00:00:00
Wir beide haben ja pandemiebedingt unseren 30. Geburtstag nicht wirklich so feiern können,
00:00:15
wie wir eigentlich wollten, oder?
00:00:17
Ich glaube, ich feiere den 30. dann an dem Tag, an dem ich eigentlich 35 werde.
00:00:22
Nochmal genauso nach.
00:00:24
Wieso gerade mit 35?
00:00:25
34 ist mir zu banal.
00:00:27
Man will ja den runden Geburtstag feiern und dann würde ich zumindest die 10 Jahre bis zum nächsten runden Geburtstag durch zwei teilen.
00:00:34
Der goldene Schnitt.
00:00:36
Und den 40. mache ich dann aber auch nochmal.
00:00:39
Wenn du jetzt dir deinen 40. vorstellst, bei den 30., der ist ja jetzt vorbei.
00:00:45
Wie würdest du den feiern, wenn du den feiern könntest, wie du wollen würdest?
00:00:50
Ist der 40. Geburtstag denn so einer, den man unbedingt doll feiern muss?
00:00:54
Also du kannst auch den 39. dolle feiern, aber du würdest ja jetzt wahrscheinlich dann, wenn du mal eine Party machst,
00:01:02
eher den 40. nehmen oder nicht?
00:01:04
Ja, also ich glaube, irgendwie mit 40 brauche ich Ruhe.
00:01:07
Und wenn ich dann alles machen könnte, was ich will, dann würde ich, glaube ich, meine Familie und nur so meine engsten Freundinnen einladen.
00:01:22
Einladen in so ein richtig fettes Haus mit Pool und eigenem Koch oder Köchin und jemanden, der uns dann auch noch massiert.
00:01:31
Für eine ganze Woche.
00:01:36
Es hört sich irgendwie dirty an.
00:01:37
Nee, es soll einfach nur entspannt sein.
00:01:43
Wie willst du das denn machen?
00:01:45
Nee, weil ich habe gerade mit jemandem seinen 40. Geburtstag in Hamburg gefeiert.
00:01:48
Und jetzt kommt, ich erinnere mich nämlich noch genau, wie wir den 40. meines Vaters gefeiert haben.
00:01:55
Da hat meine Eltern halt so eine riesige Turnhalle gemietet und so eine Tische in U-Form aufgestellt.
00:02:00
Und meine Mutter hatte so ein riesiges Plakat gebastelt, auf dem drauf stand, 40, na und?
00:02:05
Das ist irgendwie so richtig Eltern.
00:02:11
Und dann habe ich festgestellt, das ist so ein bisschen der Breaking Point, also der Moment, wenn du plötzlich so alt bist wie deine Eltern zu einem Zeitpunkt, an den du dich erinnern kannst.
00:02:23
Ja, genau. Und deswegen, ich glaube, dass ich dann ja vielleicht eine Familie habe, selber Kinder und dann braucht man einfach Ruhe.
00:02:32
Also ich glaube ich.
00:02:34
Ich frage eigentlich auch nur, weil demnächst ein doppelter Geburtstag ansteht. Wir werden zwar nicht 40, aber vier.
00:02:43
Mordlos wird vier.
00:02:45
Mordlos wird vier und gleichzeitig bringen wir die hundertste Folge raus.
00:02:50
Und deswegen dachte ich, ist Grund zum Feiern. Wir müssen irgendwas für uns machen. Und ich dachte, wir schenken dann aber auch was. Und zwar eine geile Folge. Also eine richtig coole Episode.
00:03:02
Und weil wir ja wissen, dass ihr, also die HörerInnen, damals die Betroffenen-Folge so gefeiert habt, in der wir die Taten aus der Ich-Perspektive erzählt haben.
00:03:12
Mithilfe der beiden Betroffenen auch.
00:03:15
Genau. Mithilfe der Betroffenen möchten wir das gerne nochmal machen. Und deswegen schreibt uns gerne, wenn ihr in irgendeiner Art an einem Kriminalfall beteiligt wart, also wenn ihr die Hinterbliebenen seid, die Opfer, vielleicht auch die engen Verwandten des Täters oder der Täterin.
00:03:31
Das hatten wir ja beim letzten Mal auch. Wichtig ist nur, wir wollen eure Perspektive erzählen. Und deswegen ist das schwierig, wenn ihr jetzt ein Cousin fünften Grades oder so seid und die Ermittlungen gar nicht miterlebt habt oder so.
00:03:43
Und solltet ihr uns deswegen schon mal geschrieben haben, dann schreibt uns bitte nochmal, weil unsere Postfächer sind ein bisschen Chaos.
00:03:49
Und was wir leider auch brauchen, und deswegen fallen meist einige Sachen weg, wir brauchen halt Nachweise. Also die Tat muss in der Regel vor einem Gericht verhandelt worden sein.
00:03:59
Am besten gibt es auch noch Medienberichte und ihr habt selbst die Unterlagen zu Hause, die ihr uns dann zur Verfügung stellen könnt. Also bei der ersten E-Mail alles direkt mitschicken, was ihr könnt.
00:04:09
Und das könnt ihr uns an geschichten.partnerincrime.de senden. Und dann suchen wir zwei Fälle raus und präsentieren die dann in der hundertsten Folge.
00:04:17
Was ich richtig cool fand bei der letzten Folge, wo wir das gemacht hatten, ist, dass das für die Betroffenen auch selbst irgendwie so einen therapeutischen Effekt hatte.
00:04:25
Ja, und ich fand es auch einfach schön in der Vorbereitung irgendwie so intensiv mit den beiden zusammenzuarbeiten und dass man uns so ein großes Vertrauen schenkt und diese zum Teil sehr schrecklichen Geschichten anvertraut.
00:04:38
Ja, also wir freuen uns auf eure Einsendung.
00:04:41
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime. Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe. Mein Name ist Paulina Kraser.
00:04:49
Und ich bin Laura Wohlers. In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Fälle nacherzählen, darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:04:59
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander. Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt. Das ist für uns einfach immer so eine Art Comic Relief, damit wir zwischendurch auch mal wieder aufatmen können. Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:05:12
Oscar Wilde hat mal gesagt, Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind. Später fangen sie an, diese zu beurteilen und manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Hast du deinen Eltern verziehen?
00:05:24
Ja, mittlerweile schon.
00:05:26
Und dein Vater jetzt reißt sich die Kopfhörer aus den Ohren. Was? Was habe ich getan?
00:05:33
Nee, aber es ist ja wirklich so, dass man als Kind die Eltern so krass idealisiert. Also vor allen Dingen hatte ich das mit meinem Vater. Also der war einfach mein absoluter Held, ja.
00:05:51
Und dann erwacht man ja aber irgendwie irgendwann aus dieser Traumvorstellung und der eigene Vater wird zu einem Mann wie jeder andere mit Fehlern, Makeln, Schwächen und halt normal, ja.
00:06:09
Aber für mich war dieses Aufwachen schon irgendwie hart, weil man ja so ein Umdenken hat und machen muss, auch wenn das ganz normal so ein Teil von diesem Ablösungsprozess ist. Aber ich fand es trotzdem irgendwie traurig.
00:06:24
Ja, es ist auch einfach irgendwie schmerzhaft, weil man vorher ja nicht so viel hinterfragt, was die Eltern so erzählen und auch mit einem selbst machen.
00:06:36
Und gleichzeitig ist es aber auch wieder so ein bisschen befreiend, weil man dann weiß, aha, ich habe also die und die Probleme wegen meiner Eltern.
00:06:48
Ich kann da gar nichts mehr. Nein, aber dass das alles irgendwie einen Grund hat, wenn man in gewissen Bereichen des Lebens nicht so richtig klarkommt oder dass man da irgendwelche Defizite hat oder dann auch manchmal sieht, dass man bestimmte Dinge im Leben ganz toll kann, weil die Eltern da so einen krassen Einfluss drauf hatten.
00:07:06
Und dass man aber ja auch merkt, man kann auch Sachen anders machen als die Eltern und das ist überhaupt nicht schlimm und oft auch gut.
00:07:14
Genau, ja. Da erinnere ich mich zum Beispiel ganz genau als Kind dran, wo ich gesagt habe, das mache ich auf jeden Fall anders.
00:07:21
Als Kind habe ich schon gesagt, das mache ich anders, wenn ich groß bin.
00:07:26
Kindererziehung.
00:07:27
Ja, bei welchen Sachen?
00:07:29
Ich habe dann gesagt, kriege ich keinen Fall.
00:07:31
Achso, generell.
00:07:31
Kriege ich keinen Fall.
00:07:32
Wenn das so ist, dann kriege ich ja keinen Fall.
00:07:37
Was ich auch bemerkenswert finde, ist, dass man vieles ihnen ja auch gar nicht übel nehmen kann, weil die Erkenntnis, dass es nur Menschen sind, hat ja zur Folge zu verstehen, dass es nur Menschen sind, die ihre Eigenheiten haben und manche Eigenheiten halt irgendwas Übles in der Kinderseele auslösen, was einen nachher wie Scheiße so am Schuh klebt.
00:07:58
Aber da können sie ja manchmal dann auch gar nichts für.
00:08:01
Ja, aber wir sprechen hier heute über Fälle, bei denen die Kinder schon sehr der Meinung sind, dass die Eltern etwas dafür können.
00:08:09
Alle Namen habe ich geändert.
00:08:11
Und die Triggerwarnung zu meinem Fall findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:08:15
Als am 21. November 2009 das Ehepaar Meschede über das Krankenhausgrundstück des Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam läuft, führt es sie an den verschiedenen stationären Einrichtungen des sogenannten Gesundheitsparks vorbei.
00:08:29
Gestern hatte ihr Sohn Johann noch in der Notfallaufnahme gelegen, jetzt führt der Weg direkt in die Klinik für Psychiatrie.
00:08:36
Als das Ehepaar Mitte 60 die Tür zu seinem Zimmer öffnet, ist da keine Erleichterung, dass es gerade noch einmal gut gegangen ist.
00:08:43
Da ist nur Stille.
00:08:45
Stille, die durchbrochen wird von einem permanenten Wimmern.
00:08:49
Statt den Hintergrund für den Verband, um seinen linken Arm zu erklären, weint Johann.
00:08:53
Die ganze Besuchszeit lang.
00:08:56
Als er gestern zur Uni nach Potsdam gefahren war und sich dort in eine ruhige Ecke im Treppenhaus oberhalb der Bibliothek verzogen hatte, hatte er für einen Moment auf seine vergangenen 28 Lebensjahre zurückgeblickt und war zu dem ernüchternden Ergebnis gekommen, dass es für ihn besser sei, zu sterben, als es fortzuführen.
00:09:22
Also hatte er sich kurzerhand zum nächstgelegenen Kaufland aufgemacht.
00:09:25
Nachdem Johann dort auf der Suche nach einem Cuttermesser einige Zeit erfolglos durch die Regalgänge gewandert war, gab er sich mit einem Obstmesser zufrieden.
00:09:34
Dann halt eben das.
00:09:35
Zurück im verlassenen Unitreppenhaus schrieb er noch einen Abschiedsbrief an seine Eltern Doreen und Heiko.
00:09:41
Werte Eltern steht oben und dass er sich in einer Endlosschleife befinde.
00:09:47
Deshalb drücke ich jetzt Stopp, schrieb er.
00:09:50
Danach tauschte er den Stift gegen das zuvor gekaufte Obstmesser und begann damit, auf seine linke Hand einzuwirken.
00:09:57
Nachdem er sich zwei weitere Schnitte am Arm zugefügt hatte und ihm kurz schwummerig wurde, ihm für weitere Selbstverletzungen aber die Kraft fehlte, rief er selbst den Rettungswagen.
00:10:08
Und der hatte ihn schließlich hierher gebracht, in die Psychiatrie, wo man unter anderem mit Gesprächen versucht, die Schmerzen zu heilen oder zu lindern oder zumindest ein wenig erträglicher zu machen.
00:10:20
Vor seinen Eltern aber kann Johann nicht reden.
00:10:23
Er weint einfach nur, bis sie wieder gehen.
00:10:26
Erst im Laufe der Woche kann er den Mut fassen, um am Telefon das auszusprechen, was er die letzten Monate nicht zu formulieren gewagt hatte.
00:10:35
Ein einfacher Satz. Für Johann wiegt er Zentner schwer.
00:10:41
Als Doreen und Heiko sechs Tage, nachdem sie das erste Mal in der Psychiatrie waren, ein weiteres Mal die 70 Kilometer von Rathenobis nach Potsdam zurücklegen und Johann mit der Stärkung eines Arztes im Rücken diese Worte ein zweites Mal ausspricht, zeigen sich die beiden schockiert.
00:10:56
Als könnten sie nicht richtig fassen, was sie da gerade gehört hatten.
00:11:01
Genau vor dieser Reaktion hatte sich der 28-Jährige die ganze Zeit so gefürchtet.
00:11:06
Für Heiko und Doreen war ein Scheitern von Johann nie eine Option gewesen.
00:11:11
Und jetzt mutete er ihnen innerhalb weniger Tage Suizidversuch und Studienabbruch zu, denkt Johann.
00:11:17
Johann wird an diesem Tag in seiner tiefen Verzweiflung entlassen und mit seinen empörten Eltern zurück nach Hause geschickt.
00:11:24
Noch ahnt niemand, dass die drei zwar gerade an einer Katastrophe vorbeigeschrammt sind, zu Hause aber die Weichen für eine andere gestellt werden.
00:11:34
Die gelb gestrichene Doppelhaushälfte, zu der die dreiköpfige Familie an diesem Tag zurückkehrt, ist von einem weißen Zierzaun umschlossen.
00:11:41
Die darin liegenden Nadelbäume wirken wie eine zweite Schutzmauer und werfen dunkle Schatten auf das Haus, das sie umgeben.
00:11:48
Es ist fast ein bisschen so, als wolle man sagen, hier bleiben wir unter uns.
00:11:52
Andere sind nicht willkommen.
00:11:55
So abgeschottet wie das Haus lebt auch die Familie Meschede selbst. Und das schon seit Jahren.
00:12:00
Den einzigen Kontakt, den sie haben, ist der, der ihnen durch die andere Doppelhaushälfte quasi aufgezwungen ist.
00:12:06
Mit den Schmidts kommen die Meschede gut zurecht, aber das war es auch schon.
00:12:11
Doreen hatte den Kontakt zu ihrem Bruder und ihrer Mutter nach der Wende verloren und Heikos Familie ist schon längst verstorben.
00:12:17
Mit den anderen Nachbarn sind die Meschede zerstritten, nachdem Vater Heiko vor ein paar Jahren seinen ehemals guten Freund angezeigt hatte,
00:12:24
weil dieser angeblich Holz aus dem angrenzenden Wald gestohlen hatte.
00:12:28
Tatsächlich hatte der Nachbar aber eine Genehmigung vom Förster.
00:12:32
Die Meschede hatten über die Jahre einen Kokon um sich herum gebaut und den auch nicht geöffnet, als Johann 1981 geboren wird.
00:12:40
Da sind Heiko und Doreen schon weit über 30. Untypisch für Ostdeutschland zu dieser Zeit.
00:12:47
In seiner frühen Kindheit hat Johann vor allem Kontakt zu Krankenhauspersonal.
