeug seiner Geschwister.
00:08:58
Als Henry in die Schule kommen soll, machen sich die Eltern wegen seines aggressiven Verhaltens große Sorgen.
00:09:03
Sie finden, dass es für die Einschulung noch ein bisschen zu früh sei und befürchten, dass er noch nicht so weit entwickelt ist, wie es seinem Alter eigentlich entsprechen würde.
00:09:11
Deshalb suchen sie sich Hilfe bei einer Beratungsstelle und einem Psychiater.
00:09:16
Aber deren Antwort ist, der Junge ist normal. Es bestehe kein Grund zur Sorge.
00:09:21
Doch kaum ist Henry eingeschult, werden die Probleme noch größer.
00:09:25
Es dauert keine zwei Wochen, da werden die Eltern schon zur Schule zitiert, weil ihr Sohn aggressiv gegenüber anderen sei und den Unterricht störe.
00:09:32
Vor allem unter Druck und wenn etwas von ihm verlangt werde, kann er nicht, wie er soll.
00:09:37
Als Henry die erste Klasse nicht schafft und sitzen bleibt, entscheiden seine Eltern, ihn auf eine Förderschule zu schicken.
00:09:43
Doch die Förderung, die Henry benötigt, gibt es für ihn auch dort nicht.
00:09:47
Er hat Angst vor Tests, Angst vor dem Unterricht, er will einfach nicht oder er kann einfach nicht.
00:09:52
Für seine Eltern ist ihr Sohn und sein Verhalten ein nervenaufreibendes Mysterium.
00:09:57
Die Beratungsstellen sagen alle etwas anderes.
00:10:00
Niemand kann einen wirklichen Grund für seine Auffälligkeiten feststellen.
00:10:03
Seine Eltern wollen das Beste für ihn, wissen aber nicht, wie sie es ihm geben können und was das überhaupt ist.
00:10:09
In ihrer Überforderung beschließen sie Henry in ein Kinderheim zu geben.
00:10:13
In der Hoffnung, dass ihm professionelle ErzieherInnen mehr Stabilität geben können als sie selbst.
00:10:18
In dem Heim kommt man nach einer weiteren Untersuchung auf den Gedanken, dass Henry eventuell an einer frühkindlichen Hirnschädigung leiden könnte.
00:10:25
Das Stand schon mal im Raum, kann aber auch diesmal nicht belegt werden.
00:10:30
Henry bleibt nicht lang in diesem Heim und wird verlegt, diesmal in eins für schwer erziehbare, weit weg von seinen Eltern, die ihn dort nur selten besuchen.
00:10:39
Einmal kommen sie, weil Henry gedroht hatte, vom Dach zu springen.
00:10:42
Oft bekommt er jetzt Medikamente, die ihn in Watte packen, seine Aggressionen dämpfen und ihn ungefährlich machen.
00:10:48
Zwei Jahre lang geht das so, dann kommt Henry wieder nach Hause.
00:10:52
In diesem Jahr feiert er seinen zwölften Geburtstag.
00:10:56
Das Heim hat Henry nicht geholfen, im Gegenteil.
00:10:59
Später wird bekannt, dass Henrys eh schon schwieriges Leben dort nochmal eine andere Wendung bekommen hat
00:11:05
und ihm Wunden zugefügt wurden, die er später selbst zu heilen versucht.
00:11:09
Henry kann noch immer nicht lesen oder schreiben und bemüht sich immer seltener zur Schule.
00:11:14
Und wenn doch, dann verlässt er den Unterricht schnell wieder.
00:11:17
Seine Eltern schwanken zwischen Frustration und Resignation.
00:11:22
Dass er zu Hause jetzt weniger Gegenwind bekommt, sieht Henry als unausgesprochene Erlaubnis an, das machen zu können, was er will.
00:11:28
Er bleibt lange weg, kommt nur nach Hause, wenn es ihm passt und klaut Fahrräder und Lebensmittel im Supermarkt.
00:11:34
Und dann, am Ostersonntag, sieht er Nico aus einem der Nachbarhäuser in den Hinterhof gehen.
00:11:40
Henry kennt Nico.
00:11:41
Die beiden gehen zusammen auf dieselbe Schule.
00:11:43
Und obwohl Nico drei Jahre jünger ist als Henry, spielen die beiden manchmal zusammen.
00:11:49
Jüngere Freunde gefallen Henry, weil er die besser kontrollieren und manipulieren kann.
00:11:53
Die Kleineren gucken auf zu dem Älteren, der sich mit ihnen abgibt.
00:11:58
Und Henry nutzt das für seine Zwecke aus.
00:12:01
An dem Tag, als Nico seiner Mutter zuruft, dass er noch 20 Minuten draußen spielen will,
00:12:06
gesellt sich Henry zu Nico und schlägt vor, dass die beiden sich verstecken können.
00:12:10
Als die beiden in einem Schuppen der Häuser sind, so wird es Henry später erzählen, zieht er ein Messer hervor.
00:12:16
Um dem kleinen Nico Angst zu machen, schneidet Henry ein paar Haare nahe Henrys Stirn ab und droht damit dasselbe mit seinen Genitalien zu machen.
00:12:24
Zieh dich aus, sagt Henry zu Nico und fühlt sich von seiner Angst erregt.
00:12:29
Dann vergeht er sich an ihm, auch oral.
00:12:33
Nachdem Henry zum Orgasmus gekommen ist, nimmt er nochmal das Messer, drückt es gegen Nicos Hals und stemmt sein Gewicht so lange darauf, bis Nico unter ihm aufhört zu atmen.
00:12:42
All das passiert, während Nicos Eltern denken, ihr Sohn spielt an einem frühen Sonntagabend noch ein wenig im Hinterhof.
00:12:49
Nicos Leiche wird von Henry geschultert und über den Hinterhof zu dem Abfallhaufen geschleppt, der von Kisten und Kartons umgeben ist.
00:12:56
Und genau dabei sehen ihn Philipp und Sabine aus ihrem Küchenfenster.
00:13:00
Kindermund tut Wahrheit kund, sagt man immer, doch im Fall der beiden Geschwister glaubt man nicht daran, als die berichten, einen toten Jungen im Hinterhof gesehen zu haben.
00:13:10
Henry verbirgt also Nicos Leiche und damit auch seine eigene Tat.
00:13:14
Als Nicos lebloser Körper zwei Tage später gefunden wird und die Polizei beginnt nach dem Täter zu suchen, dauert es nicht lange, bis die BeamtInnen auch vor Henrys Tür stehen.
00:13:25
Der behauptet, Nico zwar aus der Schule gekannt zu haben, zur Tatzeit aber alleine unterwegs gewesen zu sein.
00:13:31
Die PolizeibeamtInnen halten Henry nicht für verdächtig und weil keine Gegenüberstellung mit den beiden Geschwistern und deren Vater, der Henry im Hof aufgefordert hatte, das Chaos zu beseitigen, stattfindet, kann er auch nicht identifiziert werden.
00:13:44
Das gibt Henry ein Gefühl von Überlegenheit.
00:13:47
Er, der 13-Jährige, hatte es geschafft, die Polizei an der Nase herumzuführen und ohne Konsequenzen für eine so grausame Tat davonzukommen.
00:13:57
Danach, so wird er es später selbst sagen, ist kein Kind mehr vor ihm sicher.
00:14:01
Henry nähert sich ab jetzt regelmäßig kleineren Kindern, sucht, wenn er mal zur Schule geht, viel körperlichen Kontakt zu Jungs, allerdings ohne, dass die LehrerInnen erkennen, worauf diese Raufereien abzielen.
00:14:13
Wie schon so oft wendet Henry auch Gewalt an, wenn er etwas will und es nicht bekommt, weshalb man ihn auch beim Jugendamt schon gut kennt.
00:14:20
Dort ist seine Akte mehrere Seiten lang.
00:14:23
Strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen wird Henry aber nicht und um einen weiteren Eintrag wegen Nico muss Henry sich keine Gedanken machen, denn die Ermittlungen sind mittlerweile eingestellt.
00:14:32
Seine bevorzugten Opfer sind kleine Jungs.
00:14:35
Manche davon sperrt er vorher auf dem Spielplatz aus und nähert sich ihnen, wenn sie alleine sind oder sie niemand sieht.
00:14:42
Dann macht er ihnen Angst und lockt sie in eine Ecke, in Schuppen oder Wälder, manchmal zeigt er SchulkameradInnen sogar hinter eine Toilette und dann missbraucht er sie.
00:14:50
Wenn gerade keine Jungs in der Nähe sind, vergeht er sich an Mädchen.
00:14:54
Am Ende macht er den Kindern so viel Angst, dass die ihn nicht verraten und Henry weiter ungehindert seine gewalttätigen Missbrauchsfantasien ausleben kann.
00:15:02
Wenn er sich an einem Opfer vergeht, dann macht er das rücksichtslos.
00:15:06
Henry ist nicht in der Lage, Empathie für sie zu empfinden.
00:15:09
Er benutzt sie wie ein Objekt, ohne darüber nachzudenken, wie sie sich dabei fühlen oder wie sie in Zukunft unter seiner Tat leiden werden.
00:15:17
Die Tötung von Nico ist mittlerweile knapp ein Jahr her, als Henry sich am 14. Februar 1992 wieder einmal auf einem Spielplatz rumtreibt.
00:15:26
Dort gibt er sich als coolen Spielgefährten für die Kinder aus, die an diesem Tag dahin gekommen sind, um sich auszutoben.
00:15:34
Darunter auch David. Der Achtjährige war an diesem Nachmittag von zu Hause mit seinem Plastikschwert aufgebrochen und hatte auf dem Spielplatz einige Freunde wieder getroffen.
00:15:42
Henry kennt er noch nicht.
00:15:44
Im Laufe des Nachmittags beginnt es zu regnen und irgendwann ist nur noch ein anderer, viel ältere Junge mit ihm da.
00:15:53
Dieser erzählt David von einem verlassenen Haus in der Nähe, in dem es spuken soll, und von einem Autowrack, das auch ganz toll sei.
00:16:00
David ist begeistert und erklärt sich sofort einverstanden, mit Henry mitzugehen.
00:16:04
Doch das schillernd beworbene Geisterschloss ist einfach nur eine marode Garage.
00:16:08
Das Autowrack aber steht dort, das David gerne mal von innen sehen will und gerade dabei ist reinzuklettern, als plötzlich eine kleine Flamme vor ihm auftaucht.
00:16:17
Es ist die eines Feuerzeugs, das Henry gefährlich nahe an David dran hält.
00:16:22
Wenn du jetzt nicht tust, was ich sage, brenn ich dir die Haare runter, sagt er.
00:16:27
David kriegt einen Schubs, durch den er auf der Rückbank landet.
00:16:30
Henry befiehlt ihm, sich auszuziehen.
00:16:33
Dann wird er oral und anal vergewaltigt.
00:16:36
Doch der kleine David mag das nicht hinnehmen.
00:16:39
In ihm regt sich Widerstand und auch, wenn er sich nicht selbst traut, sich gegen Henry aufzubäumen, so weiß er doch, dass Erwachsene das für ihn tun würden.
00:16:47
Vor allem sein Vater, der bei der Polizei ist.
00:16:49
Er droht Henry damit, alles zu erzählen, wenn er nach Hause kommt.
00:16:53
Und das erste Mal besteht für Henry tatsächlich die Gefahr, mit seiner Tat nicht so einfach davon zu kommen.
00:16:59
Also überlegt er.
00:17:00
Dann nimmt er einen Pulli und verbindet David damit die Augen.
00:17:04
Henry legt die Hände um Davids Hals und drückt zu.
00:17:07
David wimmert, schlägt und tritt wild um sich, um sich irgendwie aus Henrys Griff zu befreien.
00:17:13
Henry drückt zu, bis unter ihm niemand mehr wimmert, niemand mehr schlägt oder tritt.
00:17:19
Henry beugt sich kontrollierend herunter und hört David noch leise schnaufen.
00:17:23
Er nimmt einen Ärmel von Davids Pullover und steckt ihn in dessen Mund, während er mit der anderen Hand seine Nase zuhält.
00:17:28
So lange, bis nichts mehr zu hören ist.
00:17:31
Dann schnappt sich Henry Davids Jacke und geht nach Hause.
00:17:36
Es ist bereits nach 8 Uhr, als Henry an diesem Abend nach Hause kommt.
00:17:39
Das erste Mal seit einigen Tagen.
00:17:42
Er ist wie immer wortkarg.
00:17:44
Seiner Mutter fällt auf, dass ihr Sohn eine Jacke dabei hat, die ihm gar nicht passen kann, weil sie viel zu klein ist.
00:17:49
Als sie am nächsten Tag nach der Herkunft des Anoraks fragt, behauptet Henry, er habe sie auf dem Spielplatz aufgelesen.
00:17:56
Seine Mutter denkt sich nichts und steckt die Jacke beim nächsten Waschgang mit in die Trommel.
00:18:00
Es vergehen vier Tage, da sieht Henrys Mutter die Jacke erneut.
00:18:04
Allerdings in der Zeitung.
00:18:06
Ein achtjähriger Junge, der von seinen Eltern als vermisst gemeldet wurde, hatte sie getragen, als er zum Spielen rausging.
00:18:13
Henrys Mutter schnappt sich daraufhin die Jacke und bringt diese zur Polizei, zusammen mit der Info, die sie von Henry hat.
00:18:19
Er habe sie auf einem Spielplatz gefunden.
00:18:21
Sie geht fest davon aus, dass das auch stimmt und ahnt nicht, dass sie ihren eigenen Sohn gerade überführt.
