00:00:08
Fangen wir mal mit was Leichtem an. Laura, du bist für oder gegen Sterbehilfe?
00:00:15
Ich bin für Sterbehilfe, aber nur wenn das ganz klar geregelt ist.
00:00:23
Wie denn geregelt?
00:00:25
Ja, also ich finde, es sollte jetzt nicht so sein, dass jemand sagt,
00:00:30
ich will sterben und innerhalb von einem Monat ist das Ganze dann durch.
00:00:34
Weil Menschen können ja auch in einer Krise stecken
00:00:37
und sich das dann wieder anders überlegen,
00:00:40
weil das dann beispielsweise von einer depressiven Phase herkommt.
00:00:44
Also ich finde, das müsste dann über einen längeren Zeitraum irgendwie,
00:00:49
das hört sich jetzt komisch an, aber so getestet werden,
00:00:52
ob das auch wirklich der Wille ist oder irgendwie gerade einfach ein ganz tiefes Loch.
00:00:59
Also dass das dahingehend irgendwie geregelt wird.
00:01:01
Ja, also tatsächlich ist ja noch nicht so viel geregelt.
00:01:06
Nochmal zur Erinnerung, 2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden,
00:01:10
dass geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland nicht mehr verboten sein darf.
00:01:14
Und jetzt gibt es da gerade eine Diskussion zu einer Reform,
00:01:17
wie genau das dann in Zukunft geregelt sein soll.
00:01:19
Aber laut dem Bundesverfassungsgericht heißt es erstmal keine Unterscheidung,
00:01:23
beispielsweise auch zwischen gesunden, in Anführungsstrichen, und kranken Menschen.
00:01:28
Findest du, dass es da irgendeine Art von Unterscheidung geben sollte zwischen bestimmten Menschen?
00:01:34
Also vorausgesetzt, sie sind, sagen wir jetzt mal, 18 Jahre alt.
00:01:38
Nee, eigentlich nicht.
00:01:41
Ja, sehe ich auch so.
00:01:43
Jetzt habe ich aber einen Artikel gelesen,
00:01:45
der mich da zunächst ein bisschen ins Wanken gebracht hat mit meiner Meinung.
00:01:49
Und in dem Artikel geht es um Kurt Knickmeier.
00:01:52
Und zwar hat Kurt Knickmeier 1985 einen Überfall mit Geiselnahme begangen
00:01:58
und dabei drei Menschen ermordet.
00:02:00
Und Kurt Knickmeier sitzt jetzt also seit 36 Jahren in Haft.
00:02:04
Er hat kaum eine Chance, demnächst entlassen zu werden,
00:02:07
hat allerdings jetzt einen anderen Hoffnungsschimmer in seinem Leben gefunden.
00:02:11
Als er nämlich liest, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat,
00:02:14
dass jeder Mensch für sich selbst bestimmen kann,
00:02:16
was ein lebenswertes und was ein lebensunwertes Leben ist,
00:02:20
hat er für sich entschieden,
00:02:22
dass er sein Leben als lebensunwürdig empfindet.
00:02:25
Und er möchte jetzt assistierte Sterbehilfe.
00:02:27
Nee, nee, nee, nee, nee.
00:02:28
Du kannst entscheiden.
00:02:31
Nee, also sorry.
00:02:33
Dieses Recht hat er leider verwirkt,
00:02:35
indem er drei anderen Menschen das Leben genommen hat.
00:02:40
Natürlich ist das Leben im Knast nicht lebenswert.
00:02:44
Das ist ja der Sinn der Sache.
00:02:47
Muss ich sagen, sehe ich ganz anders.
00:02:50
Es ist ja nämlich eben nicht so,
00:02:52
dass man all seine Rechte verwirkt hat,
00:02:54
wenn man ein Verbrechen begangen hat.
00:02:56
Ich habe bei ihm natürlich jetzt aber auch ein ganz anderes Gefühl
00:02:59
als bei jemandem, der ein schweres Krebsleiden hat oder so.
00:03:02
Aber wenn man der Meinung ist,
00:03:04
dass alle Menschen ihr Recht
00:03:06
auf selbstbestimmtes Sterben wahrnehmen dürfen,
00:03:09
dann finde ich, wenn er die gleichen Regelungen durchlaufen würde
00:03:14
wie Menschen in Freiheit,
00:03:15
das wahrscheinlich in Zukunft auch machen müssen,
00:03:17
dann darf da keine Unterscheidung gemacht werden
00:03:20
zwischen alt und jung
00:03:21
oder zwischen krank und in Anführungsstrichen gesund
00:03:24
und auch nicht zwischen frei und gefangen.
00:03:27
Und es ist ja auch so,
00:03:28
dass man im Gefängnis schon aufpasst,
00:03:30
dass die sich nicht selber umbringen.
00:03:32
Und dass, wenn sie jetzt auf,
00:03:34
also wenn da Suizidgefahr besteht,
00:03:38
dass sie nochmal extra hingucken,
00:03:40
keine Schnürsenkel und so weiter,
00:03:42
weil sie sich eben nicht ihrer Strafe einfach so entziehen sollen.
00:03:49
Aber die Frage ist ja,
00:03:51
und das finde ich nämlich interessant,
00:03:53
also was bringt Haft und Gefängnis?
00:03:58
Also wir haben ja einmal den Abschreckungsgedanken.
00:04:01
Wenn es jetzt darum geht,
00:04:02
dass der Knast so schlimm ist,
00:04:04
dass du lieber dir das Leben nehmen willst,
00:04:06
dann funktioniert das ja schon.
00:04:07
Dann sind andere schon abgeschreckt.
00:04:10
Dann die Sicherheit vor der Allgemeinheit
00:04:11
wäre auch abgedeckt,
00:04:13
wenn die Person sich selbst suizidiert.
00:04:14
Und wie du schon sagst,
00:04:15
das Einzige, worum es geht, ist die Sühne.
00:04:20
Dann, ja, in dem Fall.
00:04:22
Aber die Frage ist ja,
00:04:24
welche Inhaftierte würden so einen Antrag stellen
00:04:27
auf Suizidhilfe?
00:04:29
Das sind in der Regel wahrscheinlich eher die,
00:04:32
die tatsächlich keinen Lichtblick am Ende des Tunnels haben,
00:04:38
was eigentlich rechtlich ja nicht so sein darf.
00:04:42
Also eigentlich muss ja jedem Gefangene eine Hoffnung gewährt werden
00:04:46
auf Wiedereingliederung in das Leben.
00:04:49
Aber wieso hat er das denn nicht?
00:04:51
Also normalerweise,
00:04:52
wenn man sich jetzt nicht komplett scheiße verhält,
00:04:55
kann man ja auch mal rauskommen irgendwann noch.
00:04:58
Weil er damals besondere Schwere der Schuld bekommen hat
00:05:00
und weil er sich der Therapie verweigert.
00:05:03
Dann würde ich es erst recht nicht gewähren.
00:05:06
Also wenn er sich der Therapie entzieht,
00:05:09
dann heißt das für mich auch,
00:05:10
dass er sich offenbar nicht mit der Tat
00:05:13
und auch nicht mit sich selbst auseinandersetzen will.
00:05:15
Und dann finde ich, wäre es auch ehrlich gesagt
00:05:18
ein bisschen fahrlässig, ihm das gleich zu gewähren.
00:05:21
Ja, aber, also, weißt du,
00:05:23
der einzige Gedanke, der bei mir fruchtet,
00:05:25
ist sozusagen, was macht das mit den Angehörigen,
00:05:30
Dass die eine Art Rache bekommen, ne?
00:05:33
Aber am Ende, wenn jemand lebenslang in Haft sitzt,
00:05:39
sie haben doch sowieso jederzeit die Wahl,
00:05:42
sich selbst zu suizidieren.
00:05:43
Es geht doch im Grunde genommen nur um das Wie.
00:05:46
Und deswegen, weil es am Ende jeder machen könnte,
00:05:50
der es möchte, bin ich der Meinung,
00:05:53
weil es einfach ja doch häufig passiert im Gefängnis.
00:05:56
Dann denke ich, haben auch sie ein Recht darauf zu bestimmen,
00:06:00
wie, wenn sie es dann wirklich machen wollen.
00:06:02
Und ich frage mich, ob bei jemandem,
00:06:04
der 36 Jahre schon gesessen hat in Haft, ne?
00:06:08
Ob es wirklich einen Unterschied macht,
00:06:11
ob der jetzt noch zehn weitere Jahre in Haft sitzt
00:06:15
und nicht rauskommt und dann da irgendwann stirbt,
00:06:18
oder ob man ihm nicht einfach jetzt die Chance gibt,
00:06:23
zu gehen, wie er das möchte,
00:06:25
ohne, dass er diese zehn Jahre jetzt partout noch absitzen soll.
00:06:29
Also es geht mir jetzt im Speziellen um die,
00:06:32
die wirklich keine Hoffnung auf Entlassung mehr haben, ne?
00:06:34
Und demnach ihr Leben auch nicht mehr lebenswert finden.
00:06:37
Ja, aber ich kann mir halt schon vorstellen,
00:06:40
wenn du dem Kurt das jetzt erlaubst,
00:06:43
dass dann halt auch viele andere kommen,
00:06:45
die vielleicht noch nicht 30 Jahre sitzen.
00:06:48
Weil, stell dir mal vor, du bist 22 Jahre alt
00:06:52
und hast jemanden ermordet und kriegst dann vielleicht noch die besondere Schwere der Schuld.
00:06:57
Dann sind das, keine Ahnung, mindestens 18, 19 Jahre,
00:07:01
die da vor dir liegen.
00:07:03
Also so lang, wie du lebst.
00:07:04
Das ist so ein krasser Kopffick für dich,
00:07:08
der sich auch auf diese, auf diese Thematik wahrscheinlich auswirken kann.
00:07:13
Und weißt du, und deswegen würde ich halt einfach diese Box der Pandora nicht öffnen,
00:07:19
weil ich glaube, dass wir nicht einschätzen können,
00:07:22
wie viele Leute es dann doch gibt, die das machen.
00:07:26
Einfach, weil sie so hilflos und verzweifelt sind in diesen Situationen.
00:07:31
Ja, aber ich bin der Meinung, dann würden sie sich halt auch einfach anders irgendwie aus dem Leben bringen.
00:07:37
Aber es ist natürlich auch schwieriger, sich also selber oder assistiert.
00:07:43
Ich glaube, wir müssen hier...
00:07:44
Ehrlicherweise in Deutschland nicht.
00:07:46
In Deutschland ist es aktuell viel einfacher, sich selbst zu suizidieren,
00:07:51
als dass dein Antrag auf assistierte Suizid durchgeht.
00:07:54
Zumindest jetzt noch.
00:07:55
Okay, wir müssen einfach sagen, agree to disagree at this point,
00:08:00
weil es sonst zu lange geht.
00:08:01
Ja, also wenn ihr noch mehr über Kurt Knickmeier erfahren möchtet,
00:08:06
die Süddeutsche hat da einen tollen Artikel zugeschrieben,
00:08:09
den wir euch in der Folgenbeschreibung verlinken.
00:08:11
Und damit herzlich willkommen bei Mordlos,
00:08:14
einem Podcast der Partner in Crime.
00:08:16
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:08:18
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:08:20
Und ich bin Laura Wohlers.
00:08:22
In jeder Folge gibt es ein Oberthema,
00:08:24
zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
00:08:27
darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:08:30
Wir reden hier auch manchmal ein bisschen lockerer miteinander.
00:08:32
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt.
00:08:36
Das ist für uns so eine Art Comic Relief,
00:08:37
damit wir zwischendurch auch mal wieder aufatmen können.
00:08:40
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:08:42
Heute geht es um die elterliche Sorge,
00:08:45
die ihr wahrscheinlich eher als Sorgerecht kennt.
00:08:49
So für mich als jetzt nicht Scheidungskind und nicht Mutter ist das jetzt ein Begriff,
00:08:55
mit dem ich persönlich noch nicht so viel zu tun hatte.
00:08:59
Also meine Eltern haben, als ich 14 war, hauptsächlich wegen des Sorgerechts geheiratet.
00:09:04
Das ist ja romantisch.
00:09:06
Ja, verstehst du jetzt, woher meine romantische Ader kommt und das Heiratsding und so?
00:09:12
Ich sehe da eine Verbindung.
00:09:13
Die waren nämlich die ganze Zeit vorher nicht verheiratet und dann wurde meine Mutter schwer krank und hatte dann die Sorge,
00:09:19
dass wenn sie sterben sollte, meine Fürsorge nicht geregelt ist.
00:09:22
Denn in Deutschland war das ja so oder ist das so, wenn man als Eltern nicht verheiratet ist,
00:09:28
dann hat erstmal automatisch die Mutter das Sorgerecht und der Vater müsste das erst beantragen.
00:09:33
Okay, dann war es vielleicht nicht romantisch, aber es war trotzdem ein Akt der Liebe, zumindest zu dir.
00:09:38
Zumindest zu mir, füreinander wohl eher weniger, denn sie haben sich ein Jahr später scheiden lassen.
00:09:44
Aber das Sorgerecht war dann trotzdem noch auf beide aufgeteilt, richtig?
00:09:47
Ja, mein Vater hat nur wenig Gebrauch davon gemacht.
00:09:50
Ich habe neulich gelesen, dass die Scheidungsrate von Menschen, deren Eltern sich haben scheiden lassen,
00:09:58
später 80 Prozent höher ist, als von Menschen, deren Eltern zusammengeblieben sind.
00:10:02
Was ich irre finde.
00:10:04
Wow, weil man sagt doch immer, beziehungsweise, keine Ahnung, ob man das immer sagt,
00:10:08
Aber ich habe das öfters gehört, dass es immer so ist, ja, weil deren Eltern sich haben scheiden lassen
00:10:14
und man quasi nicht diese heile Familie noch hat, möchten diese Kinder das ja unbedingt und schaffen das dann auch.
00:10:21
Aber das ist ja dann wohl komplett falsch.
00:10:23
Vielleicht möchten sie das schaffen, aber schaffen es halt dann auch nicht.
00:10:26
Genau, also ich habe mich so ein bisschen gefragt, liegt es daran, dass die Eltern, die sich nicht haben scheiden lassen,
00:10:32
also auch wirklich eine gesunde Beziehung hatten und die Kinder dann später auch so eine führen?
00:10:38
Oder verhält sich das so ein bisschen wie bei einem Brand am Arbeitsplatz?
00:10:42
Die Mitarbeiter, denen man vorher den Notausgang gezeigt hat, die wissen halt auch, wie sie rauskommen aus so einer Katastrophe.