00:12:51
Weil er mit einer Fehlstellung an beiden Füßen geboren wird, Klumpfüße hat er, wird ihm gesagt,
00:12:57
wird er mehrfach operiert und verbringt seine ersten Monate auf dieser Welt im Krankenhaus.
00:13:02
Allerdings ohne, dass die Fehlstellung erfolgreich behoben werden kann.
00:13:05
Johann besucht nie einen Kindergarten, die Erziehung übernimmt Doreen alleine und kauft sich dafür ein Buch.
00:13:12
Auf Klassenfahrten darf er nicht mit.
00:13:15
Als Johann in der Schule von einer 1,2 auf eine 1,5 abrutscht, nimmt Doreen dieses Problem auch allein in die Hand
00:13:22
und lässt Johann, nachdem er in der Schule gebüffelt hat, zusätzlich noch zu Hause büffeln.
00:13:28
Eine Schule nach der Schule, so fühlt es sich für Johann an.
00:13:31
Zu bunten Kindergeburtstagen mit Geschenketüten, Luftballons und Topfschlagen wird er im Kindesalter nie eingeladen.
00:13:38
Vielleicht auch, weil er nicht nur viel introvertierter ist als die anderen Kinder, sondern sich auch optisch von ihnen unterscheidet.
00:13:45
Seine Klamotten und auch die seiner Eltern sehen aus, als würden sie nicht aus dieser Generation stammen.
00:13:51
Deswegen feiert Johann seinen Ehrentag allein zu Hause mit seinen Eltern, wo er nicht allein im Mittelpunkt steht.
00:13:56
Denn Vater Heiko wurde am gleichen Tag wie er geboren.
00:13:59
Johann schließt sein Abitur mit 1,8 ab.
00:14:03
Sein Wunsch ist es danach, in die Medizin zu gehen, er könnte irgendwann vielleicht mal Chirurg werden.
00:14:08
Seine Eltern sehen das anders.
00:14:10
Obwohl Johann normal laufen kann und man ihm die Fehlstellung nicht unbedingt ansieht,
00:14:14
ist seine Mutter der Überzeugung, dass die ihn daran hindern würde, den Beruf ausüben zu können.
00:14:19
Sie hatte ihn immer als Rechtsanwalt gesehen.
00:14:22
Johann hat da als Kind immer gehorcht und so macht er es auch im Erwachsenenalter.
00:14:26
Doreen und Heiko begleiten ihn wie einen Erstklässler, als er sich am 1. Oktober 2001 an der Universität Potsdam
00:14:33
für das Studium der Rechtswissenschaften einträgt.
00:14:36
Johann muss nicht oft im Vorlesungssaal sitzen, um zu merken, dass das gar nicht sein Ding ist.
00:14:42
Besonders problematisch ist für ihn, dass es so viele unterschiedliche Meinungen und Ansichten gibt.
00:14:48
Johann braucht Orientierung, Dinge, auf die er sich verlassen kann, sowie Zahlen.
00:14:52
Für IT hatte sich Johann auch begeistert.
00:14:56
Doch zu Hause hatte er stets eingetrichtert bekommen, dass man das zu Ende bringt, was man angefangen hat.
00:15:01
Dass Johann in dieser Zeit viele Zweifel hat, muss er mit sich selbst ausmachen.
00:15:06
Mit seinen Eltern darüber sprechen kann er nicht, weil die kein Verständnis für ihn haben
00:15:09
und Freunde oder Freundinnen hat er nicht.
00:15:12
Auch in der Uni findet er keinen Anschluss, hat keine Lerngruppe und geht auch nicht zu Partys.
00:15:17
Der Kokon seiner Familie umgibt ihn selbst auf dem Unicampus.
00:15:22
Der blasse, großgewachsene, schlachsige Johann mit den rotblonden Haaren steht immer alleine da.
00:15:27
Wenn er nach der Uni nach Hause kommt, wartet sein Vater bereits am Tor auf ihn, um ihn zu öffnen und ihn ins Haus zu lassen.
00:15:34
Einen eigenen Schlüssel hat Johann auch mit Mitte 20 noch nicht.
00:15:38
Danach steigt er die Treppenstufen hoch bis unters Dach, wo sein Zimmer direkt neben dem seiner Eltern liegt.
00:15:44
Mehrere Jahre studiert Johann, bis Jura für ihn nur noch Qual ist.
00:15:50
Er kann das nicht mehr und er will es auch nicht mehr.
00:15:54
Doch dies seinen Eltern mitzuteilen, dafür fehlt ihm einfach der Mut.
00:15:57
Nicht auszumalen, was sie ihm für Vorhaltung machen würden.
00:16:00
Als Johann bereits im 17. Semester ist und sich die beiden immer nachdringlicher nach dem Stand erkundigen, beginnt er zu lügen.
00:16:07
Ein Forschungsgutachten zum Thema Bürgerkarte müsse er noch machen, beruhigt er seine Eltern.
00:16:12
Und im Januar 2009 freuen sie sich über das angeblich bestandene Staatsexamen.
00:16:17
Die Freude ist so groß, dass schon die nächsten Pläne geschmiedet werden.
00:16:21
Ein Doktortitel würde Johann gut zu Gesicht stehen.
00:16:24
In der ehemaligen DDR war man nach dem Studium Diplom-Jurist.
00:16:28
Das finden Doreen und Heiko hatte sich besser angehört als die heutige Bezeichnung Volljurist.
00:16:33
Sie würden anderen lieber erzählen, dass Johann auch promoviert habe.
00:16:37
Doreen war vor dem Mauerfall als Diplom-Ingenieurin für chemische Technologie tätig,
00:16:42
hatte aber nach der Wende nur noch Jobs bekommen, die ihr durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zugeteilt wurden.
00:16:47
Mittlerweile arbeitet sie gar nicht mehr.
00:16:50
Heiko war damals Kessel- und Behälterbauer, hatte nach der Wende dann eine Umschulung zum kaufmännischen Sachbearbeiter gemacht,
00:16:56
aber nie in dem Beruf gearbeitet.
00:16:58
Bis man ihn 1995 kündigte, war er in einem Baumarkt tätig.
00:17:03
Dass ihnen die berufliche Anerkennung vorenthalten blieb,
00:17:07
wollten Heiko und Doreen nun durch ihren Sohn wettmachen.
00:17:10
Und dem kann Johann einfach nicht gerecht werden.
00:17:13
Schon gar nicht, nachdem sie denken, er habe sein Staatsexamen bereits in der Tasche
00:17:18
und unbedingt die Urkunde sehen wollen, an die er ohne Abschluss nicht rankommt.
00:17:22
Johanns Lügengerüst beginnt langsam in sich zusammenzufallen.
00:17:26
Er hatte versucht, sich damit vor den nervigen Fragen und der hohen Erwartungshaltung seiner Eltern zu schützen
00:17:31
und sich damit letztlich selbst in eine Sackgasse manövriert.
00:17:35
Den ganzen grauen November lang ist Johann antriebslos, schläft schlecht und ist nervös, weil er keinen Ausweg aus der Misere findet.
00:17:43
Bis er diesen in einem Obstmesser aus dem Kaufland sieht und nach dem Suizidversuch schließlich seinen Eltern doch gestehen muss,
00:17:51
dass er das Staatsexamen noch gar nicht hat und das Studium abbrechen will.
00:17:55
Als Johann gemeinsam mit seinen Eltern am 27. November zurück nach Hause nach Rathenow kommt
00:18:01
und sein Vater wie jeden Tag das Gartentor öffnet, steht bereits fest, was von den Nachbarn geheim gehalten werden soll.
00:18:07
Studienabbruch und Suizidversuch.
00:18:11
So wenig Kontakt die Mäsche des Haben, so wichtig ist ihnen, was die von der Familie halten.
00:18:17
Der Kokon, in dem sie sich verschanzen, soll nach außen schön anzusehen sein, auch wenn es ihnen schon lange vermodert.
00:18:24
Mein Vater hat sich im Krieg erschossen.
00:18:27
Bei ihm hat es wenigstens geklappt.
00:18:29
Es gibt nicht viele Momente, in denen Vater Heiko das Wort an sich reißt.
00:18:34
Eigentlich ist er der Devote, doch jetzt ist die Enttäuschung über Johann offenbar zu groß.
00:18:39
Das hat gesessen.
00:18:41
In den nächsten Tagen kriegt Johann zu spüren, für was für einen Versager seine Eltern ihn halten.
00:18:46
Geschrien wird im Hause Mäschede nicht, das macht es aber nicht besser.
00:18:50
Die Stille ist laut genug und sie zieht sich über Wochen.
00:18:53
Im Dezember kommt für Doreen die Zeit, in der sie die Weihnachtsdeko auspackt und das Haus festlich schmückt.
00:19:00
Doch dieses Jahr nicht.
00:19:01
Dieses Jahr ist Doreen nicht zum Feiern zumute und deswegen wird kurzerhand beschlossen, Weihnachten ausfeiern zu lassen.
00:19:08
Kein Weihnachtsstern, kein Adventskranz, nicht mal ein Weihnachtsbaum will sie im Haus sehen.
00:19:13
Auch der gemeinsame Geburtstag von Johann und Heiko im April 2010 wird nicht gefeiert.
00:19:18
Die Gespräche werden immer weniger, dafür die Kontrolle mehr.
00:19:22
Damit sich Johann nicht nochmal etwas antut, haben die beiden ihren Sohn jetzt noch mehr im Auge.
00:19:27
Immer ist jemand in der Nähe.
00:19:29
Trotzdessen schafft Johann sich langsam wieder etwas aufzuraffen und ein bisschen Antrieb zu bekommen.
00:19:35
Über die dekorationslosen Weihnachtsfeiertage setzt er sich hin, um seine Bewerbungsunterlagen fertig zu machen.
00:19:40
Nach einem Gespräch mit einer Psychologin hatte er sich vorgenommen, es mit einem Fachhochschulstudium bei der Finanzverwaltung zu versuchen.
00:19:47
Das ist ja, als würde man den UEFA-Pokal mit der Champions League vergleichen, ist Doreens Reaktion darauf.
00:19:54
Ein Studium zweiter Klasse, nicht mal auf einer Universität.
00:19:59
Rechtsanwalt wäre ein ehrenvoller Beruf gewesen.
00:20:01
Sinnlos sei das alles.
00:20:03
Johanns Zukunft sähe düster aus.
00:20:05
Doch diesmal knickt Johann nicht ein.
00:20:08
Nachdem er im Februar gut durch ein schriftliches Auswahlverfahren in Hamburg kommt,
00:20:11
wird er am 10. Juni 2010 zu einem BewerberInnentag eingeladen.
00:20:15
Da soll Johann bei Gruppen und Einzelgesprächen nochmal zeigen, was er kann.
00:20:20
Endlich etwas, worauf er sich freut.
00:20:22
Es ist der 9. Juni, einen Tag vor dem Bewerbungstag.
00:20:27
Johanns Wecker hatte heute schon um 7 Uhr geklingelt, weil er den frühen Zug von Rathenow nach Hamburg nehmen
00:20:32
und dann eine Nacht dort bleiben will.
00:20:34
Nachdem Johann sich aus dem Bett schält und die Treppe runter zur Küche läuft,
00:20:38
in der sein Vater bereits am Frühstückstisch sitzt, gesellt der sich zu ihm.
00:20:41
Heikos Laune ist im Gegensatz zu der seines Sohnes mal wieder betrübt.
00:20:46
Johann könne sich den Weg nach Hamburg eigentlich sparen, denn es würde sowieso nichts dabei herauskommen,
00:20:52
motzt Heiko und beschwert sich darüber, dass er deswegen heute so früh aufstehen musste.
00:20:57
Die beiden hatten abgemacht, dass Heiko Johann zum Bahnhof fährt.
00:21:00
Obwohl man die Anspannung zwischen den beiden förmlich spüren kann, will Johann sich die Freude nicht nehmen lassen.
00:21:06
Er hofft fest auf eine Zusage von der Finanzverwaltung.
00:21:10
Den Zug um 9.02 Uhr schafft er an diesem Morgen allerdings nicht.
00:21:15
Stattdessen nimmt er einen späteren.
00:21:17
Am nächsten Tag ist Johann schon eine Stunde vor dem Termin am Gänsemarkt in Hamburg vor der Finanzverwaltung.
00:21:22
Eine schriftliche Aufgabe, ein Interview, dann Gruppengespräche, ein Einzelgespräch und ein kurzer Vortrag.
00:21:29
Um 12 Uhr ist Johann damit durch.
00:21:31
Als Johann an diesem Tag gegen 18 Uhr aus Hamburg zurückkommt, hat er ein gutes Gefühl.
00:21:36
Allerdings wird seine Stimmung ein wenig von dem getrübt, was ihn gleich zu Hause erwartet.
00:21:40
Johann öffnet das Tor zum Grundstück.
00:21:43
Als er die Haustür aufschließt, ist es still in der Doppelhaushälfte.
00:21:47
Gegen 19 Uhr hat Johann die Finanzverwaltung in Hamburg an der Strippe.
00:21:51
Das Ergebnis des BewerberInnentages steht fest.
00:21:55
Johann ist enttäuscht.
00:21:57
Er hatte wirklich auf diesen Job gehofft.
00:21:59
Gegen Abend legt er sich auf die Couch im Wohnzimmer und schläft dort ein.
00:22:03
Oben in seinem Zimmer kann er nicht schlafen.
00:22:06
Der Leichengeruch ist zu stark.
00:22:09
Einen Tag vorher, zurück am Frühstückstisch, kurz bevor Johann nach Hamburg fahren will.
00:22:14
Weil es draußen so warm ist, will er eine Kühlbox mit auf die Reise nehmen.
00:22:19
Diese und die Kühlakkus dazu befinden sich im Keller.
00:22:22
Der schlecht gelaunte Heiko muss da eh hin, weil heute Kartoffelsalat auf dem Essensplan steht
00:22:27
und die Kartoffeln auch unten gelagert werden.
00:22:30
Mit einer Schüssel unter dem Arm und einem Küchenmesser für den Kartoffelsack
00:22:34
steigt Heiko die Treppenstufen hinab.
00:22:38
Hier unten gibt es mehrere Kellerräume,
00:22:41
deren Regale mit etlichen Konservendosen und anderen Vorräten gefüllt sind.
00:22:45
Die Mesche des Horten.
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Nachdem Heiko Schüssel und Messer im ersten Kellerraum, wo sich die Kartoffeln befinden,
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ablegt und weiter Richtung zweiten Kellerraum mit der Wäschestation und Kühltruhe geht,
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hört Johann seinen Vater vor ihm wiederum maulen, dass er sich das Theater heute wirklich sparen könne,
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dass alles sei eh sinnlos.
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Und da kann Johann dann nicht mehr.
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Es ist immer die gleiche Leier, die wie bei einem kaputten Tonband immer wieder abgespielt wird.
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Versager, das bringt eh nichts, Enttäuschung.
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Johann will einfach nur auf Stop drücken.
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Und da sieht er das Messer neben der Schüssel liegen, das seine Eltern normalerweise zum Kartoffelschälen benutzen.
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Er greift es sich und sticht damit seinem Vater in den Rücken.
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Heiko sackt zusammen, fällt nach vorne auf sein Gesicht.
