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#97 Grausam

Paulina, lass uns mal ein Gedankenexperiment machen, was ein bisschen extrem ist und vielleicht
auch ein bisschen dark für so einen Anfang von einer Folge, okay?
Aber bitte nicht dieses, was alle immer machen, dieses Moralische, wo man eine Weiche umlegen
muss und dann einem Menschen das Leben nimmt, dafür dann aber fünf rettet oder so.
Das mit dieser Anzahl an Menschen, das ist mir langweilig.
Nee, es geht nur dann um einen Menschen, okay?
Und irgendwie passt es auch ein bisschen zu unserer Folge.
Also, wir stellen uns jetzt vor, jemand entführt dein Baby oder dein Kind und dieser Mensch fügt
dem Kind ganz große Qualen zu, die dann nach vielen Stunden auch zum Tod des Kindes führen.
Und wir leben ja aber jetzt in einer Welt, in der Selbstjustiz in Ordnung ist, ja?
Und wir gehen davon aus, dass der Täter oder die Täterin nicht gefasst wird.
Was würdest du mit der Person anstellen, wenn du sie in die Finger kriegst und dann keine
Konsequenzen befürchten müsstest?
Also, das ist ja so ein bisschen wie bei dem Film Gesetz der Rache, über den wir neulich
gesprochen haben.
Also würde ich sagen, ab auf die Folterbank und dann werden Einzelteile rausgeschnitten.
Nee, also, selbst in unserer Welt könnte ich das irgendwie nachvollziehen, ehrlicherweise,
wenn man sich so rächt.
Aber, also, nur weil ich das nachvollziehen kann, heißt das ja nicht, dass ich das gut
heiße.
Also, in unserer Welt würde ich das verwerflich finden.
Und ich bin froh, dass jetzt auch keine Angehörigen zum Beispiel über Gerechtigkeit
entscheiden.
In einer anderen Welt, also in deiner Welt, schwierig.
Also, ich glaube, wir würden generell sehr viele Dinge tun, von denen wir jetzt nicht
wagen würden, sie zu tun, wenn sie erlaubt wären.
Ja, okay.
Aber ich habe mir halt jetzt dieses Szenario mit meinem Mann vorgestellt.
Also, wenn dem sowas passieren würde, was ich dann machen würde, ne?
Und da bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mit der Person genau dasselbe machen würde,
wie diese Person mit meinem Mann.
Also, dieses Konzept Auge um Auge, das fände ich, in dieser theoretischen Vorstellung,
fände ich das gerecht.
Ja, ja, also, klar.
Weil es wäre ja auch ungerecht, wenn die Person das nicht irgendwie sühnen muss, was sie getan
hat, ne?
Also, dieser Wunsch nach Gerechtigkeit ist ja ganz tief in Menschen verankert.
Und außerdem kann man sich so ja auch aus der Opferrolle befreien, ohne jetzt selbst Justiz gutheißen
zu wollen, ne?
Aber auch wenn das die Wunde wahrscheinlich nicht wirklich heilt, verstehe ich den Gedanken
dahinter total.
Also, dass man seine Wut auch loswerden will und die Person bestrafen will.
Ja, und auch vielleicht, um der Person eine Lektion zu erteilen.
Und deswegen habe ich mir überlegt...
Dass du Courtney Bauer eine Trümmer nimmst.
Wie witzig wäre das?
Elf Jahre, nachdem sie dir fast die Nase in der Disco gebrochen hat, weil du mit ihrem
Ex geredet hast.
Ist jetzt die Zeit gekommen?
Wenn ich so auflauern würde und dann einfach so aus dem Nichts voll mit der Faust in die
Fresse.
Nee, weißt du, was ich mir eigentlich überlegt habe?
Dass ich dir demnächst auch was klaue und dir dann nicht sage, was ist da.
Oh, oh, oh, oh, oh, oh, oh, oh, oh.
Damit du merkst, wie gemein das war.
Zur Erklärung.
Wir haben in der Jugendstrafrecht-Folge neulich über Diebstähle gesprochen.
Und da habe ich gesagt, dass ich als Teenager nie geklaut habe.
Aber dass das nicht heißt, dass wenn man als Teenager nichts macht, dass man dann im
Erwachsenenalter raus ist, weil ich Laura nämlich ein T-Shirt geklaut habe.
Und ich kann jetzt auch sagen, dass es ein T-Shirt ist, denn ich habe es neulich einfach
angezogen, als sie hier war.
Und eigentlich hattest du gesagt, dass ich es erst mal behalten darf.
Deswegen weiß ich jetzt nicht, ob das jetzt so fair ist.
Nee, du darfst es ja auch behalten.
Und das war jetzt auch nicht so schlimm, als ich es dann wusste.
Aber die Zeit zwischen dem, wo du es gesagt hast, dass du was geklaut hast und dem Sehen
des T-Shirts.
Aber ja, jetzt, ich komme ja bald wieder.
Und dann gucken wir mal.
Hast du denn da schon was im Auge?
Nee.
Ich lasse mich dann inspirieren, wenn ich da bin.
Okay.
Aber wir grenzen das jetzt ein.
Es darf nämlich nicht so sein, dass wir dann auf Tour sind mit unserem großen Koffer und
wir dann 21 Outfits, die mühevoll abgesteckt sind, dabei haben und ich am Ende bei einer
Show obenrum nichts anziehen kann.
Okay.
Deal.
Weil du mir mein Sailor Moon T-Shirt klauen möchtest.
Ich weiß nämlich schon, dass es darauf hinauslaufen wird.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Fälle nacherzählen, über
die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt, sondern das ist
für uns immer so eine Art Comic Relief, damit wir zwischendurch auch mal wieder aufatmen
können.
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Heute geht es um Grausamkeit.
Eigentlich solltet ihr das mittlerweile schon wissen, aber um nochmal alle abzuholen.
Um in Deutschland zu einer lebenslangen und damit zum höchstmöglichen Haftstrafe verurteilt
zu werden, muss man einen Mord oder einen besonders schweren Fall des Totschlags begangen haben.
Und einen Mord begeht man dann, wenn die Tat gewisse Kriterien erfüllt.
Beispielsweise, weil man ein bestimmtes Motiv gehabt hat.
Also hat man zum Beispiel aus Habgier getötet, weil man halt an das Geld des Opfers wollte.
Dann ist ein Mordmerkmal erfüllt und dann muss das Gericht auch des Mordes schuldig sprechen.
Es gibt aber auch Mordmerkmale, die auf die Begehungsweise der Tat aus sind, wo man sich
die Frage stellt, wie wurde das Opfer getötet?
Hat der Täter oder die Täterin das Opfer beispielsweise in eine Falle gelockt, als es arg
und wehrlos war und halt somit dann heimtückisch gehandelt?
Oder hat jemand beispielsweise eine Bombe an einem ganz belebten Ort gezündet und damit halt
mehrere Menschen gefährdet, weil er die Tatwaffe überhaupt nicht unter Kontrolle hatte?
Oder wurde das Opfer besonders grausam getötet?
Wie das aussehen kann, das zeigen wir euch mit den Fällen, die wir heute mitgebracht haben.
Und wie der Titel schon vermuten lässt, sind beide Fälle besonders grausam und deswegen
gibt es heute wieder eine Triggerwarnung, die ihr in der Folgenbeschreibung nachlesen könnt.
Alle Namen sind geändert.
Brennende Kerzen, brennende Menschen, wie das Feuer in meinem brennenden Herzen.
Die endlosen Kämpfe zwischen Attila und mir gehen weiter.
Ich kenn die Schmerzen.
Lernst mich jetzt kennen, du schäbiges Mädchen, und endest am Ende wie Kennedys Schädel.
Ich hänsel und quäl euch wie Hänsel und Gretel.
Der Inhalt der Lyrics enthält, was der Titel des Lieds verspricht.
Misanthrop von Automatik.
Sowas läuft nicht im Radio.
Die beiden jungen Männer haben den Titel absichtlich abgespielt,
während sie in dem geliehenen weißen Transporter sitzen.
Auf dem Weg zu Lea.
Während Ümit und Till von brennenden Menschen und brennenden Herzen aus den Lautsprechern des Wagens hören,
sitzt Lea bei sich zu Hause und wartet.
Zuerst hatte sie sich auf Ümit gefreut.
Jetzt ist sie einfach nur noch sauer, weil er das Treffen schon wieder etliche Male nach hinten verschoben hat.
Keine Seltenheit für Ümit, aber diesmal hatte sie wirklich auf einen Neuanfang gehofft.
Nicht nur für sie, sondern auch für das Kind, das sie unter ihrem Herzen trägt.
Lea lernt Ümit im September 2012 über gemeinsame Freunde kennen.
Wenige Monate später wird aus ihnen ein Paar.
Und ab diesem Zeitpunkt dreht sich bei Lea fast alles nur noch um Ümit.
Ein schmaler, blasser Junge mit dunklen Augen und schwarzen Locken.
Seitdem die schüchterne Lea mit ihrer lieben Art und den langen schwarzen Haaren,
den grünen braunen Augen und den rosa-roten Lippen, die sie auf Fotos gerne zu einem Kussmund formt,
Ümit für sich gewinnen kann, hängt die damals 17-Jährige nur noch am Handy.
Entweder, weil Ümit ihr gerade auf WhatsApp schreibt oder die beiden telefonieren.
Für Lea ist es die große Liebe.
Für den 17-Jährigen Ümit seine erste richtige Beziehung.
Dass Lea schon vor Ümit eine Beziehung hatte, stört ihren Freund etwas.
Vor allem, wenn sie mit ihrem Ex ab und an nochmal schreibt.
Lea findet das etwas übertrieben.
Vor allem, da sie nur Augen für einen hat.
Ümit.
In den ersten Monaten ihrer Beziehung schafft er es, sie ganz um seinen Finger zu wickeln.
Immer wieder macht Ümit Lea Geschenke, lädt sie zum Essen ein.
Die beiden gehen ins Kino oder feiern zusammen im Club.
Für Lea ist Ümit der Mann, mit dem sie sich ernsthaft eine Zukunft vorstellen kann.
Und seitdem er in ihr Leben getreten ist, fühlt sie sich noch mehr zum Islam und auch zur Türkei hingezogen.
Ümit's Herkunftsland.
Das war aber schon vor ihm so.
Leas Stiefvater, zu dem sie ein sehr inniges Verhältnis hat, kommt aus Südostanatolien.
Seine Heimatstadt Gaziantep hat Lea auf Facebook als ihren Geburtsort ausgewiesen, obwohl sie in Deutschland zur Welt gekommen ist.
Neben dem finden sich auf ihrem Profil etliche Bilder von orientalischen Hochzeiten mit hübschen Bräuten, die mit Hänner verziert sind.
Für Lea steht schon fest, dass so ihre Hochzeit mit Ümit aussehen soll.
Einmal will sie wie eine Prinzessin aussehen, erzählt sie ihrem Stiefvater.
Doch der dazugehörige Bräutigam, den sich Lea so wünscht, ist noch längst nicht so weit wie seine Freundin.
Zwar hat Ümit auch Gefühle für Lea, allerdings lebt er mehr im Hier und Jetzt.
Er begehrt Lea, aber an Hochzeit ist noch lange nicht zu denken.
Schon gar nicht, weil Ümit Lea seinen Eltern noch nicht mal als feste Freundin vorgestellt hat.
Die Familie hat in Ümit's Umfeld einen hohen Stellenwert.
Deswegen kann Lea auch nie bei ihm übernachten.
Dafür verbringen die beiden manche Wochenenden bei einem Cousin von Ümit.
Vor den jüngeren Mitgliedern seiner Familie verheimlicht Ümit Lea zwar nicht,
trotzdem sind Leas Freundinnen und Familie nicht immer glücklich mit ihrer Partnerwahl.
Die beiden streiten oft, beispielsweise weil Ümit mal wieder eine Verabredung oder ein Versprechen nicht einhält.
Trotzdem trägt Lea ihn auf Händen und verteidigt ihn bei jeder Kritik.
Wenn die beiden sich trennen, kommen sie kurze Zeit später wieder zusammen.
Ein ewiges Auf und Ab.
Relativ normal für Teenager in ihrem Alter.
Bis die Beziehung im Juni 2014 einen neuen Wendepunkt erlebt.
Denn Lea wird mit 18 Jahren ungeplant schwanger.
Von Ümit.
Plötzlich trägt sie nicht mehr nur die Verantwortung für sich selbst, sondern auch für ein Kind.
Das verunsichert sie.
Die Beziehung zwischen ihr und Ümit ist immerhin nicht sonderlich stabil.
Zudem hat sie bislang nur einen erweiterten Hauptschulabschluss und wohnt noch zu Hause bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater.
Ihre drei älteren Brüder sind längst ausgezogen.
Lea beschließt ihren Eltern erstmal nichts zu erzählen.
Als sie Ümit aber einweit reagiert, der nicht so, wie sie sich das erhofft hatte.
Er will noch kein Vater werden.
Ein Kind würde zu viele Verpflichtungen bedeuten, denen er nicht nachkommen will.
Doch allen Unsicherheiten und Ümit's Gegenwind zum Trotz entscheidet sich Lea für das Kind.