00:18:30
Davids Vater, der vier Tage lang unermüdlich gemeinsam mit seinen KollegInnen nach seinem Sohn gesucht hat, wird die Jacke vorgelegt.
00:18:36
Davids Jacke hatte einen Ölfleck am Rücken, der sich nicht entfernen ließ.
00:18:41
Genau wie diese.
00:18:42
Es ist die Jacke seines Sohnes.
00:18:44
Und mit dieser Erkenntnis schwindet die Hoffnung, ihn noch lebend zu finden.
00:18:48
Henry wird auf die Polizeistation zitiert und seine Aussage aufgenommen.
00:18:54
Er wiederholt nochmal, was er seiner Mutter erzählt hatte.
00:18:57
Ganz selbstsicher, immerhin hatte es schon einmal funktioniert, die Polizei zu belügen.
00:19:01
Die Jacke habe er auf dem Spielplatz gefunden und sei davon ausgegangen, dass sie niemandem gehöre.
00:19:06
Doch überzeugen kann er die PolizistInnen nicht.
00:19:10
Als die nicht lockerlassen, tischt er eine neue Geschichte auf.
00:19:14
Doch, ja, ja, ja, ja.
00:19:15
Mit dem Jungen, der die Jacke vorher getragen hatte, hatte er sogar gespielt.
00:19:19
Aber der sei irgendwann nach Hause gegangen.
00:19:22
Erst, als das Ermittlungsteam wechselt und zwei andere BeamtInnen Druck auf Henry ausüben, gesteht er.
00:19:29
Emotionslos und fast ein bisschen stolz, wenn er ins Detail geht.
00:19:33
Warum er ihn getötet habe, wollen die PolizistInnen wissen.
00:19:37
Er habe keinen anderen Ausweg gesehen, sagt Henry.
00:19:41
Dass er diesmal nicht lügt, wird spätestens dann grausame Gewissheit, als er die Polizei zum Autofrack führt, unter dem die nackte Leiche des kleinen David mit blauen Mülltüten bedeckt liegt.
00:19:52
Ein Anblick, der selbst hartgesottene ErmittlerInnen zerbrechen lassen könnte.
00:19:56
Henry gesteht außerdem noch einen weiteren Jungen getötet zu haben.
00:20:01
Der Nico, von dem man schon gedacht hatte, dass sich seinen Fall niemals lösen lassen würde, dessen Ermittlungsakten man zur Seite gepackt hatte.
00:20:09
Auch er hatte sterben müssen, weil Henry bei ihm die Chance als zu hoch einschätzte, dass er ihn verraten würde.
00:20:16
Fünf Tage nach Davids Tod kommt Henry in Untersuchungshaft.
00:20:20
In die herkömmliche, weil es keine Anstalt für Jugendliche gibt.
00:20:24
Dort benimmt er sich, wie man es von ihm erwartet.
00:20:27
Kein Zeichen von Reue, dafür lautes Geschrei, Gewalt und Attacken gegen die JustizvollzugsbeamtInnen.
00:20:33
Während schon gegen Henry ermittelt wird, meldet sich ein Mann bei der Polizei, der aussagt, seine achtjährige Tochter habe ihm anvertraut, dass Henry ihr versucht hatte, die Hose runterzuziehen.
00:20:43
Lange Zeit hatte das Mädchen aus Angst vor ihm nichts gesagt.
00:20:46
Nachdem die Familie auf die Station geladen wird, gesteht die zweite Tochter des Mannes, die mit Henry dieselbe Schule besuchte, überraschend auch, dass sie von ihm mehrfach vergewaltigt wurde.
00:20:56
Ihr könnt euch vorstellen, dass sie das in sehr kindlicher Sprache gesagt hat, was einem das Herz noch ein bisschen schwerer macht.
00:21:05
In den kommenden Wochen wird Henry von vier PsychiaterInnen untersucht.
00:21:09
Doch Henry macht es ihnen nicht leicht, zu ihm durchzudringen.
00:21:12
Dabei wäre eine Antwort auf all die Fragen, wie es mit ihm überhaupt so weit kommen konnte, so wichtig.
00:21:17
Wichtig für Nikos Familie, für Davids Familie und nicht zuletzt für Henrys eigene, die seitdem bekannt ist, was ihr Sohn getan hat, von der Presse verfolgt wird.
00:21:27
Sie taucht auch nicht zum Prozess auf, der am 6. November 1992 vor der Jugendkammer des Leipziger Landgerichts beginnt.
00:21:34
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil Henry noch minderjährig ist und seine Persönlichkeitsrechte deshalb besonders schützenswert sind.
00:21:41
Vor Gericht wiederholt Henry sein Geständnis.
00:21:45
Er zeigt sich einsichtig, zumindest was die Begehung seiner Taten betrifft.
00:21:49
Von den psychologischen GutachterInnen erhofft man sich, den Hintergrund der Taten nachvollziehen zu können.
00:21:54
Am Ende hatte Henry sich nämlich doch noch geöffnet, zumindest ein bisschen.
00:21:59
Er hatte ihnen von seiner Schulzeit erzählt, dass er nicht lernen wollte, dass er der Meinung war, dass man doch auch anders Sachen lernen könne, beim Fußball oder beim Schwimmen zum Beispiel.
00:22:08
Dass seine Eltern nicht mehr wussten, wie sie mit ihm umgehen sollten und ihn dann ins Heim steckten und wie das Heim für ihn zum absoluten Albtraum wurde.
00:22:17
Er hatte erzählt, dass er dort Medikamente bekam, mit dem Knüppel erzogen wurde und dass er vergewaltigt wurde.
00:22:23
Von den älteren Kindern.
00:22:25
Er berichtete ihnen davon, wie sehr er das hasste, wie sehr er sich davor geekelt hat, aber dass es ja sein musste und wie er darüber weinte, aber irgendwann nicht mehr weinen konnte.
00:22:36
Die GutachterInnen sind der Ansicht, dass Henry mit dem Missbrauch an anderen Kindern die Rollen umgekehrt hat.
00:22:42
Damit er nicht mehr das Opfer sein musste, hat er anderen das angetan, was ihm nach eigenen Aussagen selbst angetan wurde.
00:22:49
Kombinierte sexuelle Deviation mit pädophiler und sadistischer Neigung, lautet die Diagnose.
00:22:56
Außerdem habe er eine hochgradig affektiv gestörte antisoziale Persönlichkeit, die es ihm nicht ermögliche, Mitleid zu empfinden.
00:23:04
Henry sei nicht in der Lage, seine Gedanken und Gefühle zu reflektieren.
00:23:07
Er wird als eingeschränkt schuldfähig befunden.
00:23:10
Nach nur wenigen Prozesstagen fällt das Urteil.
00:23:13
Der Angeklagte ist der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch und des Mordes an David schuldig.
00:23:19
Er habe den sexuellen Missbrauch mit dem Mord verdecken wollen, so das Gericht.
00:23:23
Er wird deswegen zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt.
00:23:28
Die Strafe ist für die Nötigung und Tötung von einem Kind, nicht von zweien.
00:23:35
Da Henry erst 13 Jahre alt war, als er Nico vergewaltigte und ihn tötete, bleibt dieses Verbrechen ungesühnt.
00:23:42
Er kann dafür nicht belangt werden.
00:23:45
Die RichterInnen haben in diesem Fall das Strafmaß nicht voll ausgereizt.
00:23:49
Sie haben Henrys Vergangenheit im Heim als Strafmildernd berücksichtigt und das er gestanden hat.
00:23:54
Sieben Jahre und sechs Monate.
00:23:57
Das klingt in Anbetracht der Taten, die Henry begangen hat, wenig.
00:24:01
Selbst für Jugendliche.
00:24:02
Doch das Gericht ordnet vor Haftbeginn noch die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt an.
00:24:07
Henry kommt nicht in eine forensische Psychiatrie, sondern in ein Krankenhaus,
00:24:12
wo man offenbar nicht genügend Sicherheitsvorkehrungen für den neuen Patienten getroffen hatte.
00:24:16
Denn Henry gelingt es, nach nur zwei Tagen eine Tür auszuhebeln und den Ausgang über ein Fenster zu nehmen.
00:24:22
Wenige Tage später lesen ihn BeamtInnen in einem Nachbarort wieder auf und nehmen ihn fest.
00:24:27
Henry unternimmt noch weitere Ausbruchsversuche, wird daraufhin in einen Sicherheitstrakt verlegt
00:24:33
und muss nach einem Haftaufenthalt wieder in ein psychiatrisches Krankenhaus.
00:24:37
Das Gericht hatte 1992 sieben Jahre und sechs Monate angeordnet.
00:24:42
Doch im Jahr 2009, 17 Jahre nach seiner Verurteilung, verbringt Henry sein Leben noch immer hinter verschlossenen Türen.
00:24:49
Auch wenn es nicht die einer Haftanstalt sind.
00:24:52
Mit 31 Jahren kann er noch kein selbstbestimmtes Leben führen.
00:24:57
Noch immer sei die Gefahr, die von ihm ausgehe, zu groß für die Allgemeinheit, sagen die ExpertInnen.
00:25:03
Zwar war Henry schon einige Male mit Begleitung draußen, er sei aber noch auf die Regeln der Anstalt angewiesen.
00:25:09
Eine Beziehung zu einem jüngeren Mitpatienten habe gezeigt, dass er sich nicht in allen Situationen vollständig kontrollieren könne.
00:25:16
Henry kommt demnach 2009 nicht frei, klagt sich danach aber durch alle Instanzen und bekommt immer wieder die gleiche Antwort.
00:25:24
Die Gerichte sind sich einig, dass bei Henry weiterhin eine schwere seelische Abartigkeit vorliege und er deshalb eine Gefahr für die Gesellschaft darstelle.
00:25:33
Auch heute ist Henry noch in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht.
00:25:38
Seit nunmehr 29 Jahren.
00:25:40
Hier ist er von einem Jugendlichen zu einem erwachsenen 44-jährigen Mann geworden.
00:25:46
Ob er jemals wieder freikommen wird, ist unklar.
00:25:48
Jedes Jahr wird geprüft, ob die Unterbringung noch angemessen ist.
00:25:52
Und bisher hatte man sich jedes Jahr dafür entschieden.
00:25:57
Also erstmal muss ich sagen, dass ich das jetzt wieder ganz schlimm fand und mich daran erinnert habe, dass wir schon länger keine Kinder mehr, also solche Taten nicht mehr hatten, wo Kinder Opfer von sexuellen Missbrauchs wurden.
00:26:14
Und das hat mich jetzt nochmal daran erinnert, wie schlimm ich das immer finde.
00:26:18
Also das war jetzt für mich ganz, ganz schwierig anzuhören, diese Taten.
00:26:22
Und weil sie halt so widerlich sind, schon alleine für die Kinder.
00:26:27
Und dann kommt noch diese Komponente dazu, dass der Täter auch ein Kind ist.
00:26:34
Das ist halt nicht das typische Bild, was man von einem Täter oder einer Täterin hat.
00:26:38
Genau, man hat ein anderes Bild und hat, also ich persönlich kann dann viel mehr Wut aufbringen, wenn ich diesen älteren Herren dann sehe, der sowas macht, als wenn ich einen 13-Jährigen vor mir sehe, der das macht.
00:26:55
Der danach dann auch noch erzählt, dass er selber das erlebt hat und es auch ganz schrecklich fand und es für mich auch irgendwie Sinn ergibt, wenn die PsychologInnen danach sagen, dass er das vielleicht gemacht hat, um die Rollen umzukehren, dass er mal die Macht hat und nicht das Opfer ist.
00:27:13
Also Kinder kommen ja in den seltensten Fällen dazu, einfach so Taten, Straftaten, solche Straftaten zu begehen.
00:27:21
Die sind ja in der Regel vorher Opfer gewesen.
00:27:24
Ja, also ich finde das einen ganz, ganz tragischen Fall, auch, dass er jetzt 44 Jahre alt ist und seitdem er 14 ist, nicht mehr in Freiheit war, aber auch, dass Nikos Eltern den Tod ihres Sohnes nie vor Gericht, in Anführungszeichen, gerecht haben sehen.
00:27:47
Ja, das ist richtig.
00:27:49
Vielleicht ist aber ein kleiner Trost, dass das nichts an seiner Strafe und an der Maßnahme danach geändert hätte.
00:27:57
Also zumindest das.
00:27:59
Ja, aber am Ende wurde er nur wegen der zweiten Tat wegen Mordes verurteilt, weil er da über 14 Jahre alt war.
00:28:07
Aber man fragt sich ja schon, was wäre denn jetzt gewesen, wenn Henry nach der ersten Tat aufgeflogen wäre?
00:28:13
Also ich meine, wir wissen ja, strafmündig ist man nach Paragraf 19 des Strafgesetzbuches erst ab 14 und vorher kann man ja für die Taten nicht belangt werden.
00:28:23
Aber passiert dann wirklich gar nichts.
00:28:26
Darum geht es jetzt in meinem Aha.
00:28:28
Und dazu habe ich mir einen anderen Fall angesehen, der sich 2016 in Bad Schmiedeberg ereignet hat.
00:28:35
Und zwar wurde damals der 13-jährige Tim, die Namen sind geändert, vermutlich mit einem Stein erschlagen von einem 13-Jährigen.
00:28:42
Michi hatte mehrfach auf seinen Schulkameraden und Freund, mit dem er gerne draußen gespielt hatte, mutmaßlich mit einem Stein eingeschlagen, bis der seinen Verletzungen erlag.
00:28:54
Seine Leiche wurde einen Tag später in einem Gebüsch gefunden.