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Johann sticht weiter auf ihn ein.
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Er sticht, bis Heiko nichts mehr sagt und auch nichts mehr sagen kann.
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Das Blut trifft aus ihm raus.
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Es riecht intensiv.
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Johann packt seinen leblosen Vater und zieht ihn in den Wäscheraum,
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um das Blut, das aus ihm sickert, mit schmutzigen Klamotten zu bedecken.
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Auf Johanns Haut legt sich ein nasser Film aus Schweiß.
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Dann steigt er die Kellertreppe wieder hoch und zieht seine durchschwitzten Klamotten aus
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und wäscht sich mehrmals.
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Doch der Seifengeruch kann den Blutgeruch, den Johann in der Nase hat, nicht überdecken.
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Er ist spät dran.
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Er will trotzdem zu dem Vorstellungsgespräch.
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Also macht er sich auf in das Obergeschoss, um sein Handy zu holen.
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Im Schlafzimmer seiner Eltern bewegt sich etwas.
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Doreen ist wach.
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Ob er sich jetzt auf den Weg mache, will sie wissen.
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Johann bejaht, ohne ein Wort darüber zu verlieren, was eben unten im Keller passiert ist.
00:24:23
Das koste nur Geld, antwortet Doreen.
00:24:26
Da ist es wieder.
00:24:28
Das Band, von dem er eben noch dachte, er habe es zum Stoppen gebracht.
00:24:31
Johann dreht seiner Mutter den Rücken zu und will sich ihrer Predigt entziehen.
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Sie sei noch nicht fertig, schreit Doreen.
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Dann fällt Johanns Blick auf den Werkzeugkoffer neben der Tür.
00:24:42
Er öffnet diesen, schnappt sich den Hammer und macht kehrt.
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Er hat es ein für allemal satt.
00:24:48
Als er ins Schlafzimmer tritt, hat seine Mutter ihren Blick Richtung Fenster gerichtet.
00:24:53
Sie sieht nicht, wie sich Johann ihr mit dem Hammer in der Hand nähert.
00:24:57
Dann schlägt er zu.
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Auf die Kopfseite, die ihm zugewandt ist.
00:25:01
Mindestens fünf der Schläge sind tödlich.
00:25:05
Johann wird schlecht.
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Er flüchtet sich ins Bad und übergibt sich.
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Die Bahn schafft er nicht mehr.
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Bis zur nächsten bleibt noch genug Zeit.
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Die Leichen seiner Eltern wickelt er in Abdeckplanen und klebt diese mit einem Klebeband zu.
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Die durchblutete Wäsche aus dem Keller und das Bettzeug stopft er in einen Müllsack.
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Dann macht er sich bereit.
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Als Johann diesmal das Grundstück verlässt, hat er einen Schlüssel.
00:25:29
Diesmal öffnet er das Tor zum Grundstück.
00:25:32
Als Johann am nächsten Tag aus Hamburg zurückkommt, fährt er zum Baumarkt und kauft eine Säbelsäge,
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die ihm Angebot ist, eine Lötlampe und ein paar Fässer.
00:25:42
Was macht jemand, der sich im Haus nie wirklich frei bewegen konnte und jetzt das erste Mal machen kann,
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wonach ihm der Sinn steht?
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Johann jedenfalls fährt in einen Elektromarkt und kauft sich einen neuen Fernseher.
00:25:54
Der Alte macht immer so ein nerviges Nebengeräusch und heute Abend ist das WM-Eröffnungsspiel.
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Erst ein paar Tage später legt Johann den Keller mit Folie aus und macht sich an das Zerteilen der ersten Leiche.
00:26:06
Dabei trägt er einen Malerschutzanzug und eine Mundschutzmaske.
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Die Einzelteile des Vaters legt er in einen großen Eimer und will diese danach im Ofen, im Erdgeschoss verbrennen.
00:26:15
An dieser Stelle muss ich einmal sagen, dass, wie er diesen Vorgang später schildern wird,
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selbst mich etwas fassungslos zurückgelassen hat.
00:26:26
Weil er die Stücke mit Portionsgrößen verglichen hat, als sei das so ein Gericht,
00:26:32
was er sich für die Arbeit zubereitet hat und mitnimmt oder so.
00:26:37
Das Verbrennen ist mühselig und dauert ewig.
00:26:40
Während der Ofen abends im Dauerbetrieb ist, zerteilt Johann tagsüber die Leiche seiner Mutter,
00:26:45
legt ihre Einzelteile in die gekauften Fässer und lagert die draußen im Holzschuppen ein.
00:26:50
Um den penetranten Leichengeruch zu überdecken, zündet Johann im ganzen Haus Duftteelichter an,
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was ungefähr denselben Effekt hat, als würde man versuchen, einen Waldbrand mit einem Eimer Wasser zu löschen.
00:27:01
Selbst wenn sich Johann lange in ein frisches Bad setzt, wird es nicht besser.
00:27:06
Der Geruch hat sich mittlerweile in seine Nase gefressen.
00:27:09
Die Fenster öffnet er nun nachts aus Sorge, die Schmidts von nebenan könnten etwas riechen.
00:27:14
Vier Tage lang geht das so, bis Johann an einem Sonntag am Gartenzaun auf Herrn Schmidt trifft,
00:27:20
der sich nach Heike und Doreen erkundigt.
00:27:22
Seit einigen Tagen habe er die beiden nicht mehr gesehen.
00:27:25
Johann antwortet, die beiden seien zu einer Studienkollegin seiner Mutter gefahren.
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Als Herr Schmidt sie eine Woche später immer noch nicht gesehen hat,
00:27:33
fragt er Johann erneut nach den beiden.
00:27:34
Etwas einfallslos behauptet er, die Eltern seien noch immer bei der Studienkollegin,
00:27:40
weil in deren Heimatort gerade stadtfest sei.
00:27:42
Im Haus Meschede herrscht jetzt eine andere, ungewohnte Stille.
00:27:47
Für Johann ist es neu, hier allein zu sein, seinen Tagesablauf allein zu gestalten
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und nicht auf die Launen seiner Eltern achten zu müssen.
00:27:55
Und trotzdem fühlt es sich nicht wirklich besser an, nur anders.
00:28:00
Die Schlafstörungen, die ihn schon vor der Tat nachts heimgesucht hatten,
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bringen ihn nun wieder um den Schlaf.
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Das sonst so gepflegte Grundstück der Meschede sieht mittlerweile auffallend vernachlässigt aus.
00:28:12
Die Straße vor ihrem Zugang ist nicht mehr ordentlich gefegt und das Gartentor steht oft offen.
00:28:17
Das passt gar nicht zu der sonst so verschlossenen Familie.
00:28:21
In den umliegenden Häusern hatte man auch schon lange nicht mehr die Schuppentürklappern hören,
00:28:25
die Heiko jeden Tag mindestens zweimal öffnete.
00:28:30
Wochenlang liegt diese verdächtige Stille über dem Haus,
00:28:33
bis einer aus der Nachbarschaft bei der Polizeiwache eine Vermisstenanzeige aufgibt.
00:28:37
Wenig später klingelt es bei Johann.
00:28:39
Vor ihm stehen zwei Polizeibeamte, die mit Öffnen der Tür sofort den Verwesungsgeruch einatmen.
00:28:46
Sie würden sich gerne mal auf dem Grundstück umsehen.
00:28:49
Johann lässt sie kurz gewähren, versucht sie aber danach wieder ins Haus zurückzuquatschen.
00:28:55
Die beiden entdecken den Schuppen und werden auf die verschlossenen Fässer aufmerksam.
00:29:00
Johann behauptet, dort drin seien Tannenzapfen gelagert.
00:29:04
Unwahrscheinlich, befinden die Beamten und machen sich weiter daran zu schaffen, bis Johann sie unterbricht.
00:29:10
Sie sind tot. Können wir jetzt reingehen?
00:29:13
Zweifacher Totschlag oder Doppelmord.
00:29:16
Darüber soll das Landgericht Potsdam im Januar 2011 entscheiden.
00:29:21
Johann hatte schon auf dem Polizeirevier die Tat in allen Einzelheiten geschildert und wiederholt jetzt seine Angaben vor Gericht.
00:29:28
Und die decken sich mit den kriminaltechnischen Untersuchungen und den Beweisen, die man im Haus und im Schuppen gefunden hat.
00:29:34
Es geht im Verfahren also nur um die rechtliche Würdigung und darum, ob Johann bei der Tat schuldfähig gehandelt hat.
00:29:40
Neben seinem Verteidiger wirkt Johann auf der Anklagebank ein wenig, als wäre er in sich zusammengefallen.
00:29:46
Wenn er spricht, dann leise. Und wenn er fertig ist, geht sein Blick wieder nach unten.
00:29:51
Wenn gleich man im Gerichtssaal geschockt ist von der Brutalität der Tat, macht sich dennoch ein Hauch von Verständnis breit.
00:29:57
Der psychologische Gutachter, dem sich Johann vorher geöffnet hat, spricht davon, dass es bei Johann keine Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben gab.
00:30:04
Das Verhalten seiner Eltern habe maßgeblich zur Bildung einer Charakterstörung beigetragen.
00:30:09
Er habe eine erhebliche emotionale Kühle und Distanz und Schwierigkeiten, Gefühle wie Ärger, bewusst zu erleben.
00:30:16
Johann leider unter einer schizoid-zwanghaften Persönlichkeitsstörung, die ihn allerdings nicht in seiner Impulskontrolle beeinträchtige.
00:30:24
Was Johann zu seiner Tat getrieben hat, ist kein dunkles Mysterium.
00:30:28
Im Grunde ist es recht einfach.
00:30:30
Schwierige Kindheit plus Provokation der Eltern ist in diesem Fall gleich Tötungsdelikt.
00:30:35
Eine simple Gleichung, hinter der ein ganz persönliches Schicksal steckt.
00:30:39
Die aufgerufenen ZeugInnen berichten von vielen Auffälligkeiten in der Familie.
00:30:44
Als Johann noch ein Baby war, sei er von seiner Mutter im Garten unter einem Baum abgestellt worden.
00:30:50
Dort schrie er so lang, bis es die Nachbarn kaum mehr ertragen konnten.
00:30:53
Sowohl das Geschrei, als auch die Tatsache, dass der Junge einfach so alleine dagelassen wurde.
00:30:58
Sie berichten, dass man die Familie in der Gegend nicht wirklich mochte,
00:31:02
dass Heiko und Doreen schnell die Polizei riefen, wenn ihnen was nicht passte,
00:31:05
dass sie einfach sonderlich waren und davon, wie das Ehepaar sich und seinen Sohn abgeschottet habe.
00:31:12
Die drei verließen meist gemeinsam das Haus.
00:31:14
Die Mutter war Herrscherin über das Leben von Heiko und Johann.
00:31:17
Ihr Sohn hatte immer alles getan, was sie ihm auftrug.
00:31:21
Er hatte das Studium nach ihren Wünschen angefangen und auch aufgehört,
00:31:25
die Fahrstunden für einen LKW-Führerschein zu besuchen,
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als sie urteilte, LKW zu fahren sei kein angemessener Nebenjob für Johann.
00:31:32
Für ihn war die Tötung sowas wie ein Befreiungsschlag.
00:31:36
Ein Befreiungsschlag, der ihnen jetzt für sehr lange Zeit die Freiheit kosten wird.
00:31:41
Lebenslang, lautet das Urteil des Landgerichts.
00:31:44
Ein Schuldspruch, mit dem selbst die RichterInnen hadern.
00:31:48
Wegen unserer Gesetze habe das Urteil nicht anders ausfallen können, so das Gericht.
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Heimtückisch sei Johann vorgegangen, als er seinem Vater das Messer von hinten in den Rücken gerammt
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und als er seine Mutter von hinten mit einem Hammer erschlagen habe.
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Für die Rechtsprechung ließ das keinen Spielraum,
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auch wenn die Tat laut des Vorsitzenden durchaus nachzuvollziehen sei.
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Einer der traurigsten Fälle, mit denen wir es hier je zu tun hatten, sagt er
00:32:14
und übergibt Johann damit der Strafvollstreckung.
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Johann war 29 Jahre alt.
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Er hatte Geld angespart und auch den Intellekt und die Fähigkeiten dazu,
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seinen Eltern den Rücken zuzukehren.
00:32:24
Er hätte sich ein eigenes Leben aufbauen können,
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wenn er sich getraut hätte, aus dem Kokon auszubrechen.
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Stattdessen nutzte er die Chance, als seine Eltern ihm den Rücken zukehrten
00:32:34
und erschlug sie und riss damit auch die Mauer ein, die die Familie umgab.
00:32:39
In den nächsten Jahren werden Johann andere Mauern umgeben,
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solche aus Eisen und Stahl.
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Nach außen hin mögen die unüberwindbarer wirken,
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als jene, hinter denen Johann vorher gelebt hatte.
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Aber vielleicht findet er hier eine andere Art von Freiheit,
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die er die 29 Jahre zuvor nicht hatte.
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Also mich regt es wirklich auf, wie diese Mutter ja vor allen Dingen dachte,
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sie kann über das ganze Leben ihres Sohnes entscheiden
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und ihm aufzwingen, was sie gerne hätte.
00:33:14
Also man kann ja sich irgendwas für sein Kind wünschen,
00:33:17
aber man kann doch nicht, wenn er sagt, er würde gerne Medizin studieren,
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sagen, nee, du machst jetzt Jura.
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Vor allen Dingen Jura, das ist ja auch noch so ein,
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also wirklich, das musst du ja mögen,
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dass du dich da durchquälst durch diese Jahre.
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Aber vor allem Medizin ist ja auch ein toller Studiengang.
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Also und da kann man ja auch tolle Sachen mitmachen später.
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Deswegen, also das muss man ja auch erst mal begreifen.
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Wie kann man denn so verquer sein?
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Ich finde sowieso diese Eltern, die so in ihren Kindern das verwirklichen,
00:33:50
was sie selber wollen oder wollten für sich, immer ganz schwierig.
00:33:54
Wie diese Stage-Moms, die ihre kleinen Kinder halt so herrichten
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und so als Mini-Models irgendwie rausbringen wollen.
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Sowieso Models und SchauspielerInnen, die noch ganz, ganz jung sind
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oder als Kinder, da muss man sich ja fragen,
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welches Kind kommt da alleine aufzunehmen.
00:34:16
Ich habe immer noch...
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Ja, aber deine Mutter muss, also deine Eltern müssten ja auch Ja sagen.
00:34:21
Ja, ja, aber weil du gerade meinst, welches Kind kommt da alleine drauf.
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und also ich wollte immer eines der Kinder in den Magazinen sein,
00:34:30
weil ich dachte, man darf die Klamotten dann machen.
00:34:31
Hat aber nicht geklappt, war nicht süß genug.
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Aber wir waren sogar mal bei so einer Modelagentur dann auch.
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Ja, bei dir hat es aber geklappt.
00:34:44
Aber viele Jobs hatte ich auch nicht.
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Nee, aber es gibt ja tatsächlich, wie in diesem Fall, halt eben Eltern,
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die ihren Kindern das aufzwingen.
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Egal, ob sie das jetzt gut finden oder nicht.
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Und solche Eltern nennt man Tiger Parents.