Sie will es austragen und dafür eine Zeit lang ihre Gastronomieausbildung unterbrechen.
Als sie Ümit davon erzählt, versucht der sich zunächst mit seiner neuen Lebensplanung zu arrangieren.
Begleitet Lea sogar zu den ersten Ultraschallterminen und gelobt, sich seiner Verantwortung zu stellen.
Seinen Eltern erzählt er dennoch nichts davon und während Lea mehr und mehr dem 8. März, ihr errechneter Entbindungstermin, entgegenfiebert, passiert bei Ümit genau das Gegenteil.
Ihm wird bewusst, dass er das alles gar nicht wirklich will.
An zwei Menschen für den Rest seines Lebens gebunden zu sein.
Und so entwickelt sich eine Ablehnung Lea und dem Kind gegenüber, die sich mit jeder Woche verhärtet.
Er nimmt seiner Freundin übel, dass sie sich mit ihrer Entscheidung einfach über ihn hinweg setzt.
Für ihn fühlt es sich so an, als will Lea seine Zukunft zerstören.
Und das sagt er ihr auch so.
Ümit's kleines Geheimnis bleibt leider keins.
Weil in der Familie jemand tratscht und es seinen Eltern steckt, sind die nicht nur enttäuscht, sondern auch besorgt.
Wie Ümit's Eltern zu der Schwangerschaft stehen, erfährt Lea spätestens, als bei ihr zu Hause das Telefon klingelt.
Es ist Ümit's Vater, der mit Leas Stiefvater sprechen will.
Wir haben ein Problem.
Lea ist schwanger, sagt Ümit's Vater.
Leas Stiefvater fällt aus allen Wolken.
Bis eben wusste er noch nichts von Leas Schwangerschaft.
Denn die ist erst im dritten Monat und kann ihren Bauch noch gut verstecken.
Ümit's Vater sagt weiter, dass er und sein Sohn das Kind nicht wollen würden und Lea mit ihrer Entscheidung ganz alleine da stünde.
Ob er denn seine Stieftochter nicht ins Gebet nehmen könne, dass sie das Kind abtreibe, will Ümit's Vater wissen.
Leas Stiefvater ist zwar überrumpelt von der Situation, fängt sich allerdings recht schnell.
Das sei ganz alleine Leas Entscheidung, entgegnet ihr Stiefvater.
Nach dem Gespräch sind sich Leas Eltern einig.
Sie wollen ihre Tochter unterstützen, wenn sie das Kind allein großzieht.
Und Ümit solle sie erstmal lieber nicht sehen.
Ihr Stiefvater hat, was ihn angeht, kein gutes Gefühl.
Einmal muss er Lea von einer Tankstelle abholen, nachdem sie sich zuvor mit Ümit getroffen hatte.
Sie sagt, er habe wieder versucht, sie dazu zu drängen, abzutreiben.
Jetzt wolle sie nichts mehr mit ihm zu tun haben und einfach nur noch das Kind austragen.
Irgendwie würde sie es schon schaffen.
Sie, ihre Eltern und das kleine Mädchen, das in ihr heranwächst.
Ihr ganzer Stolz.
Seitdem sie schwanger ist, postet Lea jetzt auch häufiger Fotos von Babys auf Facebook.
Bilder, die sie im Internet findet.
Ihr Titelbild zeigt einen Säugling, der in einem kleinen Strampler auf einem Sofakissen liegt.
Vielleicht wird es bald ein Foto von Leas eigenem Baby weichen.
Einem Baby, mit dem der Vater schon jetzt nichts zu tun haben will.
Deswegen macht er mit Lea Schluss.
Wegen der Schwangerschaft und weil sie sich seinem Willen nicht beugt, das Kind abzutreiben.
Danach sehen sie sich zwar nochmal, aber im November, als Lea im sechsten Monat ist,
bricht der Kontakt der beiden dann endgültig ab.
In der Zeit macht sich Lea auf die Suche nach einer eigenen Wohnung,
versucht, ihre Zukunft neu zu gestalten.
Sie spricht viel mit anderen über ihre Situation,
holt sich Ratschläge, was sie jetzt machen soll,
wie sie an eine Wohnung kommt und vor allem, wie sie sich gegenüber Ümit verhalten soll.
Ihre Freundin Gina gibt ihr den Rat, dass Lea sich rechtzeitig beim Jugendamt melden solle,
um dem die Legitimation zu übertragen, sich um die Vaterschaftsfeststellung und den Unterhalt zu kümmern.
Ein Rat, den Lea gerne annimmt.
Dass das schwere Folgen haben wird, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Es ist der 13. Januar 2015.
Ein kalter Wintertag in Berlin.
Leas Bauch ist längst kugelrund geworden und sie merkt, wie sich die kleine Durchtritte bemerkbar macht.
Die 19-Jährige ist nun im achten Monat schwanger und noch immer unglücklich verliebt, was ihr zu schaffen macht.
Sie kümmert sich nun allein darum, dass für die Geburt im März alles bereit ist.
Heute steht der Termin beim Jugendamt an, den ihr ihre Freundin ans Herz gelegt hat.
Dort sichert man ihr Unterstützung zu.
Ümit wird ein Schreiben bekommen mit der Aufforderung, die Vaterschaft anzuerkennen.
Aber Lea will mehr als nur eine offizielle Bekundung auf Papier.
Sie möchte, dass er Teil ihrer kleinen, jungen Familie ist.
Abends hält sie es dann nicht mehr aus.
Sie öffnet WhatsApp und tippt
Ümit, mir ist einiges klar geworden.
Ist viel passiert, viel Schlechtes, aber auch Gutes und jetzt fängt ein neues Jahr an.
Und ich finde, das ist irgendwie auch eine gute Gelegenheit für einen Neuanfang.
Wir werden Eltern und wir sollten an erster Stelle an unsere Tochter denken und uns verstehen und zusammenreißen.
Immerhin soll sie glücklich aufwachsen.
Das ist doch der Wunsch von uns beiden, oder?
Dann tippt sie auf Senden.
Etwas überraschend antwortet Ümit.
Offenbar scheint es ihm mit der Situation auch nicht gut zu gehen.
Er erkundigt sich sogar nach der Kleinen.
Das weckt in Lea wieder Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft zu dritt.
In den darauffolgenden Tagen schreiben sie viel.
Ümit verspricht sogar beim Einrichten von Leas Wohnung zu helfen und fragt nach einem neuen Ultraschallbild.
Lea fragt Ümit nach einem Treffen, um sich auszusprechen.
Ihre Familie ist nämlich gerade im Skiurlaub und Lea hat Sturm frei.
Keiner würde die beiden stören und Lea erhofft sich so auch ein wenig Zweisamkeit.
Doch auf den Regenaustausch folgt dann wieder Funkstille.
Ümit beantwortet Leas Nachrichten nicht mehr.
Ein paar Tage lässt er sie im Ungewissen.
Dann meldet er sich plötzlich wieder.
Lea ist sauer und macht Ümit Vorwürfe.
Allerdings hält der Ärger nicht lange und ist schon schnell verflogen, als sich Ümit für einen spontanen Besuch ankündigt.
In der Nacht zum 20. Januar ist es dann soweit.
Lea sieht Ümit endlich wieder.
Er kommt extra zu ihr in die Wohnung und übernachtet sogar dort.
Die beiden kommen sich wieder näher.
Als er sich verabschiedet, machen sie aus, dass sie sich bald wiedersehen wollen.
Doch am nächsten Tag wird Lea wieder enttäuscht.
Ümit sei krank, schreibt er.
Und auch am darauffolgenden Tag wird sie vertröstet.
Seine Mutter wolle nicht, dass er das Haus verlasse.
Dafür sendet er ihr Liebesbekundung.
Für Lea immerhin ein kleiner Trost.
Sie schreibt sogar einer Freundin, dass Ümit sich komplett geändert habe.
Es ist der 20. Januar 2015.
Einer von so vielen grauen Tagen des Berliner Winters, an denen es die Sonne nicht durch die dicke Wolkendecke schafft.
Aber das kann Leas Laune heute nicht trüben, denn Ümit hat sich mal wieder gemeldet.
Er möchte mit ihr shoppen gehen.
Für die Kleine.
Er will sogar bezahlen und hat eine Überraschung versprochen.
Lea freut sich darüber so sehr, dass sie dies ihrer Freundin Caro per WhatsApp schreibt.
Die ist skeptisch.
Sie hat das ganze Drama um die beiden mitbekommen und traut Ümit's plötzlichen Sinneswandel nicht.
Sei vorsichtig, schreibt sie.
Lea tippt.
Keine Sorge.
Wenn er etwas vorgehabt hätte, hätte er es schon längst getan.
Während Lea auf Ümit wartet, vergeht es Stunde um Stunde.
Lea will wissen, wo Ümit bleibt, aber er meldet sich nur sporadisch zurück.
Er sagt, dass es später wird und vertröstet seine Ex immer wieder.
Längst ist es dunkel geworden vor den Fenstern des Plattenbaus.
Dann ruft Ümit an.
Er hole sie gleich ab.
Um kurz vor 21 Uhr ist er dann endlich da.
Dass er sich um Stunden verspätet hatte und die beiden jetzt sowieso nicht mehr einkaufen gehen können, nimmt sie ihm nicht lange krumm.
Zu groß ist die Hoffnung auf eine Versöhnung.
Lea streift sich ihren Wintermantel über und verlässt die Wohnung ihrer Eltern.
Ümit ist nicht allein gekommen.
Vor dem Wohnblock parkt ein weißer Renault-Lieferwagen.
Auf dem Beifahrersitz sitzt Till, ein bulliger Typ mit kurzgeschorenen roten Haaren.
Seine Arme ziehen Tattoos von Clowns und Totenköpfen.
Am Hals hat er dreimal die Sechs tätowiert.
Die Teufelszahl.
Ein Typ, der nicht sehr vertrauenserweckend aussieht und genau das auch nicht will.
Ümit hängt manchmal mit Till ab.
Die beiden kennen sich aus der Schule.
Der Plan ist, Till abzusetzen und dann einen schönen Abend zu zweit zu verbringen, bevor Leas Eltern morgen aus dem Skiurlaub wiederkommen.
Lea steigt in den Wagen.
Es geht Richtung Adlershof.
Nach 30 Minuten parkt Ümit den Wagen vor einem Haus.
Hier steigen die beiden Männer mit Lea aus, die noch immer auf ihre versprochene Überraschung wartet.
Über einen schmalen Pfad bahnen sich die drei ihren Weg in die hinter dem Haus gelegene Kölnische Heide.
Einem Waldgebiet, dessen Boden die vertrockneten, braunen und mit Frost verzierten Blätter des letzten Herbstes verdecken.
Die kargen Äste recken in den tiefschwarzen Himmel.
Lea schiebt ihren Babybauch vorne voran und leuchtet mit der Taschenlampe ihres Handys auf den Boden.
400 Meter laufen sie, bis der Wald die drei Teenager komplett in sich verschlungen hat.
Lea ist, ohne es zu wissen, in eine Falle getappt und hatte den beiden sogar noch den Weg in ihr Unglück geleuchtet.
Ein dumpfes Schlaggeräusch.
Leas Wintermantel ist nur ein dürftiger Puffer zwischen ihr und dem Schlagstock, mit dem auf sie eingedroschen wird.
Sie hat es nicht kommen sehen.
Und bevor sie dazu kommt, sich vor der Attacke schützen zu können, sticht etwas in ihren rechten Unterbauch.
Gleich danach nochmal das Stechen.
Diesmal von hinten unter ihre Rippe.
Ein langes Brotmesser.
Noch ein Stich.
Lea versucht es mit den Händen abzuwehren.
Dann landen Messer und Schlagstock plötzlich auf dem Boden.
Till packt Lea, macht sie bewegungsunfähig, hält sie ganz fest.
Es gluckert.
Ümit schraubt ein Deckel auf.
Etwas Nasses verteilt sich auf Leas Oberkörper.
Über ihren Klamotten.
Über ihren Bauch.
Es riecht nach Benzin.
Plötzlich leuchtet zwischen den dunklen Birkenstämmen und unter dem in tiefem Blau getauchten Himmel ein roter Feuerball auf.
Es ist Lea, die in Flammen steht.
In Sekundenbruchteilen frisst sich die Hitze des Feuers durch den Stoff bis in Leas Haut.
Panisch versucht sie sich die brennende Jacke über den Kopf zu ziehen und läuft dabei ein paar Meter weg von Ümit und Till.
Doch sie hat keine Chance.
Sie stolpert, fällt zu Boden und verbrennt.
Gemeinsam mit ihrer ungeborenen Tochter.
Den Rest verbirgt die Nacht.
Es ist das gnadenlose Licht der Dämmerung, das zu Tage fördert, was für eine furchtbare Tat sich hier gestern zugetragen hat.
Eigentlich sind die Hunde zu dieser Zeit immer mit Gassi beschäftigt.
Doch an diesem Morgen hat etwas anderes die Aufmerksamkeit geweckt.
Noch in derselben Nacht, in der Lea mit Ümit und Till in den Wald gefahren war, wird die 19-Jährige als vermisst gemeldet.
Und zwar von ihrem Ex-Freund.
Ümit war gegen halb drei Uhr morgens mit seinem Vater auf der Neuköllner Polizeiwache aufgetaucht.