00:10:48
Ja, wahrscheinlich Zweiteres, ne?
00:10:52
Weil die Eltern dann ja quasi auch, ja, als Vorbilder sozusagen gezeigt haben, dass es eben auch okay ist, wenn man sich wieder scheiden lässt.
00:11:01
Und ja, und dann geht es halt auch ums Sorgerecht.
00:11:04
Und das kenne ich jetzt zum Beispiel von meinem Bruder, der nicht mehr mit der Mutter seiner Kinder zusammen ist und auch nie mit ihr verheiratet war.
00:11:11
Die haben ein geteiltes Sorgerecht und das klappt mittlerweile eigentlich auch ziemlich gut.
00:11:17
Und ich glaube halt, weil beide so wirklich auch realisiert haben, dass eben das Wohl der Kinder an erster Stelle stehen sollte und dass sie sozusagen danach handeln und Ego-Sachen hinten anstellen.
00:11:30
Und das ist ja auch eigentlich der Sinn des Sorgerechts.
00:11:33
Nun ist es aber so, trotzdem steht genau das immer wieder im Mittelpunkt von Streitereien und Rosenkriegen.
00:11:41
Und wie übel die ausgehen können, zeigen die Fälle, die wir heute mitgebracht haben.
00:11:46
Genau, mein Fall zeigt genau das, also wie zerstörerisch ein Sorgerechtsstreit werden kann, wenn das Wohl der Kinder aus dem Fokus gerät.
00:11:54
Alle Namen habe ich geändert.
00:11:57
Die Triggerwarnung für den Fall findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
00:12:00
Als sie an diesem Augustmorgen in die Einfahrt einbiegt, ragt vor ihr das bekannte Gebäude in die Höhe.
00:12:08
Ihr ehemaliges Zuhause.
00:12:10
Der einst idyllische Bauernhof in dem kleinen dänischen Dorf am Meer, in dem sie vor wenigen Jahren noch glücklich war.
00:12:16
Er liegt jetzt leer und heruntergekommen vor ihr.
00:12:19
Die Ställe, in denen mal Ziegen und Kühe lebten, sind verlassen.
00:12:23
Die Felder um den Hof herum liegen brach.
00:12:26
So brach wie ihre Beziehung zu dem Mann, der noch heute hier lebt.
00:12:30
Carla kommt jetzt nur noch her, um ihre Töchter abzuholen, wenn sie Papazeit hatten.
00:12:35
So wie jetzt, nachdem sie zum Ende der Sommerferien noch ein paar Tage mit ihrem Vater in Deutschland verbracht haben.
00:12:40
Die 40-Jährige freut sich schon, ihre Mädchen gleich wieder in die Arme zu schließen.
00:12:44
Zusammen mit den beiden möchte sie zum Wasserfestival im 20 Minuten entfernten Halsun fahren.
00:12:49
Die Stadt liegt in einer Bucht am Meer, auf einer Bühne wird Livemusik gespielt und überall sind riesige Hüpfbogen aufgebaut, auf denen ihre Kinder ausgelassen toben können.
00:12:58
Carla sieht sie schon vor sich, wie ihre von Sommersprossen übersehten Pausbacken so richtig zur Geltung kommen, wenn sie lachend auf- und abhüpfen.
00:13:06
Doch als Carla an der Haustür klingelt, bleibt es still.
00:13:08
Im Inneren des Gebäudes ist es dunkel, das sieht sie durch die Fenster.
00:13:12
Auch das Auto ihres Ex-Mannes steht nicht vor dem Hof.
00:13:16
Sie ruft erst ihn, dann die Töchter an.
00:13:18
Niemand nimmt ab.
00:13:20
In Carla kocht sofort die Wut hoch.
00:13:22
Immer häufiger kommt es vor, dass die Kleinen nicht zur verabredeten Zeit wieder abgegeben werden.
00:13:27
Voller Groll setzt sie sich wieder in ihr Auto und fährt zurück nach Hause.
00:13:31
Dort angekommen, versucht Carla noch einmal, die drei telefonisch zu erreichen.
00:13:36
Da klingelt es an der Tür.
00:13:38
Das müssen sie sein, denkt Carla.
00:13:40
Doch vor ihr steht ein Polizist.
00:13:42
Er bittet sie, zurück ins Haus zu gehen und sich zu setzen.
00:13:45
Er will wissen, wo ihre Töchter sind.
00:13:48
Das weiß sie nicht, sagt Carla und erklärt, dass sie schon die ganze Zeit versuche, ihren Ex-Mann zu erreichen.
00:13:53
Der Beamte lässt sie ausreden, nimmt ihre Hand und schaut sie ernst an, bevor er ihr das Herz aus der Brust reißt.
00:14:02
Carla lernt Frederik 1996 über einen gemeinsamen Freund in Orlboer im Norden Dänemarks kennen.
00:14:08
Auf den ersten Blick ist der 25-Jährige nicht gerade ihr Traummann.
00:14:12
Klein und mit Segelohren steht er vor ihr.
00:14:15
Doch schnell wird ihr klar, Frederik hat etwas viel Wichtigeres als ein hübsches Äußeres.
00:14:20
Er hat den tollsten Humor.
00:14:23
Außerdem kann sie mit ihm lange und tiefgründige Gespräche führen.
00:14:26
Und bei einer dieser Unterhaltungen erkennt die ebenfalls 25-Jährige, dass die beiden den gleichen Traum hegen.
00:14:32
Irgendwann aufs Land zu ziehen.
00:14:34
Doch das muss erstmal warten.
00:14:36
Für die nächsten zwei Jahre führen die beiden eine Beziehung auf Distanz, sehen sich nur an den Wochenenden.
00:14:41
Denn während Carla in einer kleinen Wohnung in Orlboer lebt und als Lavorantin arbeitet,
00:14:46
wohnt Frederik einige Autostunden entfernt bei seinen Großeltern.
00:14:51
Dort besucht er die Landwirtschaftsschule.
00:14:53
Zuvor hatte Frederik sich von einem Gelegenheitsjob zum nächsten gehangelt, hatte es nie lange irgendwo ausgehalten.
00:14:58
Das war schon in der Schule so gewesen, die er immer wieder geschwänzt und irgendwann abgebrochen hatte.
00:15:05
Im Mai 1999, nach drei Jahren Beziehung, hatte er aber endlich einen Abschluss in der Tasche.
00:15:10
Als Agrarökonom.
00:15:11
Jetzt kann der Traum von Carla und Frederik in Erfüllung gehen.
00:15:15
So beziehen sie in dem Sommer einen kleinen Hof in Oesterhoab, einer 700-Seelen-Gemeinde direkt am Meer.
00:15:22
Dass sich der Bauernhof in einem schlechten Zustand befindet, stört die Verliebten nicht.
00:15:26
Er ist günstig und Frederik, der nach seiner Ausbildung arbeitslos ist, hat genug Zeit, das neue Heim auf Vordermann zu bringen.
00:15:31
Schon ein Jahr später scheint das gemeinsame Glück dann perfekt.
00:15:35
Im September 2000 heiraten die beiden im Gemeindehaus von Oesterhoab, Carla ist bereits schwanger.
00:15:41
Mit ihren braunen Locken, den hellblauen Augen und dem Sommersprossen gezierten Gesicht steht sie überglücklich neben ihrem Angetrauten.
00:15:48
Ihr Kleid hat sie sich selbst geschneidert, sodass der Babybauch darin Platz findet.
00:15:52
Frederik trägt einen Anzug aus nachhaltigen Hanffasern.
00:15:55
Nach der Zeremonie werden das Brautpaar und seine Gäste von einer Bio-Köchin verköstigt.
00:16:00
Bei Carla und Frederik steht halt alles im Zeichen von Gesundheit und nachhaltiger Tierhaltung.
00:16:06
Deshalb ist es nur konsequent, dass auch der Hof bald Zuwachs bekommt.
00:16:10
Im Stall ziehen Rinder und Mohair-Ziegen ein.
00:16:13
An den Wochenenden verkaufen Carla und Frederik dann Gemüse, Getreide und Mohair-Wolle im eigenen kleinen Hofladen.
00:16:19
Im Januar 2001 kommt dann Tochter Freya zur Welt.
00:16:23
Carla nimmt sich sechs Monate frei, um das Mama-Sein in vollen Zügen zu genießen.
00:16:27
Dann beginnt sie eine Ausbildung zur Lehrerin an einer pädagogischen Hochschule ganz in der Nähe und wird bald darauf wieder schwanger.
00:16:34
Im Juli 2002 wird die kleine Smilla geboren.
00:16:37
Nach ihrer Geburt nimmt sich diesmal Frederik fünf Monate Elternzeit.
00:16:41
Carla hingegen schließt ihre Ausbildung ab und arbeitet schon bald Vollzeit als Lehrerin an einer Grundschule.
00:16:46
Als Frederik schließlich auch wieder arbeiten soll, treten die ersten Probleme auf.
00:16:51
Zunächst versucht er sich als Gräber auf dem Friedhof im Ort, dann arbeitet er in einer Elektrofabrik.
00:16:56
Doch beide Stellen kündigt er schon nach wenigen Monaten, weil er nicht mit seinen Vorgesetzten klarkommt.
00:17:02
Frederik möchte lieber sein eigener Chef sein.
00:17:04
Hoffnungsvoll gründet er 2004 daher seine eigene Firma im Bereich Garten- und Landschaftsbau, bei der Carla ihm mit der Buchhaltung hilft.
00:17:11
Doch es läuft nicht gut.
00:17:13
Schon nach sechs Monaten muss das Ehepaar die Firma wieder verkaufen.
00:17:17
Etwa zur selben Zeit schließen sie auch den Hofladen, bei der nicht genug Geld abwirft.
00:17:23
Daraufhin beginnt Frederik eine Ausbildung zum Lehrer, an der Schule, an der auch Carla angestellt ist.
00:17:28
Ein Jahr lang hat Frederik dort einen festen Arbeitsplatz.
00:17:31
Dann schmeißt er hin.
00:17:32
Die unstete Zeit ist für beide nicht leicht.
00:17:35
Frederik kommt oft morgens gar nicht aus dem Bett und anstatt Zeit mit der Familie zu verbringen, sitzt er lieber allein vor dem Fernseher oder spielt Computerspiele.
00:17:43
Wenn er und Carla dann doch mal zusammen sind, dann entfacht oft Streit.
00:17:47
Zwar begibt sich Frederik wegen seiner Antriebslosigkeit mehrmals in ärztliche Behandlung, doch die verschriebenen Antidepressiva nimmt er unregelmäßig und die Therapie bricht er ab.
00:17:56
Carla kennt Frederiks depressive Phasen mittlerweile und kann normalerweise damit umgehen, doch sie werden immer extremer.
00:18:04
Carla findet viel seltener einen Ausweg aus den unzähligen Diskussionen, außerdem fehlt es ihr sehr, unter Leute zu kommen und gemeinsam Dinge zu unternehmen.
00:18:12
Zweimal beginnen die beiden in den Jahren ihrer Ehe eine Paartherapie, doch die Gespräche helfen nie lange, sodass in Carla irgendwann der Gedanke heranwächst, Frederik zu verlassen.
00:18:23
An einem Tag im Sommer 2009 nimmt sie all ihren Mut zusammen.
00:18:26
Sie sagt Frederik, dass sie ihn nicht mehr liebt und dass sie glaubt, es sei besser, die Ehe zu beenden.
00:18:31
Frederik wird wütend.
00:18:34
Er erklärt ihr, er sei glücklich mit seinem Leben.
00:18:37
Die beiden fangen an zu streiten und jetzt macht Frederik erstmals klar, worum es ihm bei einer möglichen Scheidung von Carla geht.
00:18:43
Sie solle ja nicht glauben, dass er ihr dann die Kinder überlasse.
00:18:47
Carla kann ihn beruhigen und am Ende schafft Frederik es sie zu überreden, der Beziehung bis zu den anstehenden Sommerferien noch eine Chance zu geben.
00:18:55
Aber auch der gemeinsame Urlaub mit den Töchtern kann das Ruder nicht mehr rumreißen.
00:18:59
Carla weiß, dass es das Richtige ist und so zieht sie schließlich nach neun Jahren Ehe aus und nimmt Freya und Smüller mit.
00:19:05
Die Streitereien enden aber nicht mit dem Beziehungs-Aus.
00:19:09
Für Carla fühlt es sich so an, als sei jetzt ein Wettstreit um die Kinder ausgebrochen.
00:19:14
Schnell werden die Probleme dann auch vor dem örtlichen Familiengericht ausgetragen.
00:19:18
Obwohl sich die Eltern schon bald darauf einigen, dass sie das Sorgerecht teilen und die Mädchen wochenweise zwischen ihnen wechseln sollen, sind sie sich bei allem anderen uneinig.
00:19:26
So wollen beispielsweise beide das sogenannte Wohnsitzrecht für sich.
00:19:30
Denn wer das Recht erhält, darf nicht nur über den Hauptwohnsitz der Kinder entscheiden, sondern hat auch Unterhaltsansprüche sowie die auf staatliche Unterstützung.
00:19:38
Das Gericht spricht Frederik das Wohnsitzrecht der Mädchen zu, weil er noch immer auf dem Hof lebt, auf dem die Kinder aufgewachsen sind.
00:19:45
Carla ist erstmal geschockt über die Entscheidung, denn sie zweifelt an Frederiks Fürsorge.
00:19:50
Seit der Trennung wirkt er immer wieder gestresst und unstrukturiert.
00:19:54
Außerdem hat sie Sorge vor erneuten depressiven Schüben.
00:19:57
Wenn er mitten in so einem Tief steckt, dann kommt er oft tagelang kaum aus dem Bett und zieht sich zurück.
00:20:02
Wenn er in dieser Verfassung ist, kann sich Frederik unmöglich um die Kinder kümmern, denkt sie.
00:20:06
Aber Carla muss die Entscheidung des Gerichts akzeptieren und arrangiert sich dann nach einer Zeit auch mit der neuen Situation.
00:20:13
Sie freut sich dann, wenn die Mädchen bei ihr sind, genießt aber auch ihre Zeit allein.
00:20:18
So lernt sie auch schon bald darauf Janik kennen, in den sie sich neu verliebt.
00:20:22
Auch Frederik bleibt nicht lange allein, sondern kommt mit einer ehemaligen Kollegin zusammen.
00:20:27
Freya und Smilla erzählen ihrer Mutter oft von Ausflügen, die sie mit dem Vater und seiner neuen Freundin unternehmen.
00:20:33
Doch seinen Unmut gegen Carla scheint die neue Beziehung nicht zu schmälern.