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Und geprägt hat den Begriff die an der Uni Yale unterrichtende Juraprofessorin Amy Chua.
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Chua ist US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln,
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hat in Harvard mit Auszeichnung abgeschlossen.
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Ihre Schwester ist Medizinprofessorin in Stanford.
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Und die andere Schwester hat bei den Special Olympics zwei Goldmedaillen im Schwimmen gewonnen.
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Also viele Überfliegerinnen.
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Und das sollen auch ihre beiden Töchter werden.
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Und in ihrem Buch Battle Him of a Tiger Mother
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schreibt Chua darüber,
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wie die chinesische Kultur ihren eigenen Erziehungsstil beeinflusst hat.
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Ihre zwei Töchter dürfen nämlich gar nicht fernsehen,
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keine Computerspiele spielen,
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nicht bei anderen übernachten
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oder sich mit anderen überhaupt verabreden zum Spielen.
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Und außerdem dürfen sie auch keine Note schlechter als eine Eins mit nach Hause bringen.
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Chua meint, dass diese strengen Regeln im chinesischen Raum so üblich sein
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und auch da einen hohen Stellenwert haben.
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Das ist ja auch so.
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Aber sie lacht über, in Anführungszeichen, westliche Mütter.
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Und in Anführungszeichen, weil sie damit eigentlich alle Mütter meint,
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die so Hands-off-Erziehungsstile haben und nicht so streng sind.
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Und über die lacht sie, wenn die meinen, es sei streng,
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wenn ihr Kind eine halbe Stunde am Tag ein Instrument lernen soll.
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Weil für chinesische Mütter ist die erste Stunde der leichte Teil, schreibt sie.
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Was meint die dann mit die erste Stunde?
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Na, dass die dann drei oder vier Stunden üben, die Kinder am Tag.
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Ach so, oh Gott.
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Chinesische Mütter ist übrigens auch der Ausdruck, den sie benutzt für diese Art der Erziehung.
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Also die müssen auch nicht unbedingt aus China kommen.
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Als Chua's Tochter Sophia einmal zweite wird bei einem Mathe-Test,
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sorgt sie dafür, dass das nie wieder passiert.
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Wie kann sie nur?
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Und wenn ihre Kinder nicht so abliefern, wie sie das erwartet,
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dann droht sie damit, die kommenden Geburtstage ausfallen zu lassen.
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Also hier sehen wir auch eine schöne Parallele zu Johann.
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Und ihnen das Puppenhaus wegzunehmen und das zu verschenken.
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Und außerdem beschimpft sie ihre Töchter manchmal als Müll.
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Das sei eine wirksame Erziehungsmethode.
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Immerhin haben sie ihre Eltern früher auch so genannt.
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Und aus ihr sei ja was geworden.
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Also, ich kann das gar nicht glauben.
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Dass sie das auch noch so feiert.
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Wie peinlich muss man oder wie verstrahlt muss man eigentlich sein,
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dass man das auch noch dann so feiert und anderen Leuten quasi zeigt,
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wie man es quasi machen soll, damit aus jeder einzelnen Tochter so ein Überflieger wird
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oder eine Überfliegerin vielleicht auch, obwohl sie das gar nicht wollen.
00:37:40
Und nur weil ihr das jetzt offenbar gefallen hat, weiß ich jetzt nicht,
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muss sie ja jetzt nicht das einfach auf ihre Kinder übertragen,
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ohne zu wissen, ob das auch was für die wäre.
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Also, muss man nicht, sollte man nicht auch ein bisschen mal hören, ob das den Kindern irgendwie auch Spaß macht oder nicht?
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Ich weiß aber, bei ihr war es ja auch nicht so.
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Deswegen kann sie ja für sich selber vielleicht gar nicht, wahrscheinlich wird sie ihr Leben jetzt feiern.
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Aber sie hatte ja die Entscheidung nie, ob das für sie gut ist oder schlecht und was für eine Konsequenz sie dann daraus ableiten würde.
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Sondern das war ja klar, sie wird eine Überfliegerin und das ist sie am Ende auch geworden.
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Und ja, am Ende ist sie jetzt der Meinung, irgendwie das war auch gut so,
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weil sie ist ja offenbar nicht so unglücklich in dem.
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Aber wahrscheinlich leitet sie daraus ab, dann wird das für meine Töchter ja genauso sein.
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KritikerInnen meinen aber, dass halt dieser Erziehungsstil natürlich keine Rücksicht auf soziale oder emotionale Entwicklung des Kindes nimmt.
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Und die auch ständig in Angst leben, weil die halt Angst haben, was falsch zu machen.
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Und sie seien außerdem auch abhängiger, weil sie halt sehr lange unter den strikten Anleitungen der Eltern leben müssen.
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Und sie hätten so auch ein höheres Risiko, bei sozialen Kontakten auf der Strecke zu bleiben.
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All das haben wir ja bei Johann auch gesehen.
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Und er war auch nicht in der Lage, Bewältigungsstrategien entwickeln zu können,
00:39:04
weshalb er am Ende nur noch einen Ausweg sah.
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Und das war eben, seine Eltern zu töten, nachdem er sich nicht selbst töten konnte.
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Und das ist übrigens auch eine Parallele, weil nämlich Pekinger WissenschaftlerInnen die Hintergründe von Suiziden bei SchülerInnen untersucht haben,
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also dort in der Region, und festgestellt haben, dass in 92 Prozent der Fälle Leistungsdruck und Angst vorm Versagen ein Grund dafür war.
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Auf jeden Fall sei zu sagen, diese Erkenntnisse, die Chua da gewonnen hat, die beruhen nicht irgendwie auf wissenschaftlichen Studien.
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Das ist nämlich halt eben nicht so, dass wenn Eltern Druck ausüben, am Ende aus allen Kindern erfolgreiche und schon gar keine glücklichen Erwachsenen werden.
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Auch ich habe für meine Geschichte alle Namen geändert.
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Dunkelgrauer Linoleum-Boden, holzvertefelte Decke, grüne Vorhänge.
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Das ist der Rahmen, der die kleine Hochzeitsgesellschaft umgibt.
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Mitten auf der provisorischen Tanzfläche wirbeln Mutter und Tochter zu Musik um die eigene Achse.
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Und während die Mama versucht, ihrem Kind Standard-Tanz beizubringen, kann das Mädchen nur an eines denken.
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Daran, dass ihr Gegenüber noch heute Nacht sterben soll.
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An einem kleinen Berghang etwas abseits gelegen steht sie, die pompöse Villa der Familie Briggs.
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Zwölf Zimmer auf 8000 Quadratmeter Grund, umzäunt und mit hohen Bäumen vor den Blicken anderer geschützt.
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Auch eine Alarmanlage und Überwachungskameras hängen an der weißen Fassade.
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Doch all das war offenbar nicht genug, um am Abend des 15. Juni 1997 den unerwünschten Besuch fernzuhalten.
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Als die PolizistInnen das Haus der Briggs betreten, bietet sich ihnen ein grausiger Anblick.
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Fast so wie im Horrorfilm.
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Direkt vor ihnen liegt die Leiche von Elke Briggs auf einem bunten Perser-Teppich.
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Ihr weißes Unterhemd und der helle Slip heben sich deutlich ab, vom Dunkelrot ihres Bluts, das um ihren Oberkörper verlaufen ist.
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Ein paar Meter weiter erstreckt sich der tote Körper ihres Ehemanns Reinhardt.
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Vollständig bekleidet und ebenfalls Bäuchlings auf einem Teppich.
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Im ganzen Haus ist Unordnung.
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Schubladen aufgerissen, Dokumente auf dem Boden verteilt und Klamotten aus den Schränken gezogen.
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Das typische Bild eines Raubmords und ein naheliegender Gedanke.
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Denn die Briggs sind wohlhabende, immer schick gekleidete Leute.
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Das wissen hier im nordhessischen Morschen alle.
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Geschätztes Vermögen 40 Millionen Mark.
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Reinhardt Briggs hatte als junger Mann die Firma seines Vaters übernommen.
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Erfinder des Rührfix, eines Küchengeräts aus einer Zeit, bevor die Elektrik in die Küche Einzug gehalten hatte.
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Doch noch in der Nacht wankt die Theorie des Raubmordes, als die Spurensicherung neben der Cartier-Uhr von Elke Briggs goldene Ringe im Badezimmer,
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teures Porzellan in der Küche, Ölgemälde an den Wänden und zwei BMWs in der Garage findet.
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Außerdem gibt es keinerlei Einbruchsspuren.
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Die Polizei schließt daraus, dass die Briggs ihren AngreiferInnen selbst die Tür geöffnet haben.
00:42:07
Und so wie die Frau des Hauses angezogen war, kann es sich eigentlich nur um Personen handeln, die sie gut kannten.
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Die Ermittlungen beginnen also im Umfeld des Fabrikantenehepaars und so wird noch in der Tatnacht die älteste Tochter Sarah befragt.
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Sie war es auch, die gegen 22 Uhr an diesem lauen Sommerabend die Polizei gerufen hatte.
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Die 20-Jährige mit den langen, blonden Haaren hatte sich Sorgen gemacht, weil sie ihre Eltern nicht gemeldet hatten.
00:42:32
Gemeinsam mit ihrem Freund Tino war sie schließlich zum Haus gefahren, um nach dem Rechten zu sehen.
00:42:37
Die weiße Villa hatte dunkel vor ihnen gelegen, niemand hatte ihnen geöffnet.
00:42:42
Ich glaube, hier ist etwas passiert, kommen sie schnell, hatte Sarah in ihr Handy geschrien.
00:42:46
Minuten später wurden die Leichen ihrer Eltern entdeckt.
00:42:50
Routinemäßig nach ihrem Alibi befragt, reagiert Sarah geschockt.
00:42:54
Es ist eine Frechheit, uns mit der Sache in Zusammenhang zu bringen.
00:42:57
Sie und Tino seien das ganze Wochenende in Bayern und am Sonntagabend mit ihrer Schwester kamen,
00:43:02
wegen Verdachts auf eine Blinddarmentzündung im Krankenhaus gewesen.
00:43:05
Die BeamtInnen überprüfen das Alibi am nächsten Morgen und es stellt sich als wasserdicht heraus.
00:43:12
Trotzdem wird weiter im Bekanntenkreis der Briggs-Kinder ermittelt.
00:43:15
Was die PolizistInnen dabei erfahren, lässt sie aufhorchen.
00:43:18
ZeugInnen sagen aus, Sarah habe ihre Mutter gehasst und den Kontakt schon lange abgebrochen.
00:43:24
Und die 16-jährige Carmen habe in der Schule erzählt, dass sie ihrer Mutter am liebsten ein Messer in den Rücken rammen würde.
00:43:30
Äh, was für eine weirde Pausenhof-Situation.
00:43:36
Dabei hatte doch alles so harmonisch begonnen.
00:43:42
1977 bekommen Reinhard und Elke den lang ersehnten Anruf.
00:43:47
Das sechste Kind einer sozial benachteiligten Familie ist unterwegs und die Mutter bereit, es in liebevolle Hände zu geben.
00:43:53
Die Briggs sind breiter als bereit.
00:43:55
Während das Geschäft nicht besser laufen könnte, hatte die Familienplanung von Elke und Reinhard nämlich nie an Fahrt gewonnen.
00:44:01
Zehn Jahre hatten sie es versucht, bis sie sich dazu entschieden hatten, ihrem Glück mit einer Adoption auf die Sprünge zu helfen.
00:44:07
Und jetzt gibt es die Möglichkeit, einem Kind ein besseres Leben zu bieten.
00:44:11
Und das wollen sie.
00:44:13
Sarah kommt nur einen Tag nach ihrer Geburt in ihre Mitte.
00:44:16
Zusammen mit ihr ziehen Reinhard und Elke in das neu gebaute Haus, in dem noch mehr Platz für Kinder ist.
00:44:22
Denn die Familie ist noch nicht vollständig.
00:44:24
Vier Jahre, nachdem das kleine blonde Mädchen in ihr Leben kam, meldet sich das Jugendamt erneut.
00:44:29
Eine 19-jährige Studentin ist schwanger und möchte ihr Kind zur Adoption freigeben.
00:44:34
Da das Amt weiß, dass sich die Briggs einen Jungen wünschen, wird ihnen angeboten, das Kind, sollte es ein Mädchen werden, abzulehnen.
00:44:40
Als Elke und Reinhard Monate später ins Krankenhaus fahren, ist Carmen geboren.
00:44:45
Reinhard hält das Mädchen im Arm und ist überzeugt, so ein kleines Würmchen kann man doch nicht wieder weggeben.
00:44:52
Und so kommt auch Carmen mit nach Hause.
00:44:54
Jetzt ist Familie Briggs komplett.
00:44:57
In der großen Villa hat jede Tochter ihr eigenes Reich und der Garten wird zum Spielplatz umfunktioniert,
00:45:03
samt Holzhäuschen der Villa Kunterbunt.
00:45:05
Im hauseigenen Pool können die Kinder planschen und Spielsachen gibt es für sie en masse.
00:45:09
Carmen und Sarah dürfen auch in den Sportvereinen und Instrumente spielen.
00:45:13
Es fehlt ihnen an nichts.
00:45:15
Nur an Zeit mit den Eltern.
00:45:17
Denn wie das oft bei UnternehmerInnenfamilien ist, kommt der Nachwuchs zu kurz.
00:45:22
Vater Reinhard verlässt oft schon um 5 Uhr morgens das Haus und ist auf Kundenbesuch in ganz Deutschland unterwegs.
00:45:28
Wenn er dann abends nach Hause kommt, will er am liebsten seine Ruhe.
00:45:32
Aber auch Mutter Elke ist in den Betrieb voll eingespannt und ständig gehetzt.
00:45:36
Daher kümmert sich schließlich ein Kindermädchen um die Töchter.
00:45:39
Als Sarah in die Schule kommt, entscheiden sich die Briggs dafür, ihr zu sagen, dass sie adoptiert ist.
00:45:45
Auch Schwester Carmen erfährt noch vor ihrer Einschulung davon.
00:45:48
Es ist ein Wendepunkt für die Familie.
00:45:50
Denn in den nächsten Jahren scheinen in den Mädchen erste Zweifel an der Liebe ihrer Eltern zu wachsen.
00:45:56
Ein Punkt, der hohes Konfliktpotenzial birgt, sind die schulischen Leistungen der Töchter.
00:46:01
Mutter Elke ist in der Hinsicht sehr streng mit den beiden.
00:46:04
Immer wieder gibt sie ihnen Strafaufgaben, wenn die Noten ihr nicht gut genug sind.
00:46:09
Für Sarah ist die Schule an sich kein Problem.
00:46:11
Sie ist intelligent und kann sich ohne große Anstrengungen durch Grund- und Gesamtschule manövrieren.
00:46:16
Ihr Vater setzt von Anfang an große Hoffnung in sie, was die Übernahme der Firma in der Zukunft angeht.
00:46:22
Und Sarah ist anfangs auch noch gewillt, Reinhard glücklich zu machen.
00:46:25
So erklärt sie, Werkzeugbauerin werden zu wollen, um in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten.
00:46:30
Doch der ständige Leistungsdruck wird Sarah als Teenagerin zu groß.
00:46:34
Die Streitigkeiten zwischen Mutter und Tochter nehmen zu.