Selbstemotionslos schilderte er dort, dass sein Freund Till ihn auffällig oft gefragt habe, was wäre, wenn Lea tot wäre.
Ümit spricht von einem Brotmesser und einem Benzinkanister.
Gegenstände, die bei der toten Lea im Wald gefunden wurden, und davon, dass Till mit Lea davongefahren sei.
Später habe er seinen Freund wiedergesehen.
Da habe er zu Ümit gesagt, ich habe das erledigt, was erledigt werden musste.
Gegen zwölf Uhr erscheinen auch Till und seine Eltern auf derselben Polizeiwache.
Tills Geschichte ist allerdings eine völlig andere als die von Ümit.
Er sagt, er habe gesehen, wie Ümit auf die schwangere Lea eingestochen und sie danach mit Benzin übergossen habe.
Für die BeamtInnen ist klar, beide haben irgendwas mit dem Tod von Lea zu tun.
Schnell stehen sie auf der Liste der Verdächtigen ganz weit oben.
Ümit und Till werden noch am 23. Januar vorläufig festgenommen und kommen bereits am nächsten Tag in der JVA Plötzensee in Untersuchungshaft.
Die Nachricht vom Tod ihrer Tochter erreicht Leas Eltern auf dem Rückweg aus dem Skiurlaub.
Nach dieser Reise ist für sie nichts mehr, wie es einmal war.
Leas Stiefvater hatte die ganze Zeit kein gutes Gefühl bei Ümit.
Es hat ihn nicht getäuscht.
Am 8. Oktober 2015 beginnt vor dem Berliner Landgericht der Prozess gegen Ümit und Till.
Vier Monate wird er insgesamt dauern und Erschreckendes zutage fördern.
Ümit und Till sind des gemeinschaftlichen, grausamen und heimtückisch begangenen Mordes aus niedrigen Beweggründen angeklagt.
Die beiden beschuldigen sich gegenseitig.
Zwei Frauen auf den Zuschauerbänken tragen T-Shirts mit der Aufschrift
»Wir sind Lea. Rest in Peace«.
Die beiden ehemaligen Freunde auf der Anklagebank würdigen sich keines Blickes.
Vielleicht wollen sie aber auch einfach nur verdrängen, welche Geschichte sie eint.
Im Prozess wird diese Geschichte zweier junger Männer Stück für Stück zusammengesetzt.
Ümit, eigentlich immer ein auffälliger Junge gewesen, trinkt selten, nimmt keine Drogen und gilt auch nicht als gewalttätig.
Als einziger Bruder neben seinen vier Schwestern ist er der Kronprinz der Familie, die zusiebt in einer Dreizimmerwohnung lebt.
Er muss nichts und darf alles. Er lebt, wie es ihm passt.
Ümit packt zwar die mittlere Reife, seine Ausbildung als Metallbauer bricht er aber ab.
Till kennt Ümit seit der achten Klasse.
Obwohl die beiden ihre Tat verbindet, sind sie doch recht unterschiedlich.
Im Gegensatz zu Ümit ist Till schon öfter strafrechtlich in Erscheinung getreten und gilt als aggressiv und kriminell.
Er wächst in prekären Familienverhältnissen auf.
Sein Vater ist starker Alkoholiker, seine Mutter respektiert er nicht.
2009 tritt er sie so heftig, dass sie sich den Rücken verletzt.
Einmal zündet er einem Mitschüler die Nackenhaare an.
Till zieht mit 15 Jahren von zu Hause aus und wird mit 16 Jahren das erste Mal Vater.
Das zweite Kind bekommt er, als er 19 Jahre alt ist, von derselben Frau.
Sie ist gerade schwanger, als Till gemeinsam mit Ümit Lea in den Wald lockt.
Wenn jemand Till Probleme macht, dann ist seine Lösung Gewalt.
Sein Vorstrafenregister ist lang.
Ein Eintrag rührt daher, dass er Fotos von seiner Ex und deren Mutter, die wiederum ein Verhältnis mit Tills Vater hatte, bei YouTube zu einem Video verarbeitete und dort als hässliche Nutte und Kuhdarmschlampe beleidigte.
Dass Frauen in dem Umfeld von Till und Ümit wenig respektiert werden, macht auch Ümit's bester Freund Karim deutlich, der als Zeuge geladen wird.
Seine Freundin, mit der er ein Kind hat, ist im Handy unter Fotze abgespeichert.
Nein!
Ja.
Warte mal, und die sind noch zusammen?
Ja, und es hat die psychiatrische Sachverständige doch irritiert.
Oh mein Gott, das ist ja einfach nur krass.
Nett.
Karim berichtet, wie er im Herbst 2014 mitbekommt, wie Ümit nach Lösungen für das Problem von Leas Schwangerschaft sucht.
Man könne ihr ja in den Bauch boxen, überlegt Ümit zunächst.
Immer häufiger sieht er Ümit fortan mit Till, der noch radikalere Ideen hat.
Die Vorstellung, einem Menschen das Leben zu nehmen, bereitet ihm Vergnügen.
Immer wieder fragt er Ümit daher, wie es wäre, wenn Lea sterben würde, und irgendwann erscheint das Ümit als tatsächliche Option.
Die beiden beratschlagen, wie man Lea am besten umbringen könne.
Wohlmöglich mit einer Überdose Schlaftabletten?
Oder doch eher mit einer Machete oder einem Schuss in den Kopf?
Ümit's bester Freund Karim hört die Gespräche damals mit.
Er hält das alles zu dem Zeitpunkt aber für leeres Gelaber, wie er im Gericht aussagt.
Das war es nicht.
Spätestens ab dem Schreiben vom Jugendamt hatte Ümit seinen Tatentschluss gefasst.
Mit dem Brief wurde ihm bewusst, dass die Vaterschaft für ihn rechtliche und finanzielle Konsequenzen haben würde,
die er nun nicht mehr umgehen kann.
Er gibt Till Bescheid, dass es Zeit wird, die Tat konkret vorzubereiten.
Die Tage bevor Lea sterben soll, nimmt Ümit wieder Kontakt zu ihr auf, um sie in Sicherheit zu wiegen.
Nicht, weil er sie liebt.
In dieser Zeit hat er bereits eine Affäre mit einer anderen, die ebenfalls von ihm schwanger wird, das Kind aber abtreibt.
Während Ümit in der Woche vor der Tat versucht durch Nachrichten und ein Treffen wieder Vertrauen zu Lea aufzubauen,
beschafft Till die späteren Tatwaffen.
Den Schlagstock leiht er sich von seinem Bruder, angeblich für seinen Security-Job.
Das 34 Zentimeter lange blau-weiße Brotmesser, mit dem er Lea später in den schwangeren Bauch stechen wird,
stiehlt Till bei der Mutter seiner Freundin.
Den weißen Lieferwagen leiht sich der junge Mann wiederum von einem Freund seines Vaters.
Dieser willigt ein, da Till gelegentlich in seiner Baufirma joggt.
Ein Benzinkanister aus dem Lager füllen Ümit und Err, kurz bevor sie bei Lea aufschlagen.
Damit ist die Ausrüstung für die brutale Tat komplett.
Den ganzen Tag über pushen sich die beiden mit aggressiver Musik.
Brennende Menschen, wie das Feuer in meinem brennenden Herzen.
Wie brutal die Tat tatsächlich war, wird spätestens mit der Aussage der Brand-Sachverständigen deutlich,
die von Leas letzten Sekunden berichtet.
Unter gefühlter Anspannung, die im Gericht sei, herrscht, erzählt sie davon,
dass Lea noch bei Bewusstsein war, als sie verbrannte,
und dass sie nicht wie in einem Innenraum vom Einatmen der Rauchgase bewusstlos wurde,
sondern frischen Sauerstoff bekam, was ihr Leiden am Ende nur noch schlimmer machte.
Es sei ein äußerst qualvoller und schmerzhafter Tod gewesen,
dem Lea bei vollem Bewusstsein entgegentreten musste.
Während Ümit so tut, als ginge ihnen das alles gar nichts an,
quellen aus Leas Eltern die Emotionen.
Ihr Stiefvater ist im Zeugenstand teilweise so aufgewühlt,
dass man Schwierigkeiten hat, ihn zu verstehen.
Er berichtet davon, dass Ümit's Vater ein zweites Mal bei der Familie anrief,
als Ümit verhaftet wurde.
Herzliches Beileid, meine Familie ist kaputt, soll er gesagt haben.
Als einer der Prozestage auf Leas Geburtstag fällt,
bringt er eine rote Rose mit und legt sie vor sich auf den Tisch.
Seit Leas Tod ist der Alltag ihrer Familie von Trauer bestimmt.
Lea hat eine große Lücke hinterlassen.
In der Zeit der Verhandlungen sagt Leas Stiefvater in einem Interview,
Leas Mörder hat auch einen Teil von uns getötet.
Das Mindeste, was sich die Familie also vom Prozess erhoffen kann,
ist eine Entschuldigung.
Leas Stiefvater hatte Ümit vor dem Prozess schwer belastet
und ihm unterstellt, auf eine Abtreibung gedrängt zu haben.
Was denn wäre, wenn seine Tochter schwanger sei?
habe Leas Stiefvater gefragt.
Bei ihnen müsse man das Mädchen töten, soll Ümit's Vater gesagt haben.
Dieser bestreitet das aber vehement und auch das Gericht ist nicht der Ansicht,
dass Ümit Lea im Auftrag seiner Familie getötet hat.
Allerdings kommt heraus, dass Ümit's Eltern, vor allem seine Mutter,
ihm tatsächlich zutrauten, Lea etwas anzutun.
Als sie ihn eines Tages nämlich nicht erreichen können und wussten,
dass er mit Lea unterwegs ist, machten sich die Eltern furchtbare Sorgen.
Seine Mutter schickte ihm sogar eine SMS, in der stand,
dass die Familie Ümit mit dem Kind auch unterstützen würde.
Am Ende passierte während des Treffens aber nichts.
Bei dieser dichten Indizienlage erscheint es fast etwas seltsam,
welche Verteidigungsstrategie die AnwältInnen von Ümit und Till fahren.
Sie fordern einen Freispruch.
Denn es sei ja gar nicht erwiesen, dass es Ümit und Till waren,
die Lea getötet haben.
Es gäbe keine Beweise dafür, dass einer oder beide am Tatort gewesen waren.
Es könne auch ein schlimmer Unfall gewesen sein.
Es war Mord, urteilt das Gericht
und schickt die beiden nach Jugendstrafrecht für 14 Jahre in den Knast.
Till habe aus Mordlust gehandelt,
weil er mal einen Menschen habe sterben sehen wollen
und Ümit aus niedrigen Beweggründen.
Das Mordmerkmal Grausamkeit wiegt in diesem Fall besonders schwer.
Dazu kommt auch noch der Schwangerschaftsabbruch,
den die beiden mit der Tat provoziert hatten.
Leas Familie ist froh, dass das Urteil gesprochen ist.
Doch auch die lange Gefängnisstrafe bringt Lea nicht zurück.
Ein Leben lang wird ihre Familie um sie trauern.
Um die liebenswerte junge Frau,
die sich so über ihre kleine Familie gefreut hatte
und ihrem Täter vertraute.
Auch ihr kleines Mädchen, das bereits lebensfähig gewesen wäre,
wird nie das Licht der Welt erblicken.
Dabei hatte es längst einen Namen.
Die Lara.
Das bedeutet im Persischen so viel wie
die, die mein Herz erobert.
Die Lara bekam nie die Chance, das Herz ihres Vaters zu erobern.
Ich fand es so schlimm, dass er ihr da zwischenzeitlich noch mal so Hoffnung gemacht hat.
Und ich auch dachte,
Ah ja, irgendwie, keine Ahnung, vielleicht kommen sie jetzt wieder zusammen.
Obwohl ich ja schon dachte, es läuft wahrscheinlich auch was Schlimmes hinaus.
Aber das finde ich noch mal so besonders perfide, dass das alles zum Plan gehört hat.
Und das muss man halt einfach auch allen Menschen mit auf den Weg geben,
selbst wenn sie noch Jugendliche sind.
Wenn man Geschlechtsverkehr hat, dann kann dabei ein Kind entstehen
und dann muss man sein Leben lang dafür die Verantwortung tragen.
Und es ist nun mal so, dass es die Frau nun mal entscheidet, weil es ihr Körper ist.
Und wenn man kein Kind möchte, dann muss man halt entsprechend verhüten.
Ja.
Oder sich dann halt seiner Verantwortung stellen.
Also wie kommt man darauf, dass die Tötung von, in dem Fall ja zwei Leben,
die Lage für irgendwen besser macht?
Also das ist so abstrus.
Und er hat ja danach, nachdem er Lea geschwängert hat,
noch eine andere Person geschwängert.
Also er hat ja auch gar nicht jetzt daraus gelernt, dass er,
oh, dass man ein Kind zeugen kann, wenn man halt nicht verhütet.
Also wie kann man, genau, wie kann man so verantwortungslos sein?
Und vor allem, was hätte er gemacht, wenn diese Person auch entschieden hätte,
das Kind zu behalten?
Weißt du, es ist halt so, ich weiß auch nicht,
es wurde nicht im Urteil erklärt, wieso sie abgetrieben hatte.