00:20:38
Am Telefon hält Frederik ihr vor, dass er sich von ihr erniedrigt und provoziert fühlt.
00:20:42
Außerdem sei sie allein dafür verantwortlich, dass die Familie zerbrochen ist.
00:20:46
Und das lässt er sie spüren, wo er kann.
00:20:48
So hält er sich nicht an Vereinbarungen und fordert schon bald, dass die Kinder nicht eine Woche bei ihm und eine Woche bei ihr wohnen sollen,
00:20:55
sondern zehn Tage bei ihm und nur vier Tage bei Carla.
00:20:58
Nur durch ein Mediationstreffen, was vom Gericht bestellt wurde, kann Frederik davon überzeugt werden, die alte Regel beibehalten zu wollen.
00:21:06
Weil die Kinder so oder so jetzt aber immer mehr Zeit mit der neuen Freundin von Frederik verbringen,
00:21:11
möchte Carla sie gerne kennenlernen und lädt sie deshalb zu sich ein.
00:21:14
Als Frederik von dem Treffen hört, rastet er komplett aus und macht beiden Frauen Vorwürfe.
00:21:20
Das geht so weit, dass er seine neue Beziehung nach eineinhalb Jahren beendet.
00:21:25
Etwa zur selben Zeit entscheidet sich Carla mit Yannick ein großes Backsteinhaus im zehn Kilometer entfernten Ort Els zu kaufen und bald darauf zu heiraten.
00:21:34
Yannick hat selbst Kinder, mit denen sich auch Freya und Smilla gut verstehen.
00:21:38
Für jedes soll es ein Zimmer im neuen Haus geben.
00:21:41
Carlas Töchter sind aufgeregt und erzählen natürlich auch Papa Frederik davon.
00:21:44
Der nicht begeistert ist von der heilen Patchwork-Familie und den Umzugsplänen seiner Ex.
00:21:56
Deshalb erklärt er Carla kurze Zeit später, dass er ebenfalls Vorhabe umzuziehen.
00:22:00
Und er will Smilla und Freya mitnehmen ins 200 Kilometer entfernte Frederische.
00:22:05
Carla ist wie vor den Kopf gestoßen.
00:22:08
Sofort wendet sie sich an das Familiengericht, um das Wohnsitzrecht auf sie übertragen zu lassen.
00:22:12
Doch bei dem Termin vor dem Jugendamt tut Frederik plötzlich so, als würde er gar nicht umziehen wollen.
00:22:18
Carla kann nicht fassen, was sie da hört und stellt ihren Ex zur Rede.
00:22:22
Daraufhin erklärt Frederik ihr, wenn ich euch nicht bekomme, bekommt euch niemand.
00:22:27
Es ist ein Freitag Anfang Juni 2011, an dem die Kinder von der Schule nach Hause kommen
00:22:33
und Carla erzählen, dass es ihr letzter Schultag hier war,
00:22:36
weil sie nächsten Montag in Frederische zur Schule gehen würden.
00:22:39
Papa habe sie da schon angemeldet.
00:22:42
Carla weiß nicht, was los ist.
00:22:45
Frederik hat ihr zwar in einer E-Mail erklärt, dass er mit den beiden Kindern dorthin umziehen will,
00:22:49
aber nicht wann und wie.
00:22:51
Und dann steht ihr mittlerweile Ex-Mann plötzlich mit seinem vollbepackten roten Suzuki vor dem Haus,
00:22:56
in dem Carla jetzt mit Yannick und seinen Kindern lebt.
00:22:59
Carla steht da wie eine Salzsäule, als Frederik Freya und Smilla auffordert, ihre Sachen zu packen.
00:23:05
Freya macht, was Papa sagt, aber Smilla klammert sich an Carlas Bein.
00:23:09
Ich will nicht wegziehen, sagt sie immer wieder.
00:23:11
Die Polizei wird dich mitnehmen, wenn du nicht mitkommst, droht Frederik der Achtjährigen.
00:23:16
Doch es hat keinen Zweck.
00:23:18
Smilla löst sich einfach nicht von Carlas Bein.
00:23:20
Und so geht am Ende nur Freya mit in die kleine Ferienwohnung in Fredericia,
00:23:24
die Frederik übergangsweise angemietet hat.
00:23:29
In den nächsten Tagen klingelt Carlas Telefon immer wieder.
00:23:32
Es ist Frederik, der versucht, auch Smilla zum Umzug zu bewegen.
00:23:35
Doch die Kleine ist sich sicher.
00:23:37
Sie möchte bei ihrer Mama bleiben.
00:23:38
Zwei Wochen später entscheidet dann zu Carlas Erleichterung auch das Gericht,
00:23:42
dass die Kleine bis zu einer neuen Verhandlung über das Wohnsitzrecht bei ihrer Mutter wohnen soll.
00:23:46
Frederik ist natürlich außer sich vor Wut.
00:23:50
»Wenn du nicht aufhörst, mich unter Druck zu setzen, passieren die grausamsten Dinge«, droht er Carla daraufhin am Telefon.
00:23:56
Und sie solle vorsichtig sein und immer wieder über ihre Schulter gucken.
00:24:00
Carla hat inzwischen Angst vor ihrem Ex-Mann.
00:24:04
Dass er den Kindern etwas antut, kann sie sich aber nicht vorstellen.
00:24:07
Deshalb hält sich Carla auch an die Abmachung, die für die kommenden Sommerferien geplant ist.
00:24:11
Freya und Smilla sollen die ersten drei Wochen bei ihrem Vater verbringen und die restlichen bei ihrer Mutter.
00:24:16
Die Freizeit soll ihnen guttun, denn das ständige Streiten der Eltern geht auch an den Kindern nicht spurlos vorüber.
00:24:21
Ihre LehrerInnen haben längst festgestellt, dass die Mädchen nervös wirken
00:24:25
und immer häufiger mit ihren MitschülerInnen aneinander geraten.
00:24:29
Doch harmonisch verlaufen die Sommerferien nicht.
00:24:32
Frederik hat eine mehrtägige Reise nach Paris geplant, aber Smilla weigert sich erneut mitzukommen.
00:24:37
Als der Vater sie bei Carla abholen will, versteckt sie sich in ihrem Zimmer und fängt an zu weinen.
00:24:42
Sie befürchtet, dass er sie im Anschluss in seine Wohnung bringt.
00:24:46
Frederik ist sich sicher, dass Carla daran schuld ist.
00:24:49
Sie habe Smilla gegen ihn aufgehetzt, wirft er ihr vor.
00:24:51
Aber Carla kann und will ihre Tochter nicht umstimmen.
00:24:54
Und so fällt Frederik allein mit Freya in die französische Hauptstadt.
00:24:58
Im Urlaub beichtet nun aber auch Freya ihrem Vater, dass sie lieber bei ihrer Mutter wohnen möchte.
00:25:05
Das Familiengericht untermauert kurz darauf auch diese Entscheidung.
00:25:08
Noch in den ersten Ferienwochen erhält Carla das vorläufige Wohnsitzrecht für beide Kinder.
00:25:13
Die Mädchen sollen bis zum abschließenden Gerichtserfahren bei ihr wohnen.
00:25:16
Carla ist einfach nur glücklich darüber.
00:25:19
Aber sie weiß auch, was das für ihren Ex-Mann bedeutet.
00:25:22
Denn Frederik ist inzwischen seit einem Jahr arbeitslos und der Hof steht kurz vor der Zwangsversteigerung.
00:25:28
Das Wohnsitzrecht war der letzte Strohhalm, an den er sich geklammert hat.
00:25:32
Nachdem er Carla dann bittet, zum Ende der Sommerferien doch noch einmal mit beiden Kindern in den Kurzurlaub nach Deutschland fahren zu dürfen,
00:25:39
sagt Carla ja, weil sie weiß, wie viel ihm das bedeutet.
00:25:43
Und so holt Frederik die Töchter am 10. August 2011 bei ihr ab.
00:25:47
Zwei Tage später sitzt Carla in ihrem schönen neuen Backstein zu Hause.
00:25:52
Neben einem Polizisten, der ihr die Hand hält und ernst in die Augen blickt.
00:25:57
Der Mann erklärt ihr, dass Frederik Suzuki in einem Waldstück in Brandenburg gefunden wurde.
00:26:03
Auf dem Rücksitz lagen die Leichen von zwei Kindern.
00:26:06
Schnell fügt der Beamte hinzu, dass die Umstände noch nicht geklärt seien und es sich auch um andere Kinder handeln könne.
00:26:13
Doch Carla weiß es ohne Zweifel.
00:26:15
Es sind ihre Töchter und Frederik hat sie getötet.
00:26:18
Als ihr das klar wird, laufen in ihrem Kopf Filmszenen ab, in denen sich Mütter schreiend und weinend auf den Boden werfen vor Schmerz.
00:26:26
Doch sie tut nichts dergleichen.
00:26:28
Stattdessen wünscht sie sich ganz fest, dass Frederik überlebt hat.
00:26:32
Nicht aus Mitleid, sondern weil sie ihm nicht gönnt, dass er im Gegensatz zu ihr jetzt mit den Mädchen vereint sein darf.
00:26:42
Was Carla an diesem Tag schon weiß, bestätigt kurze Zeit später die Obduktion.
00:26:50
Freya und Smilla sind tot.
00:26:51
Gestorben an einer Rauchgasvergiftung und Verbrennungen.
00:26:54
In den Körper der Mädchen wurden Rückstände des Wirkstoffs Zopiklon gefunden.
00:26:59
Ein Bestandteil, der normalerweise in Schlafmitteln zu finden ist.
00:27:03
Im und um das Auto herum konnte außerdem Benzin nachgewiesen werden und Frederik daraufhin festgenommen.
00:27:11
Im Februar 2012, sechs Monate nach dem Tod der Kinder, kommt es zur Verhandlung vor dem Landgericht Potsdam.
00:27:17
Als Frederik den Saal betritt, können die FotografInnen nur kurz einen Blick auf ihn erhaschen.
00:27:23
Der 41-Jährige hat Geheimratsecken, seine hohe Stirn liegt in tiefen Falten, die Augen sehen klein und müde aus, unter denen dunkle Tränensäcke liegen.
00:27:32
Als er sein Gesicht mit einem Blatt Papier abschirmt, können die Prozessbeteiligten seine rechte Hand sehen.
00:27:37
Die Narben darauf erinnern hier alle daran, was ein Vater seinen Kindern angetan hat.
00:27:43
In der Nacht zum 12. August 2011 ist Frederik nämlich nicht auf dem Weg nach Dänemark wie verabredet.
00:27:49
Stattdessen steuert er Berlin an.
00:27:52
Hinter ihm, auf der Rückbank, sitzen Smilla und Freya.
00:27:55
Sie sind müde, genau wie ihr Vater.
00:27:58
Kurz vor Berlin hält Frederik den Wagen dann kurz an und gibt beiden Mädchen eine Schlaftablette.
00:28:03
Die 9- und 10-Jährigen schlafen ein, als ihr Vater wieder aufs Gaspedal drückt.
00:28:08
Gegen 2.30 Uhr fährt Frederik von der Autobahn ab und biegt in ein Waldstück bei Nauen im Landkreis Havelland ein.
00:28:15
Der rote Suzuki rollt tief in den Wald und kommt schließlich zwischen einigen Tannenbäumen zum Stehen.
00:28:21
Dort steigt Frederik aus, geht zum Kofferraum und holt zwei Benzinkanister hervor.
00:28:26
Jeder Behälter fast fünf Liter Kraftstoff.
00:28:29
Er verschüttet den Inhalt erst übers, dann ins Auto.
00:28:32
Schließlich setzt er sich auf den Fahrersitz und drückt auf sein Feuerzeug.
00:28:37
Während sich daraufhin eine rote Stichflamme in Sekundenschnelle wie ein Feuerball im Auto ausbreitet,
00:28:42
wirft sich Frederik aus der Fahrertür auf den kühlen Waldboden.
00:28:46
Es ist fast vier Uhr morgens, als sich der 40-Jährige zurück zur Landstraße schleppt.
00:28:51
Im Straßengraben läuft er in Richtung Bundesstraße, bis er schließlich auf einen Lastwagenfahrer trifft.
00:28:56
Auf Englisch fragt er immer wieder nach der Polizei.
00:28:59
Als die Beamten schließlich eintreffen, erklärt Frederik, dass sein Auto brenne.
00:29:04
Er sei in den Wald gefahren und dann habe der Wagen ganz plötzlich in Flammen gestanden.
00:29:08
Zwei Kinder seien darin.
00:29:11
Frederik zittert am ganzen Körper, als er das erzählt.
00:29:14
Er wird noch in der Nacht ins Krankenhaus eingeliefert.
00:29:17
In der rechten Gesichtshälfte, am rechten Unterarm und am linken Handrücken hat er Verbrennungen zweiten Grades.
00:29:22
An der rechten Hand auch die dritten Grades.
00:29:25
An der, die jetzt das Blatt Papier ganz festhält, um seine Identität vor den blitzenden Kameras zu verstecken.
00:29:31
Carla ist bei diesem Prozess als Nebenklägerin dabei.
00:29:35
Der Mann, den sie mal geliebt hat und mit dem sie neun Jahre verheiratet war, ist angeklagt, ihre gemeinsamen Kinder ermordet zu haben.
00:29:42
Gleich zu Anfang der Verhandlung gesteht Frederik.
00:29:45
Er habe die Mädchen aber vor allem sich selbst mit dem Brand töten wollen.
00:29:48
Den Tatentschluss habe er erst am Abend seiner geplanten Rückkehr gefasst.
00:29:52
Es sei eine Impulshandlung gewesen.
00:29:54
Er habe seinen Töchtern nicht zumuten wollen, ohne ihn weiterleben zu müssen.
00:29:58
Und so steckte er den Wagen in Brand, als sie alle drei darin saßen.
00:30:03
Die Schlaftabletten habe er den Kindern nur gegeben, weil sie zuvor wie so oft über Übelkeit geklagt hätten.
00:30:08
Aber erst als sie bereits schliefen, habe sein Plan Gestalt angenommen.
00:30:12
Doch vieles spricht gegen eine Kurzschlussreaktion.
00:30:15
Da Frederik die Kanister bereits in Dänemark mit Benzin befüllte und mitnahm,
00:30:19
obwohl in seinem kleinen Suzuki ohnehin zu wenig Platz fürs Gepäck war.
00:30:23
Auch die Schlaftabletten weisen laut Staatsanwaltschaft nicht auf eine unüberlegte Tat hin.