00:46:37
So sehr, dass man sich dafür entscheidet, Sarah in ein Internat zu stecken.
00:46:41
In dieser Zeit distanziert sich das Mädchen immer mehr von ihren Adoptiveltern, wird ruhiger und verschlossener.
00:46:48
Als Sarah dann in der Oberstufe für eine längere Zeit nach Amerika geht, scheint das Band zu Elke und Reinhard abzureißen.
00:46:55
Ihre Gastfamilie empfindet Sarah als viel liebevoller als ihre eigene und in ihr wächst der Wunsch, ihre leibliche Familie kennenzulernen.
00:47:04
Als sie aus den USA zurückkommt, wechselt Sarah von der Gesamtschule aufs Gymnasium im Nachbardorf.
00:47:09
Dort lernt sie Tino kennen, einen Koch bei der Bundeswehr.
00:47:12
Sie verliebt sich Hals über Kopf.
00:47:15
Der 22-Jährige hat seinen leiblichen Vater ebenfalls nie kennengelernt und ist bei seinem Opa aufgewachsen.
00:47:21
Als Sarah ihren Eltern von Tino erzählt, sind die not amused.
00:47:25
Ein Koch mit Bierbauch und einem Hang zur rechten Einstellung ist nicht gerade das, was Reinhard sich für seine Älteste gewünscht hatte.
00:47:33
Und damit hält er auch nicht hinterm Berg.
00:47:36
Für Sarah ein Zeichen dafür, dass ihre Eltern sie nicht wirklich lieben können.
00:47:39
Ein Gedanke, der sich immer wieder in ihren Kopf schleicht, seitdem sie weiß, dass sie adoptiert ist.
00:47:44
Weil Tino bei den Bricks sogar Hausverbot bekommt, zieht Sarah an ihrem 18. Geburtstag zu ihrem Freund in das kleine 12-Quadratmeter-Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses von Tinos Großvater.
00:47:56
Für Elke und Reinhardt ein unhaltbarer Zustand.
00:47:59
So gibt sich Vater Bricks schließlich einen Ruck und bietet Tino an, eine Umschulung machen zu können, um danach mit Sarah zusammen in der Firma anzufangen.
00:48:06
Doch der Schwiegersohn in Spee schlägt aus und damit den letzten Nagel in den Sarg, den die Bricks bereits für ihn bereitgestellt hatten.
00:48:13
Aber mit ihm verlieren sie auch ihre älteste Tochter.
00:48:17
Denn ab jetzt meldet sich Sarah nur noch, wenn sie Geld braucht.
00:48:20
Carmen, die nun alleine bei ihren Eltern lebt, vermisst ihre große Schwester.
00:48:25
Schon immer hing das rothaarige Mädchen mit der hellen Haut an Sarah, die für sie mehr wie eine Mutter, als wie ein Geschwisterkind ist.
00:48:32
Jetzt, wo Carmen ihre einzige Verbündete im Haus verloren hatte, eskaliert die Situation zwischen Carmen und Elke.
00:48:39
Die 14-Jährige kann dem Leistungsdruck der Mutter nicht standhalten, was auch damit zusammenhängt, dass ihr die Schule viel schwerer fällt als ihrer Schwester.
00:48:47
Wenn Carmen mal wieder eine schlechte Zensur geschrieben hat, hört sie, wie ihre Mutter am Telefon gegenüber ihren Freundinnen sagt,
00:48:53
Für Elke ist die Hauptschule keine Alternative, weshalb sie ihrer faulen Tochter, in Anführungsstrichen, weiter Druck macht.
00:49:06
Während Sarah durch diese Erziehung immer ruhiger wurde, reagiert Carmen genau entgegengesetzt.
00:49:12
Sie wird immer aufsässiger, immer lauter.
00:49:14
Wenn Elke meckert, schimpft Carmen zurück.
00:49:16
Und wenn das Kindermädchen sie daraufhin zurechtweist, heißt es, das ist nicht meine Mutter.
00:49:21
Carmen hält es schon bald zu Hause nicht mehr aus.
00:49:24
Sie wendet sich in einem Brief an das Jugendamt.
00:49:26
Schreibt, meine Mutter hat versucht, uns mit Gewalt zu erziehen.
00:49:30
Als ich einmal nichts essen wollte, hat sie mir rechts und links eine gescheuert.
00:49:33
Ich konnte mit ihr nicht über meine Probleme reden.
00:49:36
Sie fing dann immer gleich an zu schreien.
00:49:38
Wäre meine Schwester nicht, hätte ich mich schon längst umgebracht.
00:49:42
Daraufhin kommt es zu einem Gespräch zwischen Carmen, Elke und einer Therapeutin.
00:49:47
Auf diese wirkt die Mutter so gefühlskalt, dass sie sich in ihrer Anwesenheit einen Mantel habe anziehen können, sagt sie später.
00:49:55
Carmen erzählt im Jugendamt aber nicht nur von Elke, sondern auch von Reinhardt.
00:49:59
Er habe sie sexuell belästigt, ihr schon mal an den Po und die Brust gefasst und sie in der Dusche beobachtet.
00:50:05
Carmen kommt daraufhin für sechs Wochen in eine Pflegefamilie.
00:50:09
Danach geht sie auf eigenen Wunsch hin wieder zurück zu ihren Eltern.
00:50:13
Für die Ermittelnden im Fall des Doppelmords ergibt sich ein Bild einer angeknacksten Eltern-Kind-Beziehung,
00:50:20
was in der Regel aber noch kein Motiv hergibt.
00:50:23
Trotzdem werden die Alibis der Töchter noch einmal überprüft.
00:50:27
Übers Wochenende waren Sarah und Tino in Bayern.
00:50:30
Dazu hatten sie sich einen BMW gemietet, waren erst in Garmisch-Partenkirchen in einem Fünf-Sterne-Hotel untergekommen,
00:50:35
danach im Bayerischen Hof in München.
00:50:38
In beiden Unterkünften wird der Soko bestätigt, dass die zwei dort waren.
00:50:42
Am Sonntag kamen sie dann gegen 16 Uhr zurück nach Morschen,
00:50:45
aßen um 16.30 Uhr bei McDonalds und holten danach Carmen von einer Freundin ab.
00:50:50
Um 18 Uhr waren die drei zusammen in der Gaststätte Krone im Nachbarort.
00:50:54
Dort bekam Carmen plötzlich Bauchschmerzen, woraufhin Sarah und Tino mit ihr ins Krankenhaus fuhren.
00:51:00
Von da aus hatte Sarah um 20.15 Uhr versucht, ihre Eltern anzurufen, doch es ging niemand ran.
00:51:05
Gegen 22 Uhr machte sie sich dann mit ihrem Freund auf zum Familienanwesen.
00:51:10
Carmen, Sarah und Tino konnten nicht die TäterInnen gewesen sein.
00:51:15
Die Ermittlenden waren die Strecke abgefahren.
00:51:18
Sie hätten einfach nicht die Zeit dafür gehabt.
00:51:21
Doch man ist sich sicher, dass sie MittäterInnen sind.
00:51:24
Beweise dafür gibt es aber nicht und somit auch keinen Haftbeschluss von der Staatsanwaltschaft.
00:51:28
Während die Soko versucht, diesen Zustand zu ändern, beantragen Sarah und Carmen ihre Erbscheine.
00:51:34
Auch in der Firma waren Sarah und Tino schon aufgetaucht,
00:51:37
hatten sich in den Chefsessel gepflanzt und sich den Mitarbeitenden als neue GeschäftsinhaberInnen präsentiert.
00:51:44
Der BMW-Händler der Familie Briggs berichtet ebenfalls von einem Besuch der ältesten Tochter.
00:51:48
Sie hatte sich nach dem neuen Cabrio der Mutter erkundigt, das sie gerne abholen würde.
00:51:53
Dann kommt der Tag der Beerdigung.
00:51:55
Bei dieser stehen Carmen und Sarah in der ersten Reihe.
00:51:59
Vor ihnen ragt der große, helle Marmorgrabstein in den Himmel.
00:52:02
Er sieht aus wie die Eingangstür der Villa der Familie, die ein Spalt geöffnet ist.
00:52:08
Es soll ein Symbol sein, erklärt Sarah, die ihn ausgesucht hatte.
00:52:12
70.000 Mark hatte der Stein gekostet.
00:52:15
Das seien sie ihren Eltern schuldig.
00:52:17
Als Inschrift hatte sich Sarah folgenden Satz ausgesucht.
00:52:22
Was jetzt schläft, erwacht auch wieder.
00:52:25
Nach Dunkelheit kommt wieder Licht.
00:52:27
Erkenne Mensch dies immer wieder, sehr dankbar und verzage nicht.
00:52:31
Nach der Trauerfeier werden Sarah, Tino und Carmen noch einmal auf die Polizeistation gebeten.
00:52:37
Während Tino den Täter im Mafia-Milieu vermutet, bleibt Sarah cool.
00:52:42
Die Soko glaubt, dass Carmen am leichtesten zu knacken sein könnte.
00:52:46
Und so wird ein Kollege vorgeschickt, der Carmen schon lange aus Morschen kennt.
00:52:49
Er spricht mit ihr unter vier Augen, bis die Teenagerin erklärt, sie habe am Tattag ihren Hausschlüssel in die Zeitungsrolle gelegt.
00:52:58
Warum hast du denn den Schlüssel in die Zeitungsrolle gelegt, fragt der Polizist.
00:53:02
Damit das passieren kann, was dann passiert ist.
00:53:05
Es ist der Durchbruch, auf den die Ermittlerinnen gewartet haben und der ihnen die Haftbeschlüsse beschert.
00:53:11
Auch wenn Carmen danach erstmal nichts mehr sagt.
00:53:13
Als Sarah mit der Aussage ihrer Schwester konfrontiert wird, bleibt sie hartnäckig und versucht weiter, die Tat zu leugnen.
00:53:20
Erst nach einer stundenlangen Vernehmung bricht sie am nächsten Tag zusammen.
00:53:25
Ja, sie hatten den Mord ihrer Eltern in Auftrag gegeben.
00:53:28
Der Entschluss dazu steht, als Carmen nach sechs Wochen in der Pflegefamilie wieder zurückkommt.
00:53:35
Denn nichts wird besser.
00:53:36
Noch schlimmer ist es geworden, seitdem Sarah ausgezogen war und Mutter Elke ihr den Kontakt zu ihr verboten hat.
00:53:43
In der Nachbarschaft fragt Carmen jetzt nach der einfachsten Methode, einen Menschen umzubringen.
00:53:47
Ihrer Freundin erzählt sie, sie würde ihrer Mutter am liebsten ein Messer in den Rücken rammen.
00:53:52
Natürlich trifft sie ihre Schwester heimlich weiter und berichtet auch ihr von ihrem Leid zu Hause.
00:53:57
Bei Sarah trifft sie damit einen Nerv.
00:54:00
Die mittlerweile 20-Jährige hat für ihre Adoptiveltern auch nur noch Hass übrig, muss sie sich doch ständig mit ihnen über Geld streiten.
00:54:07
Erst vor kurzem hatte sie über einen Anwalt durchsetzen müssen, dass ihr monatlich 500 Mark Unterhaltszahlung überwiesen werden.
00:54:13
Die Schwestern sind sich im Winter 1997 einig.
00:54:17
Die Eltern müssen weg.
00:54:18
Rund um den Jahreswechsel versuchen sie es zum ersten Mal.
00:54:23
Sarah und Tino besorgen das Mittel, Carmen kocht es in die Spaghetti der Eltern ein.
00:54:28
Doch Reinhard und Elke geben ihre Teller zurück.
00:54:31
Es schmeckt ihnen nicht.
00:54:32
Zwei Monate später übergibt Tino Carmen eine Flasche Pflanzenschutzmittel.
00:54:37
Die Soße, die Carmen damit zubereitet, schmeckt mehlig, sagt Reinhard.
00:54:41
Auch diesmal essen die Bricks das vergiftete Essen nicht auf, klagen danach nur über Bauchschmerzen.
00:54:47
Ein paar Monate später trifft Sarah in einem Einkaufszentrum auf eine alte Bekannte aus Internatszeiten.
00:54:54
Sie verkauft Krebs, als die beiden ins Gespräch kommen.
00:54:57
Die 18-Jährige erzählt, dass sie die Schule abgebrochen hatte und in die Drogenszene abgerutscht war.
00:55:02
Heute sei sie kein Junkie, würde aber ab und zu Drogen nehmen.
00:55:06
Katharina wurde auch als Baby adoptiert.
00:55:08
Ihre leibliche Mutter, eine Sexarbeiterin, wollte sie nicht haben.
00:55:12
Ein Punkt, der Sarah und Katharina verbindet.
00:55:15
In den nächsten Wochen treffen sich die beiden immer wieder.
00:55:18
Sarah erzählt Katharina auch von ihren Problemen mit den Eltern.
00:55:21
Und irgendwann fragt sie sie gerade raus, ob sie jemand in der Drogenszene kenne, der einen Auftragsmord begehen würde.
00:55:27
Zur selben Zeit hört sich auch Tino in seinem Umfeld nach einem Killer um.
00:55:32
Und er verteilt auch schon Jobs an Kollegen.
00:55:34
Einer könnte Hausmeister in der Villa werden und in der Einlegerwohnung wohnen.
00:55:39
Anfang Juni 1997 treffen sich Sarah und Katharina erneut und diesmal hat Katharina gute Neuigkeiten dabei.
00:55:46
Ich habe einen Freund, der gerade zu mir gezogen ist.
00:55:50
Der neue Freund heißt Alec und ist Security-Mann im Einkaufszentrum.
00:55:54
Auch er kommt aus zerrütteten Verhältnissen, hat sich gerade erst für Katharina von Frau und Kindern getrennt.
00:55:59
Der 22-Jährige sei der Richtige für den Job, habe er auf St. Pauli doch schon mal einen Zuhälter mit einer Pumpgun weggepustet.
00:56:07
Es kommt also zu einem Treffen zu viert.
00:56:10
Sarah, Tino, Katharina und Alec.
00:56:12
Es geht um Geld.
00:56:13
Am Ende einigen sie sich darauf, dass Katharina und Alec 5% des Erbes erhalten sollen.
00:56:18
Mindestens aber 2 Millionen Mark.
00:56:20
Die Paare überlegen sich auch schon, wie das Vermögen bestmöglich eingesetzt werden kann.
00:56:25
Ein gemeinsames Restaurant mit Disco auf Mallorca.
00:56:28
Das ist immer eine gute Idee.
00:56:32
Sarah und Tino schauen kurz darauf auch schon mal nach Angeboten auf der Ferieninsel.
00:56:36
Am 12. Juni meldet sich Sarah dann noch einmal bei ihren Eltern.
00:56:41
Sie möchte, dass ihre Sparbücher ausbezahlt werden, denn das Geld wird knapp.
00:56:45
Doch Elke ist dagegen.
00:56:46
Sie stellt Sarah vor die Wahl.
00:56:48
Tino oder die Firma.
00:56:50
Ihre Eltern würden nämlich bald in den wohlverdienten Ruhestand gehen wollen.
00:56:53
Und wenn Sarah sich nicht für die Firma entscheide, werde das Unternehmen nach dem Tod der Eltern in eine Stiftung überführt und Sarah nur ihren Pflichtanteil erben.