Ob sie das aus eigenen Stücken eh heraus machen wollte
oder ob da nicht vielleicht auch auf sie eingewirkt wurde.
Ja, genau, weil ich meine, der Stiefvater von Lea,
der hatte ja einfach perfekt reagiert, ja,
als der da angerufen wurde von dem Vater,
dass er gesagt hat, das ist ganz allein ihre Entscheidung.
Aber eben, das weiß man auch nicht,
wie andere Familien da reagieren bei jungen Menschen.
Vielleicht wurde die neue Freundin- oder Affäre halt auch dahin gedrängt,
das abzutreiben am Ende.
Ich verstehe überhaupt nicht diesen, also ich meine,
ich kann mir vorstellen, woher es denn rührt in diesem Fall.
Aber es ist ja auch absurd,
dass Ümit's Vater mit Leas Vater sprechen will.
Und nicht etwa mit Lea, die die Entscheidung trifft,
oder mit ihrer Mutter, die ja nun mal ihre leibliche Mutter ist.
Sondern es müssen natürlich die Männer untereinander ausmachen.
Genau, und das immer von dem Problem auch die Rede ist.
Das Problem.
Ein Kind ist kein Problem.
Also, sie hat sich ja auch darauf gefreut.
Sie hätte das ja auch alleine gemacht.
Das regt mich nur so auf.
Die hätte das ja auch, wenn er jetzt, keine Ahnung,
kein Stück hätte teilnehmen wollen danach, ja.
Hätte sie es ja trotzdem gemacht.
Und sie hätte es auch alleine geschafft.
Also, er hätte auch einfach wegbleiben können.
Das regt mich so auf, halt einfach.
Naja, er wollte halt die Unterhaltszahlung nicht.
Och, nee.
Und dann diese Art, jemanden umzubringen.
Also, wie kommt man da drauf, jemanden anzuzünden?
Also, ich finde das so.
Also, sowieso, wie kommt man darauf, jemanden umzubringen?
Klar, aber dass die dann sie anzünden.
Also, das ist für mich so fern.
Und es ist halt wirklich einfach nur grausam.
Genau, aber Ümit und Till haben das selbstverständlich nicht so gesehen.
Und deswegen haben sie auch das Urteil nicht so hingenommen.
Und sind dagegen auch nochmal in Revision gegangen.
Und haben unter anderem das Mordmerkmal der Grausamkeit angefochten.
Weil sie und ihre VertreterInnen nämlich der Meinung waren,
es hätte ja auch sein können, dass Lea schon in Ohnmacht gefallen sei
und gar keine Schmerzen mehr empfunden habe.
Und die Revision hat in Bezug auf diese Grausamkeit aber halt keinen Erfolg gehabt,
weil die Sachverständige im Verfahren nachvollziehbar erläutert hatte,
dass selbst wenn Brandopfer irgendwann in so eine Bewusstlosigkeit fallen,
dass das die Folge von den unerträglichen Schmerzen ist,
die sie vorher empfunden haben.
Und bei Lea gingen sie ja nun mal davon aus,
dass sie mindestens eine, wenn nicht mehrere Minuten bei Bewusstsein war,
als eben großflächige Verbrennungen bis hin zu Verkohlungen am Kopf entstand.
Weil sie ja auch noch gelaufen ist, als sie in Flammen stand von den beiden weg.
Ja, und ich finde es ein bisschen armselig, dass die jetzt sagen,
ja, die hat wahrscheinlich nichts mehr mitbekommen,
weil nein, ihr wolltet, dass sie leidet,
weil sonst hättet ihr sie ja auch einfach mit dem Schlagstock oder dem Messer sofort töten können.
Ja, und Till wollte ja sogar sehen, wie ein Mensch stirbt.
Also Mordlust als Mordmerkmal, das ist halt auch nochmal einfach besonders übel.
Und ohne das jetzt ansatzweise nachempfinden zu können,
aber mir sind ja mal anderthalb Liter kochendes Wasser auf den Oberschenkeln gelandet.
Und ich war zwar zuerst im Schock und habe mich dann halt auch wieder an meinen Schreibtisch gesetzt,
aber dann halt ein paar Sekunden später gemerkt so,
nee, das geht jetzt gar nicht, das sind die übelsten Schmerzen.
Und dann habe ich auch erst gesehen, dass sogar meine Strumpfhose schon so angeschmolzen war.
Die musste ich dann ausziehen und dann bin ich nur noch,
das war damals nämlich auf Arbeit, auf- und abgelaufen und zwei Kolleginnen hinter mir her,
weil die natürlich auch dachten, ich kippe gleich um.
Und es waren wirklich solche Schmerzen, deswegen konnte ich auch nicht still sitzen.
Ich musste irgendwie so ein bisschen Kühlung durch diesen Wind da dran kriegen.
Und dann hat man halt auch schon gesehen,
dass sich auf jedem Bein jeweils eine riesige Blase abhebt auf den Oberschenkeln.
Also so groß wie die Oberschenkel groß.
Und ja, das war halt einfach schlimm und die Heilung war schlimm.
Also es waren ja Verbrennungen zweiten Grades.
Das ist ja noch lange nicht das, was man bekommen würde,
wenn die Haut wirklich brennt.
Aber sogar beim zweiten Grad war das so schlimm,
weil die Beine ja für wochenlang in diesem Verband waren.
Und diese nachgewachsene Haut, die musste dann auch noch mal abgetragen werden.
Ich weiß gar nicht mehr, wieso.
Und das war einfach nur furchtbar.
Ja.
Oh, ich stelle mir das auch so schrecklich vor.
Und finde es auch verrückt, wie der Körper dann so reagiert,
dass du dann, weißt du, dass du dann nicht im ersten Moment schon um Hilfe geschrien hast oder so,
sondern erst so, ja, eigentlich total interessant.
Bei mir, ja, ist noch nicht mal annähernd was, was du erlebt hast,
aber ich hatte ja mal so eine allergische Reaktion.
Oh ja, ich erinnere mich an das Foto.
Das hatte nichts mit kochendem Wasser oder Feuer zu tun.
Aber ehrlicherweise sah dein Gesicht aus, als hätte man es mit kochendem Wasser überkostet.
Und ja, und da wurde mir irgendwie auch gesagt im Krankenhaus, das ist wie oder das fühlt sich an,
wie Verbrennung ersten bis zweiten Grad ist, weil ich noch wusste,
ich musste dann halt mit Cortisoncreme so eingeschmiert werden,
aber ich konnte nichts anziehen, mich nicht berühren an der Haut und so,
weil das so weh getan hat.
Ja, natürlich kann man das überhaupt nicht sich vorstellen.
Und es ist eben nicht so, dass du es hast und danach ist es weg,
sondern es ist diese ewig lange Heilung.
Und du durftest doch dann auch nicht in die Sonne und so was.
Also es ist ja dann auch noch lange nicht vorbei, nur weil der Schmerz vorbei ist.
Genau, also das ganze Jahr im Sommer immer verdeckt
und ehrlicherweise sieht man es ja auch heute noch.
Also es ist nicht irgendwie vernarbt im Sinne von, dass es uneben ist,
aber man sieht schon, dass an den Stellen, wo diese große Blase war,
da halt andere Haut drauf ist.
Ja.
Und das Ding ist, die Haut ist halt unser größtes Organ, ja,
und deswegen kann das natürlich auch gefährlich werden,
wenn das dann so verletzt wird, ne.
Und bei Erwachsenen, da spricht man je nach Grad der Verbrennung
ab einer bestimmten Fläche von so 15 Prozent der Haut von Lebensgefahr,
weil die Betroffenen dann auf so eine Art Verbrennungsschock zulaufen.
Und da ist es so, dass aus dieser gesamten Haut,
also nicht nur da, wo sie verbrannt wurde,
sondern aus der gesamten Haut,
dann permanent so eine Gewebsflüssigkeit raustritt.
Und weil sich das Wasser auch überall sammelt,
schwillt dann alles an.
Und diese giftigen Abbaustoffe von diesen toten Hautzellen,
die eigentlich abgetragen werden sollen,
die landen ja dann im Blut.
Und das kann wiederum bestimmte Organe schwer belasten.
Und wenn der Körper dann auch noch zu viel Flüssigkeit verliert,
dann kann das Blut verdicken.
Und das wiederum kann dann zu einem Kreislaufzusammenbruch
und einem Multiorganversagen führen.
Also man darf Verbrennung echt nicht unterschätzen.
Und ich musste da auch irgendwie an die Leute denken,
die aus den Twin Towers gesprungen sind bei 9-11.
Weil damals hatte man bei Untersuchungen ja so rausgefunden,
dass halt einige gesprungen sind,
weil sie diese Hitze einfach nicht mehr ertragen haben.
Und die Temperaturen im Gebäude,
die lagen halt teilweise bei 1000 Grad Celsius.
Es gibt halt einige, die das damals miterleben mussten
und die eingeschlossen waren.
Und die berichten, dass der Boden halt auch eben so heiß war,
dass man auf die Schreibtische oder auf sonst was klettern musste,
weil man nicht mehr stehen konnte in seinen Schuhen.
Dr. Prülks sitzt im Nationalen Forschungsrat in Kanada,
der menschliche Verhalten bei Bränden untersucht.
Und sie sagt in einem Interview mit der New York Times,
dass das Springen so ist, als würde man sich einen Finger verbrennen
und dann halt von der heißen Herdplatte ziehen.
Weil manche sich ja auch gefragt haben,
warum springen die denn in den sicheren Tod?
Wenn vielleicht drinnen noch die Chance bestanden hätte oder so.
Aber es ist halt, man hält halt die Hitze nicht mehr aus
und dann springt man einfach.
Eine, die am 11. September gerade im Nordturm des World Trade Centers war,
ist Lauren Manning.
Und als das erste Flugzeug in das Gebäude stürzte,
entstand so eine Art Feuerball.
Und der ist dann durch einen Aufzugsschacht in die Lobby geschleudert worden.
Und zwar direkt auf Lauren zu.
Und Lauren erinnert sich noch an ein unglaublich lautes, pfeifendes Geräusch
und daran, dass sie wenig später in Flammen stand.
Sie sagt, der Schmerz war unermesslich erdrückend.
Er drang immer tiefer an mich ein.
Ich brannte bei lebendigem Leib.
Es gibt keine anderen Worte dafür.
Und Lauren stürmte dann halt eben raus
und kann dann auch noch rechtzeitig in ein Krankenhaus gebracht werden,
weil ja draußen dann Leute geholfen haben.
Über 80 Prozent ihres Körpers sind verbrannt.
Sie liegt drei Monate im Koma.
Es ist eh ein Wunder, dass diese Frau das überlebt hat.
Da haben wirklich wenig Leute auch dran geglaubt.
Und am Ende dauert ihre Genesung halt zehn Jahre
und es braucht etliche Operationen.
Also abgesehen von diesen unerträglichen Schmerzen,
selbst wenn man so einen Angriff überlebt,
dauert es einfach, bis das geheilt ist.
und das alles überstanden ist.
Und von daher wird bei einer Verbrennung am lebendigen Leib,
selbst wenn die Qualen ab dem Entzünden nur ganz kurz sind,
zehn Sekunden oder sogar weniger,
von der Erfüllung des Merkmals der Grausamkeit ausgegangen.
Mein Fall erzählt auch von einer jungen Frau und ihrem Kind,
die auf der Suche nach einem ganz bestimmten Glück ist.
Alle Namen habe ich geändert.
Alle Namen habe ich geändert.
60 quälend lange Minuten muss Janine ausharren.
In der Sitzecke des Beerdigungsinstituts.
An ihrer Seite Beate als moralische Stütze.
Sie war es auch, die diesen Termin vereinbart hatte,
nachdem Janine ihr offenbarte,
dass ihre Tochter in drei Monaten sterben wird,
an einem Tennisball großen Tumor in ihrem Kopf.
Was sie sich denn für ihre kleine Mila vorstellen könnte,
wird Janine von der Mitarbeiterin gefragt,
die ihnen gegenüber sitzt.
Eine Sehbestattung fände sie schön,
antwortet die 21-Jährige emotionslos.
Das würde passen.
Schließlich komme sie ja ursprünglich von der Nordseeküste.
Drei Wochen später wird Mila tot
in der Erdgeschosswohnung des hellgelben Mehrfamilienhauses
am Soester Stadtrand aufgefunden.
Doch gestorben ist das drei Monate alte Baby,
wie die Obduktion ergibt,
nicht an einem Hirntumor.
Janine wird 1992 in Wittmund an der Nordsee geboren.
Ihr Start ins Leben ist nicht leicht.
Schon vor der Schwangerschaft
hatte ihre Mutter viel Alkohol getrunken.
Aufgehört hatte sie, als die Periode ausblieb, nicht.
Im Gegenteil.
Jeden Tag kippte sie bis zu drei Flaschen Weinbrand
in ihre Blutbahn,
der Janines Gehirn im Mutterleib
mit jedem Schluck ein bisschen mehr Schaden zufügte.
So wie ihre Mutter das auch schon
bei Janines Schwester Bella getan hatte.
Nach der Geburt kommt Janine dann in einen Haushalt,
in dem hochprozentiger Alkohol
auch weiterhin zum Inventar gehört.