00:30:28
Er hatte sie sich erst kurz vor dem Trip nach Deutschland verschreiben lassen
00:30:31
und mehrere Hinweise auf der Verpackung, wonach das Medikament nicht für Kinder geeignet sei, ignoriert.
00:30:36
Darüber hinaus weist von der angeblichen Reisekrankheit der Mädchen vor Gericht
00:30:41
weder Carla noch die Großmutter der Kinder.
00:30:43
Mehrere ZeugInnen sagen außerdem aus, wie penibel Frederik auf die Gesundheit von Freya und Smiller geachtet habe.
00:30:50
Ihnen zu hochdosierte Schlaftabletten zu geben, passe nicht zu ihm.
00:30:53
Als Carla im März in den Zeugenstand treten soll, schluckt Frederik vorher alle Tabletten,
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die er in Untersuchungshaft bekommen und aufbewahrt hat, auf einmal.
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Er will lieber sterben, als seiner Ex-Frau bei ihrer Aussage zuzuhören.
00:31:06
Doch sein Suizidversuch scheitert und Carlas Aussage wird verschoben, sodass Frederik sich diese anhören muss.
00:31:13
Als Carla dann im Mai vor Gericht befragt wird, schaut sie Frederik direkt in die Augen,
00:31:17
der zusammengekauert auf der Anklagebank sitzt und ihren Blick kein einziges Mal erwidert.
00:31:22
Carlas Aussage dauert mehrere Stunden.
00:31:25
Sie spricht leise und bedacht.
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Immer wieder kommen ihr die Tränen, trotzdem wirkt sie gefasst.
00:31:30
Frederik habe immer versucht, ein guter Vater zu sein, war nie gewalttätig.
00:31:35
Doch während seiner depressiven Phasen sei er immer wieder in schwarzen Löchern versunken, sagt sie.
00:31:40
Als er ihr nach der Scheidung gegenüberstand, sollen seine Augen vor Wut und Hass geleuchtet haben.
00:31:45
Doch dass er den Kindern etwas antun könnte, hätte sie sich in den wildesten Fantasien nicht vorstellen können.
00:31:51
Das war mein Fehler, sagt sie, als ihre Stimme erneut wegbricht.
00:31:56
Sowohl Carla als auch Frederiks Mutter und seine Ex-Freundin bestätigen seine Erkrankung an Depressionen.
00:32:03
Eine suizidale Absicht habe aber keine der Frauen je erkannt.
00:32:06
Und auch die Staatsanwaltschaft glaubt dem Angeklagten nicht, dass er mit den Mädchen sterben wollte.
00:32:10
Das legt auch das Urteil des Sachverständigen nahe,
00:32:13
der feststellt, dass Frederik das Benzin zwar auf der Rückbank und auf dem Beifahrersitz verteilt habe,
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nicht aber auf dem Fahrersitz, auf dem er selbst saß.
00:32:21
Frederik erklärt daraufhin, dass die Vorstellung, sich mit Benzin zu überschütten, ihm Angst gemacht habe.
00:32:27
Darüber hinaus habe er erwartet, dass sich die Flammen im Auto schneller entwickeln.
00:32:33
Irgendwann habe ihn sein Überlebensinstinkt aus dem Wagen getrieben.
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Seine Kleidung erzählt eine andere Geschichte.
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Sie ist weder von starken Brandspuren gezeichnet, noch finden sich Partikel vom Waldboden darauf,
00:32:45
auf dem sich Frederik anschließend gewälzt haben will, um die Flammen zu löschen.
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Verschiedene Sachverständige, darunter ChemikerInnen und BiologInnen,
00:32:53
lassen wenig Zweifel daran, dass Frederik nicht, wie er sagt, irgendwann, sondern schon nach wenigen Sekunden aus dem Auto ausgestiegen ist.
00:33:01
Nach elf Verhandlungstagen steht das Urteil fest.
00:33:04
Frederik wird des zweifachen Mordes für schuldig befunden.
00:33:07
Wenn der Vorsitzende das Urteil begründet, starrt der mittlerweile 41-Jährige Kaugummi-Kauen zu Boden.
00:33:13
Er habe laut des Richters aus niedrigen Beweggründen sowie heimtückisch gehandelt.
00:33:18
Er habe die Kinder getötet, um sie seiner Ex-Frau zu entziehen und um sie dafür zu bestrafen,
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dass sie ihn verlassen und damit seinen persönlichen Lebenstraum von einer glücklichen Familie zerstört hat.
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Nachdem sein Plan mit den Töchtern umzuziehen gescheitert war und er befürchten musste,
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das Wohnsitzrecht gänzlich zu verlieren, habe er sich entschlossen, sie zu töten,
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um zu verhindern, dass sie mit der Mutter und ihrem neuen Mann zusammenziehen.
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Damit habe er das Lebensglück seiner geschiedenen Ehefrau, auf das er neidisch war,
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um den Preis des Lebens seiner Kinder zerstört, so der Vorsitzende.
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Ein psychiatrisches Gutachten hatte zwar ergeben,
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dass Frederik an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen,
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zwanghaften und emotional instabilen Zügen leide
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und wiederkehrende depressive Episoden habe,
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seine Wahrnehmung der Realität davon aber nicht beeinträchtigt sei.
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Somit wird Frederik als voll schuldfähig eingestuft.
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Es war kein Akt des Hasses, sondern ein Akt der Liebe.
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Ich bin fürs Leben gestraft, mehr können Sie mich nicht strafen.
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Ich bitte nicht um Vergebung, denn ich kann mir nicht einmal selbst verzeihen,
00:34:21
hatte Frederik noch vor seinem Urteil gesagt.
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Und trotzdem, wenig später, reicht sein Anwalt einen Antrag auf Revision beim Bundesgerichtshof ein.
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Doch der lehnt ab.
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Vier Jahre sitzt Frederik anschließend im Gefängnis in Deutschland.
00:34:35
Dort, wo er sein Verbrechen begangen hat und wo die deutschen Behörden für die Strafverfolgung zuständig sind.
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Dann beantragt er eine Verlegung nach Dänemark.
00:34:43
Frederik hofft, in seinem Heimatland eine mildere Strafe zu bekommen,
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da bei einer Verlegung der Fall noch einmal vor einem dänischen Gericht verhandelt werden muss.
00:34:50
Doch auch dieses verurteilt ihn zu einer lebenssangen Haftstrafe.
00:34:56
Heute ist Carla 51 Jahre alt.
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Sie wohnt noch immer in dem schönen, großen Backsteinhaus,
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in dem sie vor mehr als zehn Jahren zwei Kinderzimmer für Freya und Smilla eingerichtet hat.
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In einem der Räume hat sie sich inzwischen eine kleine Nähwerkstatt geschaffen.
00:35:10
Dort näht sie bunte Kleider für Kinder.
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Oft sind Hunde oder Katzen darauf.
00:35:16
Auf dem Bett sitzen noch immer die Teddybären ihrer Mädchen.
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Und im Büro, das einmal Freyas Zimmer war, liegt noch immer ein Buch über Justin Bieber, Freyas großes Idol.
00:35:25
Kurz nachdem die Kinder starben, war Carlas größte Angst, in einem Sumpf zu landen.
00:35:30
Der Welt nie wieder mit einem gesunden Geist begegnen zu können.
00:35:34
Aber sie hat nie aufgegeben.
00:35:35
Das hätten Freya und Smilla auch nicht gewollt.
00:35:37
So hat Carla gelernt, sich über die kleinen Dinge zu freuen, denn die machen den Kummer erträglich.
00:35:42
Aber ab und zu fragt sie sich, wie die Menschen hier wohl über sie denken.
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Alle wissen, dass sie die Frau ist, deren Kinder tot sind.
00:35:49
Oft haben sie und Yannick deshalb überlegt, irgendwo neu anzufangen.
00:35:53
Aber Carla geht gern ans Grab ihrer Töchter.
00:35:56
Manchmal täglich.
00:35:57
Sie hatte sich damals dafür entschieden, Smilla und Freya zusammen in einem Sarg zu beerdigen.
00:36:03
Auf der kleinen Fläche darüber liegen heute zwei Steine, in die ihre Vornamen und Geburtsdaten eingraviert sind.
00:36:08
Den Todestag hat Carla weggelassen.
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Der Tag, an dem auch ein Teil von ihr starb.
00:36:14
Ihre Identität als Mutter.
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Hinter den Steinen ragt eine kleine Kiefer in die Höhe.
00:36:20
Es war ihr Weihnachtsbaum gewesen, als sie die Feiertage nach der Scheidung zum ersten Mal alleine mit den Kindern verbrachte.
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Wenn Carla an dem Baum vorbeischaut, sieht sie in weiter Ferne das Meer und die Möwen, die darüber kreisen.
00:36:32
Sie ist zwar nicht gläubig, aber wenn sie hier steht, spürt sie eine gewisse Verbundenheit mit ihren Kindern.
00:36:37
Sie erzählt ihnen dann von ihrem Leben ohne sie und erinnert sich an die Sommersprossen auf ihren Gesichtern.
00:36:42
Bevor sie nach Hause geht, stellt sie oft eine Schale mit Süßigkeiten auf die Steinbank neben dem Grab.
00:36:48
Denn sie weiß, wie viele Kinder hier vorbeikommen, die genau wie sie noch jeden Tag an Freya und Smilla denken.
00:36:56
Also ich finde es ganz furchtbar für die Mutter natürlich.
00:36:59
Und ich finde, das ist genau wie der Richter gesagt hat.
00:37:01
Er hat ihr Lebensglück zerstört.
00:37:03
Sein Hauptopfer war, so empfinde ich das, mag ungerichtfertigterweise so sein, aber war eigentlich die Mutter.
00:37:13
Und er hat die Kinder nur dazu benutzt.
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Und ich denke mir so, also wie unnötig.
00:37:20
Wieso kannst du nicht erst mal gucken, wie das in Zukunft läuft?
00:37:25
Also es war ja jetzt nicht so, dass sie ins Ausland ziehen wollte oder ihm keinen Umgang mit den Kindern geben wollte oder irgendwas.
00:37:36
Ja, also ich finde es so, wie kann das die bessere Lösung sein?
00:37:42
Also das ist keine Lösung.
00:37:45
Das ist halt einfach nur Rache.
00:37:47
Also da das Gericht ja auch noch festgestellt hat, dass es offenbar nicht so war, wie er gesagt hat, dass er sich eigentlich hätte umbringen wollen.
00:37:55
Weißt du, und das ist dann auch noch so, er kann nicht mal dazu stehen, zu seiner eigentlichen Tat, sondern tut so, als hätte er sich dann noch selbst suizidieren wollen.
00:38:08
Aber selbst das ergibt auch keinen Sinn, warum er das mit den Kindern zusammen gemacht hat.
00:38:13
Die Kinder hatten eine liebende, sich kümmernde Mutter.
00:38:15
In keiner Welt wäre es eine Lösung gewesen, sie mitzunehmen.
00:38:21
Und sie hatten da jetzt auch dieses neue Haus.
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Da war noch ein neuer Mann.
00:38:25
Da waren noch andere Kinder, mit denen sie sich verstanden haben.
00:38:28
Und man denkt sich halt auch so, okay, in der Nacht, weißt du, diese Sache passiert und dann denkt er sich direkt eine Lüge aus, ja.
00:38:35
Wenn doch offenbar er sich gerade selbst auch suizidieren wollte und dass er nicht daran gescheitert ist.
00:38:43
Also, wie schnell schaltet man da und denkt sich dann wieder eine Lüge direkt aus und also, ganz schlimm.
00:38:51
Der hat eins im Kopf.
00:38:57
Und so ein Fall, wo halt ein Vater seine Kinder tötet, weil es irgendwie Sorgerechtsstreit gibt, das ist jetzt tatsächlich kein totaler Einzelfall oder so.
00:39:07
Weil während ich hier nach einem Fall gesucht habe, gab es mehrere Schlagzeilen von wegen, Vater tötet in Sorgerechtsstreit mit Ehefrau fünfjährigen Sohn.
00:39:18
Vater tötet seine Tochter und sich selbst oder halt sowas ähnliches.
00:39:23
Und es ist auch in einigen Fällen tatsächlich ja so, dass die sich nach so einer Tat dann auch suizidieren.
00:39:28
So ähnliche Taten, also jetzt mal weg vom Sorgerechtsstreit, kennen wir auch schon als erweiterten Suizid.
00:39:36
Bei dem aber oft altruistische Motive vorherrschen.
00:39:40
Also wo der Täter oder die Täterin dann wirklich fest daran glaubt, dass die Entscheidung jetzt im Interesse aller sei.
00:39:47
Ja, also vermeintlich altruistische Motive.
00:39:50
So sehen sie das.
00:39:52
Aber im Grunde muss man ja sagen, dass es fast nichts Egoistischeres gibt, als jemanden, der behauptet, der Rest meiner Familie sei ohne mich nicht lebensfähig.
00:40:03
Aber das ist dann in deren Kopf ja dann wirklich so.
00:40:07
Aber halt auch nur, weil solche TäterInnen in der Regel auch irgendwie psychiatrisch auffällig sind.
00:40:13
Die haben dann eine krasse narzisstische Persönlichkeitsstörung.
00:40:16
Aber in den Tötungsfällen halt im Rahmen von so Sorgerechtsstreitereien sind solche Motive halt auch eigentlich nicht häufig.
00:40:23
Ja, da geht es halt eher um die TäterInnen selbst und auch, wie du eben gesagt hast, um Rache.
00:40:29
Und deswegen passieren so Taten auch oft kurz nach solchen großen Entscheidungen, wo jetzt ein Elternteil zum Beispiel das alleinige Sorgerecht bekommt oder eben das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder jemand wegzieht oder so.
00:40:42
Was die Lebenswirklichkeit der TäterInnen dann auch schon verändert.
00:40:47
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat dann kurz vor sozusagen einer Rückgabe des Kindes passiert, ist dann besonders hoch.
00:40:55
Weil für die TäterInnen diese neue Situation, also zum Beispiel viel weniger Umgang mit den Kindern zu haben oder getrennt von der Familie zu leben, halt unerträglich ist.
00:41:05
Und die dann glauben, dass sie sich nicht damit abfinden können und keinen anderen Ausweg sehen, als die Kinder und manchmal eben auch sich selbst zu töten.
00:41:14
Oft steckt aber auch das Motiv dahinter, dass man dem anderen Elternteil die Zeit mit den Kindern halt einfach nicht gönnt.
00:41:19
Also so nach Fredericks Motto, wenn ich euch nicht haben kann, dann soll euch keiner haben.