00:57:02
Fünf Tage gibt Elke ihr Bedenkzeit.
00:57:05
Damit ist ihr Todesurteil gesprochen.
00:57:08
Denn Sarah will jetzt keine Zeit mehr verlieren.
00:57:10
Und so wird der Mord auf den 14. Juni datiert.
00:57:13
An dem Abend positioniert sich Alec mit einem Gewehr auf dem Dach der Weißen Villa.
00:57:18
Währenddessen ist Carmen mit ihrer Mutter auf einer Hochzeitsfeier ganz in der Nähe.
00:57:22
Sie schwingen auf dem grauen Linoleum-Boden das Tanzbein und Vater Reinhard erholt sich zu Hause von einer Nasen-OP.
00:57:28
Doch als Mutter und Tochter gegen zwei Uhr nachts nach Hause kommen, passiert nichts.
00:57:33
Alec hatte den Auftrag abgebrochen, nachdem eine Polizeistreife am Haus vorbeigefahren war.
00:57:38
Ein Plan B muss her und die Tat auf den nächsten Tag verlegt werden.
00:57:42
An diesem Sonntag sind Tino und Sarah auf dem Rückweg von Bayern.
00:57:46
Sie melden sich bei Carmen und erklären ihr, dass sie die Alarmanlage ausschalten und den Haustürschlüssel in der Zeitungsrolle vor dem Haus hinterlegen soll.
00:57:53
Carmen tut, wie ihr geheißen.
00:57:57
Es ist noch früh an diesem Abend und Reinhard mit seinem Auto in der großen Einfahrt der Villa beschäftigt, als Alec und Katharina auf das Grundstück treten.
00:58:04
Von ihrem Opfer überrascht geben die beiden vor, eine Autopanne gehabt und ihr Handy vergessen zu haben.
00:58:10
Ob sie mal kurz telefonieren dürften?
00:58:13
Selbstverständlich entgegnet der Mann mit den angegrauten Schläfen und dem freundlichen Gesicht.
00:58:18
Katharina und Alec trotten hinter dem 58-Jährigen her.
00:58:21
Nachdem dieser ihnen gezeigt hat, wo das Telefon steht, wählt Alec eine Nummer und tut so, als würde er telefonieren.
00:58:27
Als er auflegt, dreht Reinhard Briggs ihm gerade seinen Rücken zu.
00:58:31
Jetzt zieht Alec sein Messer und greift den Mann von hinten an.
00:58:35
Reinhard wehrt sich verzweifelt, beißt Alec sogar in die Hand.
00:58:39
In dem Moment kommt die Frau des Hauses die Treppe hinunter und fängt an zu schreien.
00:58:43
Elke Briggs versucht zur Tür zu kommen, doch Katharina hält sie mit ihrem Messer in Schach.
00:58:48
Als Reinhard schließlich blutend in sich zusammen sagt, kommt Alec Katharina zu Hilfe.
00:58:52
Elke schreit laut nach ihrer Tochter Carmen, bis Alec auch ihr die Kehle durchschneidet.
00:58:58
Nach der Tat schleichen die zwei durchs Haus und reißen Schubladen auf durch Wühlenschränke und stecken sich 4000 Mark Bargeld ein.
00:59:05
Weil Alecs Klamotten voller Blut sind, holt Katharina aus dem Schlafzimmer eine Hose, die Reinhard gehört.
00:59:10
Auch ein Mantel von Boss wirft Alec sich über.
00:59:13
Seine blutverschmierte Kleidung packt er in eine Tasche.
00:59:16
Dann verlassen er und Katharina gemeinsam das Haus.
00:59:19
Die Messer werfen sie auf ihrem Heimweg in die Fulda, die Klamotten verbrennen sie auf dem Grill.
00:59:24
Danach setzen sie sich zu Hause vor den Fernseher und schauen Tatort.
00:59:28
Am 28. Januar 1998 beginnt der Prozess vor dem Kasseler Landgericht.
00:59:34
In dem großen, holzvertefelten Saal sitzen fünf junge Menschen dem Richterpult gegenüber.
00:59:38
Allesamt nicht vorbestraft, aber jetzt angeklagt wegen Mordes aus Habgier.
00:59:43
Für ein sorgenfreies Leben und eins ohne Eltern hätten sich Sarah und Klam für einen Auftragsmord entschieden, so die Staatsanwaltschaft.
00:59:51
Katharina und Alec hätten sich blenden lassen vom potenziellen Reichtum und seien deshalb in der Lage gewesen, zwei Menschen zu töten.
00:59:58
Vor Gericht ist von der Geschwisterliebe zwischen Sarah und Klam nichts mehr zu spüren.
01:00:03
Über ihre Anwälte beschuldigen sie sich gegenseitig, die Initiatoren der Morde gewesen zu sein.
01:00:08
Von Reue merkt man auch nichts.
01:00:10
Was das Motiv angeht, versuchen natürlich alle das Mordmerkmal der Habgier zu leugnen, um aus dem Mord einen Totschlag zu machen.
01:00:18
Eigentlich hätten nämlich alle irgendwie aus Liebe gehandelt, behaupten sie.
01:00:23
So erklärt Alec, dass er angeblich aus Zuneigung zu seiner Freundin Katharina zur Tat schritt.
01:00:29
Tino erklärt, er habe aus Angst, seine Freundin Sarah zu verlieren mitgemacht und Sarah beteuert nur, ihre Schwester von den furchtbaren Eltern befreit haben zu wollen.
01:00:38
Carmen sagt gar nichts und lässt über ihren Verteidiger übermitteln, dass sie die Tat gar nicht wirklich gewollt habe und von ihrer Schwester genötigt worden sei.
01:00:46
Sarah habe ihr gedroht, wenn sie den Schlüssel nicht bereitlege, würde noch ein dritter Mord in Auftrag gegeben.
01:00:52
Katharina ist die Einzige, die dazu steht, dass Habgier das Motiv war.
01:00:57
Allen, so sagt sie, ist es um das erhoffte Millionenerbe gegangen.
01:01:01
Am Ende glaubt das Gericht Katharina und es ist sich auch sicher, dass Carmen, Sarah und Tino nicht das erste Mal versucht hatten, das Ehepaar Bricks zu töten.
01:01:09
Daher werden die drei wegen versuchten Mordes aus Habgier und wegen Mordes aus Habgier verurteilt.
01:01:15
Carmen zu sieben Jahren und zehn Monaten und Sarah, die vom Gericht als Haupttäterin angesehen wird, zur Höchststrafe im Jugendstrafrecht von zehn Jahren.
01:01:25
Zugunsten von Carmen spricht außer ihrem Alter nichts.
01:01:28
Sarah ging es nur noch um die eiskalte Durchsetzung ihrer Interessen.
01:01:32
Genau das, was sie ihrer Mutter immer vorgeworfen hat, so der Richter in seiner Urteilsbegründung.
01:01:37
Sarahs Freund Tino wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und Alec, der selbst zur Waffe griff, bekommt lebenslang mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
01:01:47
Katharina erhält die geringste Strafe von sieben Jahren.
01:01:50
Sie hat als Einzige von Anfang an die Dinge geschildert, wie sie waren.
01:01:53
Ein rückhaltloses Geständnis ist für einen jungen Menschen ein unglaublich guter Anfang, erklärt der Vorsitzende.
01:02:00
Das Motiv bei allen sei Hartgeek gewesen.
01:02:03
Am Ende schließt der Richter aber, eine Frage konnten wir nicht beantworten.
01:02:08
Wie konnte es dazu kommen?
01:02:11
Ach, es ist irgendwie so gemein für alle.
01:02:14
Die Eltern haben sich Kinder erhofft, dann zwei adoptiert, die sie nachher getötet haben.
01:02:20
Und ich weiß jetzt natürlich nicht, wie die Eltern, ob die jetzt wirklich schlimm waren oder die wirklich darunter gelitten haben, ob der Vater wirklich übergriffig war.
01:02:31
Wenn er das gewesen sein soll, dann ist es halt auch fies für zwei Kinder, die irgendwie von ihrer Familie nicht gewollt werden, in so eine gegeben zu werden.
01:02:40
Ja, also das Jugendamt war nicht der Meinung und das Gericht jetzt auch nicht.
01:02:46
Weil die Carmen das über ihren Verteidiger auch nochmal gesagt hat, dass der Vater das getan hat.
01:02:52
Aber das Gericht hat keine Hinweise darauf gefunden.
01:02:56
Ich finde es halt auch nicht so klar, wie jetzt in deinem Fall irgendwie.
01:03:01
Weil hier kam ziemlich doll rüber, dass die Sarah, also das ist ihr ziemlich klar, nur ums Geld gegangen ist die ganze Zeit.
01:03:11
Und ich meine, sie hat sich ja auch von ihren Eltern befreit, wenn das jetzt wirklich auch so schlimm für sie war.
01:03:19
Sie ist zu ihrem Freund gezogen und hätte da jetzt auch arbeiten können und Geld verdienen können.
01:03:24
Bei Carmen hatte ich jetzt persönlich mehr das Gefühl, dass sie so richtig in diesem Teenager-Pubertätswirrwarr war und sich alleingelassen gefühlt hat von der Schwester und richtig wütend war.
01:03:41
Aber ob sie, wenn sie jetzt ohne ihre Schwester gewesen wäre, ob das dann auch wirklich zum Tod der Eltern geführt hätte.
01:03:48
Manchmal ist das halt auch diese Dynamik, die in diesen Gruppen passiert.
01:03:52
Was war das eigentlich für eine beknackte Aktion mit diesem Grabstein, wo die eine dann sagt, das hätte einen symbolischen Charakter, so eine offene Tür, weil die Eltern ja die Tür geöffnet hatten für die Täter.
01:04:08
Und dann auch noch sagt, wir waren denen das schuldig, dass dieser Grabstein 70.000 D-Mark gekostet hat.
01:04:13
Ja, das finde ich auch so richtig makaber, weil, also es kann ja gar kein guter Gedanke dahinter gesteckt haben, was soll das denn?
01:04:21
Also, ne, ich will ja immer Benefit of the doubt geben, aber es ist halt nun mal einfach die Tür, die sie dann ihren MörderInnen aufgemacht haben.
01:04:33
Was unsere Fälle ja jetzt auch unterschieden hat, ist, dass die Kinder in meinem Fall adoptiert waren.
01:04:38
Und laut einer Untersuchung aus den USA kommt Parizid aber auch schätzungsweise 15 Mal häufiger bei adoptierten Kindern vor als bei leiblichen.
01:04:47
Das wird so geschätzt, aber eine Erhebung oder so gibt es nicht.
01:04:51
Welche Gründe es dafür geben könnte, habe ich versucht für meinen Aha herauszufinden.
01:04:55
Und welcher Begriff da immer wieder aufgeploppt ist, ist das sogenannte Adopted Child Syndrome.
01:05:01
Das ist ein Begriff, der von einigen PsychologInnen verwendet wird, um Probleme zu beschreiben, die adoptierte Kinder aufgrund ihrer Adoption ausbilden können,
01:05:09
der aber nicht wissenschaftlich anerkannt ist.
01:05:11
Also es ist keine anerkannte Erkrankung oder eine psychische Störung.
01:05:15
Mit diesem Begriff werden aber verschiedene Symptome zusammengefasst, die adoptierte Kinder erleben können.
01:05:22
Wie zum Beispiel halt so Gefühle von Ablehnung, weil ihre leiblichen Eltern sie halt weggegeben haben.
01:05:28
Oder Identitätskrisen, weil sie halt ihre leiblichen Eltern nicht kennenlernen und dann auch nicht wissen, wie waren die so und wo komme ich eigentlich her.
01:05:37
Dann geringes Selbstvertrauen, Trennungsangst oder zum Beispiel auch Depressionen.
01:05:42
Was mit dem Adopted Child Syndrome aber auch in Zusammenhang gebracht wird, ist die Bindungsstörung, die wir ja schon hier aus dem Podcast kennen.
01:05:49
Und diese Fähigkeit für Menschen überhaupt Bindungen aufzubauen, die entwickelt das Kind ungefähr zwischen der Geburt und dem zweiten Lebensjahr.
01:05:57
In der Regel ja erstmal durch die Mutter, weil die am Anfang dafür da ist, sich um das Kind zu kümmern und die Bedürfnisse zu befriedigen und auch um es zu beschützen.
01:06:05
Die Mutter fungiert da auch als so sicherer Hafen für das Kind, das dann erstmal irgendwie in seinem Leben die Umgebung entdeckt.
01:06:12
Und wenn dann da Gefahr ist oder das Angst hat, warum auch immer, dann weiß das Kind, das kann immer da in den Hafen zurückkehren und dann ist es in Sicherheit.
01:06:21
Studien haben ergeben, dass wenn die Mutter in dieser Zeit stirbt oder warum auch immer halt oft abwesend ist,
01:06:28
dass die Kinder dann falsche Bindungsstile oder Bindungsstörungen entwickeln können und dadurch auch schlechte Empathie empfinden können.
01:06:34
Was dann folgt, ist halt oft antisoziales Verhalten.
01:06:38
Und wenn das Kind nicht lernt, wie man Beziehungen aufbaut, dann kann es ja auch kein Vertrauen erlernen, also das Vertrauen in andere Menschen.
01:06:46
Und deswegen ist es ja auch kein toller Tipp, das Kind, wenn es noch ein Baby ist, auch mal in Anführungszeichen schreien zu lassen, damit es merkt, dass es nicht immer alles haben kann.
01:06:56
Das kann man ja gern bei einem kleinen Kind mal machen, aber nicht im Supermarkt.
01:07:01
Aber Babys verstehen das ja gar nicht.
01:07:04
Die lernen dann im Zweifel, dass wenn sie was brauchen, dann halt niemand kommt.
01:07:09
Und die bilden dann nicht das Vertrauen, dass sich andere um sie kümmern werden, wenn irgendwas ist oder wenn die Probleme haben und lernen eher, dass ihre Bedürfnisse halt auch einfach nicht so wichtig sind.
01:07:21
Und wenn man das irgendwann selber glaubt, dann wirkt sich das natürlich auch auf das eigene Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aus.
01:07:28
Wir hatten ja letztens mal darüber geredet, wie das mit dieser stillen Ecke ist oder Treppe ist und dem Liebesentzug auf Zeit, wenn das Kind halt nicht brav ist, dass man das halt nicht machen soll, weil Kinder sonst lernen, dass es keine unconditional love gibt, sondern Liebe irgendwie immer an Bedingungen geknüpft ist.
01:07:46
Ja, ich musste zwar nicht auf die stille Treppe, aber meine Eltern haben, als ich klein war und was falsch gemacht habe, dann halt, also dann waren die sauer und dann haben die halt nicht mehr mit mir geredet.
01:07:57
Also dieses Silent Treatment.
01:08:00
Und ich wurde dann halt manchmal einfach nicht mehr beachtet von denen.
01:08:03
Obwohl du auch zum Beispiel im selben Raum warst?
01:08:06
Ja, aber meistens sind die auch weggegangen.
01:08:08
Aber wenn ich mich dann sozusagen vertragen wollte oder irgendwie lieb sein wollte oder so, dann war halt trotzdem so, nee.