00:28:58
Michi gestand dann auch die Tat, aber viel mehr ist nicht bekannt, weil das halt meistens so ist, wenn Kinder Opfer sind oder halt eben TäterInnen, das so wenig wie möglich nach außen dringt, um die halt zu schützen.
00:29:11
Und weil er ja jetzt noch keine 14 war und seine Eltern sich auch nicht der Unterlassung schuldig gemacht haben, weil man mit 13 Jahren natürlich nicht permanent beaufsichtigt werden muss und da auch eine Art Selbstständigkeit hat,
00:29:24
sitzt dann an diesem Abend die ganze Familie zusammen am Abendbrotstisch oder was?
00:29:29
Kann man sich überspitzt fragen vielleicht?
00:29:31
Kann man sich ja so nicht vorstellen, ist auch in dem Fall nicht so gewesen.
00:29:36
Täter Michi wurde danach, so heißt es, zum eigenen Schutz in die Psychiatrie gebracht.
00:29:41
Und danach war der Plan, dass zum Beispiel jemand vom Jugendamt regelmäßig die Familie besucht, um sie zu unterstützen.
00:29:47
In so einem Fall sind nämlich die Erziehungsberechtigten und das Jugendamt für diese Problemlösung dann zuständig und nicht im Gericht.
00:29:55
Und das geht vor allem wegen der sogenannten Jugendhilfe, die bei uns im Sozialgesetzbuch verankert ist.
00:30:00
Und die ist unter anderem dazu da, Jugendlichen ihr Recht zuzugestehen, eine eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit zu werden.
00:30:10
Und eine Aufgabe von der Jugendhilfe ist eben, Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag zu unterstützen.
00:30:15
Und deswegen kann das Elternrecht dann auch eingeschränkt werden und zwar durch das Wächteramt des Staates, der nämlich über die Ausübung der Pflege und Erziehung durch die Eltern wacht.
00:30:26
Und in bestimmten Fällen kann den Eltern auch das Sorgerecht entzogen werden und das Kind in eine Pflegefamilie oder in ein Heim kommen.
00:30:32
Und das würde halt dann passieren, wenn man denkt, das Kind ist zu Hause jetzt nicht gut aufgehoben oder hat auch schon Aggressivität gelernt.
00:30:40
Und in dem Fall war das tatsächlich auch so, dass Täter und Opfer beide offenbar nicht aus guten Verhältnissen stammten.
00:30:47
Ach so, und dazu mal. Mir ist das auch aufgefallen, dass wenn Heime bei uns ein Thema sind, dann sind die natürlich immer Teil eines Prozesses einer Person gewesen, die irgendwann strafrechtlich auffällig geworden ist.
00:31:01
Aber für viele Menschen ist ja ein Heim die absolut beste Lösung und viel besser als das, wo sie eigentlich herkommen.
00:31:09
Weil es da Leute gibt, die auf sie aufpassen und Heime sind halt immer so verschrien mit Missbrauchserfahrungen und sicherlich hat es die auch gegeben.
00:31:16
Aber für viele Menschen sind das halt einfach so die rettenden Anker.
00:31:20
Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, um Kinder auch noch zu unterstützen.
00:31:25
Und das wäre, wenn festgestellt wird beispielsweise, dass das Kind eine psychische Störung hat und dann würde ein Richter oder eine Richterin die Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie anordnen.
00:31:35
Das wäre dann tatsächlich eine Art Freiheitsentzug, die von einem Gericht angeordnet wird.
00:31:40
Es geht hier aber halt nicht um Strafe, sondern eben um die Therapie, die das Kind braucht.
00:31:44
Und was mich im ersten Moment so ein bisschen schockiert hatte, ist, dass gegen Verdächtige unter 14 Jahren ja auch gar nicht ermittelt werden kann.
00:31:53
Und Ermittlungen sind ja sehr wichtig, um die ganzen Hintergründe und so aufzuklären.
00:31:59
Das wird aber trotzdem gemacht. Es wird halt nur nicht direkt gegen die tatverdächtige Person ermittelt.
00:32:04
Und irgendwann werden die Ermittlungen dann auch wieder eingestellt und sind zumindest strafrechtlich nicht relevant.
00:32:09
Im Zivilprozess können die Eltern des Opfers aber natürlich noch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld klagen.
00:32:16
Und das auch nicht nur gegen die Eltern des unter 14-Jährigen oder der unter 14-Jährigen.
00:32:23
Weil im Zivilrecht gibt es nämlich andere Altersabstufungen.
00:32:27
Da kann man schon ab sieben Jahren für verursachte Schäden haftbar gemacht werden.
00:32:30
Wenn nämlich festgestellt wird, dass das Kind wusste, dass es sich nicht richtig verhält.
00:32:35
Und das nennt man beschränkte Deliktfähigkeit.
00:32:38
Und die beginnt halt ab sieben.
00:32:40
Davor ist man auch zivilrechtlich nicht zu belangen.
00:32:44
Okay, also bis sechs bist du quasi frei.
00:32:48
Kannst alles machen, was du willst.
00:32:50
Ich weiß, uns hören hier wahrscheinlich keine sechs Jahre zu.
00:32:54
Aber erzählts euren kleinen Geschwistern.
00:33:00
Mein Fall erzählt von einer Freundschaft, die schon im Kindergarten begann und tödlich endete.
00:33:06
Einige Namen habe ich geändert.
00:33:08
Mitten im Nirgendwo steht in der Dunkelheit ein schwarzer Kombi vor einer abgelegenen Feldscheune geparkt.
00:33:15
Der Schuppen ist das einzige Gebäude weit und breit, der nächste Bauernhof einige Kilometer weit entfernt.
00:33:22
Hier draußen gibt es keine Straßenlaternen am Wegesrand.
00:33:26
Denn für gewöhnlich hält sich hier nach Einbruch der Dämmerung niemand mehr auf.
00:33:30
In dieser Nacht aber wird die einsame Scheune von einer Seite hell angestrahlt.
00:33:34
Der Lichtkegel, den die Scheinwerfer an die Wand projizieren, fängt eine Gestalt ein.
00:33:39
Es ist ein junger Mann in Latzhosen, der sich sein Smartphone ans Ohr hält.
00:33:44
Über dem leisen Grundrauschen der nahegelegenen Autobahn ist ein Freizeichenton zu hören.
00:33:49
Bis um 22.29 Uhr an diesem 24. Juni 2014 jemand von der Notrufzentrale am anderen Ende abhebt,
00:33:57
woraufhin der Mann im Lichtkegel aufgeregt in sein Handy spricht.
00:34:02
Ich bin im Feld an so einer Scheune und mein Freund, der liegt hier, der hat die Kehle irgendwie aufgeschnitten.
00:34:08
Ich weiß auch nicht.
00:34:09
Sie müssen ganz schnell kommen.
00:34:12
Vier Stunden zuvor und nur einige Kilometer entfernt.
00:34:16
Leon und sein bester Freund Tobias sind schon den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, Heuballen zu verladen.
00:34:21
Die Weiden im nordrhein-westfälischen Gesicke, die zu den Ländereien von Leons Familie gehören,
00:34:26
wurden erst vor kurzem abgemäht und nun muss das Heu für den Rest des Jahres kühl und dunkel eingelagert werden.
00:34:33
Nur so kann es später in der Pferdepension von Leons Mutter Beate bedenkenlos an die Tiere verfüttert werden.
00:34:38
Bei der Feldarbeit sind Leon und Tobias mittlerweile ein eingespieltes Team.
00:34:43
Zuerst bringen sie das abgetragene Gras vom Feld mit dem Traktor auf den Hof der Familie Marx,
00:34:48
wo sie es dann auf eine Art Laufband wuchten, welches das Heu bis zum Dachboden einer Scheune transportiert.
00:34:54
Dort oben werden die Ballen abschließend ordentlich übereinander gestapelt.
00:34:58
Ein echter Knochenjob, bei dem sich Leons Papa Bernd über jede helfende Hand freut.
00:35:03
Am liebsten die seines 17-jährigen Sohnes.
00:35:06
Und bei Leon ist er damit genau an der richtigen Adresse.
00:35:09
Denn der hat die Landarbeit förmlich mit der Muttermilch aufgesogen.
00:35:13
Schon immer haben ihn die riesigen Landmaschinen begeistert.
00:35:15
Während andere Kinder auf dem Bobbycar ihre Runden drehten,
00:35:18
begleitet der kleine blonde Junge mit der Brille lieber seinen Papa auf den Treckern.
00:35:22
Seitdem er 15 ist, darf Leon dank einer vom Landkreis ausgestellten Sondergenehmigung
00:35:27
sogar alleine am Steuer der großen Traktoren sitzen.
00:35:30
Seither verbringen Vater und Sohn jede freie Minute zusammen auf den Feldern.
00:35:34
Und nicht nur in dieser Hinsicht eifert Leon Papa Bernd nach.
00:35:38
Vor kurzem hat er seine Ausbildung zum Straßenwärter in Lippstadt begonnen,
00:35:42
bei der Firma, bei der auch sein Vater hauptberuflich angestellt ist.
00:35:46
Weil damit aber eben auf dem Hof oft etwas liegen bleibt,
00:35:49
muss die ganze Familie mit anpacken, wenn wie jetzt Erntezeit ist.
00:35:53
Auch Schwester Marien und das inoffizielle fünfte Familienmitglied Tobias,
00:35:57
Leons bester Freund.
00:36:00
Obwohl dessen Eltern nicht aus der Landwirtschaft kommen,
00:36:02
die Mutter Einzelhandelskauffrau in einer Drogerie und der Vater selbstständiger Bauunternehmer ist,
00:36:07
kann Tobias, seitdem er Leon vor ungefähr 14 Jahren im Kindergarten kennengelernt hat,
00:36:11
nicht genug von dieser Welt kriegen.
00:36:13
Seither verkehrt er auf dem Hof der Marx wie ein zweiter Sohn,
00:36:16
packt regelmäßig mit an und wird von allen geschätzt.
00:36:19
Sein großer Traum ist, nach seiner Ausbildung zum Landwirt einen großen Bullenmastbetrieb zu eröffnen.
00:36:24
Zusammen mit seinem besten Freund, den er für seine Idee auch schon gewinnen konnte.
00:36:30
Obwohl Leon und Tobias seit Kindertagen ein unschlagbares Team in der Landwirtschaft sind,
00:36:34
könnten sie charakterlich nicht unterschiedlicher sein.
00:36:37
Während Leon lebensfroh, offen und sehr feierfreudig ist,
00:36:41
wirkt der brünette Tobias oft verschlossen und zurückhaltend,
00:36:44
besonders wenn es um Mädchen geht.
00:36:46
Manchmal zeigt Tobias aber auch eine andere Seite,
00:36:49
dann kann er ernst nicht von Spaß unterscheiden
00:36:51
und sorgt für den einen oder anderen komischen Blick bei der Dorfjugend.
00:36:55
Vor allem wegen seiner Hilfsbereitschaft ist er aber in der gemeinsamen Clique
00:36:59
trotzdem immer ein gern gesehener Gast.
00:37:01
Genau wie auf dem Hof der Marx an diesem Dienstagnachmittag.
00:37:05
Nach stundenlangem Ziehen, Hiefen und Schleppen
00:37:07
wird endlich der Feierabend eingeläutet.
00:37:10
Oft setzen sich Leon und Tobias nach getaner Arbeit
00:37:13
noch mit dem Rest der Familie an den Kaffeetisch,
00:37:15
doch dafür ist es heute zu spät.
00:37:16
Und obwohl bei Leon schon die Müdigkeit einsetzt,
00:37:19
eine abendliche Spritztour durch Gesicke in dem Auto seines besten Freundes,
00:37:23
lässt er sich nicht entgehen.
00:37:24
So steigen die zwei um kurz nach acht in den schwarzen Audi,
00:37:28
den Tobias sich von seinem Azubi-Lohn und kleineren Hilfsarbeiten gegönnt hatte.
00:37:32
Nach ein paar Kilometern lenkt Tobias den Kombi an einer Gabelung rechts auf einen ungeteerten Weg,
00:37:37
auf dem er vor einem einsamen gelegenen Gebäude zum Stehen kommt.
00:37:41
In solchen Feldscheuen werden häufig teure Landmaschinen gelagert.
00:37:45
Das wissen die beiden und das macht sie neugierig.
00:37:48
Doch sie bemerken schnell, dass das Tor des Schobers so verschlossen ist,
00:37:51
dass sie einbrechen müssten, um hineinzugelangen.
00:37:54
Da der nahegelegene Wirtschaftsweg aber viel zu stark gefahren ist,
00:37:57
entscheiden sie sich dagegen, aus Angst erwischt zu werden.
00:38:00
Zurück im Auto vertieft sich Leon auf dem Beifahrersitz in das Display seines Handys,
00:38:05
während es draußen langsam dunkler wird.
00:38:08
Der Nachthimmel, der an seiner Fensterseite vorbeizieht, drückt die Sonne hinter die Felder.
00:38:12
Nur noch wenige helle Strahlen leuchten über das Getreide hinweg.
00:38:15
Im Vorbeifahren knipst Leon ein Foto von diesem Ausblick und verschickt es per WhatsApp an eine Freundin.
00:38:22
Da taucht die nächste Scheune vor den Freunden auf.
00:38:24
Weder Häuser noch andere Fahrzeuge sind weit und breit zu sehen.
00:38:27
Dass jemand sie hier bei ihrer Entdeckungstour stören könnte, ist unwahrscheinlich.