00:41:24
Und sowas kann den Hintergrund haben, dass vor allem Täter, also tatsächlich sind es halt eben öfter Männer, dass die ein Problem damit haben, dass ihre Position als Oberhaupt der Familie dann in Gefahr ist.
00:41:38
Weil eben beispielsweise die Frau dann mehr Rechte in Bezug auf die Kinder bekommt und dadurch der Mann die Kontrolle über die Familie verliert.
00:41:46
Ja, und die Kinder dann halt eben auch benutzt als Werkzeug, weil sie dann eben nicht damit umgehen können, dass Frau und Kinder ihnen nun mal nicht gehören.
00:41:55
Ja, also das kennt man ja auch schon so oder so ähnlich von Femiziden.
00:42:00
Ja, ExpertInnen deuten solche Taten als Unfähigkeit auf selbstbildgefährdende Lebensveränderungen und dann sozusagen als Versuch, dieses Selbstbild zu schützen.
00:42:13
Und ich finde, das kann man ganz klar eigentlich bei Frederik sehen, weil sein großer Traum war es, eine Familie zu haben.
00:42:19
Und als die dann kaputt ging, ging auch seine Identität als Familienvater kaputt.
00:42:25
Und als er dann quasi noch mit ansehen musste, wie jemand anderes, also Janik, dann seinen Platz einnehmen sollte, wenn er nicht da ist,
00:42:35
dann bin ich sicher, dass er sein Selbstkonzept eben in großer Gefahr gesehen hat und dann dementsprechend reagiert hat.
00:42:44
Und damit das Leben von ganz vielen Menschen zerstört hat.
00:42:49
Mein Fall handelt von den sogenannten Hungermädchen und einer Familie, die in sich selbst Liebe sucht und Zerstörung findet.
00:42:57
Alle Namen sind geändert und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:43:03
Im beschaulichen Freudenthal schaut man mit Argwohn auf das Nachbarhaus von Familie Schniegler.
00:43:08
Denn dort drin wohnt keine normale Familie.
00:43:11
Das wissen hier in der Gegend alle.
00:43:13
Die Schnieglers werden gemeinhin als seltsam bezeichnet.
00:43:18
Sie sind nicht greifbar und vor allem nicht zu verstehen.
00:43:21
Niemand ist mit jemandem aus der Familie befreundet oder kennt jemanden gut.
00:43:26
Die Rollos des Reihenhauses sind die meiste Zeit unten.
00:43:29
Die fünfköpfige Familie mag nicht, wenn andere sich ihnen nähern oder neugierig sind.
00:43:34
Sie wollen lieber für sich sein.
00:43:36
Obwohl Herr und Frau Schniegler drei junge Töchter haben, schallt aus dem Inneren des Hauses fast nie lautes Kindergelächter.
00:43:43
Nur abends hört man sie ab und an im Garten, wenn die Dunkelheit sie vor neugierigen Blicken schützt.
00:43:49
Familie Schniegler ist ein großes Mysterium und eine Gefahr.
00:43:53
Vor allem für sich selbst.
00:43:55
Die Schnieglers kommen im Jahr 1980 nach Freudenthal und beziehen dort das Reihenhaus, was sie später auch kaufen.
00:44:02
Helge Schniegler ist damals Handelsvertreter für Türen, Tilda medizinische Fachangestellte.
00:44:09
Die beiden lassen sich im 2000-Seelen-Dorf nieder, um hier ihre Familie zu gründen.
00:44:13
Zwischen 1983 und 88 bringt Tilda drei Töchter zur Welt.
00:44:18
Alle tragen den Buchstaben S vorne.
00:44:21
Die erste Tochter wird Solvik getauft, die mittlere trägt den Namen Sabia und das Nesthäkchen wird Sylvie gerufen.
00:44:28
Während die kleine Sylvie noch zu Hause von ihren Eltern großgezogen wird, besuchen Solvik und Sabia bereits dieselbe Grundschule.
00:44:35
Von außen scheinen die Mädchen ganz normal, doch die Geschwister fallen vor allem bei der Lehrerschaft auf.
00:44:41
Denn im Gegensatz zu ihren MitschülerInnen sind Solvik und Sabia so gar nicht an anderen interessiert.
00:44:47
Sie gliedern sich nicht in die Klasse ein und scheinen sich auch nicht zugehörig zu fühlen.
00:44:51
In den Pausen suchen die Schwestern immer den Halt beieinander und kapseln sich von anderen ab.
00:44:56
Sie wirken ein wenig wie Mitglieder einer eingeschworenen Gemeinschaft.
00:45:00
Man sagt von ihnen, sie seien extrem in sich gekehrt.
00:45:03
Einfach anders. Immer bemüht, andere auf Abstand zu halten.
00:45:07
Und mit den Jahren sieht man die Mädchen immer seltener.
00:45:11
Sie erscheinen nicht zum Unterricht, bleiben oft einfach zu Hause.
00:45:15
Als sich die Schulleitung bei Vater Helge Schniegler meldet und nach dem Grund der Abwesenheit fragt,
00:45:20
behauptet der, seine Kinder hätten Angst vor ihren MitschülerInnen und den Lehrkräften.
00:45:24
Ein Vorwurf, der die Schule überrascht und den man auch nicht wirklich nachvollziehen kann.
00:45:29
Da sich Vater Schniegler, was die Verletzung der Schulpflicht angeht, nicht einsichtig zeigt, informiert die Schule das Jugendamt.
00:45:36
Dort wird für die Schnieglers eine Akte angelegt, die sich im Laufe der nächsten Jahre prall füllen
00:45:41
und einen erbitterten Kampf von Vater Schniegler gegen jede Behörde dokumentieren wird,
00:45:46
die es wagt, sich in seine Familienstruktur einmischen zu wollen.
00:45:49
Helge Schniegler ist in dem Dorf kein unbeschriebenes Blatt.
00:45:53
Besonders auffällig wird er, nachdem er arbeitslos wird.
00:45:56
Vor anderen behauptet er, trockene Alkoholiker zu sein.
00:45:59
Andere BewohnerInnen im Dorf erleben ihn als streitsüchtig und vor allem als paranoid.
00:46:06
Helge Schniegler meint, andere würden ihm etwas neiden.
00:46:08
Vor allem seine drei schönen Töchter.
00:46:12
Das Familienleben wäre eigentlich ganz friedlich, wenn nur nicht diese ständigen NeiderInnen wären.
00:46:19
Damit er seine Familie vor eben jeden schützen kann, sieht man die Familie fast nie.
00:46:24
Und wenn, dann verlassen nur alle fünf gemeinsam das Haus, laufen schnurstracks zum Auto,
00:46:29
knallen die Türen zu und sind auch schon gemeinsam verschwunden.
00:46:32
Man sieht schon am Auftreten der Familie, wer hier die Hosen anhat.
00:46:36
Mutter Tilda hat sich ihrem Mann untergeordnet, trägt seine Wahnvorstellung und Verirrung, die er kundtut mit.
00:46:43
Wie eine Art Guru führt er sich auf, dem sich die Frauen in seiner Familie verschrieben haben.
00:46:49
FreundInnen seiner Töchter schickt Helge Schniegler vor der Tür weg, genauso wie das Jugendamt,
00:46:54
das nachdrücklich versucht, das Leben von Solvik, Sabia und Silvi in geordnete Bahnen zu lenken.
00:46:59
Doch das scheitert schon allein am sturen Vater, der besser zu wissen meint, was für seine Kinder das Beste sei.
00:47:05
Wenn sie nicht in die Schule wollen, dann sollen sie eben auch nicht gehen.
00:47:10
Die Lage spitzt sich zu, nachdem das Familienkonto der Schnieglers überzogen ist, sie ihre Rechnung nicht mehr bezahlen und somit auch ihre familiäre Festung, das Reihenhaus, nicht mehr halten können.
00:47:20
Über drei Jahre lang hatte Vater Helge versucht, der Zwangsräumung zu entgehen.
00:47:24
1997 muss er aufgeben.
00:47:26
Der Tag, an dem die fünfköpfige Familie plötzlich kein Dach mehr über dem Kopf hat, hatte sich lange angekündigt und trifft sie trotzdem mit voller Härte.
00:47:34
Jetzt stehen sie mehr oder weniger auf der Straße.
00:47:37
Ohne es zu wissen, beginnt für die Familie jetzt eine Reise, deren Endstation das Landgericht Stuttgart sein wird.
00:47:44
Die Schnieglers kommen ab jetzt in Ferienwohnungen unter, die Töchter gehen gar nicht mehr zur Schule.
00:47:49
Die Wohnungen werden oft gewechselt, weil Vater Helge vor dem Jugendamt flüchtet, das ihm permanent im Nacken sitzt und das sich seiner Meinung nach zu Unrecht in seine Erziehung einmischen will.
00:47:58
Für die Kinder Solvik, Sabia und Sylvie, mittlerweile 16, 14 und 11 Jahre alt, bietet das ständige Umziehen, keine Stabilität im Leben zu haben und die Angst vor dem Jugendamt, die der Vater aufbaut, einen geeigneten Nährboden für Entwicklungsstörungen.
00:48:13
Die drei spielen nicht wie andere Kinder, sie lernen nicht wie andere Kinder und sie essen auch nicht wie andere Kinder.
00:48:19
Das ständige Hin- und Her schlägt auf die Psyche.
00:48:22
Es ist 1999 und die Schnieglers sind gerade in einem Versteck in Bad Mergentheim untergekommen, als das Katz-und-Maus-Spiel ein vorläufiges Ende nimmt.
00:48:31
Am 20. August stürmen sieben Polizisten nach zweijähriger Suche das provisorische Heim der Schnieglers.
00:48:37
Die Mannschaft findet die drei Töchter verängstigt in Schränken kauernd.
00:48:42
Sie werden mitgenommen, den Eltern entrissen und einer Jugendhilfeeinrichtung übergeben.
00:48:46
Natürlich unter Protest von Helge Schniegler, der behauptet, die Einsatzkräfte hätten seine Töchter geschlagen und die Treppe hinuntergestoßen.
00:48:53
Er lehnt sich auf gegen das Eingreifen des Staates in seine Familienherrschaft.
00:48:58
Doch den Vater vom Vormundstron zu schubsen war, wie sich herausstellte, dringend nötig.
00:49:03
Denn endlich in Obhut des Jugendamts stellt man fest, dass Solvik, Sabia und Sylvie viel jünger aussehen, als sie eigentlich sind.
00:49:11
Allesamt sind sie unterernährt, sehen zerbrechlich aus.
00:49:14
Die Knochen treten unter der Haut hervor.
00:49:16
Und alle Mädchen haben schwere psychopathologische Störungen, wie ein Gutachten verrät.
00:49:21
Sie brauchen dringend Struktur in ihrem Leben und den Umgang mit anderen in ihrem Alter.
00:49:26
Das soll ihnen jetzt die Jugendeinrichtung ermöglichen.
00:49:29
Nach zwei Jahren Abwesenheit gehen sie endlich wieder zur Schule und essen auch wieder regelmäßiger.
00:49:34
Doch der gesundheitliche Aufschwung der Schniegler-Mädchen ist nicht von langer Dauer.
00:49:39
Denn Vater Helge schafft es sich, das Sorgerecht für seine Töchter zurückzuerkämpfen.
00:49:42
Das Kreisjugendamt Heilbronn meint, es sei zu verantworten, die Kinder wieder an die Eltern zurückzugeben.
00:49:48
Also werden die Schnieglers wieder vereint, worüber sich die Töchter und ihre Eltern sehr freuen.
00:49:53
Die Familie zieht zurück in die Gegend von Bad Mergentheim und fällt erneut durch seltsames Verhalten auf.
00:49:59
Wieder sieht man sie kaum, wenn dann nur nachts.
00:50:01
Diesmal, wenn sie mit Taschenlampen in der Hand auf Streuobstwiesen Äpfel aufsammeln.
00:50:06
Das ehemalige Familiensystem von Vater Helge Schniegler ist wieder im vollen Gang.
00:50:10
Die einzigen Unterhaltungen, die der Familienvater mit Nachbarn führt, ist, wenn er sich bei denen beschwert,
00:50:15
weil sie es ohne vorherige Ankündigung wagen, zu grillen.
00:50:18
Helge fordert, dass Barbecues 14 Tage vorher bei ihm angemeldet werden,
00:50:22
da seinen Töchtern vom Fleischgeruch schlecht würde.
00:50:25
Alle drei sind Vegetarierin.
00:50:28
Anders verhält es sich allerdings diesmal mit den Schulbesuchen.
00:50:31
Offenbar hatte der dreimonatige Sorgerechtsentzug Vater Schniegler zumindest dahingehend die Augen geöffnet.
00:50:36
Solvik und Sabia blühen diesmal sogar richtig auf.
00:50:39
Sie schreiben gute Noten, sind fleißig, erhalten sogar Urkunden.
00:50:43
Nur am Sportunterricht teilnehmen kann vor allem Sabia nicht.
00:50:46
Das zierliche, magere Mädchen ist zu schwach für körperliche Anstrengungen.
00:50:50
Ihr fehlt einfach die Kraft.
00:50:52
Ähnlich sieht es bei der jüngsten Sylvie aus.
00:50:54
Wenn sie zur Schule geht, was sie nur ungern tut, dann versteckt sie ihren hageren Körper unter weiten Klamotten.
00:51:00
Es scheint, als hätten die Schwestern das Essen erneut beidesgehend eingestellt.
00:51:05
Direktorin von Silvies Schule sucht mehrmals das Gespräch zu Vater Helge.
00:51:08
Er mahnt ihn, dass seine Tochter essen und auch mehr lernen muss, denn ihre Besuche werden im Laufe der Zeit immer unregelmäßiger.
00:51:15
Die Reaktion des Vaters ist eindeutig.
00:51:18
Nach den Sommerferien im Jahr 2000 bleibt ein Platz in Silvies Klasse wieder leer.
00:51:23
Helge beteuert diesmal, dass er seine Tochter schützen würde.
00:51:26
Sie habe ihm gesagt, dass man sie in der Stühle mit Steinen beschmissen habe.
00:51:29
Direktorin bestreitet, dass es so einen Vorfall jemals gegeben habe.
00:51:33
Wieder einmal füllt sich die Akte des Jugendamtes.
00:51:37
Wieder einmal versucht sich der Vater, eine Zeit lang gegen den Eingriff in die Familie zu wehren.
00:51:41
Wieder einmal greifen die Behörden irgendwann durch und reißen die Familie notgedrungen auseinander.
00:51:46
Vater Helge spricht von einer mutwilligen Zerschmetterung.
00:51:50
Anscheinend sieht er nicht, wie sehr seine Töchter leiden.