01:08:17
Keine Ahnung, manchmal ein paar Stunden.
01:08:21
Und ich merke halt heute, dass ich deswegen laut streiten muss, aber immer mit so einem Sicherheitsgefühl, dass sich jetzt nichts an der Beziehung zu dieser Person ändert.
01:08:31
Also und meine Eltern haben das bestimmt nicht absichtlich gemacht.
01:08:34
Manche Personen sind ja einfach nur sauer und wollen dann halt einfach nicht mehr mit der anderen reden.
01:08:39
Das habe ich ja auch.
01:08:40
Ich verlasse dann auch gerne mal den Raum.
01:08:42
Aber nur, um mich dann so selber zu fangen.
01:08:45
Also wenn, wenn dann eine andere Person wieder kommen würde und so, dann bin ich halt nicht so abweisend bei mir das so, weil ich diesen Liebesentzug so schlimm finde.
01:08:54
Weißt du, heute als erwachsene Person ist das immer noch so schwer zu ertragen, wenn die andere Person dann einfach versucht zu ignorieren, so nach dem Motto.
01:09:05
Und ich mich dann wieder fühle, als wäre ich fünf Jahre alt.
01:09:08
Ja, man muss halt einfach auch irgendwie denken, wenn da jetzt der andere kommt, auch egal nach wie vielen Minuten oder Stunden, wenn die Person dann kommt und sich vertragen will oder einen Effort macht oder so.
01:09:22
Egal, ob das jetzt ein kleines Kind ist oder ein erwachsener Mensch, dass man das dann auch zulässt, finde ich.
01:09:30
Also vor allem natürlich bei Kindern, weil das ja schon auch eine große Leistung ist, sich zum Beispiel zu entschuldigen oder das einzugestehen, dass man jetzt falsch reagiert hat oder so als Kind.
01:09:42
Und dass man dann da vielleicht auch das belohnt, sage ich jetzt mal in Anführungsstrichen, auch wenn es vielleicht für die Person auch schlimm ist, weil man noch sauer ist zum Beispiel.
01:09:52
Ja, aber zumindest ihr das Gefühl gibt, du pass mal auf, das liegt jetzt gerade an mir, ich brauche jetzt mal kurz meine Ruhe und dann ist auch wieder fein.
01:09:59
Weil ich weiß nämlich, dass ich einmal zu meiner Mutter gesagt habe, da saß ich in der Küche und da war ich halt so traurig, dass ich jetzt nicht das beenden kann, diesen Streit.
01:10:11
Da habe ich zu ihr gesagt, sie soll doch gleich lieber sagen, dass sie sich wünschen würde, dass ich tot wäre.
01:10:16
Und das halt aber so als Kind, weißt du?
01:10:18
Das ist ja nur schlimm.
01:10:19
Und das Ding ist aber, in dem Moment, wo ich es ausgesprochen habe, wusste ich schon, oh Gott, jetzt geht es richtig.
01:10:28
Wenn du so weißt, so jetzt stehst du einmal für dich selber auf und sagst jetzt mal was, dann weißt du schon so, oh oh.
01:10:39
Ja, das ist noch viel schlimmer.
01:10:41
Ja, ein bisschen dramatisch.
01:10:45
Aber ich kann mich auch noch genau an eine Situation erinnern, da muss ich auf jeden Fall noch unter sechs gewesen sein.
01:10:49
Also es gab öfters die Situation, dass ich dann sauer war und gestampft, die Treppe hoch und Tür zugeschlagen und so.
01:10:57
Und dass ich dann aber immer, so nach einer kurzen Zeit, dann mich da wieder so rausgewieselt habe und die Treppe rund und so geguckt, wo sie dann ist.
01:11:09
Und ja, und dann natürlich wollte man einfach dann wieder die Liebe schnell wieder zurückhaben.
01:11:14
Und das finde ich irgendwie witzig, dass man so wütend ist, aber man ist dann trotzdem dann der Mensch, der dann wieder zurückkommt.
01:11:22
Es war ja nicht so, dass dann irgendwann die Mutter hochgekommen ist.
01:11:25
Also bei uns war es nicht so, dass sie dann gekommen ist und gefragt hat, hast du dich jetzt beruhigt oder so.
01:11:29
Sondern ich bin dann halt irgendwann gekommen und dann war das dann zum Glück auch wieder okay.
01:11:35
Ja, wie gesagt, ich kann es halt im Erwachsenenalter immer noch nicht.
01:11:37
Selbst wenn ich so sauer bin, dann will ich trotzdem irgendwie, dass man danach, dann ist wieder alles okay und dann kann man ja danach immer noch drüber reden.
01:11:45
Ich erwarte ja nicht, dass man irgendwas unter den Tisch kehrt oder so.
01:11:48
Aber dass man zumindest diese Basis dieser Vertrautheit und es ist alles okay und mit uns wird alles gut sein zurückkriegt.
01:11:58
Und ich weiß einfach, dass das was aus meiner Kindheit ist, was ich heute noch mit mir rumtrage.
01:12:03
Ja, das ist halt so, dass die Erziehung das ganze Leben beeinflusst.
01:12:08
Und jetzt nochmal zurückzukommen auf die Adoption, das ist natürlich genauso gilt es für den Gedanken daran, dass deine leiblichen Eltern dich nicht wollten.
01:12:17
Und wenn diese Ablehnung dann nicht aufgearbeitet wird, ist es halt schwierig, wenn man dann als adoptiertes Kind irgendwie im Jugendlichen oder auch im Erwachsenenalter
01:12:27
dann wieder auf Ablehnung trifft, was ja auch ganz normal ist, dann haben die auch so eine starke Reaktion, wie wir das jetzt auch gerade gemerkt haben.
01:12:38
Und genauso ist es halt, wenn die Kinder direkt nach der Geburt nicht lernen, wie man überhaupt Bindungen eingeht.
01:12:44
Und deswegen ist es halt besonders wichtig, Babys so früh wie möglich zu adoptieren, weil sie dann erstens nicht mitten in dieser Phase von ihrer Mutter getrennt werden
01:12:50
Und zweitens nicht so lange in einer Familie bleiben, die es ja eigentlich abgeben will und sich deshalb vielleicht auch weniger bis gar nicht kümmert.
01:12:58
Studien zu dem Thema Parizid an Adoptiveltern, die lassen vermuten, dass diese Bindungsstörung zumindest ein Faktor ist, der die Wahrscheinlichkeit für so ein Verbrechen erhöht.
01:13:09
Was man aber sagen muss, ist, dass es noch nicht so viele Studien zu dem Thema gibt und man deshalb natürlich auch nicht klar sagen kann, warum Adoptivkinder jetzt in Relation häufiger ihre Eltern töten als leibliche.
01:13:21
Also 15 mal häufiger als nicht adoptierte Kinder.
01:13:25
Aber generell ist das offenbar eine ganz große Hemmschwelle, seine eigenen Eltern umzubringen, was anderes als Fremde umzubringen, weil nur zwei Prozent der Tötungsdelikte Tötung der Eltern sind.
01:13:37
Und übrigens gibt es auch Hinweise darauf, dass es natürlich was mit der Beziehung zu tun hat, weil die Rückfallrate mit Gewalttaten bei Kindern, die ihre Eltern getötet haben oder ein Elternteil, die liegt bei 3,8 Prozent.
01:13:50
Also 3,8 Prozent werden danach wieder gewalttätig und bei TäterInnen, die Fremde getötet haben, liegt die bei 11,8.
01:13:59
Und es muss ja nicht immer so sein, wie in unseren Fällen, dass beide Elternteile getötet werden. Das passiert tatsächlich auch eher weniger.
01:14:05
Meistens ist es so, dass die Väter umgebracht werden. Das nennt man dann übrigens auch Patrizid im Gegensatz zum Matrizid der Tötung der Mutter.
01:14:16
Und warum die Väter häufiger umgebracht werden als die Mütter, dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze.
01:14:21
Und da stößt man früher oder später immer wieder auf Freuds Theorie des Oedipus-Komplex.
01:14:26
Im Grunde geht es da darum, dass das Kind das gegengeschlechtliche Elternteil begehrt und in dem Elternteil des eigenen Geschlechts nun Rivalen sieht.
01:14:34
Zumindest ist das beim sogenannten positiven Oedipus-Komplex so.
01:14:37
Und diese Begehrung, das passiert nach Freuds schon im Alter von drei bis vier Jahren.
01:14:42
Wo man sich ja auch so fragt, ist es actually a thing, dass ein Vierjähriger auf seine Mutter abfällt.
01:14:52
Nach Freuds löst sich dieser Komplex dann auch irgendwann, wenn sich der Junge in diesem Fall von seiner Mutter dann mehr entfernt und sich dann eher mit der Figur des Vaters identifiziert, also dieses männliche Rollenbild in sich aufnimmt.
01:15:04
Und wenn das nicht passiert, dann verfestigt sich angeblich diese Feindseligkeit und das Konkurrenzdenken gegenüber dem Vater.
01:15:12
Und dann tut man den Tod schlagen, hat der Freund gesagt.
01:15:16
Also ihr hört, wir nehmen das nicht so richtig ernst, denn zum Glück gab es dann später Leute, die nicht der Meinung waren, dass man immer inzestiöse Gedanken für seine Eltern haben muss, wenn man sie tötet.
01:15:27
Dann hat man nämlich was erfunden, das heißt forensische Psychiatrie und da geht es dann darum, was die Leute wirklich zu der Tötung der Eltern bewegt hat.
01:15:36
Genau, und in meinem Fall war ja vom Gericht ganz klar festgestellt worden, Habgier bei allen Beteiligten.
01:15:42
Und Parizide, die in so einer Weise begangen werden, wie das jetzt in dem Fall war, kommen immer mal wieder vor, wie uns der forensische Psychiater Professor Stefan Orlob erzählt hat, der Fälle aus Deutschland untersucht hat.
01:15:54
Ich habe ja die TäterInnen nicht kennengelernt, aber dieser Fall in Morschen hat ja die Besonderheit, und das finden wir auch häufiger bei jüngeren Tätern, dass es ja so ein kriminelles Motiv gibt, wie Habgier oder sich bereichern wollen oder sich das Erbe sichern wollen.
01:16:10
Also da haben wir häufiger so eine doch deutliche kriminelle Motivation sozusagen zur Tatbegehung.
01:16:16
Und da kann es schon vorkommen natürlich, dass man andere dann mit in die Tatbegehung mit hinein nimmt, dass man sich sozusagen Unterstützung holt, den MittäterInnen dann auch einen entsprechenden Tatanteil verspricht.
01:16:31
Solche TäterInnen werden laut Kathleen Heide, das ist eine Professorin für Kriminologie an der University of South Florida,
01:16:37
die wirklich seit 35 Jahren oder mehr zu diesem Thema forscht, die zählt die zu den sogenannten gefährlichen antisozialen TäterInnen.
01:16:46
Bei denen stehen halt die eigenen Interessen im Vordergrund und die Eltern werden als Störfaktor gesehen, die dem im Weg stehen, was sie wollen.
01:16:56
Beispielsweise Geld, Erbe oder bei Mädchen oder Frauen tatsächlich die Möglichkeit, mit der Person zusammen zu sein, mit der sie gerne zusammen sein wollen.
01:17:06
Wie bei Mädchen oder Frauen?
01:17:08
Die bringen öfters die Eltern um, damit die mit ihrem Typ zusammen sein können, den die Eltern nicht approven.
01:17:14
Es gibt einen ganz berühmten Fall von Parizid, den wir auch schon oft vorgeschlagen bekommen haben.
01:17:21
Und zwar kommt er aus den USA.
01:17:22
Und da geht es um zwei Brüder.
01:17:24
Die waren damals 19 und 21 Jahre alt und die wurden wegen Mordes aus Habgier an ihren Eltern verurteilt.
01:17:29
Und während des Prozesses hatten die dann aber angegeben, aus Angst und Verzweiflung gehandelt zu haben,
01:17:35
weil sie angeblich ihr ganzes Leben lang von ihren Eltern missbraucht wurden.
01:17:38
Vor allem auch sexuell durch den Vater.
01:17:40
Und die Vorwürfe wurden von anderen Familienmitgliedern dann auch bestätigt.
01:17:45
Und trotzdem war die Jury am Ende der Meinung, es hat sich um einen Mord aus Habgier gehandelt.
01:17:50
Und bis heute sind die Brüder Melendez noch in Haft, haben aber sehr viele UnterstützerInnen hinter sich.
01:17:55
Und zwar unter anderem auch, weil ihr Fall auf TikTok so getrendet ist.
01:17:59
Und mittlerweile sind die Mitte 50 und versuchen halt immer noch aus dem Gefängnis rauszukommen.
01:18:05
Und auch natürlich so ein bisschen mit dieser Begründung im Hintergrund,
01:18:08
dass sie eben so lange leiden mussten unter den Eltern und das halt auch als so eine Art Befreiungsschlag angesehen haben.
01:18:13
Tatsächlich spielt Missbrauch bei Pariziden ganz häufig eine Rolle, wie uns Professor Orlob erzählt hat.
01:18:20
Bei den jugendlichen Tätern, da haben wir häufig das Motiv, dass also eine Misshandlung stattgefunden hat in der Vorgeschichte,
01:18:29
dass sozusagen so eine Art Tyrannenmord stattfindet, dass also das Kind sich befreit aus der Tyrannei vielleicht des Vaters
01:18:39
oder das Kind sich recht für den sexuellen Missbrauch.
01:18:43
Ja und dabei geht es halt nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern um alle Formen von Gewalt, also auch psychischer.
01:18:48
Es gibt ja immer wieder Fälle, in denen Kinder und Jugendliche ihr Leben lang eben so eine strenge Erziehung,
01:18:54
so wie im Fall von Johann hatten, irgendwie kontrolliert wurden oder und die fühlen sich dann manchmal eben so hilflos,
01:19:02
dass sie keinen anderen Ausweg sehen, aus diesem Leben als ihre eigenen Eltern zu töten.
01:19:08
Und die werden von Kathleen Heider als missbrauchte TäterInnen kategorisiert.
01:19:12
Ja und apropos Tyrannenmord, der Strafverteidiger Dr. Jonas Hennig, den kennen viele von euch bestimmt auch noch vom Schackendorferl,
01:19:19
der hat uns erzählt, dass in solchen Fällen dann der sogenannte nachvollziehbare Zorn berücksichtigt werden kann.
01:19:27
Wenn also ein Kind, in Anführungsstrichen, seine Eltern tötet und ein Mordmerkmal verwirklicht ist,
01:19:32
dann kann das Gericht genau wie beispielsweise bei der Ehefrau, die ihren prügelnden Ehemann, von dem sie jahrelang missbraucht wurde, im Schlaf tötet,
01:19:40
das Strafmaß nach § 49 StGB runtergeschraubt werden, damit man so eine lebenslange Haftstrafe umgehen kann.
01:19:48
Ja, das finde ich auch richtig.
01:19:50
Bei älteren TäterInnen ist es tatsächlich oft eine psychische Erkrankung oder eine schwere Persönlichkeitsstörung,
01:19:57
die halt eine Mitursache für den Parizid ist.
01:19:59
Und die werden als mental erkrankte TäterInnen bezeichnet, bei denen halt oft eine Depression oder eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert wird.