00:38:32
Es ist mittlerweile fast halb zehn, als die beiden um die Feldscheune herumgehen.
00:38:37
Auch hier versperrt ihnen ein großes, massives Tor den Zugang.
00:38:41
Als Tobias einen kleinen Spalt im Holz findet, entdeckt er im Inneren einen Traktor,
00:38:45
den er sich aus der Nähe anschauen will.
00:38:47
Weil er mit bloßen Händen aber nicht in die Scheune kommt,
00:38:50
geht er zurück zu seinem Wagen und zieht eine Eisenstange aus dem Kofferraum.
00:38:54
Mithilfe des Rohrs versucht Tobias nun, eine der Latten zur Seite zu drücken.
00:38:59
Auch ein Loch in das Tor zu schlagen, führt nicht zum Erfolg.
00:39:03
Leon kommt seinem besten Freund schließlich mit einem Messer zur Hilfe.
00:39:06
Doch auch das bringt nichts.
00:39:09
Als die RettungssanitäterInnen gegen kurz nach elf auf den Feldweg fahren,
00:39:15
sehen sie schon von Weitem den jungen Mann vor ihren Scheinwerfern auftauchen.
00:39:19
Er fruchtelt wild mit den Armen und lotst sie den unbefestigten Weg entlang.
00:39:24
Doch vor dem Schober angekommen, wissen die HelferInnen sofort,
00:39:28
dass sie für den Jungen, der im Gras liegt, nichts mehr tun können.
00:39:31
Die blonden Haare sind rot verfärbt und am Hals ist ein langer Schnitt zu erkennen.
00:39:37
Im Obduktionsbericht wird es später heißen, dass die Halswirbelsäule angeschnitten war,
00:39:41
die Luft- und Speiseröhre durchtrennt wurden und das Opfer dazu noch ein hochgradiges Schädel-Hirntrauma erlitten hatte.
00:39:47
Kurz nachdem die Rettungskräfte eintreffen, sind auch PolizistInnen vor Ort.
00:39:52
Sie finden neben der Leiche des jungen Mannes seine Brille, sein Messer und sein Handy.
00:39:57
Darauf mehrere verpasste Anrufe und WhatsApp-Nachrichten von einem Tobias, die nicht mehr geöffnet wurden.
00:40:02
Tobias, so hatte sich auch der Mann vorgestellt, der die 112 gerufen hatte und noch immer am Tatort steht.
00:40:10
Um mehr über das Opfer zu erfahren, bitten die BeamtInnen Tobias mit zur Kreispolizeibehörde nach Paderborn zu kommen.
00:40:16
Sie wollen ihn offiziell als Zeugen vernehmen.
00:40:19
Doch ein flüssiges Gespräch ist mit ihm gerade kaum möglich.
00:40:22
Er wirkt schüchtern und distanziert, als er schildert, was in den letzten Stunden geschehen war.
00:40:27
Er habe Leon auf dessen Wunsch hin am Abend an dieser Scheune abgesetzt.
00:40:31
Nachdem Tobias sich dann noch einen Nachtisch bei McDonalds geholt habe,
00:40:35
habe er seinen besten Freund dann wieder abholen wollen.
00:40:38
Der habe sich aber nicht gemeldet, weshalb Tobias zurück zum Treffpunkt gefahren sei.
00:40:42
Dort habe er Leon gefunden, schwer verletzt, aber noch am Leben.
00:40:46
Die Fahrt zu McDonalds bestätigen die Aufnahmen einer Überwachungskamera.
00:40:51
Sie zeigt, wie Tobias sich ein Eis durch das Autofenster reichen lässt.
00:40:55
Auch WhatsApp-Nachrichten finden sich von dem Abend auf beiden Handys.
00:40:59
Tobias hatte offenbar versucht, seinen Freund zu erreichen, ihn gefragt,
00:41:02
Wie weit bist du? Und Hallo? Eine Antwort hat er nicht bekommen.
00:41:08
Doch die Aussage, dass Leon noch gelebt haben soll, als er ihn fand, irritiert die vernehmenden Polizistinnen.
00:41:13
Sie selbst hatten die Leiche mit dem tiefen Halsschnitt gesehen
00:41:16
und können nur schwer glauben, dass jemand mit solch einer Verletzung längere Zeit überleben konnte.
00:41:21
Um sich zu vergewissern, verlassen sie das Vernehmungszimmer kurz
00:41:25
und wenden sich an den zuständigen Rechtsmediziner, der eigentlich längst im Feierabend ist.
00:41:30
Der bestätigt ihre Vermutung.
00:41:32
Leon hätte laut Pathologen den Kehlenschnitt nur wenige Minuten überleben können.
00:41:37
Aber das hieße im Umkehrschluss, dass Tobias zumindest anwesend war, als sein bester Freund erstochen wurde.
00:41:44
Als KollegInnen von der Polizei ungefähr zur selben Zeit bei den Marx-Vorfahren kann dort im dunklen Bauernhaus niemand ahnen,
00:41:52
was sich gleich aus ihrem schlaftrunkenen Zustand reißen wird.
00:41:57
Und sofort sind alle Anwesenden hellwach.
00:42:00
Papa Bernd verlässt ohne zu zögern das Haus.
00:42:03
Lasst mich in Ruhe, sagt er, während er in die Dunkelheit verschwindet.
00:42:06
Drinnen bricht Mama Beate zusammen.
00:42:09
Sie hatte zwar auch gehört, was die Beamtinnen ihr da gerade gesagt haben, verstehen kann sie es aber nicht.
00:42:14
Ihr Leben fühlt sich auf einmal an wie ein großer Albtraum.
00:42:17
Und auch als die Sonne am nächsten Morgen aufgeht, scheint dieser nicht enden zu wollen.
00:42:22
Denn jetzt müssen sie ihren Verwandten die furchtbare Nachricht überbringen.
00:42:26
Als Bernd seine Schwester Katharina anruft, fragt sie, ob Tobias damit etwas zu tun haben könnte.
00:42:32
Niemals, antworten Beate und Bernd wie aus einem Mund und völlig entsetzt.
00:42:37
Tobias ist so etwas wie ein Familienmitglied für die Marx.
00:42:40
Bernd und Beate schätzen ihn immer schon wegen seiner ruhigen, zuverlässigen Art.
00:42:44
Nie war es auch nur einmal vorgekommen, dass es Probleme mit ihm gab
00:42:48
oder er ihnen gegenüber laut geworden war oder andersrum.
00:42:51
Jeder könnte dafür in Frage kommen, aber nicht der Tobias, heißt es.
00:42:56
Doch jetzt gerade wird dieser Tobias auf der Paderborner Polizeistation als Tatverdächtiger in der Sache befragt.
00:43:02
Acht Stunden, nachdem er den Rettungswagen gerufen hatte.
00:43:06
Nicht nur wegen seiner zweifelhaften Aussage, auch weil man in der Nacht auf seiner Kleidung eindeutige Spuren gefunden hatte,
00:43:13
die Tobias Version des Abends immer mehr in sich zusammenfallen lassen.
00:43:17
Und so dauert es auch nicht lange, bis Tobias gesteht, seinen besten Freund getötet zu haben.
00:43:24
Leon habe vor der Scheune gekniet, als Tobias mit der Eisenstange auf das Tor eingedroschen habe, um es endlich zu öffnen.
00:43:32
Als sein Freund plötzlich aufstehen wollte, habe er ihn am Kopf getroffen, woraufhin dieser sofort ohnmächtig geworden sei.
00:43:39
Weil Tobias gesehen habe, dass der Schlag tödlich gewesen sein musste, habe er noch zweimal zugeschlagen, um seinen Freund vom Leid zu erlösen.
00:43:48
Dann sei er mit seinem Auto durch die Gegend geirrt, habe die Eisenstange entsorgt und sei zu McDonalds gefahren.
00:43:54
Danach sei er zurück zur Scheune und habe zu seinem Schock entdeckt, dass Leon noch immer am Leben war.
00:44:00
Da habe sich Tobias dafür entschieden, ihm die Kehle durchzuschneiden, um den Todeskampf zu beenden.
00:44:05
Wie bitte? Was ist das denn für eine Story?
00:44:10
Die Felder entlang der Bundesstraße B1 sind kahl und der Ackerboden kalt.
00:44:17
Als sich Bernd und Beate mit ihrer Tochter Marien im Dezember 2014 auf den Weg zum Paderborner Landgericht machen.
00:44:23
Sie werden als NebenklägerInnen dabei sein, wenn der beste Freund ihres Sohnes auf der Anklagebank der 5. Großen Jugendkammer sitzt.
00:44:31
Angeklagt, ihren Sohn und Bruder ermordet zu haben.
00:44:34
Bis heute können sie nicht fassen, dass Tobias für den Tod von Leon verantwortlich ist.
00:44:40
Sie hatten ihm vertraut und nicht mal im Traum für möglich gehalten, dass er zu so einer Tat fähig wäre.
00:44:47
Im Saal angekommen, entdeckten die Marks die Familie von Tobias.
00:44:50
15 Jahre kennen sie sich.
00:44:52
Jetzt kein Hallo, kein Zunicken.
00:44:55
Noch beklemmender wird die Stimmung, als der Angeklagte hineingeführt wird und den Marks nach 4 Monaten Untersuchungshaft zum ersten Mal wieder gegenübersteht.
00:45:03
Als sie sich zuletzt sahen, hatten sie beim Heuverladen noch gemeinsam gelacht.
00:45:07
Jetzt würdigt Tobias sie keines Blickes.
00:45:11
Ein Zustand, der für Bernd nur schwer zu ertragen ist.
00:45:14
Genauso wie Tobias Aussage, die Tat sei aus Versehen geschehen.
00:45:18
Doch zu aller Überraschung wird Tobias nun über seinen Anwalt eine neue Version des Tatabends erzählen.
00:45:26
Es ist der späte Abend des 24. Juni 2014 vor der Scheune, inmitten der Dunkelheit.
00:45:32
Einzig und allein der schwarze Audi dienen Tobias und Leon als Lichtquelle.
00:45:35
Gerade ist Tobias drauf und dran, das massive Tor der Feldscheune aufzubrechen.
00:45:40
Dass er sich trotz der Schläge mit der Eisenstange nicht öffnen lässt, frustriert ihn.
00:45:45
Und dann ist er auch noch zusätzlich von seinem besten Freund genervt.
00:45:48
Denn der hängt schon den ganzen Abend am Handy und macht auch jetzt keine Anstalten, ihm zu helfen.
00:45:53
Als Tobias lauter wird, nimmt Leon widerwillig ein Messer aus seiner Arbeitshose,
00:45:57
mit dem er sich halbherzig an einem der Balken zu schaffen macht.
00:46:00
Als ich auch bei seinen Versuchen so gar nichts tun will,
00:46:03
meint Leon zu Tobias, dass er keine Lust mehr hat, weil ihm eh alles egal ist.
00:46:07
Als Tobias das hört und sich zu seinem Freund umdreht, erhöht sich sein Puls.
00:46:12
Leon soll endlich das dämliche Handy weglegen.
00:46:15
Dabei geht Tobias aus seinem Freund zu und drückt ihm die Hand mit dem Handy runter.
00:46:19
Mit wem er denn die ganze Zeit schreibe, will er jetzt wissen.
00:46:22
Ob es Linda sei und er was von ihr wolle.
00:46:24
Linda ist ein Mädchen aus dem Dorf, auf das Tobias schon länger ein Auge geworfen hatte.
00:46:29
Doch Leon erklärt ihm, dass er nichts von ihr wolle und sie nur ein bisschen schreiben würden.
00:46:34
Dass sich Leon überhaupt an sie dranhängt, findet Tobias komplett sinnfrei.
00:46:38
Die Mädchen würden eigentlich ja gar nichts von ihm wollen, sondern ihn bloß verarschen,
00:46:42
erklärt er seinem Freund.
00:46:44
Da schießt Leon zurück.
00:46:45
Tobias sei doch wohl derjenige, der nichts auf die Kette kriegen würde und deshalb besser die Klappe halten solle.
00:46:51
Für Tobias fühlt sich dieser Satz an wie ein Finger in der Wunde.
00:46:55
Denn er weiß, dass Leon recht hat.
00:46:57
Mit dem Mädchen hatte es bisher nie so richtig hingehauen.
00:47:00
Seine einzige Freundin hatte auch schnell wieder mit ihm Schluss gemacht.
00:47:04
Außerdem hatte ihn erst gestern ein Mädchen auf WhatsApp blockiert, das er gerne mochte.
00:47:08
Die Freunde fangen an, sich zu beschimpfen, als Spinner und abends Würstchen.
00:47:13
Plötzlich wird aus den Beleidigungen eine Schubserei, bei der Tobias die Eisenstange aus der Hand fällt.
00:47:19
Er ballt eine Faust und schlägt sie seinem Freund unmittelbar ins Gesicht.
00:47:22
Leon drückt Tobias daraufhin mit ganzer Kraft von sich weg, sodass der ins Straucheln gerät.
00:47:27
Kochend vor Wut greift Tobias zum Metallrohr und noch bevor Leon fliehen kann,
00:47:31
schmettert er es mit voller Wucht seitlich gegen den Hinterkopf.
00:47:35
Bewusstlos sackt Leon auf der Stelle in sich zusammen.
00:47:38
Aus seinen Ohren sickert das Blut.
00:47:40
Noch zwei weitere Male holt Tobias aus.
00:47:43
Als er bemerkt, dass Leon noch immer atmet, holt er das Messer aus seinem Auto und beendet das Leid seines Freundes.
00:47:55
Das Leid, das hat er explizit zugesagt.