00:51:53
Für jeden anderen ist das aber auf den ersten Blick zu erkennen.
00:51:56
Solvik, Sabia und Silvi sind mittlerweile bis auf die Knochen abgemagert.
00:52:01
Ihre Körper sehen zerfallen, ihre Gesichter eingefallen aus.
00:52:04
Die Haut ist trocken und schuppig.
00:52:06
Fettgewebe haben die drei nahezu gar nicht.
00:52:09
Solvik wiegt mit ihren 17 Jahren gerade einmal 28,8 Kilogramm.
00:52:15
Sabia bringt 33 auf die Waage und Silvi, die Jüngste, wiegt bei 1,54 Meter nur noch 24,8.
00:52:23
Das sind gerade einmal 60 Prozent von dem, was sie eigentlich wiegen sollte.
00:52:27
Bei einem sind sich die Ärztinnen und das Jugendamt also sicher.
00:52:32
Momentan sind die drei Schwestern in den Händen der Behörden besser aufgehoben als in denen des Vaters.
00:52:38
Die Schnieglers bekommen das Sorgericht für die Kinder entzogen und Solvik, Sabia und Silvi werden in unterschiedliche Krankenhäuser eingeliefert,
00:52:44
wo sie wegen ihrer massiven psychischen Störungen behandelt und künstlich ernährt werden.
00:52:49
Teilweise auch unter Zwang.
00:52:51
Denn die Geschwister verweigern alle die Zusammenarbeit mit den Ärztinnen.
00:52:55
Sie wollen sich nicht helfen lassen.
00:52:56
Vielleicht können sie sich auch nicht helfen lassen.
00:52:59
Man weiß es nicht.
00:53:00
Die drei geben einem Rätsel auf.
00:53:02
Obwohl jeder andere Mensch meinen würde, dass es den Schwestern besser gehen müsste,
00:53:06
wenn sie von ihrem dominanten Vater getrennt seien, ist das Gegenteil der Fall.
00:53:10
Alle drei wollen zurück zu ihren Eltern.
00:53:13
Zurück ins Zuhause, was immer nur vorübergehend eins ist.
00:53:16
Besonders Sabia, die mittlere Tochter, leidet unter der Trennung.
00:53:20
Sie sitzt lieber in der Ecke rum, schottet sich ab.
00:53:23
Das, was sie von den Eltern kennt, lebt sie jetzt selbst.
00:53:26
Sabia hasst die Klinik und tut alles, um hier nicht länger sein zu müssen.
00:53:30
So schreibt sie unter anderem an das Familiengericht Bad Mergentheim,
00:53:33
dass ihre Eltern viel besser seien als viele andere.
00:53:36
Vater Helge sieht das Problem auch nicht etwa in seinem Erziehungs- und Lebensstil,
00:53:40
sondern in den Behörden, gegen die er mit aller Macht versucht vorzugehen.
00:53:44
Genau diese Einstellung kritisiert der Oberarzt der Klinik, in der Sabia untergebracht ist.
00:53:49
Er hält Vater Helge für die Ursache für den Zustand der Mädchen.
00:53:53
Helge leugne nicht nur die Erkrankung von Sabia,
00:53:55
er nehme auch eine Verschlechterung des Gesundheitszustands billigend im Kauf,
00:53:59
um im Kampf gegen den Feind bestehen zu können.
00:54:02
Laut ihm sei die abnormale Bindung an die Eltern für die Essstörung verantwortlich.
00:54:08
In einer psychiatrischen Beurteilung schreibt er von einem paranoiden Deutungssystem der Realität
00:54:13
und dass sich Helge so verschanzt und eingemauert habe,
00:54:16
dass nur noch massives Misstrauen, Verfolgungsgedanken
00:54:18
und Vorstellungen von existenzieller Bedrohung in seinen Gedanken Platz haben.
00:54:23
Sabia sei so im Warnsystem ihres Vaters,
00:54:26
dass sie jede eigenständige individuelle Entwicklung verloren habe
00:54:30
und von ihm als Objekt im wahnhaften Kampf gegen die feindliche Außenwelt instrumentalisiert wurde.
00:54:36
Einen Kampf, den Vater Helge tatsächlich führt.
00:54:40
Gegen die Zerschmetterung seiner Familie versucht er mithilfe von zwei Anwaltsbüros
00:54:44
und etlichen Strafanzeigen vorzugehen.
00:54:46
Doch seine Töchter bringt ihm das nicht zurück.
00:54:49
Sie bleiben zunächst in Obhut des Jugendamtes.
00:54:53
Den Eltern und den drei Töchtern bleibt lediglich die Besuchszeit füreinander.
00:54:56
Doch die Schniegler Eltern sind in den Krankenhäusern nicht gern gesehen.
00:55:00
In der Heidelberger Klinik, da, wo Sylvie untergebracht ist,
00:55:03
bekommt Vater Helge sogar Hausverbot wegen Störung des Stationsfriedens,
00:55:08
weil sie ihn hinter dem Aufstand seiner Tochter vermuten,
00:55:11
die sich partout nicht behandeln lassen will.
00:55:14
Ich werde hier tätlich und verbal gequält, erpresst und bedroht,
00:55:18
schreibt sie in einer Beschwerde im Dezember des Jahres.
00:55:21
Aber zumindest körperlich geht es Sabia und ihren Schwestern allmählich besser.
00:55:26
Alle gewinnen an Gewicht und Kräften.
00:55:28
Mittlerweile hat die Weihnachtsstimmung auch Einzug in die Kinderkliniken gefunden.
00:55:34
Zumindest bei den meisten PatientInnen.
00:55:37
Doch im Gegensatz zu anderen Kindern in dem Krankenhaus
00:55:40
will Sabia keines ihrer Türchen im Adventskalender öffnen.
00:55:44
Wenn die Stationsschwester kommt, um sie zu animieren, eins aufzumachen,
00:55:47
sagt sie kaum hörbar mit zerbrechlicher Stimme,
00:55:49
dass ein anderes Kind das für sie machen könne.
00:55:52
Dass die Familie auch Weihnachten nicht zusammen verbringen kann,
00:55:55
ist für alle belastend.
00:55:56
So belastend, dass Vater Helge einen Plan aushackt.
00:56:00
Es ist der 24. Dezember im Jahr 2000
00:56:03
und Helge und Tilda Schniegler machen von ihrem Besuchsrecht in den Kliniken Gebrauch.
00:56:07
Doch die beiden sind nicht gekommen, um ihren Kindern Geschenke zu bringen.
00:56:11
Helge Schniegler ist hier, um sich das zurückzunehmen,
00:56:13
von dem er meint, es stünde ihm zu.
00:56:16
Und so verlassen die Eltern die Krankenhäuser nicht allein,
00:56:20
sondern haben ihre Kinder mit im Schlepptau.
00:56:22
Eines nach dem anderen befreien sie.
00:56:25
Unbemerkt aus den Kliniken setzen sie in einen vorher gemieteten Toyota
00:56:29
und fahren davon.
00:56:30
Weg von dem Ort, wo man den Kindern helfen wollte.
00:56:33
Der Vater meint aber besser zu wissen, was gut für sie ist.
00:56:37
Und das ist in seinen Augen die Familie.
00:56:39
Mit dem Mietwagen geht es in den Bayerischen Wald.
00:56:42
Vater Helge hatte hier extra vorher ein Ferienhaus gemietet.
00:56:45
Bepackt sind die Schnieglers mit etlichen Konserven.
00:56:48
Der Vorrat reicht für mehrere Wochen.
00:56:51
Mittlerweile hat auch das Jugendamt von der Aktion Wind bekommen.
00:56:54
Die Medien berichten von dem Vater, der seine eigenen Kinder entführt hat und untergetaucht ist.
00:56:59
Die Mutter spielt die meiste Zeit nur eine untergeordnete Rolle.
00:57:02
In der Berichterstattung und in der Familie.
00:57:05
Vater Helge wendet sich in der Zeit an seinen Familienanwalt.
00:57:08
Seinen Aufenthaltsort hält er geheim.
00:57:11
Helge rechtfertigt ihm gegenüber die Entführung damit,
00:57:14
dass die Töchter im Krankenhaus schlecht behandelt worden seien
00:57:16
und dass es die Kinder nicht ertragen haben,
00:57:18
voneinander und von ihm und seiner Frau isoliert gewesen zu sein.
00:57:22
Das Statement gibt der Anwalt im Namen seines Mandanten auch öffentlich ab
00:57:26
und appelliert an das zuständige Jugendamt, die Situation zu deeskalieren
00:57:30
und eine gemeinsame Familientherapie zu ermöglichen.
00:57:33
Stattdessen wird aber Haftbefehl gegen Helge und Tilda erlassen.
00:57:36
Eine Hexenjagd sei das, so der Vater.
00:57:39
Nach 19 Tagen findet die ein jähes Ende.
00:57:42
Durch eine Standortermittlung über das Funktelefon kann die Familie geortet werden.
00:57:47
Diesmal hatte sich der Zustand der Mädchen nicht verschlechtert.
00:57:51
Trotzdem kommen sie erneut in einem Heim unter.
00:57:54
Aus einer unmenschlichen Hölle habe er seine Kinder befreit.
00:57:57
Helge Schniegler präsentiert sich medial als den Retter seiner Kinder
00:58:01
und schwört, wir geben nicht auf und wenn sie uns alle erschießen.
00:58:05
Helge und seine Familie gegen den Rest der Welt.
00:58:09
So führt es sich offenbar für ihn an.
00:58:11
Doch vorerst müssen er und Tilda ins Gefängnis, und zwar für mehrere Monate.
00:58:16
Wegen Misshandlung, Schutzbefohlener und Kindesentzug.
00:58:19
Denn zum Zeitpunkt der Entführung waren Solvik, Sabia und Sylvie unter der Obhut des Jugendamts.
00:58:24
Doch auch aus dem Gefängnis heraus gibt das Familienoberhaupt keine Ruhe.
00:58:28
Er klagt gegen die Verhaftung und hat damit tatsächlich Erfolg.
00:58:31
Denn ein gerichtlicher Gutachter, der als Jugendpsychiater tätig ist,
00:58:35
dass Solvik, Sabia und Sylvie keine Psychogenen-Essstörung hätten,
00:58:39
die Ursache für ihr Krankheitsbild also vermutlich nicht psychologisch zu erklären sei.
00:58:44
Helge und Tilda halte er, mit einigen Einschränkungen, grundsätzlich für erziehungsfähig.
00:58:50
Das Oberlandesgericht folgt dem Experten und urteilt,
00:58:53
dass der Freiheitsentzug der Schneeglas nicht zulässig gewesen war.
00:58:56
Der Vorwurf gegen Helge und Tilda wegen gemeinschaftlicher Entführung wird fallen gelassen.
00:59:01
Im Gegenzug dazu müssen die Eltern allerdings auf eine Haftentschädigung verzichten.
00:59:05
Deilt es außerdem, dass sich das Jugendamt um die Gesundheit der Mädchen in Zukunft kümmern wird
00:59:10
und die Eltern eine regelmäßige Kontrolle zulassen müssen.
00:59:13
Die sogenannten Hungerkinder wandern also wieder zurück in die Obhut der Eltern
00:59:18
und damit wieder ins Verderben.
00:59:20
Die Familie ist zusammen, hat das zurück, was sie wollte.
00:59:24
Es könnte so bleiben, wenn man sich an die Regeln halten würde.
00:59:27
Eine offenbar unmachbare Sache für Helge.
00:59:30
Diesmal lässt er seine Mädchen gar nicht erst zur Schule gehen.
00:59:34
Stattdessen beantragt er, seine Töchter per Fernschule zu Hause unterrichten zu lassen.
00:59:38
Das Oberschulamt Stuttgart verneint zwar sein Anliegen,
00:59:41
allerdings genehmigt es tatsächlich das Oberlandesgericht,
00:59:44
da man den Mädchen in ihrem Zustand keinen Schulbesuch zumuten könne.
00:59:48
Vater Helge und das Schulamt sollen also den Fernunterricht organisieren.
00:59:52
Doch zu einem Termin taucht Helge nie auf.
00:59:55
An andere Kontrolltermine hält er sich ebenfalls nicht.
00:59:59
Solvik, Sabia und Sylvie sind ihren Eltern vollkommen ausgeliefert.
01:00:03
Keine kontrollierende Instanz hat mehr Zugang zu den Mädchen,
01:00:07
deren gesundheitlicher Zustand ein ständiger Balanceakt ist.
01:00:10
In dieser Zeit werden Solvik und Sabia volljährig,
01:00:14
können nun also selbst entscheiden, wo und wie sie leben möchten.
01:00:17
Sie entscheiden sich für ihre Eltern.
01:00:21
Das rechtliche Tauziehen dreht sich nun um die jüngste, Sylvie.
01:00:24
Gegen alles, was die Behörden den Eltern für die 15-Jährige auferlegen möchten,
01:00:29
klagt Vater Helge.
01:00:30
Innerhalb von vier Monaten 31 Mal.
01:00:33
Die Akte beim Jugendamt ist mittlerweile 26 Ordner dick
01:00:37
und fühlt sich jedes Mal mehr, wenn Helge sich wieder einer Vorgabe widersetzt.
01:00:41
Mittlerweile ist Herbst 2002.
01:00:44
Tochter Sylvie wurde schon fast ein Jahr nicht mehr vom Jugendamt,
01:00:47
LehrerInnen oder ÄrztInnen in Augenschein genommen.
01:00:50
Also erwirkt das Kreisjugendamt per Gerichtsbeschluss,
01:00:53
dass sie einem Arzt oder einer Ärztin vorgeführt werden muss.
01:00:56
Das Amtsgericht Bad Mergentheim aber sieht nicht, dass der Termin seine Eile hat.
01:01:01
Obwohl das Jugendamt regelmäßig auf unablässige Befürchtungen verweist.
01:01:06
Mehrmals steht ein Mitarbeiter des Jugendamts vor der Tür der Schnieglas,
01:01:10
der die Familie dazu auffordert, Silvis Gesundheitszustand überprüfen zu lassen.
01:01:14
Vater Helge öffnet nicht.
01:01:16
Stattdessen hört der Mitarbeiter vom Jugendamt, wie er seine Tochter anbrüllt.
01:01:20
Ich schlag dich tot, wenn du nicht isst.
01:01:22
Du bringst mich damit noch ins Gefängnis.
01:01:24
Tatsächlich ist der Grund, warum Sylvie sich zu Hause verschanzt,
01:01:28
dass sie schon lange wieder nichts mehr isst.