01:20:09
Und da ist auch oft der Fall, dass sie aufgehört haben, ihre Medikamente zu nehmen oder nie richtig eingestellt wurden.
01:20:16
Und die Untersuchungen von unserem Experten, die deuten auch auf diese Häufigkeit der Ursache hin,
01:20:22
weil bei den 18 Fällen, die er untersucht hat, da gab es nur einen Täter, der keine Symptome aufwies,
01:20:27
die irgendwie auf eine psychische Erkrankung hätten hinweisen können.
01:20:32
Unter den anderen war dann zum Beispiel aber auch jemand, der dachte, dass seine Mutter eine Hexe ist und sie ihn vergiften wollte.
01:20:40
Was aber vielleicht noch wichtig ist, jetzt am Ende zu sagen, ist, wie man das jetzt zum Beispiel auch an Carmen aus meinem Fall gesehen hat,
01:20:49
überlagern sich halt oft diese Motive und Ursachen.
01:20:53
Also in der Regel führen viele verschiedene Aspekte zu einem Parizid, sonst würden wohl auch viel mehr Eltern am Ende durch die Hände ihrer Kinder sterben.
01:21:02
Heute möchten wir mal noch eine Empfehlung aussprechen.
01:21:06
Und zwar haben wir uns ein bisschen auf Netflix rumgetrieben.
01:21:10
Und jetzt Achtung, es wird gespoilert.
01:21:13
Und zwar ungefähr fünf Minuten lang.
01:21:16
Danach reden wir wieder über was anderes, weil wir nämlich noch nicht über diese Serie geredet haben und das jetzt hier tun wollen.
01:21:22
Und zwar geht es um Anatomy of a Scandal.
01:21:24
Sehr spannende Serie.
01:21:26
Und ich habe schon lange nichts mehr so, wie heißt das, wenn man was ganz doll konsumiert.
01:21:31
Dass man das binget?
01:21:34
Das war bei mir auch so.
01:21:35
Ich hatte es ja sogar dann bis nachts um zwei, habe ich das angeguckt.
01:21:39
Das mache ich eigentlich nicht, weil mir mein Schlaf schon sehr wichtig ist.
01:21:43
Aber das war so eine richtige, auch mit guten Cliffhanger bestückte Serie.
01:21:48
Und ich fand sie vor allem filmisch richtig gut gemacht.
01:21:52
Nur ganz kurz mal für die Leute, die wie du sind und den Spoiler egal sind.
01:21:56
Also es geht darum, dass einem Politiker, der auch Familienvater ist, dass dem vorgeworfen wird, eine Mitarbeiterin vergewaltigt zu haben.
01:22:08
Und die sagt dann im Prozess gegen ihn aus.
01:22:11
Und dort ist auch seine Frau anwesend.
01:22:13
Und es geht im Grunde genommen darum, war es eine Vergewaltigung oder war es keine.
01:22:17
Denn keiner von beiden streitet ab, dass sie Sex hatten.
01:22:20
Sondern es geht darum, hat er sie in dem Moment dazu gedrängt oder nicht.
01:22:25
Ja, weil sie sagt ja, sie hat im Aufzug gesagt, nicht hier.
01:22:29
Und er hat das dann halt ignoriert und ihren Slip zerrissen.
01:22:33
Also das ist das, was sie sagt.
01:22:35
Aber was man halt auch noch wissen sollte, diese Mitarbeiterin ist erstens ihm untergestellt und zweitens hatten die aber auch eine Affäre.
01:22:44
Die war aber zu dem Zeitpunkt, wo dieser, dieses, diese Zusammenkunft passiert ist, war diese Affäre eigentlich schon beendet.
01:22:55
Okay, wollen wir jetzt darüber uns mal einigen, ob das jetzt eine Vergewaltigung war oder nicht?
01:23:02
Es ist ein bisschen schwer, finde ich.
01:23:04
Also für mich war das eine sexualisierte Gewalt.
01:23:07
Und an sich würde ich sagen, eventuell auch eine Vergewaltigung gegen den Willen der Betroffenen.
01:23:14
Aber wenn wir uns jetzt im Gerichtssaal befinden und wir nicht das wissen, was der Zuschauer am Ende erfährt oder später,
01:23:22
dann gegen den Willen, den er meiner Meinung nach nicht in dem Moment eindeutig erkennen konnte.
01:23:31
Den Gegenwillen meinst du?
01:23:33
Genau, weil er ja gegen ihren Willen gehandelt hat.
01:23:37
Aber ich bin der Meinung, dass es für ihn nicht so offensichtlich war, er drängt sie zwar zu einer sexuellen Handlung, die sie ja in dem Moment nicht will,
01:23:46
aber nur, weil sie ja nicht den Ort will, an dem das stattfindet.
01:23:50
Und das ist nämlich der Fahrstuhl.
01:23:52
Und das ist für mich ein bisschen etwas anderes, als wenn sie den Willen dazu gar nicht gehabt hätte.
01:23:58
Ja, also ich finde es auch schwierig und hatte auch mit anderen Frauen in meiner Umgebung schon so ein bisschen so,
01:24:08
sage ich jetzt mal, Diskussionen darüber, wie man das so gegenseitig sieht, weil man da nicht aller einer Meinung war,
01:24:15
was ich ja halt super finde mal bei einer Serie.
01:24:17
Das kann man auch gut mal mit Männern diskutieren, weil es halt wirklich dieser schmale Grat von Einverständnis ist,
01:24:27
wenn man in einer Beziehung ist oder in einer Art Beziehung ist.
01:24:30
Und klar ist es halt eben keine Vergewaltigung, die wir so typisch kennen.
01:24:35
Eine Frau vielleicht im Wald oder wird beim Joggen überfallen und vergewaltigt.
01:24:39
Da kann man das immer ganz klar sagen.
01:24:41
Aber ich finde, dass dieses Nicht-Hier, dass das eben heißt Nein-Nicht-Hier.
01:24:47
Also es ist, also deswegen, klar, sie hätte eigentlich sagen müssen Nein und sie hätte sagen müssen Stopp.
01:24:53
Aber eigentlich ist es doch ein Nein.
01:24:56
Und deswegen ist es für mich halt schon eine Vergewaltigung.
01:25:00
Genau, also es ist ein Nein für diese Aktion in dem Moment an diesem Ort.
01:25:04
Genau, deswegen bin ich ja auch der Meinung, dass er sie dazu gedrängt hat,
01:25:08
zu etwas, was sie nicht tun wollte.
01:25:10
Und trotzdem würde man später nicht wissen, dass er sich in seiner früheren Zeit
01:25:15
schon mal über einen Willen hinweggesetzt hat, was man zu dem Zeitpunkt ja noch nicht weiß.
01:25:20
Dann könnte man auch davon ausgehen, dass er es nicht so verstanden hat.
01:25:26
Zumindest zu diesem Zeitpunkt.
01:25:29
Nach allem, was wir nachher wissen, kann man ganz klar sagen, es ist einfach ein Schwein.
01:25:33
Und was man an dieser Serie zumindest auch richtig gut sehen kann, ist das Problem, was halt
01:25:40
Vergewaltigungsanschuldigungen immer mit sich bringen.
01:25:43
Also es gibt wenig Beweise.
01:25:44
Das ist eine Aussage-gegen-Aussage-Situation.
01:25:47
Und dass das am Ende auch immer eine wirklich schwierige Aufgabe für ein Gericht ist.
01:25:53
Ja, weil es dann auch eben manchmal zwei ganz verschiedene Lesarten von ein und derselben Situation gibt.
01:26:01
Also wenn wir jetzt noch nicht so viel verraten haben, wäre das eine Empfehlung.
01:26:06
Was ich noch gesehen habe, was ich auch anschauen will, was auf meiner Watchlist steht, ist diese Abercrombie & Fitch Doku.
01:26:11
Die hast du ja schon geguckt.
01:26:12
Wie war die jetzt?
01:26:14
Also ich war ganz überrascht, dass das überhaupt ein Ding war, Abercrombie.
01:26:20
Nee, nee, wirklich.
01:26:22
Ich weiß bis heute nicht, ob ich jemals in einem Laden drin war.
01:26:25
Ich erinnere mich an diesen einen Laden im Elbe-Einkaufszentrum, der sehr dunkel war, wo ich mit Kopfschmerzen rausgegangen bin,
01:26:32
weil es da drin nach massig Parfum gerochen hat und man auch gar nicht sehen konnte.
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Aber ich weiß gar nicht, ob das jetzt Abercrombie war oder Hollister, weil die sehen ja offenbar irgendwie gleich aus.
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Also jetzt, wo du mir sagst, dass es im Elbe-Einkaufszentrum war, war es wahrscheinlich nicht Abercrombie & Fitch,
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weil die sich dann dafür zu toll gefunden hätten, das da zu machen.
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Die sind dann eher in den ganz alten Gebäuden mitten in den Städten drin.
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Ja, also das ist in Hamburg so und in London war das auch so.
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Und deswegen war ich so überrascht.
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Deswegen, mir hat das sehr geholfen, dass die am Anfang erstmal diesen Hype,
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die erklären erstmal den Hype und wer das alles getragen hat und wie das aussah und marketingtechnisch und so,
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weil das so komplett von mir vorbeikommen ist.
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Das finde ich ja so witzig.
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Du müsstest einfach ein Foto sehen.
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Wenn ich es rausfinde, dann werde ich euch das auch zeigen.
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Es ist das ungefähr peinlichste Foto.
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Ich sitze auf einem Bett und um mich herum sind so zehn Abercrombie & Fitch Tüten.
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Nicht dein fucking Ernst?
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In der Doku zeigen die auch so eine, die so ein Abercrombie-Pullover sich mal leisten konnte,
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wo dann hier so ganz doll, also so ganz deutlich der Markenname draufsteht, den sie dann nur noch getragen hat.
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Und dann hast du sie so, ja, auf jeden Foto hält sie so diesen Arm in die Kamera.
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Ja, also das war halt noch Zeiten, als es das noch nicht in Deutschland gab.
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Und ich dann in Amerika war und dann wie so eine, wie eine Verrückte war ich da wirklich, also mit 16, da einkaufen und ich weiß gar nicht, woher ich das Geld hatte, weil ich habe da echt viel Geld gelassen und war in so einem Kaufrausch, den ich bis dato noch nicht kannte.
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Also ich hatte auf jeden Fall diesen Hype, ich fand das halt mit 16 mega krass.
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Und da standen auch diese Nackt-Models da vorne drauf.
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Wobei das muss man ja mal dazu erklären, wer so von der letzten Ecke aus Uetersen kommt wie ich.
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Da standen nackt oder oben ohne Models draußen rum.
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Shirtless Guys, wie ja auch mein Bruder einer war.
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Mein Bruder war ein Shirtless Guy und die Mutter seiner Kinder, das Camera Girl.
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So haben die sich kennengelernt.
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Also vorne, genau, standen immer die oben ohne Typen, wo die Touris oder halt die KundInnen dann halt Fotos mit denen machen konnten und die Camera Girls dann mit ihren Polaroid-Kameras dann davon ein Foto gemacht haben.
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Ach, man konnte Fotos mit denen machen?
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Das war der Sinn von den Shirtless Guys vorne, genau.
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Dann hat man Fotos mit denen gemacht.
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Also das ist wirklich, nee, das ist wirklich.
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Wie so ein Sekt?
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Nee, es ist wie diese Männer, die zu diesen Sex-Messen gehen und dann da mit den Pornodarstellerinnen oder mit den Stripperinnen Fotos machen und dann auf Facebook posten.
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Ja, auf jeden Fall ist es ja peinlich genug, dass ich das so geil fand.
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Egal, was noch schlimmer war eigentlich, dass ich da dann auch mal gearbeitet habe.
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Und da muss ich aber zugeben, dass, als ich da angefangen habe, mir das nicht so bewusst war, was für eine falsche Unternehmensphilosophie da herrscht.
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Also das war mir da nicht bewusst.
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Und nur ganz kurz, die Unternehmensphilosophie ist, weiße, schöne Menschen arbeiten da, Vielfalt gibt es bei uns nicht und wir diskriminieren andere, um uns exklusiv zu machen.
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Auf jeden Fall habe ich dann da angefangen, um mir was dazu zu verdienen beim Studium.
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Und ich wurde dann erstmal, ich wurde kein Model.
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Also Model stand halt für VerkäuferInnen, die dann aber eigentlich nur in den Ecken umstanden und gut aussahen.
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Aber ich sah offenbar nicht gut genug aus und ich wurde dann eben Stylist, so hat sich das dann genannt.
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Und die Stylist, die waren dann eben dafür verantwortlich, dass die Models so gut aussahen.
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Nicht dein Auge.
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Doch, es ist wirklich, das jetzt kommt. Also, das war dann so.
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Jetzt kommt. Ich musste jemanden um die Haare lehnen.
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Also erstmal habe ich denen morgens ihre Klamotten gegeben, den Models.
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Die haben sie dann schon selber angezogen, das haben sie schon geschafft.
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Aber ich musste dann die Hemden, die die anhatten, so krempeln, wie das vorgeschrieben war,
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wie das auch ganz genau auf Fotos gezeigt wurde und auch mit Zentimetermaß, wie viel das umgekrempelt werden musste.
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Und ich musste das nicht nur bei den Models machen, sondern auch bei den Schaufensterpuppen.
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Mit einem Maßband musste ich das abmessen, wie viel gekrempelt wurde.
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Und das wurde auch streng von der Store-Managerin dann beobachtet.
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Und ich habe dann auch Ärger bekommen, wenn es dann nicht nach Zentimetern war.
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Und eine andere tolle Aufgabe war, die ich auch hatte, war das sogenannte Spritzen.
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Und da musste ich einfach nur durch den Laden gehen und alle Klamotten mit dem Parfüm ansprühen.
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Und was ich auch echt ziemlich absurd fand, war, dass das Toilettenpapier immer aus den USA importiert wurde.
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Aber da muss ich dir jetzt ehrlich sagen, da gefällt mir dieser Job, hier mit dir um 0.58 Uhr aufzunehmen.
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Schon ein bisschen besser.
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Ja, aber es ist ganz interessant, die Doku.
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Und auch irre, also das, was Laura jetzt erzählt hat, diese schlimmen Dinge, die sie da erlebt hat, sind ja nur die Spitze.
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Nein, aber da gab es ja wirklich noch so, da gab es ja wirklich noch Skandale mit diesem einen Fotografen oder wer auch immer das war,
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der dann die Models irgendwie sexuell belästigt hat.
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und ja, Leute gefeuert wurden, weil sie nicht dem Schönheitsideal da entsprachen.
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Du arbeitest sehr mit mir, obwohl ich nicht so wie ein Model aussehe.
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Ich finde es gut, dass du jetzt schon mehrmals in dieser Folge auf deine angebliche Nicht-so-Schönheit angespült hast.
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Du merkst, wie das noch in mir, der Stachel sitzt, den die Evercombe-Verantwortlichen mir angetan hat.
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Ähnlich tief, glaube ich, wie der Stachel, den dir dieser Radiosender gesetzt hatte, als sie gesagt haben,
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du kannst hier nicht sprechen, weil du zu kindlich klingst.
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You're doing amazing, sweetie.