00:47:59
In seiner Version.
00:48:00
Es ist die dritte Variante der Tatnacht, die Tobias hier gerade hat verlesen lassen.
00:48:07
Erst wollte er gar nichts mit dem Tod seines Freundes zu tun gehabt haben,
00:48:10
dann war es ein Versehen und jetzt ein aus den Fugen geratener Streit.
00:48:15
Die Version macht deutlich, auf welches Urteil die Verteidigung aus ist.
00:48:20
Das sieht die Staatsanwaltschaft allerdings etwas anders.
00:48:23
Laut Staatsanwalt handelt es sich nämlich um einen heimtückischen Verdeckungsmord.
00:48:28
Tobias habe Leon erst von hinten mit der Eisenstange geschlagen, sei dann weggefahren und später wieder zurückgekommen.
00:48:34
Erst da habe er bemerkt, dass Leon noch lebt.
00:48:36
Um zu verhindern, dass er ihn verraten könnte, habe er daraufhin das Messer gezückt.
00:48:41
Gestützt wird diese Annahme durch das rechtsmedizinische Gutachten.
00:48:44
Darin steht nämlich, dass zwischen den Schlägen und dem Kehlenschnitt ca. 18 Minuten gelegen haben.
00:48:50
Dass Tobias seine Tat verdecken wollte, sehe man auch in dem Versuch, sich ein Alibi zu verschaffen.
00:48:55
Tobias hatte ja mehrmals versucht, Leon anzurufen und hatte ihm auch WhatsApp-Nachrichten geschrieben,
00:49:02
Obwohl er wusste, dass sein Freund diese nicht mehr beantworten würde.
00:49:05
Um zu verdeutlichen, dass Tobias nicht nur der hilfsbereite, nette junge Mann war, den die Marx kennengelernt hatten,
00:49:12
ruft der Staatsanwalt verschiedene Zeuginnen in den Zeugenstand.
00:49:16
Diese erzählen von einer anderen Seite des Angeklagten, einer brutalen Seite.
00:49:20
Ein 19-Jähriger erinnert sich z.B. daran, dass Tobias einmal mit seinem Roller vorgefahren kam
00:49:25
und eine Kiste mit 6 kleinen Küken dabei hatte.
00:49:28
Er sagte, guck mal, und drehte dann den Tieren den Hals um.
00:49:32
Nicht dein Ernst.
00:49:33
Ein anderer Zeuge erzählt von einer Situation, in der Tobias ein Vogelnest entdeckt hatte,
00:49:38
die Vögel herausnahm, sie an den Flügeln fasste und so lange schleuderte,
00:49:42
bis er nur noch die Flügel in der Hand hielt.
00:49:44
So wie so ein Handtuch, das man an 2 Ecken hält und dann das so schlägt,
00:49:51
damit sich das so einzwirbelt.
00:49:53
Ich weiß es nicht genau wie.
00:49:55
Wieder andere berichten von kranken Ferkeln, die an die Wand geschlagen wurden,
00:50:01
weil Antibiotika zu teuer gewesen seien.
00:50:04
Die Mädchen aus dem Freundeskreis, mit denen Tobias etwas zu tun gehabt hatte,
00:50:08
erzählen von Eifersucht, Beleidigung und impulsivem Verhalten.
00:50:13
Für die Marx ein Bild, das überhaupt nicht zu dem Tobias passt, den sie auf ihrem Hof kennengelernt haben.
00:50:18
Für den psychologischen Gutachter sei dieses Verhalten allerdings kein Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung.
00:50:24
In seinem Gutachten, das er nur auf Grundlage von Beobachtungen hatte stellen können,
00:50:29
weil Tobias sich weigerte, mit ihm zu sprechen, erklärt er den Anwesenden,
00:50:33
dass diese Tierquälereien dazu gedient hätten, in der Gruppe als cool zu gelten.
00:50:37
Für ihn handelt es sich bei Tobias um einen reifeverzögerten Heranwachsenden.
00:50:41
Weshalb der Sachverständige am Ende auch zu dem Schluss kommt,
00:50:44
dass bei Tobias das Jugendstrafrecht Anwendung finden sollte.
00:50:47
Diese Einstufung ist für das Verfahren vor der Jugendkammer deshalb wichtig,
00:50:51
weil das Gericht am Ende entscheiden muss, ob der zum Tatzeitpunkt 19-jährige Tobias
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strafrechtlich als Erwachsener oder als Jugendlicher verurteilt wird.
00:50:59
Eine entscheidende Frage, wenn es um das Strafmaß geht.
00:51:03
Für seinen Verteidiger wären 6,5 Jahre wegen Totschlags ein gerechtes Maß.
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Der Staatsanwalt hingegen fordert in seinem Plädoyer 11 Jahre und 9 Monate
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wegen Mordes mit besonderer Schwere der Schuld.
00:51:14
Am 15. Januar 2015 steht das Urteil fest.
00:51:18
Tobias muss wegen versuchten heimtückischen Mordes
00:51:22
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
00:51:24
und wegen vollendetem Totschlags 8,5 Jahre ins Jugendgefängnis.
00:51:29
Das Gericht begründet seine Entscheidung,
00:51:32
also dass es versuchter Mord und Totschlag war,
00:51:37
damit, dass Leon aufgrund der tödlichen Schläge gegen seinen Kopf
00:51:40
bereits dem Tode geweiht gewesen sei
00:51:42
und seinen Freund deshalb niemals hätte anzeigen können.
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Daher sei das Durchschneiden der Kehle nicht als Verdeckungsmord,
00:51:49
sondern als Totschlag zu bewerten.
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Das Erschlagen mit der Eisenstange sei hingegen ein versuchter Mord aus Heimtücke
00:51:55
und beide Taten einzeln zu werten,
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weil zwischen ihnen fast 20 Minuten gelegen haben.
00:52:01
Habe ich auch noch nie gehört.
00:52:05
Für Leons Familie ist das Strafmaß ein Schlag ins Gesicht.
00:52:10
Sie hatten gehofft, dass Tobias wegen Mordes
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so lange wie möglich hinter Gittern sitzen müsste
00:52:14
und befürchten jetzt, dass er schon in ein paar Jahren
00:52:17
wieder auf den Feldern in Gesicke unterwegs sein könnte.
00:52:20
Das wollen sie nicht, weshalb sich Bernd und Beate dafür entscheiden,
00:52:23
in Revision zu gehen.
00:52:24
Elf Monate dauert es, bis ihnen die Karlsruher RichterInnen recht geben.
00:52:28
Am 3. Dezember 2015 entscheidet der BGH,
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dass der erstinstanzliche Richterspruch aufgehoben werden muss.
00:52:35
Denn anders als das Landgericht stuft der BGH den Schlag mit dem Eisenrohr
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und das Durchtrennen der Kehle nicht als zwei einzelne Taten,
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sondern als zusammenhängendes Geschehen ein.
00:52:45
Zudem sei das Mordmerkmal der Heimtücke nicht ausreichend geprüft worden.
00:52:49
Bis zum nächsten Prozess vergeht ein halbes Jahr,
00:52:53
in dem Leons Eltern in all ihrer Trauer neue Hoffnung schöpfen.
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Eine gerechte Strafe gibt es zwar nicht für den Tod ihres Sohnes,
00:52:59
aber sie wollen das maximale Strafmaß für Tobias
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und dass er als Mörder aus dem Verfahren geht.
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Denn mittlerweile ist sich Familie Marx sicher,
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was der wahre Grund für den Tod ihres Sohnes war.
00:53:11
Sechs Wochen vor Leons Tod
00:53:14
bekommt Tobias grünes Licht vom Land für seine XXL-Bullenzucht.
00:53:18
Mit dem Sohn eines Bauern aus der näheren Umgebung
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wird er sich auch schon über ein passendes Grundstück einig,
00:53:24
bis dessen Vater ein Veto einlegt.
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Tobias versucht es daraufhin bei anderen LandwirtInnen,
00:53:29
doch niemand verkauft ihm Fläche für sein Bauvorhaben.
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Dann stirbt 14 Tage vor Leons Tod plötzlich Leons Onkel
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auf mysteriöse Weise.
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Leons Papa Bernd findet ihn am Fuße einer Treppe
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mit einer Wunde am Hinterkopf.
00:53:43
Bernd und seine Schwester Katharina
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haben ein merkwürdiges Gefühl und rufen die Polizei.
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Nicht dein Ernst.
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Denn im Haus des Onkels waren Ordner aus den Schränken geräumt
00:53:54
und der Kerzenständer, auf den der Onkel mit dem Kopf gefallen war,
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stand normalerweise nicht am Fuße der Treppe.
00:54:01
Doch Gerichtsmedizin und Staatsanwaltschaft
00:54:03
schließen aufgrund der Auffindeposition
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und des Blutalkohol-Spiegels des Opfers ein Verbrechen aus.
00:54:09
Für Tobias scheint der Tod des Onkels seines besten Freundes
00:54:13
aber eine glückliche Fügung zu sein,
00:54:15
denn er kann Leon überzeugen,
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mit ihm gemeinsam die Bullenzucht aufzuziehen,
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und zwar auf dem Hof des verstorbenen Onkels.
00:54:22
Sie sehen sich dort auch schon um und planen,
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was sie alles umbauen würden und wo was hinkäme.
00:54:26
Bis Bernd Marx den Fantasien seines Sohnes ein Ende macht.
00:54:31
Du machst erstmal deine Ausbildung fertig
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und wenn du dich danach in der Landwirtschaft selbstständig machen willst,
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dann alleine ist sein Urteil.
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Und damit war der Traum der Bullenzucht für Tobias ein zweites Mal gestorben.
00:54:45
Das sei der Grund für den Mord an ihrem Sohn,
00:54:48
glauben Bernd und Beate.
00:54:49
Und von dieser Theorie erzählen sie auch ihrem Anwalt,
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der die mit in den zweiten Prozess nimmt.
00:54:55
Es ist der 16. Juni 2016.
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In acht Tagen jährt sich der Todestag von Leon ein zweites Mal.
00:55:02
Wieder ist Erntezeit und die Mähdrescher kreisen auf den Geseker Feldern,
00:55:06
als der Prozess beginnt.
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Noch einmal wird der Tatabend aufgerollt,
00:55:10
noch einmal dieselben ZeugInnen gehört.
00:55:12
Diesmal wird auch die Möglichkeit mit einbezogen,
00:55:15
dass es nicht um Mädchen,
00:55:16
sondern um Geld und Tobias Zukunftspläne gegangen sein könnte
00:55:20
und das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe in den Raum geworfen.
00:55:24
Dafür sprechen die ZeugInnen, Mädchen aus der Clique,
00:55:27
die erzählen, dass es zwischen den beiden
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niemals Konkurrenz um Frauen gegeben habe.
00:55:31
Außerdem wird das Mordmerkmal der Heimtücke genauer geprüft.
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Die Verteidigung rückt ein Detail in den Fokus,
00:55:37
das beim ersten Prozess keine Rolle gespielt hatte.
00:55:40
Die Rechtsmedizin hatte an Leons Mund eine kleine Wunde entdeckt.
00:55:44
Die sei der Beweis dafür,
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dass die beiden Jungs vor der Tat miteinander gekämpft haben müssen.
00:55:50
Das wiederum würde bedeuten, dass Leon nicht arglos gewesen war,
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sondern mit einem weiteren körperlichen Angriff hätte rechnen müssen,
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womit Tobias Handeln nicht heimtückisch gewesen sei.
00:56:01
Und dann passiert am letzten Verhandlungstag das, womit niemand so wirklich rechnet.
00:56:06
Tobias will nun doch mit dem psychologischen Sachverständigen sprechen.
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Sein Verteidiger rechtfertigt diesen Sinneswandel damit,
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dass seinem Mandanten in den vergangenen Tagen vieles durch den Kopf gegangen sei.
00:56:18
So schildert der Gutachter schließlich, wie sich Tobias ihm gegenüber emotional geöffnet hat.
00:56:22
Dass er Angst vor der Verurteilung habe, sich schäme vor der Reaktion seiner Mitmenschen
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und klarstellen wolle, dass es ihm niemals ums Geld gegangen war.
00:56:31
Kurz vor Ende der Verhandlung fordert Tobias Verteidiger erneut sechseinhalb Jahre für Totschlag.
00:56:38
Der Staatsanwalt hingegen zeigt sich wieder überzeugt,
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dass die Tat ein Mord aus Heimtücke gewesen ist,
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für den Tobias neun Jahre ins Gefängnis soll.
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Für Leons Eltern reicht auch diese Strafe nicht aus.
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Der Nebenklagevertreter fordert 13,5 Jahre.
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Bevor sich das Gericht zur Urteilsfindung zurückzieht,
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hebt Tobias seinen Kopf, um zum ersten und einzigen Mal vor allen Anwesenden zu sprechen.
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Dabei klingt er ruhig und gefasst.
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Es tut mir unendlich leid.
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Ich weiß, dass ich das niemals rückgängig machen kann.
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Dann betreten die RichterInnen den Sitzungssaal ein letztes Mal im Scheunenmordprozess,
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wie die Presse ihn nennt.
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Tobias muss wegen Totschlags mit besonderer Schwere der Schuld
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für sieben Jahre und neun Monate ins Gefängnis.
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Am Ende glaubten die RichterInnen Tobias Aussagen
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rund um den eskalierten Streit über Mädchen.
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Und da niemand das Gegenteil bezeugen könne
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und es keinen Beweis für ein anderes Motiv gäbe,
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gelte im Zweifel für den Angeklagten.