01:01:30
Um die Behörden auf Abstand zu halten,
01:01:33
behauptet Vater Helge dann,
01:01:34
dass sich Sylvie schon bald einer Untersuchung stellen würde.
01:01:38
Und dann kommt der 18. November 2002.
01:01:41
Es ist der Tag, der Helge und Tilda endlich die Augen öffnet.
01:01:47
Denn aus Sylvie ist mittlerweile das Leben fast entwichen.
01:01:50
Als die Eltern den Arzt rufen, steht Sylvie schon an der Schwelle zur Bewusstlosigkeit.
01:01:55
Mehr tot als lebendig, wird der Notarzt später sagen.
01:01:59
Seit ihrem letzten Krankenhausaufenthalt hat sich der Zustand der 15-Jährigen noch mal deutlich verschlechtert.
01:02:05
Schon damals hatte sie knapp unter 25 Kilo gewogen.
01:02:08
Mittlerweile ist sie zwei Jahre älter und wiegt gerade einmal 21 Kilo.
01:02:12
Unter ihrer Haut sieht man ihre Adern bläulich durchschimmern.
01:02:16
Auch Solvik und Sabia werden von BetreuerInnen mitgenommen.
01:02:19
Die beiden sind so geschwächt, dass sie es nicht einmal ohne Hilfe zum Auto schaffen.
01:02:23
Seine Tochter Sylvie hätte erst zu essen aufgehört, als man sie dazu zwingen wollte, zum Arzt zu gehen,
01:02:29
behauptet Vater Helge und versucht erneut alle Vorwürfe von sich zu weisen.
01:02:34
Da kommt man nicht mehr ran, da hilft kein gutes Zureden.
01:02:37
Ob es ein Süchtiger ist oder sonst jemand, die Familie bewirkt da erfahrungsgemäß am wenigsten,
01:02:42
sagt er einen Tag, nachdem Sylvie ins Krankenhaus gebracht wurde.
01:02:46
An diesem Tag tritt bei Sylvie ein Multiorganversagen ein,
01:02:50
sodass sie künstlich beatmet und ins Koma versetzt werden muss.
01:02:54
Wochenlang ringt man um ihr Leben.
01:02:56
Erst im Januar erwacht sie aus dem Koma.
01:02:59
Silvis Hirn und ihre Nerven haben erhebliche Schädigungen erlitten.
01:03:02
Sie kann kaum noch etwas sehen, sprechen, geschweige denn laufen.
01:03:05
Dass Sylvie jemals wieder die Alte sein wird, glauben die MedizinerInnen nicht.
01:03:10
Helge und Tilda wandern erneut ins Gefängnis.
01:03:14
Den Schaden, den Sylvie davongetragen hat, legt man ihnen zur Last.
01:03:17
Doch wie ist das rechtlich zu werten?
01:03:20
Denn Sylvie wollte hungern.
01:03:22
Helge und Tilda haben sie nicht dazu gezwungen.
01:03:24
Sie sind selbst an der Magersucht ihrer Tochter verzweifelt.
01:03:27
Dieser Frage wird sich in den nächsten Wochen das Landgericht Ellwang stellen.
01:03:31
Dort wollen die beiden Eltern zwar nicht aussagen,
01:03:34
lassen aber über ihre Anwälte beteuern, dass sie ärztliche Hilfe unterließen,
01:03:38
weil sie Rücksicht auf Silvies Willen nehmen wollten.
01:03:41
Wir hätten eher ärztliche Hilfe holen sollen.
01:03:44
Hierfür fehlte uns jedoch die Kraft, verlesen die Anwälte.
01:03:47
Sie hätten Angst vor einem nicht wieder gut zu machenden Vertrauensverlust bei Sylvie gehabt.
01:03:53
Der geht es zum Zeitpunkt des Prozesses zwar wieder besser.
01:03:56
Richtig sehen oder laufen kann sie allerdings immer noch nicht.
01:03:59
Vor Gericht verteidigt sie ihre Eltern im Rollstuhl.
01:04:02
Ich wollte nicht zum Arzt gehen, weil ich Angst hatte.
01:04:05
Dass sie nichts gegessen habe, läge alleine am Stress und der Panik,
01:04:09
den die Behörden in ihr ausgelöst hätten.
01:04:11
Klar, weil sonst hat sie ja super gerne und richtig viel gegessen.
01:04:17
Auch Solvik und Sabia sehen ihre Eltern nicht in der Schuld.
01:04:21
Sie hätten immer für genügend Essen gesorgt
01:04:23
und sie seien die besten Eltern, die man sich wünschen könne.
01:04:26
Der psychiatrische Sachverständige bestätigt den beiden Schwestern
01:04:30
und auch Sylvie eine schwere Persönlichkeitsstörung.
01:04:32
Der Prozess versucht ein wenig Licht in ein Familiensystem zu bringen,
01:04:36
das man nicht verstehen kann.
01:04:38
Der Tübinger Psychiater Peter Winkler beschreibt die Schnieglas
01:04:41
als hochgradig gestörtes System.
01:04:44
Es gebe hier einen großen Bereich des Unfassbaren.
01:04:47
Die fünf seien wie eine Sekte ohne Ideologie.
01:04:49
Ihre Mitglieder seien nahezu gleichgeschaltet gewesen.
01:04:53
Am 8. Oktober 2004 fällt das Urteil.
01:04:56
Helge und Tilda werden wegen Körperverletzung durch Unterlassen
01:04:59
jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
01:05:03
Am Ende konnte das Gericht nicht ausschließen,
01:05:05
ob Helge und Tilda nicht wegen des hochgradig gestörten
01:05:08
pathologischen Systems der Familie in ihrer Steuerungsfähigkeit
01:05:12
wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit
01:05:14
erheblich eingeschränkt waren.
01:05:16
In jedem Fall sei der Körperverletzungsvorsatz nur bedingt vorhanden gewesen.
01:05:20
Im Gerichtssaal blickt man in erstaunte Gesichter.
01:05:24
Viele sind von dem milden Urteil überrascht.
01:05:27
Vor allem die Staatsanwaltschaft.
01:05:29
Die will die Schnieglas diesmal nicht mit einer derart geringen Strafe davon kommen lassen.
01:05:35
Ihrer Ansicht nach habe das Landgericht die Schuld der Eltern als zu gering eingestuft.
01:05:38
Mutter Tilda war früher medizinischer Fachangestellter.
01:05:42
Sie hätte um den kritischen Zustand ihrer Tochter wissen müssen.
01:05:45
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft haben die Eltern ihre Tochter wissentlich schwerkörperlich verletzt.
01:05:50
Dieser kleine Zusatz würde im Strafmaß einen erheblichen Unterschied machen.
01:05:55
Die Freiheitsstrafe könnte nicht unter drei Jahren liegen.
01:05:58
Die Staatsanwaltschaft geht also in Revision und hat damit Erfolg.
01:06:02
Denn der BGH tadelt, das Landgericht Elwang hätte eine Körperverletzung durch positives Tun in ihre Erwägung einbeziehen müssen.
01:06:09
Allein schon, weil Vater Helge das Jugendamt hatte täuschen wollen, als er meinte, Silvi würde sich freiwillig einer Untersuchung stellen.
01:06:16
Auch er habe diese also absichtlich verhindern wollen.
01:06:19
Der Fall geht zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Stuttgart.
01:06:23
Und das schätzt den Fall ganz anders ein als Elwang.
01:06:27
Denn Stuttgart verurteilt den mittlerweile 61 Jahre alten Vater und die 57-jährige Mutter in zweiter Instanz zu je drei Jahren Haft wegen schwerer Körperverletzung.
01:06:37
So eine Realitätsferne sei dem Gericht noch nicht untergekommen, sagt der Vorsitzende in der Urteilsbegründung.
01:06:43
Helge und Tilda hätten sich in nahezu unfassbarer Weise an ihrer Tochter schuldig gemacht.
01:06:48
Das Landgericht Stuttgart sieht im Gegensatz zum Vorgänger sehr wohl den Tatbestand der schweren Körperverletzung als erfüllt an.
01:06:56
Trotzdem stellt der Vorsitzende klar, dass es keine typische Täter-Opfer-Situation gab und Helge und Tilda Silvi nicht im üblichen Sinne vernachlässigt haben.
01:07:04
Sie haben alles richtig machen wollen und hätten dabei kläglich versagt.
01:07:08
Sie hätten die Selbstschädigung der Tochter verhindern müssen.
01:07:12
Ihre Vorgeschichte hätte sie eigentlich eines Besseren lernen müssen.
01:07:15
Doch die Eltern haben nicht sehen wollen, was sie ihren Töchtern antaten.
01:07:19
Helge und Tilda müssen diesmal also ihre Haftstrafe antreten.
01:07:24
Zum Leidwesen von Solvik, Sabia und Silvi.
01:07:27
Für sie ist die Strafe der Eltern auch ihre eigene.
01:07:30
Ihre Familie ist ein Teil von ihnen.
01:07:32
Ohne sie fühlen sie sich nicht vollständig.
01:07:34
Der Psychiater am Landgericht Elwang hatte es ganz treffend gesagt.
01:07:39
Diese Familie tut einander nicht gut.
01:07:41
Aber das Nicht-Zusammensein tut den Mitgliedern merkwürdigerweise noch weniger gut.
01:07:49
Also was für eine kranke Familiensituation und ich kann mir auch wirklich vorstellen, dass diese Eltern ihren Kindern nichts Böses wollten.
01:08:00
Aber solchen Eltern muss man die Kinder einfach wegnehmen.
01:08:05
Weil kein Kind kann gesund in so einer Umgebung aufwachsen, in dem alles komplett abgeschottet ist.
01:08:13
Der Vater paranoide Vorstellungen hat, das Kind nicht mehr in die Schule oder der Vater oder die Eltern es okay finden, das Kind nicht mehr in die Schule zu lassen.
01:08:24
Das ist ja irgendwie klar, dass die Kinder sich dann so entwickeln, keine eigene Identität entwickeln können und dann vielleicht sogar deswegen sowas wie so eine Magersucht entwickeln.
01:08:36
Das Problem ist natürlich, wenn die Eltern selbst krank sind, ich meine, sie sind ja jetzt nicht so krank, wie dass sie es gar nicht hätten sehen können.
01:08:45
Aber wenn der Vater schon so paranoid ist, ist das natürlich für die auch schwer, das zu erkennen, dass die Kinder so krank sind.
01:08:53
Aber sie müssen es natürlich erkennen, das ist ihre Aufgabe.
01:08:56
Ja, schon, aber dann würde ich auch sagen, die waren ja irgendwie auf dem Radar des Jugendamts auch schon ein bisschen früher oder ein bisschen länger.
01:09:07
Aber ich finde es dann auch krass, dass das Gericht dann entscheidet, weil es diesen Experten gibt, der dann eben sagt, der das halt anders sieht als der andere Experte und eben sagt,
01:09:20
dass das ist organisch, das mit der Magersucht und dass die Eltern eigentlich schon erziehungsfähig sind, dass die Kinder dann in ihrem Zustand, wo sie einfach viel zu viel, also schon viel zu wenig wiegen, zurück in die Familie kommt.
01:09:34
Obwohl man weiß, wie dieser Vater sich vor dem Jugendamt, ja, versteckt, kann man ja fast sagen.
01:09:42
Ja, und selbst wenn es organisch war, sie haben ja in den Kinderkliniken zunehmen können.
01:09:50
Also ja, auch mit einer teilweise Zwangsernährung.
01:09:54
Aber man hat eigentlich schon gesehen, auch als die Eltern sie dann entführt hatten und mit denen im Bayerischen Wald abgetaucht sind, dass die schon auch unter Umständen gegessen haben dann.
01:10:07
Und ich glaube einfach, dass die Eltern da wahnsinnig überfordert mit waren.
01:10:11
Und ohne die beiden jetzt verteidigen zu wollen, Eltern haben das halt wirklich nicht leicht, wenn ihre Kinder irgendwie so psychische Störungen haben oder gerade auch nichts essen.
01:10:22
Weil das fällt auch nicht so viel auf.
01:10:24
Und du entwickelst dann auch irgendwann Tricks, dass du eher vorgibst, was zu essen oder sagst, du hast schon gegessen, dies, das.
01:10:33
Und in der Regel sind ja Eltern und Kinder in einem Teenager-Alter auch nicht die ganze Zeit zusammen.
01:10:42
Das Problem bei den Hungerkindern ist natürlich aber, dass die Eltern jetzt über viele Jahre hinweg sich halt nicht richtig verhalten haben.
01:10:49
Und deswegen geht mein AHA jetzt auch darum, wie man sich verhalten muss als Elternteil, um nicht ins Gefängnis zu wandern wie die Schnieglas, wenn sich das Kind selbst verletzt oder selbst schadet.
01:11:01
Weil mit einer Magersucht schadet man sich ja auch selbst, ob man das absichtlich tut oder nicht.
01:11:07
Ich möchte übrigens nicht, dass sich das Jugendliche oder auch Erwachsene anhören, die anfällig für sowas sind.
01:11:11
Also es gibt das bitte.
01:11:12
Ich muss aber einmal den Sinn dahinter erklären, weil andere vielleicht sonst nicht verstehen, warum man sich selber wehtut.
01:11:17
Dass sich Jugendliche schädigen, das kommt in Deutschland nämlich gar nicht so selten vor.
01:11:22
Ein Viertel der Jugendlichen hat sich verschiedenen Studien zufolge zumindest schon mal einmal im Leben selbst verletzt.
01:11:29
Was man damit meint, wenn man sagt, die verletzen sich selbst, ist, dass sie sich eben beispielsweise selbst verbrennen, sich ritzen, Haare ausreißen oder den Kopf gegen die Wand schlagen oder solche Sachen.
01:11:40
Und in der Regel tut man das, wenn man Probleme mit der Regulierung von Emotionen hat.
01:11:45
Also heißt, man kann schlecht mit negativen Gefühlen umgehen, hat Panikattacken und erhofft dann eben, dass dieser innere Schmerz durch das Verletzen von außen aufhört, weil sich der Körper dann ja erst mal auf diesen Schmerz konzentriert.
01:11:59
Und es ist auch tatsächlich so, dass das eine Art Entlastung bewirken kann, also dass sich die Anspannung löst und man auch ruhiger wird dann in dem Moment.
01:12:08
Und deswegen kann das halt auch eine Art Suchtcharakter bekommen.
01:12:10
Und daher bitte auf keinen Fall machen.
01:12:12
Ihr holt euch damit zwar ein miserables Pflaster, aber immerhin ein Pflaster, aber das funktioniert nur für einen Moment.
01:12:18
Und ihr werdet euer Leben lang danach für dieses Pflaster bezahlen.