Nicht nur die Mutter, auch der Vater ist abhängig.
Entfliehen kann Janine dem Elend nicht.
Sie kommt nicht in die Kita und auch nicht in den Kindergarten.
Als sie mit sechs Jahren dann eingeschult wird,
zeigen sich erste Konsequenzen des Alkoholkonsums ihrer Mutter
während der Schwangerschaft.
Janine ist nicht annähernd so weit wie ihre MitschülerInnen
und gerät immer wieder mit ihnen aneinander.
Als ihr Vater ein Jahr nach ihrer Einschulung
für zwei Jahre ins Gefängnis muss,
zerbricht die Beziehung der Eltern
und somit auch der Kontakt zwischen Janine und ihrem Vater.
Durch seine Abwesenheit
und die immer schlimmer werdende Sucht der Mutter
ist Janine noch mehr auf sich alleine gestellt.
Niemand lernt mit ihr für die Schule,
niemand nimmt sie mal in den Arm
und niemand hält sie davon ab,
sich an den Schnapsflaschen der Mutter zu bedienen.
Wie alt ist sie da?
Da ist sie noch unter zehn.
Boah.
Mit zehn Jahren kann sie mit der Situation nicht mehr umgehen
und erklärt ihrer Mutter,
dass sie zu ihrem Vater ziehen möchte,
der mittlerweile eine neue Partnerin gefunden
und auch schon ihre ältere Schwester Bella aufgenommen hat.
Es geht vom Regen in die Traufe,
denn auch hier findet Janine keine liebevolle Familie vor.
Die Freundin ihres Vaters akzeptiert sie und Bella nicht
und immer wieder bekommen die zwei Hausarrest.
Fünf Jahre hält Janine es hier aus,
bis sie sich mit 15 Jahren an die Schulsozialarbeiterin
an ihrer Hauptschule wendet.
Janine erklärt der Frau,
ihr Vater habe sie sexuell missbraucht,
weshalb sie unbedingt aus der Familie wolle.
Das Jugendamt vermittelt Janine daraufhin
in eine Pflegefamilie im westfälischen Soest.
Auch der Staat in dieses Leben fällt der Jugendlichen schwer.
An Regeln und feste Strukturen muss sie sich erst gewöhnen,
denn die 15-Jährige ist unselbstständig, verantwortungslos
und es ist ihr nicht möglich,
normale soziale Beziehungen aufzubauen.
Verzweifelt sucht Janine nach Bindungen,
von denen sie sich Anerkennung und Nähe verspricht
und neigt dazu, sich fest an diese Menschen zu klammern.
Wenn sie sie damit von sich wegstößt,
lügt sie, um ihre Aufmerksamkeit zurückzuerlangen.
So war auch der Missbrauch durch den Vater nur erlogen,
um halt aus der Familie zu kommen.
Bis zu ihrem 17. Lebensjahr
macht Janine nachts ins Bett.
Manchmal, wenn das Leben sie besonders überfordert,
näscht sie auch tagsüber ein.
Diese Angewohnheit stoppt erst,
als ihre Pflegeeltern sie zu einer Therapeutin bringen
und Janine zweimal die Woche Gespräche führt.
Alles wird besser, bis es schlechter wird.
Im Sommer 2009 lässt Janine wieder ein.
Sie hat Angstzustände und keine Lust auf gar nichts.
Janine wird daraufhin wegen eines depressiven Schubs
drei Wochen lang stationär behandelt.
Zwei Monate später noch einmal für drei Monate.
Mit 19 Jahren zieht Janine dann aus.
Mit ihrem nachgeholten Realschulabschluss in der Tasche
und der gerade begonnenen Ausbildung zur Hauswirtschaftlerin
fühlt sie sich erwachsen genug,
auf eigenen Füßen zu stehen.
Ihre Pflegeeltern hatten ihr zwar geraten,
in eine betreute WG zu ziehen,
weil sie Sorge haben,
dass ein Leben ohne Regeln und Struktur
Janine überfordern würde,
aber sie möchte ihr eigenes Reich.
Und mit diesem kommt eine neu gewonnene Freiheit.
Janine, die sich auf Facebook mit blond gesträhnter Kurzhaarfrisur,
knallroten Lippen und Piercings in Nase und Mund präsentiert,
liebt es zu feiern.
Mit ihren schwarzen Chucks,
der Jeansweste mit dem großen Aufdruck gegen Nazis
und dem Leo-Kleid
ist Janine jetzt jedes Wochenende in den Soesterkneipen unterwegs,
um die Nacht zum Tag zu machen.
Und es dauert nicht lang,
da verliebt sich Janine Hals über Kopf.
In Tom.
In ihrer Timeline liest man in dieser Zeit Statusmeldungen wie
Liebe ist der Entschluss,
das Ganze eines Menschen zu bejahen.
Die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen.
Ich liebe dich.
Janine liebt Tom und Tom liebt Janine.
Doch nach fast einem Jahr Beziehung
kommt es zu einem Abend,
an dem Janine nach einem Disco-Besuch
mit einem anderen Mann nach Hause geht.
Tom ist stinksauer.
Janine erklärt ihm daraufhin,
sie sei zum Sex gezwungen worden.
Doch das zieht nicht.
Janine versucht Tom dann noch
mit einer zweiten Lüge zum Bleiben zu bewegen.
Ihre Mutter sei ganz plötzlich verstorben.
Doch diesmal hilft Mitleid nicht,
um Liebe zu erfahren.
Tom trennt sich.
Janine fällt in ein dunkles Loch zurück
und landet wieder in der Klinik.
Die Trennung belastet Janine so sehr,
dass sie nicht mehr weiter weiß.
Sie hat in diesen depressiven Phasen kaum Kraft,
sich um irgendetwas zu kümmern.
Auch das Einnässen beginnt dann wieder von vorne.
Als sie die Klinik im März 2012
nach einem erneuten Freiwilligenaufenthalt verlässt,
wird ihr ein Betreuer zur Seite gestellt.
Er soll Janine helfen, stabil zu bleiben
und auch richtig mit Geld umzugehen.
Denn häufig ist schon Mitte des Monats
nichts mehr auf ihrem Konto.
Nach den zwei stationären Aufenthalten
kommt Janine in der Berufsschule nicht mehr mit.
Sie sieht sich nicht imstande,
den Berg an Versäumnissen zu überwinden.
Und so bricht sie die Ausbildung schließlich ab.
Jetzt hat sie noch mehr Zeit,
sich in den Kneipen und Diskotheken der Stadt rumzutreiben
und an einem dieser Abende lernt sie Mike kennen.
Die beiden gehen eine Art Freundschaft plus ein,
die für Janine aber schnell zu mehr wird.
Mike fühlt sich von ihr allerdings zu sehr eingeengt
und trennt sich.
Dabei hat Janine gerade gemerkt,
dass sie von ihm schwanger ist.
Gemeinsam entscheiden sie sich für einen Abbruch.
Den Janine schon bald bereut.
Umso glücklicher ist sie,
als sie einige Monate später wieder schwanger wird,
von einem Mann,
mit dem sie eine kurze Affäre hat.
Diesmal möchte Janine das Kind unbedingt behalten.
Sie freut sich sogar richtig
und spürt zum ersten Mal,
wie sie das Mutterglück überkommt.
Besonders schön findet sie,
dass auch ihre beste Freundin Katja gerade schwanger ist.
So können sie diese besondere Zeit gemeinsam erleben.
Die beiden Frauen nehmen sich fest vor,
ihre Kinder sollen es einmal besser haben als sie.
Um dieses Ziel zu verwirklichen,
holt sich Janine noch während der Schwangerschaftshilfe
beim Jugendamt.
So bekommt sie Unterstützung bei den wichtigen Behördengängen,
dem Einrichten des Kinderzimmers
und der Geburtsvorbereitung.
Im Februar 2013,
da ist Janine gerade im vierten Monat schwanger,
endet dann ihre langjährige Psychotherapie.
Denn in diesem Monat wird Janine 21,
womit diese Art der Behandlung
nicht mehr weitergeführt werden kann.
Die Therapeutin sieht aber auch keinen Bedarf.
Janine hat sich toll entwickelt
und seit fast einem Jahr keinen depressiven Schub mehr gehabt.
Die Schwangerschaft scheint ihr richtig gut zu tun.
Und so fühlt sich Janine bereit für Mila,
die am 21. Juli 2013 das Licht der Welt erblickt.
145 Gramm bringt die Kleine bei einer Körpergröße von 49 Zentimetern auf die Waage.
Mutter und Kind geht es gut,
bis auf die vom Stillen wund gewordenen Brustwarzen.
Für Janine ein unhaltbarer Zustand,
weshalb sie sich direkt nach der Geburt dafür entscheidet,
Mila mit Fertignahrung aufzuziehen.
Nach fünf Tagen im Krankenhaus
darf Janine Mila mit nach Hause nehmen,
in die kleine Erdgeschosswohnung
des gelb getünchten Familienhauses am Stadtrand.
Starthilfe bekommt Janine von der ambulanten Familienhilfe
und einer gelernten Kinderkrankenschwester.
Zweimal die Woche ist ab jetzt jemand da,
um der jungen Mutter unter die Arme zu greifen.
Janine ist dankbar dafür.
Sie stellt viele Fragen zur Versorgung von Mila
und wächst immer mehr in ihre Mutterrolle hinein.
Sie kümmert sich fürsorglich um ihr Baby,
neigt dazu, sich auch an Mila zu klammern.
Auch die Kleine entwickelt sich prächtig.
Bei der Vorsorgeuntersuchung im September
stellen die Ärztinnen fest, dass alles in Ordnung ist.
Auf Facebook postet Janine daraufhin ein Foto von sich und ihrer Tochter,
auf dem die beiden Nase an Nase im Bett liegen.
Ein Monat später, Mila ist mittlerweile drei Monate alt,
endet die Betreuung durch die Kinderkrankenschwester.
Sie sieht keinen Grund, Janine auch über den angedachten Zeitraum hinaus zu unterstützen.
Doch dass Janine keine Hilfe mehr braucht, das scheint nur nach außen hin.
In ihrem Inneren ist nämlich Chaos ausgebrochen.
Das Mutterglück, das sie so stark gespürt hatte,
ist kurz nach der Geburt Überforderung und Stress gewichen.
Immer häufiger lässt sie Mila jetzt alleine zu Hause,
um dieser neuen Realität zu entfliehen.
Sie geht aus, feiert, trinkt.
Und wie alt ist das Baby da?
Drei Monate.
Ich meine, ist ja auch egal, das ist ein Baby, das lässt man ja gar nicht alleine.
Ja.
Janine will halt ihren alten Lebensstil, nur weil sie jetzt ein Kind hat, nicht aufgeben.
Und wenn ihre Freundinnen mitbekommen, dass sie nachts unterwegs ist,
erzählt sie ihnen, sie habe einen Babysitter gefunden
oder Mila zu ihren Großeltern gebracht.
Janines Pflegeeltern hatten tatsächlich schon öfter angeboten, das Kind zu hüten,
doch Janine war nie darauf eingegangen.
Als sie an einem der Tage, an denen es besonders dunkel ist, ihre Schwester anruft
und die ihr sagt, dass sie gerade keine Zeit hat, fängt Janine an zu weinen.
Auf die Frage, was los sei, erzählt sie, dass bei der Vorsorgeuntersuchung ein Hirntumor festgestellt wurde,
weshalb Mila nur noch wenige Monate zu leben hätte.
Also sagt sie das jetzt, weil die Schwester keine Zeit hat zu telefonieren?
Ja.
Weil sie sich mit dieser Lüge erhofft, dann Aufmerksamkeit von der zu bekommen.
Boah.
Bella ist entsetzt und nimmt sich natürlich jetzt die Zeit und Aufmerksamkeit, die Janine von ihr braucht.
Diese Lüge wird Janine in den nächsten Wochen aber auch noch anderen erzählen.
Am 18. Oktober ist Janine dann mal wieder nachts unterwegs, während Mila alleine zu Hause liegt.
Diesmal ist die 21-Jährige mit ihren Freundinnen mit dem Zug nach Münster gefahren,
um im Club Charlotte zu feiern.
Einem Club, der für seine sogenannten Goa-Partys bekannt ist.
Partys, in denen zu elektronischer Musik Pillen geschluckt und Nasen gezogen werden,
um sich in einen Zustand zu katapultieren, der dafür sorgt, dass man nicht nur eine Nacht feiern kann.
Die Musik ist laut, der Bass dröhnt und als Janine Ecstasy angeboten wird,
sagt sie zum ersten Mal in ihrem Leben nicht Nein.
Für sie ist das High, das kurze Zeit später einsetzt, ein unglaubliches Gefühl.
Es fühlt sich an wie Glück.
Janine ist frei und ihr Leben unbeschwert.
In diesem Zustand lernt sie Marco kennen, in den sie sich gleich verguckt.
Mit ihm feiert sie, bis der Morgen anbricht.
Erst dann nimmt sie den Zug.
Zurück zu Mila.
Der Joint, den sie dann am Samstag zum Runterkommen raucht, hilft nicht.
Und so geht sie auch an diesem Abend wieder raus.
Diesmal mit einer Freundin in Soest.