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Während sich Tobias bei der Verkündung völlig reglos zeigt,
00:57:40
trifft das Strafmaß die Marx erneut mit voller Wucht.
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Zwei Jahre hatten sie für ein Höheres gekämpft,
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jetzt sind es sogar neun Monate weniger als bei der ersten Verurteilung.
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Wenn man heute auf der Landstraße an der abgelegenen Feldscheune vorbeifährt,
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wirkt alles genauso idyllisch wie vor dem 26. Juni 2014.
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Ringsherum blüht im Sommer das Getreide,
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genauso wie auf den nur wenige Kilometer weit entfernten Äckern der Marx.
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Leons Familie betreibt ihren kleinen Bauernhof auch heute noch
00:58:10
und Leons Zimmer im Bauernhaus sieht noch genauso aus wie an dem Tag,
00:58:14
als er es zum letzten Mal verließ.
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Das Einzige, was dazugekommen ist, ist ein großes Foto.
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Darauf zu sehen ein strahlender Leon,
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so wie er sich am wohlsten fühlte,
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in blauer Latzhose und lässig an einen großen Traktor gelehnt.
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Oft hatten die Marx überlegt, die Ländereien zu verpachten
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und die Maschinen zu verkaufen.
00:58:33
Aber das würde sich wie Aufgeben anfühlen.
00:58:36
Außerdem fühlen Papa Bernd und Mama Beate
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sich ihrem Sohn auf den Feldern am nächsten.
00:58:41
Und es wurde nie aufgeklärt, wie der Onkel jetzt starb?
00:58:48
Das macht mich ja wahnsinnig.
00:58:51
Also er hatte schon, das war schon bekannt,
00:58:55
dass er ein Alkoholproblem hatte,
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Aber wir wissen auch aus anderen Fällen,
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dass man Tötungsdelikte ganz gut als Treppenstürze verdecken kann.
00:59:05
Also keine Ahnung, man weiß ja immer nur einen Bruchteil der Fälle,
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die wir uns hier erzählen.
00:59:11
Aber wenn es offenbar ja keine Streitigkeiten
00:59:14
zwischen den Freunden gab vorher,
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die irgendwie so auffällig gewesen wären,
00:59:18
dass die Eltern schon vorher mal davon gehört hätten oder andere,
00:59:22
dann ist das so seltsam,
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dass sowas auf einmal denn so eskaliert.
00:59:30
Es ist wirklich seltsam,
00:59:33
weil sie davor ja auch noch zusammen auch gelacht haben
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und zusammen gearbeitet haben.
00:59:39
Ich kann mir aber auch irgendwie nicht vorstellen,
00:59:42
dass er einen Mord geplant hat,
00:59:44
eben aus Rache zum Beispiel
00:59:46
und dann quasi das alles nur gestellt hat,
00:59:51
dass sie diese Scheune anfahren und gucken,
00:59:54
was da so drin ist und ihn dann von hinten
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mit einer Eisenstange erschlägt
00:59:59
und dann mit einem Messer die Kehle durchschneidet,
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wenn er es als versehen darstellen will.
01:00:05
Ich kann das überhaupt nicht beurteilen,
01:00:07
aber auf der anderen Seite ist er natürlich auch sehr raffiniert vorgegangen danach.
01:00:14
In dem er diese Nachrichten geschrieben hat.
01:00:16
Da musst du auch erst mal schalten.
01:00:19
Und die Tat verdecken wollte
01:00:21
und dann auch immer diese verschiedenen Tatversionen,
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die er dann aufgetischt hat.
01:00:30
Man weiß es nicht,
01:00:30
aber vielleicht war es für ihn wirklich nach einer Zeit,
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wo er ja auch älter wurde,
01:00:36
dass er immer der Abhängige ist von seinem Freund.
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Und dass er seinen eigenen Traum da aufzubauen,
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dieses Bullenimperium oder was auch immer,
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dass er das für sich halt nicht selbst hat verwirklichen können.
01:00:50
Obwohl Tobias bei der Tat schon volljährig war,
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wurde bei ihm ja das Jugendstrafrecht angewandt.
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Das hat damit zu tun,
01:00:57
dass er mit seinen 19 Jahren zwischen 18 und 21 war
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und rechtlich deshalb als Heranwachsender gilt.
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Für Heranwachsende kommt nämlich im Zweifel
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auch das Jugendstrafrecht zum Einsatz.
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Also das, was normalerweise für die 14- bis 18-Jährigen gilt.
01:01:13
wenn die TäterInnen eher Jugendlichen als Erwachsenen ähneln.
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1953 ist der § 105 Jugendgerichtsgesetz in Kraft getreten,
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der eben dieses Szenario regelt.
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Aber relativ schnell war klar,
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es gibt ja nicht den Jugendlichen oder den Erwachsenen.
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Und es braucht da irgendwie Kriterien,
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an denen man erkennen kann,
01:01:32
ob die TäterInnen jetzt eher noch jugendlich
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oder eben schon erwachsen sind.
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Dafür haben sich dann 1954
01:01:38
einige JugendpsychologInnen und PsychiaterInnen
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in Marburg getroffen
01:01:42
und solche Kriterien formuliert,
01:01:44
an denen man sich auch noch heute orientiert.
01:01:46
Und da habe ich mich gefragt,
01:01:49
was sind denn jetzt für dich zum Beispiel
01:01:51
charakteristische Merkmale von Erwachsenen?
01:01:54
Also ich kann dir sagen,
01:01:56
woran ich Erwachsen sein merke.
01:01:59
Daran, dass ich zu niemandem kommen kann
01:02:02
ich habe Scheiße gebaut.
01:02:03
Jetzt muss man das immer alles alleine auslöffeln.
01:02:07
das nennt man Verantwortung.
01:02:10
Und ansonsten würde ich sagen,
01:02:13
ja, also wenn ich mich sehe als Kind
01:02:16
ich habe halt eine Persönlichkeit entwickelt
01:02:18
und ich kann meinen Alltag selbst regeln.
01:02:22
Laut den Marburger Richtlinien
01:02:24
zeichnet Erwachsene aus,
01:02:26
dass sie unter anderem
01:02:26
eine gewisse Lebensplanung haben.
01:02:28
Eine ernsthafte,
01:02:30
wir können ja mal abhacken,
01:02:33
Hast du eine gewisse Lebensplanung?
01:02:38
Also ich würde sagen,
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ich habe einen Tagesplan
01:02:40
und ich habe durch meinen Hund
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auch sowas wie einen Ablauf
01:02:43
und durch meine Arbeit.
01:02:44
Aber einen Lebensplan
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würde ich jetzt schon eher Nein sagen.
01:02:50
Paulina hat zumindest
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weniger konkrete Lebenspläne
01:02:54
als andere Menschen
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in unserem Alter,
01:02:56
habe ich das Gefühl.
01:02:58
Also ich habe halt gar nicht sowas
01:03:00
wie ich will ein Haus
01:03:01
oder ich will das.
01:03:03
wie sich das anfühlen soll
01:03:07
in den nächsten fünf Jahren
01:03:08
und ich habe eine Vision
01:03:10
mit unserer Arbeit,
01:03:11
aber keine Ziele,
01:03:15
Ich finde das ganz toll.
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in zehn Jahren will ich das,
01:03:18
in 20 Jahren das
01:03:20
oder was weiß ich.
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Was sie noch als Merkmal sehen,
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ist vorausschauendes Denken.
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Ja, das kann ich glaube ich ganz gut.
01:03:28
Und eine ernsthafte Einstellung
01:03:30
zur Arbeit zu haben.
01:03:35
Die haben wir hier auf jeden Fall.
01:03:36
Das würde ich schon meinen, ja.
01:03:38
Und eine gewisse Eigenständigkeit,
01:03:40
die hast du ja eben selbst schon gesagt.
01:03:42
Und was sind für dich
01:03:44
charakteristische Merkmale
01:03:45
von Jugendlichen?
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Also, dass sie schon noch viel abhängig sind.
01:03:49
Aber das ist ja auch ihrem Alter
01:03:52
und ihrer Minderjährigkeit geschuldet.
01:03:54
Sie können ja dann
01:03:55
in dem Sinne auch nicht anders.
01:03:56
Aber dass sie vielleicht noch
01:03:58
sehr viel Hilfestellung brauchen
01:03:59
bei einer Planung
01:04:02
oder bei einer Durchführung,
01:04:03
weil sie es eben noch nicht gemacht haben.
01:04:05
dass man als jugendliche Person
01:04:07
einfach viele Dinge
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zum ersten Mal immer noch macht
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und dabei Hilfe braucht.
01:04:12
Laut den Expertinnen
01:04:14
sind typische Merkmale
01:04:16
Das hast du gerade gesagt.
01:04:19
vertrauensseliges Verhalten.
01:04:21
Neigung zu Tagträumen.
01:04:24
das habe ich aber heute
01:04:26
auch noch ganz viel.
01:04:27
Also man muss ja auch sagen,
01:04:29
einige Erwachsene
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erfüllen ja nicht alle
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oder erfüllen andere
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die eher zu Jugendlichen passen.
01:04:36
Aber man muss natürlich
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trotzdem als erwachsene Person gelten,
01:04:39
weil irgendwann ist dann ja
01:04:40
auch mal Schluss.
01:04:41
Ab einem gewissen Alter
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muss man die Sachen
01:04:44
dann halt zumindest können.
01:04:45
Ob man sie dann macht,
01:04:46
ist ja eine andere Sache.
01:04:47
Weiter sind für die noch
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den Augenblick leben,
01:04:52
mangelnder Anschluss
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an Altersgenossen
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unmittelbar aus der Situation
01:04:57
vorschießendes Handeln.
01:04:59
Bei Tobias hatte ich das Gefühl,
01:05:01
dass das Gericht
01:05:01
sich gar nicht so sicher war,
01:05:03
ob der jetzt eher
01:05:03
jugendlich oder erwachsen war.
01:05:05
Zumindest hat es sich
01:05:06
nicht so eindeutig angehört.
01:05:08
Da stand nämlich,
01:05:10
die Gesamtwürdigung
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der Persönlichkeit
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dass der Angeklagte
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nach seiner sittlichen
01:05:14
und geistigen Entwicklung
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jugendlichen Gleichstand.
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kann in Übereinstimmung
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mit dem Sachverständigen
01:05:22
und der Jugendgerichtshilfe
01:05:24
nicht mit der gebotenen
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Sicherheit ausschließen,
01:05:26
dass die Entwicklung
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noch nicht abgeschlossen war
01:05:30
und dass es sich bei ihm
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um einen noch prägbaren
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Menschen handelt.
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Gerichterin dafür gesprochen hat,
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war, dass Tobias
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seine Ausbildung
01:05:38
noch nicht abgeschlossen hatte,
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noch bei den Eltern gewohnt hat,
01:05:41
auch ein sehr schwankendes
01:05:43
Selbstbewusstsein hatte,
01:05:45
weil er auf der einen Seite
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super unsicher mit Mädchen war,
01:05:47
auf der anderen Seite dachte,
01:05:49
er kann diese XXL-Bullenzucht
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und weil er noch
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keine längere Beziehung hatte.
01:05:55
Auffällig war für sie aber auch,
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dass er mit Leon
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keinen Gleichaltrigen,
01:05:59
sondern einen fast
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zwei Jahre jüngeren
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besten Freund hatte.
01:06:05
hatte im Fall von Tobias
01:06:06
neben diesem psychologischen Gutachter
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Jugendgerichtshilfe geholfen.
01:06:10
Die Mitarbeitenden da
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beschäftigen sich nämlich
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intensiv mit den TäterInnen
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und deren Familien,
01:06:15
um herauszufinden,
01:06:17
wie weit die Entwicklung ist
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und die schlagen dann auch
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konkrete Strafen vor.
01:06:22
Also die spielen
01:06:23
eine große Rolle
01:06:24
in diesen Jugendgerichtsprozessen.
01:06:26
Das Jugendstrafrecht
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für Heranwachsene angewandt,
01:06:29
wenn die eine sogenannte
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Jugendverfehlung begangen haben.
01:06:32
Da geht es dann nicht
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um die TäterInnen,
01:06:34
sondern nur um die Tat,
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die dann irgendwie
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besonders charakteristisch
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für Jugendliche sein soll.
01:06:39
Wie zum Beispiel
01:06:43
eine Mutprobe macht
01:06:46
Beschädigung von
01:06:49
Mercedes-Sternen,
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in die Richtung,
01:06:55
nicht gemacht hast.
01:06:56
Nee, also ich würde auch behaupten,
01:06:58
dass ich eine sehr
01:06:59
verantwortungsbewusste
01:07:02
meiner Verfehlungen
01:07:03
erst im späteren Alter
01:07:09
strafmündig warst.
01:07:11
Es ist übrigens so,
01:07:12
dass mehr als die Hälfte
01:07:13
der Heranwachsenden
01:07:15
Jugendstrafrecht bekommt,
01:07:17
eingestuft wird.
01:07:19
die schon 20 Jahre alt sind.
01:07:22
darf man ja mit 18
01:07:23
schon ziemlich viele
01:07:24
verantwortungsbedürftige
01:07:26
wie zum Beispiel
01:07:32
Eine Wohnung mieten,
01:07:34
was darf man noch wählen,
01:07:36
was ja auch sehr wichtig ist.
01:07:37
Oder auch sowas wie
01:07:40
eine Droge nehmen.
01:07:41
Also wo ich mich
01:07:42
immer noch manchmal
01:07:44
dass man das darf
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als erwachsene Person,
01:07:47
aber einfach so,
01:07:49
ist sein Geld ausgeben,
01:07:52
Oder Messer ablecken.