Als Janine von der Toilette der Kneipe kommt, ist sie wie verändert.
Ich hab was genommen, sagt sie zur Erklärung.
Als sie ihre Freundin zwischen zwei und drei Uhr verabschiedet, bleibt Janine noch.
Um den Haushalt kümmert sie sich jetzt nicht mehr.
Stapeln sich benutzte Windeln in gelben Säcken, Geschirr in der Spüle und Flaschen in der ganzen Wohnung.
Die Jalousien, die wie immer zur Hälfte heruntergezogen sind, sorgen dafür, dass das Chaos im Halbdunkeln verschwindet.
Aber nicht nur dem Haushalt schenkt Janine keine Aufmerksamkeit mehr.
Auch ihr Baby bekommt immer weniger Nahrung, immer weniger Flüssigkeit.
Janine sagt dann auch noch die Termine mit der Familienhilfe für die Woche ab.
Gibt vor, krank zu sein.
Mila geht es aber gut, alles sei vorhanden, beschwichtigt sie die Familienhilfe.
Alles sei vorhanden.
Am 29. Oktober sitzt Janine beim Bestattungsinstitut.
An ihrer Seite Katjas Mutter Beate, als moralische Stütze.
Sie war es auch, die diesen Termin vereinbart hatte, nachdem Janine ihr offenbarte,
dass ihre Tochter in drei Monaten sterben wird, wegen eines Tennisball großen Tumors in ihrem Kopf.
Was sie sich denn für ihre kleine Mila vorstellen könnte,
wird Janine von der Mitarbeiterin gefragt, die ihnen gegenüber sitzt.
Eine Seebestattung fände sie schön, antwortet die 21-Jährige emotionslos.
Das würde passen.
Schließlich komme sie ja ursprünglich von der Nordseeküste.
Also was ist das?
Also das jetzt, um eine Lüge aufrecht zu erhalten, weil ihre Schwester keine Zeit zum Telefonieren hatte,
sitzt die jetzt im Bestattungsinstitut oder was?
Ja, sitzt im Bestattungsinstitut und lässt sich beraten, wie sie ihre Tochter beerdigen kann,
die überhaupt nicht sterbenskrank ist.
Also, naja.
Mit den Gedanken ist Janine aber nicht bei der Beerdigung ihres Kindes,
sondern bei dem in zwei Tagen beginnenden langen Wochenende im Club charlet.
Dort soll von Donnerstag bis Sonntag durchgefeiert werden.
Janine ist schon ganz aufgeregt, hofft sie doch, Marco dort wieder zu treffen.
Noch mehr als auf Marco freut sich die 21-Jährige allerdings auf das künstliche Glück,
das sie unbedingt wieder spüren möchte.
Problem ist nur, sie hat kein Geld mehr für den Monat und Drogen sind teuer.
Also meldet sich Janine bei ihrem Betreuer,
um die eigentlich erst für den kommenden Montag geplante Geldübergabe vorzuziehen.
Bei dem Termin erzählt Janine dann auch noch von einem kaputten Kühlschrank,
den es nicht gibt, und von einem Gebrauchten ihres Nachbarns,
den sie für 70 Euro kaufen könnte.
Am Ende hat sie 320 Euro in der Tasche.
Am Donnerstag entdeckt sie dann auf der Facebook-Seite des Clubs
unter der Freundesliste das Profil von Marco.
Sofort schickt Janine ihm eine Anfrage.
Um 13.56 Uhr erscheint dann die erste Nachricht von ihm in ihrem Chatfenster.
Janine erzählt Marco, dass sie nach ihrer ersten Goa-Party sanft gelandet
und einfach nur geflasht war.
So was haben sie noch nie erlebt, der absolute Wahnsinn.
Ich freue mir den Arsch ab auf heute Abend.
Wäre geil, wenn wir uns sehen, tippt sie.
Janine unterschreibt mit faustdick hinter den Ohren,
in Anspielung auf ihr kleines Tattoo, das sie hinter dem Ohr trägt.
Ihren Freundinnen erzählt sie,
dass sie übers Wochenende nach Münster zum Feiern fährt
und Mila bei ihren Pflegeeltern bleibt.
Doch statt Mila dort sicher unterzubringen,
füttert und wickelt Janine sie gegen 19.30 Uhr an diesem Donnerstagabend zum letzten Mal.
Nur in einem Body bekleidet,
legt sie Mila nicht in ihr Kinderbett, sondern auf ihr eigenes.
Ohne sie zuzudecken,
obwohl das Thermometer der Heizung nur 16 Grad anzeigt.
Um sie herum baut Janine mit Kissen eine Absperrung,
damit Mila nicht aus dem Bett fallen kann.
Dann schließt sie die Tür hinter sich
und lässt das drei Monate alte Kind allein zurück.
Die erste Station an diesem Abend ist vor Glühen bei einer Freundin.
Während die anderen sich irgendwann Richtung Innenstadt aufmachen,
geht Janine zum Bahnhof,
wo sie um 23.45 Uhr den Zug nach Münster nimmt.
Gegen halb zwei betritt Janine dann den Club.
Als erstes sucht sie die Tanzflächen nach Marco ab,
bis sich ihre Blicke treffen.
Eine ihrer ersten Fragen an ihn ist,
von wem man Drogen kaufen könne.
Janine versorgt sich mit Ecstasy und Speed
und fängt an, sich Pillen einzuschmeißen und Nasen zu ziehen,
um so schnell wie möglich das Gefühl zu erlangen,
das sie seit dem letzten Mal so sehr vermisst.
Und dann setzt es ein.
Und Janine steigt in den siebten Himmel auf.
Während sie durch die Großraumdisco schwebt,
bleibt sie schließlich in einem Kreativraum hängen,
bei dem bei Schwarzlicht mit fluoreszierenden Farben gemalt wird.
Hier will sie bleiben.
Hier, wo alles so schön bunt ist.
Janine feiert immer weiter,
gibt ihr ganzes Geld für Drogen aus.
Ihre Sorgen werden immer kleiner.
Alles fühlt sich leicht und unbeschwert an.
Während die Welt um die 21-Jährige langsam verschwimmt,
schreit 50 Kilometer entfernt ihre Tochter verzweifelt um Hilfe.
Doch Janine hört sie nicht.
Sie hört nur den dumpfen Bass der Musik.
Es wird Freitag, Samstag und dann Sonntag.
Am Sonntagmittag verlassen Janine und Marco gemeinsam den Club,
um zu ihm in die WG zu gehen.
Nachdem beide geduscht haben, legen sie sich ins Bett.
Janine fällt in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst wieder am Montagmorgen erwacht.
Als sie auf ihr Handy blickt, sieht sie Mila auf ihrem Hintergrundbild.
Davor zeichnet sich eine Nachricht einer Freundin ab.
Sie fände es komisch, dass Janine das ganze Wochenende Party mache, während ein Kind auf sie warte.
Janine antwortet ihr, dass sie das gar nichts angehe.
Mit den MitbewohnerInnen von Marco unterhält sie sich daraufhin über Mila,
die bei ihren Pflegeeltern sein soll und nur noch wenige Monate zu leben habe.
Als Janine die Geschichte erzählt, fängt sie an zu weinen.
Ihr ist jetzt bewusst, dass ihre Tochter ihr Partywochenende nicht überlebt haben kann.
Für eine halbe Stunde zieht sie sich deshalb auf die Toilette zurück.
Erst am Vormittag des nächsten Tages fährt sie zurück nach Soest.
Als Janine ihre Wohnung betritt, findet sie Mila tot auf ihrem Bett.
Der 21-Jährige bricht zusammen, legt sich neben ihre Tochter und spricht mit ihr.
Am nächsten Tag meldet sie sich bei Marco.
Es sei öde und sie wäre lieber bei ihm.
Vermisse ihn.
Mila sei bei ihrer Schwester.
Und so verabreden die zwei, dass Marco Janine um 17.10 Uhr am Bahnhof in Münster abholen solle.
Die nächsten zwölf Tage bleibt Janine bei Marco,
während in ihren eigenen vier Wänden die Leiche ihrer Tochter liegt.
Sie geht feiern, schläft mit Marco und schmeißt sich Drogen ein.
Als Janine dann am 18. November zu dem Termin mit ihrem Betreuer kommt,
um das Geld für die nächsten zwei Wochen abzuholen,
erklärt sie ihm, Mila sei zu Hause und eine Freundin passe auf.
Der Betreuer besteht darauf, mit ihr in die Wohnung zu kommen.
Auf dem Weg dorthin gesteht Janine ihm dann, dass Mila gestorben sei.
Ganz plötzlich sei sie eines Morgens nicht mehr aufgewacht.
Sie sei dann verschreckt zu ihrem Freund nach Münster gefahren.
Sofort wird die Polizei verständigt,
die in der völlig verwahrlosten und vermüllten Wohnung auf dem Bett eine verweste Babyleiche findet.
Ein halbes Jahr später beginnt der Prozess gegen Janine am Landgericht Arnsberg.
Die mittlerweile 22-Jährige erscheint in schwarzem Hoodie,
der ihre jetzt kurzen braunen Haare verdeckt und dessen Kapuze tief ins Gesicht gezogen ist.
Darunter blitzen ab und an ihre müden Augen hervor,
die von einer dicken schwarzen Brille umrandet sind.
Die Monate in Untersuchungshaft haben Janine zugesetzt.
Mittlerweile ist sie in einer Einzelzelle untergebracht,
aus Sorge vor Angriffen der Mitgefangenen.
Janine wirkt teilnahmslos, als der Staatsanwalt ihr ihre Tat vorwirft.
Die Angeklagte habe ihr Kind qualvoll verdursten und verhungern lassen,
weil sie ihrem eigenen Leben im Weg stand und sie mit der Verantwortung überfordert war.
Grausam und aus niedrigen Beweggründen habe sie ihr Kind durch Unterlassen ermordet.
Diesen Vorwurf lässt die Verteidigung nicht lange auf sich sitzen.
Janine gibt gleich zu Beginn des ersten Prozesstages zu,
ihre Tochter alleingelassen zu haben.
Dass sie stirbt, habe sie aber nicht gewollt.
Als sie am 31. Oktober zum Bahnhof gegangen sei,
habe sie noch gedacht, in ein paar Stunden wieder zurück zu sein.
Es habe einen Zug um kurz vor fünf zurück nach Soest gegeben.
Den habe sie nehmen wollen.
Janine will nicht gewusst haben,
dass die Party mehrere Tage gehen sollte
und habe durch die Drogen die Zeit vergessen.
Immer wieder betont sie, sie habe nicht gewollt, dass Mila stirbt.
Ich habe sie hingelegt und habe sie dann vergessen,
sagt sie mit leiser Stimme.
Hm.
Als nächstes wird der Rechtsmediziner gerufen.
Laut seinem Gutachten starb Mila
zwischen Freitagabend und Sonntag
an den Folgen der Unterversorgung.
Säuglinge in dem Alter bräuchten täglich
zwischen 600 und 900 Milliliter Flüssigkeit.
Spätestens als Mila am Freitagmorgen erwachte und nicht gefüttert wurde,
muss sie daher aufgrund ihres Hungers
beziehungsweise Durstgefühls angefangen haben zu schreien.
Weil niemand kam, um ihre Bedürfnisse zu stillen,
war das Baby nach stundenlangem Todeskampf gestorben.
Um herauszufinden, ob der Mutter klar war, dass dies geschehen kann,
wird der nächste Sachverständige in den Zeugenstand geladen.
Der psychiatrische Gutachter ist sich sicher,
dass Janines Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
beim Verlassen der Wohnung am Donnerstag nicht eingeschränkt waren.
Zu dem Zeitpunkt sei sie in der Lage gewesen,
sowohl ihre eigenen Interessen als auch die Gefährdung ihres Kindes zu erkennen
und gegeneinander abzuwägen.
Obwohl der Gutachter bei Janine das fetale Alkoholsyndrom
eine hirnorganische Schädigung feststellen kann,
die durch den Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft entstanden ist,
kommt er zu dem Schluss, dass dieses nicht in der Weise ausgeprägt sei,
dass es mit einer schweren Persönlichkeitsstörung vergleichbar sei.
Also der Gutachter hat schon gesehen, dass sie dieses Syndrom hat
und dass das auch ihr Leben beeinflusst.
Zum Beispiel halt in dem Sinne, dass sie keine normalen Beziehungen eingehen kann,
dass sie auch einen geringen Intelligenzquotienten hat
und dass sie auch immer sehr viel lügt.
Doch durch die Drogen im Zusammenwirken mit dem Syndrom
sei Janine irgendwann im Laufe der ersten Nacht
in den Zustand einer krankhaften seelischen Störung geraten.
Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie durch diese Wirkung die Zeit vergaß
und die Sorge um ihre Tochter aus ihren Gedanken verschwand.
Der Sachverständige hält Janine daher für den Tatzeitraum für eingeschränkt schuldfähig.
In den nächsten Verhandlungstagen werden Zeuginnen aus Janines Umfeld geladen.
Darunter auch ihre beste Freundin Katja, die mit den Tränen kämpft,
als sie erzählt, wie Janine ihr von dem Hirntumor der kleinen Mila erzählte.