01:07:57
Den Keksteig ganz aufessen
01:07:59
oder Kassensüßigkeiten
01:08:01
spontan aufs Band legen.
01:08:04
Das ist das Geilste.
01:08:05
Also was noch viel besser ist
01:08:08
finde ich die Sachen,
01:08:09
die man nicht tun muss,
01:08:11
weil man halt kein Kind mehr ist.
01:08:15
Oder sich mit einem Taschentuch
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im Gesicht rumpopeln lassen.
01:08:19
An die Tür gehen,
01:08:20
wenn es klingelt.
01:08:21
Licht ausmachen um 23 Uhr.
01:08:23
Und kein Feinripp unter Hemd.
01:08:26
Das war das Schlimmste für mich.
01:08:28
Also das finde ich jetzt
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wirklich überhaupt nicht schlimm.
01:08:33
Oh, ich weiß das noch,
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wie ich als Kind das so gehasst habe,
01:08:36
ein Unterhemd anziehen zu müssen.
01:08:38
Also jetzt zieht man sich ja selber
01:08:39
so Tops drunter,
01:08:41
weil er permanent kalt ist.
01:08:44
was als Kind mit einem so los ist.
01:08:46
Aber diese Unterhemden,
01:08:48
das war mir so unangenehm.
01:08:49
Und machen wir uns nichts vor,
01:08:51
wenn man ein Kind ist,
01:08:52
ist man halt auch so ein bisschen
01:08:53
das Haustier der Eltern.
01:08:54
Du musst halt alles machen.
01:08:57
Das ist eigentlich am geilsten,
01:09:00
wenn man wirklich,
01:09:01
aber so ein bisschen
01:09:03
habe ich das noch heute.
01:09:05
ob das jetzt so weit führt,
01:09:07
Wenn ich alleine,
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also wenn ich zu Hause bin
01:09:10
und mein Mann dann irgendwann kommt,
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dann fühle ich mich trotzdem nicht so frei.
01:09:15
wenn die ganze Unordnung,
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die ich über den Tag halt gemacht habe,
01:09:18
die wird dann noch entfernt.
01:09:19
Und es wird so getan,
01:09:21
das wäre das immer so,
01:09:22
und als hätte ich auch keine Tüte Chips
01:09:24
zum Mittagessen gegessen.
01:09:27
Aber wenn ich dann mal in Berlin bin,
01:09:29
da in meiner kleinen Wohnung,
01:09:31
das ist für mich einfach so geil,
01:09:33
dass ich da alles einfach rumliegen lassen kann,
01:09:36
wie so eine richtige,
01:09:38
wie meine Mama gesagt hätte,
01:09:40
dann wie so eine richtige Schlampe.
01:09:42
wenn man ganz unordentlich war,
01:09:44
dann war man eine Schlampe.
01:09:45
das hat meine Mutter auch immer zu mir gesagt.
01:09:47
Und das fand ich immer so scheiße gemein.
01:09:49
Das sagt man nicht.
01:09:52
Das ist ein Schimpfwort
01:09:53
in unserer Jugend ja gewesen.
01:09:57
die man leicht rumgekriegt hat.
01:09:58
Was ja auch schon eine Absurdität an sich ist,
01:10:01
dass man das irgendwie ehrenlos
01:10:03
oder was auch immer findet,
01:10:04
wenn Frauen das machen,
01:10:06
beziehungsweise,
01:10:07
zumindest weitestgehend
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ist das ja heute nicht mehr.
01:10:14
also du willst nicht,
01:10:16
dein schlampiges Verhalten sieht.
01:10:19
Und das ist einer der Gründe,
01:10:21
egal in was für einer Beziehung,
01:10:23
Partnerschaft auch immer
01:10:24
ich mich befinde,
01:10:25
ich möchte immer
01:10:26
meine eigene Wohnung haben.
01:10:28
Oder zwei Häuser,
01:10:30
die durch einen Tunnel
01:10:31
miteinander verbunden sind.
01:10:32
Weil nicht jede Person
01:10:34
ist ja so diszipliniert wie du
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und räumt es dann weg
01:10:38
oder für die Partnerin.
01:10:40
wäre dann trotzdem so.
01:10:43
erinnerst du dich noch daran,
01:10:45
dass du irgendeine Straftat
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als Jugendliche begangen hast?
01:10:50
wenn man wo was wegnimmt,
01:10:52
was einem nicht gehört,
01:10:55
Daher dein Name.
01:10:58
Das hat doch nichts
01:10:59
mit dem Namen zu tun.
01:11:00
Ich habe doch gerade
01:11:04
Ihr fällt das gar nicht mehr auf,
01:11:07
weil es schon so normal ist,
01:11:09
was sie so heißt.
01:11:12
daran erinnere ich mich noch.
01:11:14
Und damit wärst du nicht alleine,
01:11:16
denn die am häufigsten begangene Straftat
01:11:18
unter Kinder und Jugendlichen und Heranwachsenden
01:11:20
ist der Diebstahl.
01:11:21
Danach kommt die Körperverletzung.
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Grüße gehen raus an Courtney Bauer.
01:11:25
Rauschgift, Kriminalität und Sachbeschädigung.
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Im Jahr 2020 wurden über 390.000 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende seitens der Polizei einer Straftat verdächtigt.
01:11:39
Und Achtung, wir nehmen hier die Verdächtigen, weil die Zahl ja ausschlaggebender ist, als die Verurteilung wegen der unter 14-Jährigen habe ich jetzt die Verdächtigen genommen, weil die würden dann ja nicht verurteilt werden und deswegen würden sie da nicht auftauchen in der Zahl.
01:11:53
Generell gibt es bei Jugendkriminalität und Kinderkriminalität einen Abwärtstrend zu beobachten.
01:11:58
Ein bisschen im Vergleich zum Vorjahr, aber gewaltig, wenn man sich das Jahr 2001 ansieht.
01:12:03
Bei den Jugendlichen hat sich in der Zeit die Zahl sogar auf 160.000 halbiert.
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Aber nochmal ein Disclaimer, so ein Abwärtstrend, der kann seine Ursache darin haben, dass Jugendliche weniger kriminell sind.
01:12:15
Sowas kann aber auch, und da rede ich jetzt von allen Zahlen und allen Verbesserungstrends und Verschlimmerungstrends.
01:12:22
Das kann halt auch darin begründet sein, dass sich im Laufe der Jahre Gesetze ändern oder mehr oder weniger angezeigt wird, mehr oder weniger kontrolliert wird.
01:12:31
Den Vergleich von 2019 zu 2020 sieht man auch ein bisschen mit Vorsicht, weil man davon ausgeht, dass die pandemiebedingten Einschränkungen im öffentlichen Raum,
01:12:41
also Homeschooling und weniger Freizeitangebote und so, da halt mit reinspielen.
01:12:45
Aber in den letzten Jahren geht man davon aus, dass auch eine Sensibilisierung für Gewalt zugenommen hat und es auch mehr Anzeigebereitschaft gibt
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und deswegen deutlich mehr Delikte im Hellfeld als im Dunkelfeld auftauchen als zuvor.
01:12:59
Also es weist wirklich viel darauf hin, dass Gewalttaten von Jugendlichen auch wirklich zurückgehen.
01:13:04
Also kann man, wenn jetzt hier jemand sagt, boah, die Jugend von heute ist so schlimm und kriminell und so, kann man eigentlich sagen, stopp.
01:13:12
Stoppen Sie hier.
01:13:15
Und generell kann man damit auch ein bisschen Entwarnung an die Eltern rausgeben, die irgendwann mal entdecken, dass ihr Kind was geklaut hat.
01:13:22
Denn die Straffälligkeit vor allem von Jugendlichen bei Bagatelldelikten, also bei sowas wie Diebstahl, die ist weit verbreitet und setzt sich in den meisten Fällen nicht im Erwachsenenalter fort.
01:13:32
Also die meisten werden nur so ein bis zweimal auffällig.
01:13:34
Und Laura hat mir bisher auch wirklich nur ganz selten was geklaut.
01:13:38
Nee, ehrlicherweise habe ich dir was geklaut.
01:13:42
Also ich habe es nicht wirklich geklaut, aber du hast es mir gegeben und ich habe es dir nicht zurückgegeben.
01:13:47
Also da sieht man, manche fangen auch erst im Erwachsenenalter damit an.
01:13:51
Sag jetzt, was es ist.
01:13:52
Nö, du kriegst das erst zurück, wenn du weißt, was es ist.
01:13:56
Bis dahin fehlt dir ja offenbar nichts.
01:13:58
Aber es ist nicht aus meinem Kleiderschrank, oder?
01:14:02
Ja, und Gewalttaten machen auch eher einen kleineren Teil von Jugendstraftaten aus.
01:14:10
Und egal welche Art jetzt von Verbrechen, die finden eher spontan, also bei Jugendlichen, eher spontan und in den Situationen statt und meistens auch in der Gruppe.
01:14:20
In der Regel sind es männliche Teenies, aber wie gesagt, es gehört alles, also so ein paar Sachen gehören natürlich auch zum Entwicklungsprozess.
01:14:28
Und dann geht es darum, Grenzen auszuprobieren oder Mutproben, wie du schon gesagt hast.
01:14:32
Nur wenn euer Kind jetzt jemanden tötet von heute auf morgen oder andere ähnlich schlimme Delikte begeht, das wäre dann natürlich ein bisschen was anderes.
01:14:41
Aber das passiert nicht so oft.
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2019 wurden 156 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren verdächtigt, jemanden getötet zu haben.
01:14:50
156 finde ich jetzt schon viel.
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Also wenn ich mir da vorstelle, dass da halt auch 14- und 15-Jährige dabei sind.
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Ich denke mir immer, es sind ja nur die Verdächtigten und die gesamte Zahl der Tötungsdelikte war 2315.
01:15:07
Ja, aber das will ich jetzt gar nicht in Relation zu den Erwachsenen sehen, sondern ich sehe dann da 156, ja wahrscheinlich weniger, wenn das die Verdächtigen sind, kleine Menschen, die jemanden getötet haben.
01:15:23
Und die damit ihr Leben weggeworfen haben.
01:15:25
Das ist es so irgendwie für mich.
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Manche 17-Jährige sind schon sehr groß.
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Der ganze Sinn des Jugendstrafrechts ist ja, dass es eigentlich nicht um Bestrafung geht, sondern um Erziehung, weil man eben der Ansicht ist, dass man auf Jugendliche noch mehr einwirken kann und damit verhindern kann, dass die wieder straffällig werden.
01:15:48
Deshalb geht es für Jugendliche tatsächlich auch nur sehr selten ins Gefängnis.
01:15:52
Von mehr als 51.000 Personen, die 2020 nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden, landeten nur 3.257 am Ende hinter Gittern.
01:16:02
Genau, und nochmal kurz, ich hatte ja vorhin gesagt, wie viele einer Straftat verdächtigt wurden.
01:16:06
Das waren über 390.000 und von denen werden tatsächlich am Ende nur 51.000 verurteilt.
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Was ja ein enormer Unterschied ist, weil sich der Verdacht halt nicht immer bestätigt oder Verfahren eben eingestellt werden.
01:16:21
Ja, und bei denen, die halt verurteilt werden, kommt es halt nur selten vor, dass sie ins Gefängnis kommen.
01:16:27
Das ist halt immer nur die Ultima Ratio, wie man das in dem Kontext immer so schön nennt.
01:16:32
Weil vorher gibt es erstmal eine ganze Menge anderer Maßnahmen, die die RichterInnen verhängen können.
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Am häufigsten ist das das Zuchtmittel.
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Mehr als 36.000 der 51.000 TäterInnen kamen damit davon.
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Darunter fallen dann Verwarnungen, bei denen die TäterInnen dann zurechtgewiesen werden.
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Also, die kriegen dann quasi eine Standpauke im Gericht, damit denen klar wird, was sie Schlimmes getan haben.
01:16:55
Dann gibt es noch die Auflagen, bei denen sie dann den Schaden wiedergutmachen müssen,
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indem sie zum Beispiel, keine Ahnung, die beschmierte Wand streichen müssen oder sich bei dem Verletzten entschuldigen müssen.
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Das härteste Zuchtmittel ist der Jugendarrest.
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Da werden die Verurteilten dann auch wirklich eingesperrt, aber nicht in normalen Gefängnissen,
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sondern in so extra Jugendarrestanstalten.
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Und da bleiben die auch höchstens vier Wochen.
01:17:21
Manchmal halt auch nur ein Wochenende.
01:17:22
Einfach, damit man ihnen zeigt, wie uncool es ist, eingesperrt zu sein.
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So wurde es zumindest in einem Video auf der Website des nordrhein-westfälischen Justizministeriums formuliert.
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Ey, das ist klar, so eine Sprache kann nur von Leuten kommen, die das nicht betreffen, alt sind.
01:17:43
Das hat meine Mutter mir früher auch gezeigt, wie uncool das ist, eingesperrt zu sein.
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Wobei auch nur einmal, ich weiß nämlich noch, dass das ein Ding war in meiner Jugend,
01:17:56
dass ich öfter, also wirklich öfter zu meinen Eltern gegangen bin und gesagt habe,
01:18:00
ich möchte Hausarrest.
01:18:03
Doch, doch, weißt du warum?
01:18:05
Weil ich dachte, ich habe das immer bei Bibi Blocksberg und so gehört, ne?
01:18:09
Und ich dachte immer, wenn man Hausarrest hat, dann hat man ja vorher was Unerlaubtes gemacht.
01:18:15
Und es ist cool, zu den Leuten zu sagen, ich habe Hausarrest.