Sie habe, wie viele andere Zeuginnen, eine liebevolle Mutter kennengelernt.
Umso enttäuschter sei sie jetzt von ihrer ehemals besten Freundin.
Am Ende ihrer Aussage wendet sie sich noch zu Janine und sagt,
wenn ich mir vorstelle, wie lange Mila geschrien hat.
Sie hat dich gerufen, sie hat auf dich gewartet.
Auf die Lüge mit dem Hirntumor angesprochen,
erklärt Janine, sie habe es sich ausgedacht, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Das habe sie schon oft getan.
Ein Symptom des fetalen Alkoholsyndroms.
Sie wisse nicht, warum sie sowas mache.
Sie könne die Lügen nicht kontrollieren.
Nach acht emotionalen Verhandlungstagen setzt der Staatsanwalt zum Plädoyer an.
Ungewohnt brüchig ist seine Stimme.
Die Hände zittern, mit denen er seine handgeschriebene Rede festhält.
Noch nie hätte er es mit einem Opfer zu tun gehabt, das noch nicht einmal vier Monate alt war.
Auch wenn man davon ausgehen müsse, dass die 22-jährige Angeklagte ein fetales Alkoholsyndrom hat,
habe dies nicht den Stellenwert einer psychischen Erkrankung.
Die Frau habe gewusst, was sie tat, als sie zu der Party ging und ihr Kind seinem Schicksal überließ.
Die Angeklagte habe Drogen nehmen wollen und gewusst,
dass sie im Rausch nicht mehr verantwortlich handeln werden könne.
Sie habe daher nicht planen können, nach drei Stunden wieder nach Hause zu fahren.
Mord durch Unterlassen, fordert der Staatsanwalt deshalb.
Zu 75 Prozent stimme ich dem Staatsanwalt zu.
So beginnt der Verteidiger sein Plädoyer.
Er betont nochmal, dass seine Mandantin noch in der Nacht habe zurückfahren wollen,
durch den Drogenkonsum sei sie dann aber nicht mehr einsichts- und steuerungsfähig gewesen.
Er plädiert auf fahrlässige Tötung und verminderte Schuldfähigkeit.
In ihrem letzten Wort flüstert Janine unter Tränen.
Mir tut es leid. Was passiert ist, ist ganz schrecklich.
Dann fügt sie in etwas lauterem Ton hinzu.
Eigentlich ist es scheißegal, was ich für eine Strafe kriege.
Ich bin sowieso schon gestraft genug.
Am 9. Juli 2014 ergeht schließlich das Urteil.
Janine wird wegen grausamen Mordes durch Unterlassen aus niedrigen Beweggründen
zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Für die Begründung seines Urteils nimmt sich der Vorsitzende Richter eine ganze Stunde Zeit.
Janine habe aus Erfahrung gewusst, dass der von ihr gewünschte Zustand künstlichen Glücks
sie in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken könnte.
Dabei sei ja auch bewusst gewesen, dass die durch die vorherige Mangelversorgung bereits geschwächte Mila
mehrere Tage ohne Versorgung nicht überleben, sondern qualvoll verhungern und verdursten würde.
Beim Verlassen der Wohnung und bei der Entscheidung, im Club Drogen zu nehmen,
sei Janine in der Lage gewesen, abzuwägen.
Erst nach Einnahme der Drogen ergebe sich da etwas anderes.
Janine habe billigend in Kauf genommen, wegen des Drogenkonsums nicht mehr nach Hause fahren zu können.
Strafrechtlich entscheidend sei deshalb der Zeitraum vom Verlassen der Wohnung bis zur ersten Drogeneinnahme,
nicht die Zeit nach dem Konsum.
Bei ihrer Tat habe Janine grausam gehandelt.
Das Leiden des zurückgelassenen Säuglings habe sich mindestens zwölf Stunden gezogen.
Indem sie lieber mit einem potenziellen Partner feiern gehen und sich berauschen wollte,
als den Tod ihres Kindes zu verhindern, handelte sie außerdem aus niedrigen Beweggründen.
Sie habe ihr Interesse, ein relativ sorgloses Leben ohne Verantwortung weiterführen zu können,
über das Lebensrecht ihrer Tochter gestellt.
Der Angeklagten sei das Schicksal ihres Kindes und des eigenen Vergnügenwillens egal gewesen.
Am Ende des Urteils steht noch, Glück bedeutet für die Angeklagte nicht das mit den alltäglichen Sorgen und Nöten
einhergehende Mutterglück, sondern ein künstlicher Zustand, in dem die Realität völlig verdrängt war.
Also, du hattest mir ja bei der Vorbereitung erzählt, dass du aus dem Urteil rausliest,
dass die Richter in Janine gegenüber sehr negativ eingestellt waren.
Und als du dann erstes mit dem fatalen Alkoholsyndrom erzählt hattest,
habe ich gedacht, ach, das wundert mich jetzt aber, weil sie ja tatsächlich ähnlich dann ins Leben gestartet ist,
mit einer Familie, die nicht auf sie geachtet hat,
mit einer Mutter, die schon während der Schwangerschaft das offenbar nicht wichtig genug war,
dass es ihrem Kind gut geht.
Und inwieweit sie dann da auch nachher eine Verantwortung treffen wird, habe ich mich gefragt.
Aber als ich dann gehört habe, dass sie darauf hingesteuert ist, absichtlich,
dieses Kind da jetzt alleine zu lassen und ja auch zu wissen, dass sie stirbt, die Mila,
okay, dann ist mir natürlich klar, warum die so eine Verachtung ihr gegenüber haben
und warum sie sie nachher auch des grausamen Mordes schuldig gesprochen haben.
Weißt du, ich verstehe es einfach halt natürlich auch nicht.
Also eine Tötung kann man in den seltensten Fällen nachvollziehen.
Aber hier finde ich so vieles einfach so seltsam.
Sie hatte ja das Angebot, dass sich die Pflegeeltern um das Baby kümmern.
Sie hätte die Mila ja abgeben können.
Sie hätte die Mila auch woanders hingeben können, wenn sie sie nicht gewollt hätte.
Weißt du, es ist halt so, warum musst du dieses Leben jetzt töten?
Und dann aber auch noch diese Absperrung um dieses Bett herumzubauen, damit sie nicht runterfällt.
Warum denn?
Ja.
Du gehst doch eh davon aus, dass sie stirbt.
Also es ist halt so bescheuert alles.
Ja, mich hat der Fall auch einfach nur fertig gemacht irgendwie, weil sich ja auch so viele Frauen ein Baby wünschen, die keins kriegen können.
Und eine Adoptivmutter hätte sich bestimmt gefunden oder jemand anderes, eine Pflegefamilie eben, die sich über Mila gefreut hätten und sich darum gekümmert hätten.
Und es ist ja auch total okay, wenn man irgendwie überfordert ist.
Aber das muss man sich dann wirklich als erwachsener Mensch dann auch irgendwann eingestehen, wenn es nicht mehr nur um sich selber geht, sondern auch noch um einen anderen Menschen.
Und ja, keine Ahnung, also je mehr so Babys in meinem Umfeld auftauchen, desto mehr wird das jetzt sozusagen begreifbar bei mir, was es heißt, wenn jetzt ein drei Monate altes Baby alleine zu Hause ist.
Weißt du, ich sehe das dann vor mir und denke mir so, wie kann man das machen, ja?
Und dann denkt man wieder daran, ja, sie hatte auch einen sehr schweren Start ins Leben, möglicherweise Bindungsstörungen, dass sie dahin konnte, das Kind dann einfach liegen zu lassen und zu gehen.
Ja, und vor allem, dass sie sich so selber gedacht hat, nur weil sie jetzt ein Kind hat, will sie nicht auf ihren Lebensstil da verzichten.
Ja, guess what, das ist aber der Deal, den man eingeht, wenn man ein Kind kriegt, ja?
Da ändert sich halt dein komplettes Leben erstmal.
Ist halt so.
Ja, und um auf die Tat an sich jetzt wieder zurückzukommen, dieses Verhungern bzw. Verdursten lassen, das war ja jetzt nicht nur objektiv betrachtet super grausam, sondern auch rechtlich.
Und warum, darum geht es jetzt in meinem Aha.
Das Gericht hat zwar festgestellt, dass jetzt akuter Durst bei einem Menschen keine Schmerzen im eigentlichen Sinne auslöst, aber ein extrem belastendes Gefühl.
Und dieses Gefühl sei heftiger als das Gefühl bei Hunger, hat zumindest der Sachverständige im Gericht erklärt.
Und er hat dann auch nochmal gesagt, dass ein selbstständiger Mensch dann natürlich alles dafür tun würde, um an Flüssigkeit zu gelangen.
Und ein Säugling, klar, der kann das halt nicht und versucht dann, diesem Zustand irgendwie durch Schreien ein Ende zu setzen.
Und Menschen, die zum Beispiel vor einem medizinischen Eingriff nichts trinken dürfen, die beschreiben das Gefühl auch schlimmer als Schmerzen.
Und ich kann da auch aus eigener Erfahrung sprechen, weil im Februar war eigentlich ein Eingriff bei mir geplant.
Und für den musste ich einen Tag vorher einen Covid-Test machen in demselben Krankenhaus.
Und dann, als ich dann am nächsten Morgen nüchtern, also ohne Trinken und Essen, dahin kam, war das Ergebnis von dem Test noch nicht da.
Und es hieß, das Labor ist gerade überfordert.
Und ich muss halt warten, weil man halt ohne negativen Test nicht in den OP-Saal durfte.
Fun Fact.
Ich musste auf dem Flur warten, wo drei Meter entfernt die Corona-Station angefangen hat.
Das ist so geil.
Das hat wirklich gar keinen Sinn ergeben.
Und da habe ich dann acht Stunden ohne, ich durfte ja nichts essen und nichts trinken, acht Stunden gewartet, bis ich halt fast vor Durst umgekippt bin.
Und der Arzt dann gesagt hat, dass der Eingriff auf morgen verschoben wird und ich jetzt was trinken dürfte.
Also das war...
Toll, danke.
Also das war echt so schlimm.
Also mir wurde da auch richtig schummrig und so elend, diese Stunde.
Also mit jeder Stunde, die ich da war, wurde es viel schlimmer.
Ja.
Das ist ja auch kein Wunder, weil dein Körper muss ja irgendwie darauf aufmerksam machen, dass du hier langsam auf eine Dehydrierung zusteuerst.
Ja.
Und deswegen kann man das eben trotzdem als Qual ansehen.
Und das gleiche auch mit Hunger, ne.
Im Fall von Mila sprach das Gericht dann auch von einem starken, belastenden Hungerstress, der dann halt kommt.
Nachdem sie dann schon mehrere Stunden vor sich hin litt, lagerte sich durch den gestörten Elektrolythaushalt dann immer mehr Wasser im Gehirn ein, wodurch da so ein richtig hoher Druck entstand, der am Ende dafür sorgte, dass Mila kurz vor ihrem Tod in so eine tiefe Bewusstlosigkeit glitt.
Insgesamt, so stellt das Gericht fest, hat Mila aber ja über zwölf Stunden lang gelitten, bis das dann irgendwann eingetreten ist.
Und dass die Opfer leiden, ist bei den meisten Fällen von diesem Verhungernlassen.
Und bei den meisten Fällen von Verhungernlassen sind die Eltern die Täter, weil die Kinder eben an einer Unterernährung sterben.
Ja, genau, weil Kinder natürlich abhängig sind von den Eltern und Erwachsene, zumindest hier in Deutschland, ja, selten in so einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, wo die dann halt darauf angewiesen sind.
Dass jemand anderen den Nahrung gibt, also jetzt bei einer Entführung beispielsweise.
Aber ansonsten ist das deswegen natürlich eine typische Tat, die Eltern an ihren Kindern begehen.
Weil die Kinder eben abhängig sind, befinden sich die Eltern ja dann auch in dieser sogenannten Garantenstellung.
Also heißt, sie sind durch ihre elterliche Sorge rechtlich für das Wohl des Kindes verantwortlich und dazu verpflichtet, das Kind zu versorgen und zu pflegen.
Und diese Pflicht hatte Janine durch ihre Abwesenheit eben verletzt.
Sie hat die Versorgung von Mila unterlassen, was dann zum Tod geführt hat.
Wichtig bei einem grausamen Mord durch Unterlassen ist aber, rechtlich gesehen, dass diese Phase des Verhungernlassens mit einem Tötungsvorsatz einhergehen muss.
Deswegen war in meinem Fall quasi egal, dass Janine Mila vorher schon tagelang unterversorgt hatte,
weil sie da den Tod von Mila zumindest nicht nachweislich wollte und auch nicht billigend in Kauf nahm.
Da hatte das Gericht halt im Zweifel für Janine entschieden, die einen Kommentar des Kinderarztes wohl missverstanden hatte.
Also der Arzt hatte gesagt, sie soll ihr weniger geben und Janine hat ihr darauf aber viel zu wenig gegeben.
Aber wichtig für eine Verurteilung wegen grausamen Mordes ist auch, dass das Verhungern tatsächlich qualvoll war.
Und das ist bei einigen solcher Tötungsdelikte tatsächlich gar nicht so einfach nachzuweisen.
Das zeigt zum Beispiel ein Fall aus dem Jahr 2001.
Da stirbt der sechsjährige Michi an Gewebeschwund, nachdem der halt mehrere Monate unter Unterernährung litt.
Michi war das siebte von elf Kindern seiner Mutter, die mit ihm überfordert war.
So fesselte sie ihn nachts zum Beispiel mit einem Bademantelgürtel um den Bauch ans Bett, damit er nicht aufstand.
Oder schickte ihn, wenn er nicht gehorchte, ohne Essen ins Bett.
Michis Eltern standen auch schon länger unter der Beobachtung des Jugendamtes,
unter anderem wegen mangelnder Hygiene und weil Gefahr für die Kinder bestand, dass die Eltern sie nicht richtig versorgen.
Michi aß dann in den Monaten vor seinem Tod immer weniger, bis er nur noch Haut und Knochen war.
Seine Mutter musste ihm sogar zweimal die Hosen 10 bis 15 Zentimeter enger nähen.
Der Junge war dann so schwach, dass der kaum noch laufen konnte und beim Spielen mit dem Rücken immer angelehnt sein musste.
Das Landgericht Cottbus verurteilte die Eltern auch am Ende wegen grausamen Mordes durch Unterlassen.
Der BGH hob das Urteil aber aus mehreren Gründen auf, unter anderem, weil nicht belegt werden konnte,
dass Michi zum Zeitpunkt, als seine Eltern den Tötungsvorsatz hatten, unter dem Hunger litt.
Michi starb nämlich nicht am akuten Verhungern, sondern weil der schon mindestens drei Jahre lang unterernährt war.
Wie furchtbar ist das?
Ja.
Nach den medizinischen Sachverständigen würden Kinder mit chronischer Mangelernährung irgendwann halt kein Verlangen mehr nach Essen und Trinken verspüren.
Und Michi hatte offenbar irgendwann auch wirklich keinen Hunger mehr gehabt, was man auch daran gesehen hat,
dass selbst wenn er zum Essen mal gerufen wurde, dann auch nichts mehr aß.
Und deshalb wurden Michis Eltern dann im zweiten Prozess dann eben nicht wegen Mordes,
sondern wegen Totschlags zu 13 beziehungsweise 11 Jahren Haft verurteilt.
Ja.
Also ja, ich verstehe es rechtlich, weil man halt am Ende nicht sagen konnte,
wann hatten die diesen Tötungsvorsatz und wann hatten bei Michi die Qualen schon aufgehört,
weil man weiß es ja auch nicht genau.
Aber auch wenn man das jetzt rechtlich nicht so werten kann, muss man ja einfach ganz klar sagen,
dass so eine Unterernährung, bei der man nachher nicht mal mehr in der Lage ist zu gehen oder normal zu spielen,
eine grausame Tat an sich ist.
Ja, und ein ganz dolles Leid.
Ja.
Also einfach grausam, obwohl es da jetzt keinen Tötungsvorsatz dann vielleicht gegeben haben mag
und jetzt nicht als Mord zählt.
Aber beispielsweise, was wir jetzt als grausam bezeichnen, ist halt manchmal so frustrierend,
weil es rechtlich so ein bisschen egal ist.
Und das ist halt auch so ein bisschen der Knackpunkt beim Mordmerkmal der Grausamkeit,
weil es da nämlich heißt,
das grausam tötet, wer dem Opfer Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt,
die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen.
Und das ist ja jetzt erst mal so ein bisschen vage,
weil was ist denn jetzt eigentlich dieses erforderliche Maß?
Also kann man sich schwierig was darunter vorstellen?
Und das ist tatsächlich auch selbst in Fachkreisen,
ist man sich da nicht so einig drüber.
Was man aber sagen kann ist,
dass es nicht reicht, wenn das Opfer Schmerzen hatte oder die Tat brutal verübt wurde.
Denn mindestens eines von beiden wird bei fast allen Fällen,
die wir hier im Podcast behandelt haben, zutreffen.
Und längst nicht alle haben dieses Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt.
Ein Beispiel, wo es jetzt nicht über das erforderliche Maß hinausgeht,
ist beispielsweise, ein Einbrecher geht auf eine Yacht,
macht da seine Beute, Yachtbesitzer erwischt ihn
und weil der Täter Angst vor einer Gegenüberstellung hat
oder dass er dann irgendwann aufliegt,
schließt er den Besitzer in seine Kajüte ein und bohrt ein Loch ins Schiff
und lässt das dann ganz langsam sinken.
Und auch wenn der Besitzer über Stunden weiß,
dass das Schiff mit ihm sinken wird,
gelten seine Qualen nicht als über das für den Tod erforderliche Maß hinaus.
Also ich stelle mir das mit die schlimmste Art zu sterben vor, ehrlich gesagt,
und finde es super grausam.
Also so ein langsames Ertrinken, also das muss ich ehrlich sagen, verstehe ich nicht.
Ja, und vor allem, weil man ja auch Todesangst hat eigentlich dabei.
Ja, über Stunden.
Wo das Mordmerkmal der Grausamkeit aber fast immer bejaht wird,
ist eben bei Verbrennen am lebendigen Leib
oder auch beispielsweise bei dem Erstickungstod in den Gaskammern von Auschwitz
und eben beim Verhungernlassen.
Viele erinnern sich auch sicher noch an den Foltermord in der JVA Siegburg,
den ich in Folge 7 erzählt habe.
Da hatten mehrere Gefängnisinsassen ihren mitinhaftierten Hermann H. über Stunden gefoltert.
Die haben da unter anderem eine Pro- und Kontraliste erstellt,
was für oder gegen seine Tötung sprechen würde.
Und zwar halt in seinem Beisein.
Bevor sie dann mehrere Male versuchten, ihn zu töten
und ihn auch nach seinen Nahtoderfahrungen dann befragten,
hatten sie Hermann H. noch Passagen aus der Bibel vorgelesen.
Und das, so hält das Urteil später fest,
das kam quasi nach Hinrichtungszeremonie gleich.
Und hier ging das Gericht dann eindeutig davon aus,
dass das grausam war,
weil alles bis zur letztendlichen Tötung sehr lange gedauert hat
und durch die ganzen Misshandlungen
quasi ein Klima der Todesangst entstanden ist.
Also hier haben sie das irgendwie ganz deutlich gesehen.
Und daran kann man eben sehen,
dass sich die Grausamkeit nicht nur in der Art der Tötung widerspielen kann,
sondern sich auch aus den Umständen ergeben kann,
unter denen die Tötung eben stattfindet.
Und Hermann H. hatte hier durch die Folterung
nicht nur körperliche Qualen erlitten,
sondern auch seelische.
Ja, und das hatte das Gericht übrigens ja auch bei Lea gesehen,
als sie verbrannt ist.
Also nicht nur ihre körperlichen Qualen,
sondern auch die seelischen,
weil sie ja schon, als sie mit Benzin übergossen wurde,
in Todesangst versetzt wurde
und wusste, dass nicht nur sie,
sondern auch ihre ungeborene Tochter sterben soll.
Und übrigens Stichwort noch mitbekommt,
das ist auch Voraussetzung für die Grausamkeit.
Also das Opfer muss diese Qualen und das Leid noch empfinden können.
Und deswegen müssen die Gerichte auch das Merkmal verneinen,
wenn das Opfer während der Tat,
die dann zur Tötung führen soll,
schon bewusstlos gewesen ist.
Ja, entweder, weil das Opfer bewusstlos war
oder weil es aufgrund von bereits zugefügten Schmerzen
andere Schmerzen nicht mehr fühlen konnte.
Dazu gab es nämlich einen Fall aus der Nähe von Bamberg.
Da haben zwei Männer einen anderen erstochen.
Und die haben dem Opfer zuerst mehrmals
mit einem Küchenmesser in den Hals gestochen
und ihn danach geknebelt
und versucht, ihm noch Hände und Füße abzutrennen.
Es hat dann nicht geklappt.
Und daraufhin ist er dann gestorben,
und zwar an diesen ersten Stichverletzungen.
Und hier wurden die beiden Täter
aber nicht wegen Grausammordes verurteilt.
Und zwar, weil nicht festgestellt werden konnte,
ob das Opfer beim Knebeln
und auch beim versuchten Abtrennen von Händen und Füßen
noch in der Lage war,
diese zusätzlichen Schmerzen zu empfinden.
Oder ob nicht halt diese bereits vorher erlittenen Stichverletzungen
in den Hals diese neuen Schmerzen überlagert hatten.
Aber ganz ehrlich, woher?
Also, sie können ja auch nicht jemanden dann gefragt haben.
Und man kann sich ja auch, klar, man kann sich nicht sicher sein,
dass er dann diese anderen Schmerzen nicht gespürt hat.
Aber finde ich ja interessant, dass man dann einfach davon ausgeht.
Ja, also davon ausgeht oder halt im Zweifel.
Also, ich glaube, wenn die das wirklich nicht so richtig sagen können.
Aber das war ja im Grunde genommen bei dem Michi auch so,
wo sie davon ausgegangen sind,
dass er am Ende keinen Hunger mehr verspürt hat,
weil er halt über drei Jahre lang unterernährt war.
Er hat halt offenbar,
so der wissenschaftliche Stand
und die ExpertInnen vor Gericht diese Schmerzen halt nicht mehr richtig mitbekommen.
Ja.
Oder war über diesen Punkt hinaus.
Ja.
So, wieder ein weiteres Mordmerkmal behandelt.
Um dich jetzt am Ende der Folge auf bessere Gedanken zu bringen,
kann ich dir noch einen neuen Schwank aus meinem Leben erzählen.
Und zwar war ich am Sonntagabend auf Mallorca mit meinen Freundinnen was essen
und wir sind da gerade mit der Hauptspeise fertig,
als es richtig doll anfängt zu regnen.
Zumindest hört es sich so an, als würde es regnen.
Und wir gucken direkt so raus und sehen aber keinen Regen.
Und dann drehen wir uns zur anderen Seite um
und dann sehen wir, es regnet im Restaurant.
Und zwar halt von der Decke durch die Lampe.
Und zwar so richtig doll.
Hä?
Ja, durch die Lampen hat es dann geregnet.
Und der eine Tisch ist schon aufgestanden,
weil diese Frauen, die da saßen, auch schon komplett nass waren.
Und dann kam auch der Kellner zu uns und meinte so,
wir haben ein kleines Feuer in der Küche,
aber ist nicht so schlimm, bleiben Sie einfach sitzen.
Und dann dachte ich mir, okay.
Hä? Okay, aber warte mal.
Also es ist jetzt, also wie kam dieser Regen zustande?
Es war jetzt nicht, dass irgendwo eine Badewanne geleckt hat
und deswegen ist das dann durch irgendeine offene Stelle durch die Lampen,
sondern das war der Feuerlöscher.
Ja, genau, es waren diese Sprengler, sozusagen die Sprengleranlage ist angegangen.
Ja, okay.
Aber er war ja total entspannt und meinte so, nichts Schlimmes, Sie können sitzen bleiben.
Und ich wollte ja auch noch meine Tiramisu bestellen.
Und dann meinte ich zu ihm, ach so, können wir dann jetzt noch einen Nachtisch bestellen?
Oder ist die Küche jetzt vorbei? Das wäre schlimm.
Und er dann so, nee, die Köche sind doch da draußen und zeigt dann so nach draußen,
wo dann wirklich so vier Köche standen.
Und ich so, okay.
Also die Köche wurden jetzt evakuiert, aber wir Gäste sollen jetzt einfach hier sitzen bleiben
und können ja eh nichts mehr bestellen.
Aber ihr müsst doch erst bezahlen.
Ja.
Das ist halt das Ding.
Ihr müsst schon noch sitzen bleiben, bis ihr bezahlt habt.
Genau.
Denn nach zehn Minuten, als dann auch mal die Feuerwehr kam, durften wir dann doch das Restaurant
auch verlassen, aber eben nicht, bevor wir nicht gezahlt haben.
Und dann mussten wir noch schnell bezahlen.
Geil.
Und dann kamen die Feuerwehrmänner richtig rein.
Also ich dachte mir so, also Top 3 der schlimmsten Restaurantbesuche.
Da wird einem ja richtig was geboten.
Aber nur, weil du die Tiramisu nicht bekommen hast.
Ich habe erst gedacht, als du gesagt hast, es hörte sich so an, als ob es regnet,
habe ich erst an einen Hund gedacht oder an irgendeine verwirrte Person,
die einfach irgendwie neben uns klingelt oder so.
Weil als ich das letzte Mal auf Sizilien war,
da hatte meine Begleitung so einen Gutschein bekommen
für so ein relativ gutes Hotel in Taumina.
Dann saßen wir da am Frühstückstisch
und auf einmal roch es so komisch.
Und da hat also der Hotelhund, der vorher auch überall immer auf die Stühle gehopst ist,
einfach da neben das Frühstücksbuffet einen Gruß hinterlassen.
gekackt.
Nee.
Kannst du das so nennen?
Oder man strückt es netter aus.
Ja, aber man muss ja auch fragen, ob groß oder klein.
Das macht auch nochmal einen Unterschied.
Es war ein Geschenk, wo man eine Schleife drum binden konnte.
Und damit bis zum nächsten Mal, wenn es heißt,
Paulina und Laura gehen essen.