01:18:19
Und dann hat deine Mama irgendwann mal gesagt, geh mir jetzt nicht auf den Sack, du kriegst jetzt Hausarrest.
01:18:30
Und hat dich eingesperrt.
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Ne, also Hausarrest ist ja auch nicht so einsperren, sondern man darf nicht raus, ne?
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Also das hat die bestimmt auch mal gemacht, aber die hat halt nicht so gesagt, du hast jetzt zwei Tage Hausarrest.
01:18:43
Hatte ich auch nie.
01:18:44
Aber ich war darüber glücklich.
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Also während Eltern halt dann eben sowas wie Hausarrest verhängen, können die RichterInnen aber neben dem Jugendarrest zum Beispiel auch Erziehungsmaßregeln verhängen.
01:19:00
Also dann kriegen die Jugendlichen bestimmte Verbote oder Regeln mit.
01:19:05
Und da können die RichterInnen wirklich sehr frei entscheiden, ob die jetzt zum Beispiel die Jugendlichen einen Kurs machen lassen oder denen verbieten, sich mit irgendwelchen bestimmten Personen zu treffen oder der Familie auch auflegen, sich Hilfe bei der Erziehung zu holen.
01:19:21
Und da gab es einen Fall aus Düsseldorf, da hat der Richter dem Täter als Strafe das Handy weggenommen.
01:19:26
Und der 14-Jährige hatte nämlich eine Mitschülerin bei Facebook schwer beleidigt und ihren Namen und ihre Handynummer veröffentlicht und dazu dann geschrieben, sie schickt euch Nacktbilder und Videos.
01:19:38
Und dieser Richter, der hat sein Handy halt dann 30 Tage lang kassiert und wahrscheinlich war das für den 14-Jährigen auch am Ende die schlimmste Strafe.
01:19:47
Ich habe auch noch von einem anderen Fall gehört, wo eine Strafe verhängt wurde, die ich wahrscheinlich nicht so doll gefunden hätte.
01:19:55
Da hatte nämlich ein 19-Jähriger zweimal ein Handy geklaut und dann hat der Richter ihm Altstadtverbot für zwölf Monate gegeben.
01:20:05
Also, dass er nicht mehr feiern gehen durfte, ein Jahr lang in der Stadt, in der er gewohnt hat.
01:20:12
Und das wäre für mich als 16-Jährige, das wäre für mich wie ein Todesurteil gewesen.
01:20:19
Stell dir mal vor, die verbieten dir das, wo du jedes Wochenende bist, um überhaupt am sozialen Leben teilzunehmen.
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Also zumindest deinen Ruf kannst du danach beerdigen.
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Warte keinen mehr.
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Dich kennt dann keiner.
01:20:35
Als 16-Jährige ist das schlimm.
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Jetzt wäre mir das ziemlich egal, ob ich Altstadtverbot in München-Gladbach kriegen würde, auch wenn es ein lebenslanges Verbot wäre.
01:20:48
Ja, wie erfolgreich so eine Art von Bestrafungen sind, ist auch fraglich.
01:20:52
Und darüber haben wir auch mit der Strafrechtsanwältin Ulrike Paul geredet.
01:20:55
Sie ist Vizepräsidentin der Bundesrechtsanwaltskammer.
01:20:59
Ganz klar, es gibt natürlich auch Jugendliche, die einmal halt in der Drogerie ein Parfüm mitgehen lassen und die das dann so schrecklich finden, dass sie da geschnappt worden sind, die dann wirklich darauf reagieren oder die dann halt auch dorthin gehen und sich entschuldigen.
01:21:19
Aber ganz oft haben wir eben, vor allem wenn es so Jugendgruppen sind, oft das Thema, dass man den Eindruck hat, man weiß nicht wirklich, wie man den Jugendlichen beikommen soll.
01:21:31
Frau Paul kennt aber natürlich auch Einzelfälle, in denen diese Bestrafung tatsächlich eine Art Umdenken beziehungsweise Erziehung der Jugendlichen bewirkt hat.
01:21:41
Ja, also einen Fall gab es mal in der Tat, wo der Richter dann, das waren drei Jugendliche, die wirklich einen alten Mann immer ziemlich übel, ja, ich sag mal, gequält haben.
01:21:54
Und in dem sie halt Dinge getan haben, die zunächst mal gar nicht schlimm waren, in dem sie nur geklingelt haben, aber dann auch bei ihm im Garten Sachen zerstört haben, den Hund mit Farbe angemalt haben.
01:22:08
Also nichts, was jetzt strafrechtlich wirklich gravierend ist, aber da hat der Jugendrichter gesagt, okay, die müssten jetzt, ich weiß nicht mehr wie viel, aber ziemlich viele Stunden in dessen Garten arbeiten und mit dem Hund Gassi gehen.
01:22:24
Und da hat es mir zunächst so ein bisschen gekraust, weil ich dachte, um Gottes Willen, was richten die dann an, aber hat wirklich prima funktioniert.
01:22:33
Also wenn jemand Fussel anmalen würde, ich glaube, ich würde den Leuten eher die Hand brechen, als wenn ich zulassen würde, dass die nochmal einen Finger an ihn randehnen.
01:22:44
Aber gut, bei Straftaten wie denen, die wir hier im Podcast besprechen, werden solche Maßnahmen natürlich komplett unverhältnismäßig.
01:22:53
Da geht es dann schon eigentlich immer ins Gefängnis, aber eben dann auch nicht ins Normale, sondern in der Regel in Jugendstrafanstalten und auch nicht so lange.
01:23:00
Die Höchststrafe für Jugendliche beträgt nämlich maximal zehn Jahre.
01:23:05
Nur wenn es um Mord geht und dann auch noch die besondere Schwere der Schuld festgestellt wird, dann ist das Höchstmaß 15 Jahre, also so lang, wie es im Erwachsenenstrafrecht mindestens für Mord gibt.
01:23:18
Wir haben ja jetzt ein paar Verbrechen von Jugendlichen und Heranwachsenden gehört und auch wie unsere Justiz mit den Straftätern umgeht.
01:23:27
Manche ExpertInnen finden das genau richtig so, andere wollen das Jugendstrafrecht komplett abschaffen und wieder andere, die würden das gerne noch verschärfen.
01:23:35
Die Frage ist ja so ein bisschen, wie viel bringt es jetzt, wenn ein 14-Jähriger von einem Richter hört, du, du, du, das machst du jetzt aber nicht nochmal?
01:23:46
Oder wie viel Sinn es zum Beispiel ergibt, eine 16-Jährige jetzt für zehn Jahre in Haft zu stecken?
01:23:52
Genau, ja, das ist nämlich so ein bisschen das Ding. Also erinnerst du dich noch daran, wie du warst als Jugendliche? Also erinnerst du dich noch an dein 14-Jähriges Ich?
01:24:00
Also an mein 14-Jähriges Ich tatsächlich gut. Mit 14 war ich nämlich zum ersten Mal in der Altstadt und zwar im Nightlife.
01:24:10
Das war so ein Club, wo mein Bruder auch immer hingegangen ist. Und da habe ich mir dann auch meinen ersten Alkohopop und zwar Smirnoff-Eis mit zwei Freundinnen geteilt.
01:24:23
Ja, zu dritt. Wir standen in dem Club zu dritt mit einer Smirnoff-Eis-Flasche und haben die so rumgegeben. Ich glaube sogar mit einem Drohhalm drin.
01:24:30
Naja, auf jeden Fall, das kann ich so voll erinnern, aber ich weiß auch noch, dass ich da sehr schüchtern war in der Zeit und auch meinen ersten richtigen Kuss, glaube ich, auch erst so mit 14 hatte und mich da aber auch überhaupt nicht wohl gefühlt habe.
01:24:48
Also in dem Sinne, sagen wir jetzt mal so, also so reifetechnisch, was jetzt so Beziehungen mit Jungs angeht, war ich auf jeden Fall halt noch sehr kindlich, im Gegensatz zu anderen.
01:25:01
Ja, ich fuße kurz schon bei dem Thema, weil er weiß, was ich jetzt sagen werde. Ja, deine Mutter war früh reif.
01:25:13
Ist dieser Tod umgefallen?
01:25:14
Es ist so, wenn Eltern über ihre Sexualität reden.
01:25:20
Typische Reaktion von Kindern.
01:25:25
Aber ich erinnere mich auch noch daran, dass ich ein sehr unglücklicher Teenager zu dieser Zeit war und eigentlich auch gar nicht auf dieser Welt sein wollte und alles furchtbar, furchtbar schlimm fand und alles war dunkel und es war auch eine ganz üble Phase so für mich.
01:25:40
Und deswegen, also weil ich mich halt auch noch so genau daran erinnere, wie ich damals war und wie überhaupt gar nicht ich auf diese Welt klarkam, finde ich das irgendwie schon wichtig, dass eine 15-jährige Person, die jetzt in der Entwicklung noch nicht so weit ist, nicht so bestraft wird wie eine 25-jährige Person oder eine 40-jährige Person.
01:26:00
Also, das wäre ja dann einfach komplett das Gleiche. Also, die würden, du machst ja dann gar keine Unterschiede mehr, wenn du das Jugendstrafrecht abschaffst. Und ich habe ja vorhin schon gesagt, du machst viele Dinge zum ersten Mal.
01:26:13
Du bist dir gar nicht so richtig bewusst. Es gibt eine Aktion, es gibt eine Reaktion, es gibt Konsequenzen. Wie sehen die aus?
01:26:19
Du hast das Leben halt noch nicht so durchgespielt und dann bist du ja auch noch in der Pubertät in diesem Alter. Die Hormone spielen verrückt. Du hast Identitätsprobleme und was weiß ich, was nicht noch alles.
01:26:32
Ja, und das Ding ist ja auch, dass man oft halt auch so eben in Phasen steckt und deswegen auf Abwägen unterwegs ist und manchmal dann vielleicht auch die falsche Abbiegung mal nimmt.
01:26:44
Und wenn man dann jetzt beispielsweise mit 14 oder 15 in ein Gefängnis muss, wo man offenbar ja eh schon lost im normalen Leben ist, dann ist man da einfach verloren.
01:26:58
Weil in dieser Zeit braucht man diese Bezugspersonen, man braucht auch Vorbilder. Die hat man dann in dem Knast leider überhaupt gar nicht und wird ja eher noch zum Opfer, weil man halt noch so die Kleine dann da ist oder der Kleine.
01:27:11
Ja, deswegen finde ich auch, dass eben eine gute Nachricht ist, dass von 51.000 Verurteilten am Ende wirklich dann nur 3.000 im Gefängnis landen und man versucht erstmal mit anderen Maßnahmen da ranzugehen.
01:27:26
Wo ich aber echt ein kleines Problem irgendwie mit habe, ist mit den 20-Jährigen, die dann eben auch manchmal noch das Zuchtmittel kriegen oder wirklich dann nur eine sehr niedrige Jugendstrafe bekommen, weil mit 20 kannst du ja eigentlich wirklich schon die Konsequenzen deiner Taten absehen und dann finde ich das eigentlich auch gerecht, wenn du dementsprechend verurteilt wirst.
01:27:52
Naja, manche sind in einigen Schritten aber da auch noch sehr weit zurück. Deswegen finde ich das okay, wenn man das abwägt.
01:27:58
Wie auch immer kommen wir zu anderen jugendlichen Dummheiten. Wir haben Post. Das ist jetzt exemplarisch für mehrere Nachrichten, die wir in letzter Zeit bekommen haben.
01:28:11
Und zwar hat uns Anne geschrieben, Leute, ich war gewillt für euch 40 Mal auf Abstimmen zu drücken, aber musste jetzt mit Entsetzen feststellen, dass ihr für den Podcastpreis nicht nominiert seid.
01:28:23
Was ist da passiert? Ich bitte um Aufklärung.
01:28:26
Hä? Hat sie unseren Podcast nicht gehört oder was?
01:28:29
Äh, wahrscheinlich.
01:28:30
Wir haben gesagt, wir machen da nie wieder mit.
01:28:33
Moment, das haben wir nicht gesagt. Das haben wir nicht gesagt. Wir haben gesagt, wir machen da dieses Jahr nicht wieder mit. Wir möchten jetzt die anderen natürlich erstmal aufklären, ja. Also wir sind nicht nominiert, weil wir uns selbst nicht aufgestellt haben. Man muss ja selbst eine Bewerbung einreichen für so eine Oberkategorie.
01:28:48
Und wenn das für diese Oberkategorie nicht reicht, dann kann man noch auf den Publikumspreis setzen. Und dann muss man seine ZuhörerInnen nerven, dass die dann abstimmen für einen. Und das haben wir letztes Jahr gemacht. Ziemlich erfolglos.
01:29:02
Warte mal. Ziemlich erfolglos.
01:29:04
Also nicht ganz. Ja, nicht ganz.
01:29:06
Nein, nein, das war nicht erfolgt.
01:29:07
Wir waren ja unter den Top 5 vom Publikumspreis. Deswegen konnte man auch am Ende, waren wir auch bei dieser Preisverleihung. Wir waren da, ne, gemischtes Hack war unter den Top 5. Baywatch Berlin, die Pochers hier und die Johnsons.
01:29:21
Und dann haben wir das nicht gewonnen. Und dann haben wir, wie sich das für schlechte VerliererInnen gehört, öffentlich im Podcast geschmollt und schön nach oben getreten, über Felix und Tommi geschimpft.
01:29:35
Und dann haben wir gedacht, das machen wir dieses Jahr nicht nochmal.
01:29:38
Nee, das wollen wir allen ersparen und auch uns.