01:12:22
Wenn ihr mal älter seid, im Job seid und vielleicht auch dann glücklicher und gesetzter seid, dann werden nicht nur andere immer sehen, was ihr mal mit euch angestellt habt, sondern auch ihr werdet das immer sehen.
01:12:33
Und ihr werdet immer wieder daran erinnert werden, dass ihr nicht gut zu euch wart und dass ihr euch wehgetan habt.
01:12:38
Und das kann euch, wenn ihr das seht, beispielsweise auf dem Arm oder so, immer wieder in diese Situation zurückholen.
01:12:44
Abgesehen von Verbrennen und Ritzen ist aber eben auch eine Magersucht oder eine Bulimie so eine Art selbstverletzendes Verhalten.
01:12:54
Auch wenn sie in psychiatrischer Sicht in erster Linie als psychiatrische Störung gelten.
01:12:59
Laut dem RKI finden sich bei einem Fünftel der Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren Hinweise auf ein essgestörtes Verhalten.
01:13:07
Und ich weiß nicht, wie das bei dir war, aber bei uns in der Schule, da würde ich ja sagen, durchschnittlich zwei Mädchen in jeder Klasse ab einer bestimmten Jahrgangsstufe hatten auf jeden Fall mit Magersucht zu kämpfen.
01:13:23
Und ich hatte auch jemanden im direkten Umfeld und das war am Anfang dann so, dass, ne, wenn man so in die Pubertät kommt und dann achtet man schon zum ersten Mal irgendwie doch dann auf seinen Körper und manche Leute machen irgendwie Diäten oder
01:13:36
oder man redet darüber oder sowas, dann fällt es einem als Jugendliche dann, oder ist bei mir so gewesen, nicht direkt auf, wenn das sozusagen dann in so eine Magersucht rutscht bei jemand anderem.
01:13:52
Und was du eben gesagt hast, dass es auch sau schwer ist, für die Eltern zu reagieren oder das überhaupt zu merken, das kann ich ja auch eben bezeugen.
01:14:00
Als Freundin war das auch echt, es hat lange gedauert, bis ich es überhaupt gemerkt habe und total schwierig für mich überhaupt, das anzusprechen oder sowas, weil man nicht wusste, wie man überhaupt damit umgehen soll.
01:14:13
Ja, also kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen, dass das für die Leute im Umfeld total schwierig ist, zu helfen, weil man ja selbst nicht weiß, wo man sie bekommen soll teilweise.
01:14:24
Und selbst wenn man dann irgendwelche Stellen an die Hand gegeben bekommt, wir wissen, dass das sau schwierig ist in Deutschland, einen Therapieplatz ambulant oder in der Klinik zu bekommen.
01:14:33
Aber nichtsdestotrotz ist es natürlich Aufgabe der Eltern, alles dafür zu tun, seinem Kind zu helfen.
01:14:39
Und diese Aufgabe haben sie vom Staat bekommen, mit dem Sorgerecht und eben der Fürsorge.
01:14:44
Wir haben mit einem Fachanwalt für Familienrecht gesprochen, Wolfgang Belau, und der hat uns erzählt, was Eltern in so einem Fall tun müssen.
01:14:53
Also nach meiner persönlichen Einschätzung muss dann auf jeden Fall ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.
01:15:00
Beratungsstellen gibt es ganz viele. Man kann sich auch als Elternteil ans Jugendamt wenden, ohne dass man Angst haben muss, dass einem direkt das Kind weggenommen wird.
01:15:09
Es gibt auch Beratungsstellen, die kann man anonym anrufen. Es gibt von der Caritas, es gibt Pro Familia, es gibt das Jugendamt.
01:15:18
Es gibt ganz viele Beratungsstellen jedenfalls, um eben Hilfestellungen zu geben.
01:15:23
Und nach meiner Einschätzung ist es absolut zwingende Pflicht von Eltern, sich darum zu kümmern, solche Hilfestellungen auch wahrzunehmen.
01:15:33
Wenn man das nicht macht, dann kann man nämlich wie Helge und Tilda dafür ins Gefängnis gehen.
01:15:37
Jetzt muss man ja sagen, dass die beiden sich ja schon einiges geleistet haben, aber selbst wenn man nicht aktiv daran beteiligt ist, dass sich das Kind weiter und weiter und weiter schädigt, so wie in diesem Fall, den ich gerade erzählt habe, dann kann man dafür rechtlich trotzdem belangt werden.
01:15:54
Durch diese Garantenstellung, in der sich die Eltern befinden, kann dann hier nämlich auch eine Körperverletzung durch Unterlassen vorliegen, weil die Eltern nämlich in einem besonderen Maß verpflichtet sind, Gefahren von ihren Kindern abzuwehren, damit eine Schädigung eben nicht eintritt.
01:16:09
Und wenn man das nicht tut, dann verletzt man eben seine Fürsorge.
01:16:13
Genau, es ist ja nämlich nicht so, dass das Sorgerecht nur Rechte mit sich bringt. Also klar, als Mutter oder Vater kannst du jetzt entscheiden, welche Religion dein Kind haben will.
01:16:24
Was ich eine Frechheit finde, aber ja.
01:16:27
Ja, oder in welchem Kindergarten es soll oder wo es zum Beispiel wohnt. Aber eben, du hast auch Pflichten. Und das ist dann nicht nur diese Gesundheitsfürsorge, dass man das Kind irgendwie behandeln lässt, wenn es krank ist oder impfen lässt bei Kinderkrankheiten oder es nackt im Schnee spielen.
01:16:43
Ja, aber dazu gehört auch die Pflege, die Beaufsichtigung, die Erziehung und zum Beispiel auch die Vermögensverwaltung des Kindes.
01:16:52
Unser Experte Herr Belau, den ich übrigens über YouTube gefunden habe, wo er mir sehr verständlich erklärt hat, wie das Sorgerecht funktioniert, der hat das so zusammengefasst.
01:17:03
Sorgerecht heißt, sich um das Kind kümmern mit allem, was dazugehört. Und ich glaube, man hat schon ein bisschen ein Verständnis dafür, was damit gemeint ist.
01:17:13
Ohne, dass das jetzt in einem Gesetzbuch alles einzeln aufgeschrieben werden muss. Weil das ist nämlich auch nicht so.
01:17:19
Ja, also die Eltern sollten schon wissen, was sie zu tun haben und was nicht. In der Regel sind es ja auch tatsächlich Mutter und Vater, die die sogenannten InhaberInnen des Sorgerechts sind.
01:17:30
Obwohl das natürlich auch mit anderen Geschlechtern geht. Die Mutter ist in Deutschland die Person, die das Kind geboren hat.
01:17:36
Und Vater ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist. Auch wenn er gar nicht der biologische Vater ist. Was auch strange.
01:17:44
Ja, und das wusste ich halt vor dieser Folge noch nicht. Und es hat mich sehr geschockt.
01:17:51
Oder es ist eben der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat oder vom Gericht als Vater festgestellt wurde.
01:17:58
Wir gehen jetzt aber mal vom einfachsten Fall aus. Also Mama und Papa sind verheiratet, dann bekommen beide bei der Geburt das Sorgerecht.
01:18:05
Wenn sie sich dann scheiden lassen, dann bleibt das Sorgerecht generell erstmal geteilt.
01:18:08
Es sei denn, ein Elternteil beantragt es ganz allein oder in bestimmten Teilen zu bekommen.
01:18:14
Sowas hat aber nur Erfolg, wenn entweder das andere Elternteil zustimmt, weil er oder sie das auch so will.
01:18:21
Oder wenn das Familiengericht der Überzeugung ist, dass das zum Wohl des Kindes besser ist.
01:18:26
Also zum Beispiel dann, wenn die Eltern halt total zerstritten sind und sich nicht mehr miteinander eidigen können und keine Entscheidungen zusammentreffen können, was das Kind angeht.
01:18:34
Dann versucht das Familiengericht, das halt so zu entscheiden, wie das für das Kind am besten ist.
01:18:39
Wenn die Eltern bei der Geburt nicht verheiratet sind, dann steht ihnen trotzdem beiden das Sorgerecht zu, wenn die eine sogenannte Sorgeerklärung abgeben oder das Familiengericht es denen dann beiden überträgt.
01:18:52
Das ist aber tatsächlich erst seit 2013 so.
01:18:55
Vorher ging man nämlich davon aus, dass uneheliche Kinder nur aus unwichtigen Affären stammen.
01:19:03
Also salopp gesagt.
01:19:06
Aber dagegen hatte dann irgendwann ein Vater geklagt, weil er es natürlich unfair fand, dass die Mutter das Sorgerecht einfach bei der Geburt bekam und verheiratete Männer ja auch.
01:19:17
Und die das ja dann auch behalten konnten, wenn man sich hatte scheiden lassen.
01:19:21
Er aber, weil er damals halt unverheiratet war, das nicht haben konnte, solange die Mutter da nicht zugestimmt hat.
01:19:28
Und das muss man sich ja mal vorstellen.
01:19:31
Also bis 2013 konnte die Frau, auch wenn es überhaupt keinen Grund gab und sie vielleicht einfach nur keinen Bock hatte, dass der Kindesvater genauso über das Leben des Kindes entscheiden konnte wie sie, halt einfach Nö sagen.
01:19:44
Und dann war das auch so, dass der Vater das Sorgerecht nicht bekommen konnte.
01:19:49
Egal, was für ein toller Vater er vielleicht gewesen wäre und es vielleicht sogar besser gewesen wäre, dass er das Sorgerecht alleine gehabt hätte oder das Wohnsitzrecht oder so.
01:19:58
Also wenn sie nicht verheiratet waren bei der Geburt.
01:20:02
Genau, ja, nur dann.
01:20:03
Nicht in allen Fällen.
01:20:04
Also das hat mich auch geschockt, als ich das jetzt gelesen habe bis 2013.
01:20:10
Seitdem ist der Vater theoretisch nicht mehr benachteiligt, in der Praxis aber teilweise schon, wie uns unser Experte erklärt hat.
01:20:18
Da ist es dann eher so, dass im alltäglichen Umgang, also nicht das Sorgerecht betreffend, sondern beim Umgang, da natürlich eine Benachteiligung in der Praxis tatsächlich besteht für die, bei denen das Kind nicht überwiegend lebt.
01:20:35
Das heißt meistens dann für die Väter, die Umgang haben möchten.
01:20:39
Ich kenne also ganz viele Väter, die ich hier aus dem beruflichen Alltag kennenlerne, die durchaus sehr engagiert sind, aber eben nicht gelassen werden, obwohl sie tatsächlich gerne viel mehr Umgang hätten.
01:20:52
Das wird sowohl von Müttern blockiert, als auch von Richtern blockiert.
01:20:55
Also da gibt es tatsächlich viele Fälle.
01:20:58
Und ich weiß auch aus meinem Umfeld, dass man da als Vater dann auch manchmal eben nicht den gerichtlichen Weg wählt, weil man eben entweder nicht die Kraft dazu hat oder auch nicht will, dass sich die Beziehung zur Mutter dann noch mehr verschlechtert, sodass man dann am Ende oft nachgibt.
01:21:16
Und wenn Herr Bedau schon sagt, es gibt da sehr viele Fälle, die er kennt, kann ich mir eben vorstellen, dass das Dunkelfeld da auch richtig groß ist.
01:21:26
Und ich glaube, daran sieht man auch, dass halt eben leider nicht immer das Kind im Mittelpunkt steht, sondern halt eben dann auch manchmal einfach ein verletztes Ego oder ein Vertrauensmissbrauch, was auch immer.
01:21:37
Und leider gibt es dann eben diese Fälle, wo ein Elternteil dem anderen das Kind entzieht.
01:21:44
Ja, genau. Und dann einfach zum Beispiel mit dem ins Ausland fährt und dann auf Nimmerwiedersehen, ne?
01:21:51
Da gibt es aktuellen Fall, der gerade ganz groß in der Presse war, wo ein Mann seine zehnjährige Tochter nach dem Umgang letztes Jahr im November nicht mehr zurückgebracht hat, sondern stattdessen mit ihr, seiner neuen Frau und deren Tochter nach Paraguay ausgewandert ist.
01:22:05
Und zwar, weil er die Corona-Maßnahmen in Deutschland für gefährlich hielt und Angst vor einer Impfung hatte.
01:22:11
Wer sagt diesem Mann jetzt, dass man sich hier nicht impfen lassen musste, ja?
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Naja, die Mutter hat jetzt ein halbes Jahr nach ihrer Tochter gesucht, ist immer wieder nach Paraguay geflogen und hat da die Behörden involviert.
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Und letztendlich hat sich der Typ jetzt gerade im Juni gestellt und die Tochter ist wieder mit ihrer Mutter vereint.
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Aber ihm droht jetzt wahrscheinlich ein Prozess wegen Kindesentziehung.
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Und das kommt halt auch gar nicht so selten vor.
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Letztes Jahr zum Beispiel wurden 250 Kinder in Deutschland auf diese Weise, also mit ins Ausland bringen, dem anderen Elternteil entrissen.
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Aber es ist ja theoretisch auch diese Entziehung Minderjähriger, wenn das Kind dem anderen Elternteil vorenthalten wird.
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Also indem man zum Beispiel das Kind einfach nicht rausgibt oder man nicht sagt, wo das Kind ist.
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Da kann der andere ja eigentlich auch nichts machen, außer wirklich zur Polizei zu gehen und das anzuzeigen.
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Aber wie gesagt, das kommt wahrscheinlich nicht so häufig vor, weil man sich das nicht noch mehr verscherzen will.
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Wie wir in meinem Fall gesehen haben, liegt das Sorgerecht aber auch nicht immer bei den Eltern.
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Das kann auch auf das Jugendamt oder auf Pflegeeltern übertragen werden.
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2011 zum Beispiel wurde das Sorgerecht 12.700 Mal vollständig oder teilweise den Eltern entzogen.
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In 75 Prozent der Fälle ging es dann an das Jugendamt.
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Und sowas passiert in aller Regel dann, wenn das Kindeswohl in Gefahr ist.
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Dann muss halt das Familiengericht eingreifen und das Sorgerecht entziehen.
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Ja, und wenn es dazu kommt, dann ist es auch oft so, dass die Eltern dann vor Gericht stehen.
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Zum Beispiel wegen Verletzung der Fürsorge oder Erziehungspflicht.
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Das haben Gerichte in der Vergangenheit zum Beispiel dann entschieden, wenn einem Kind Alkohol gegeben wurde,
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weil es mangelhafte hygienische Zustände gab, weil das Kind nicht in die Schule ging,
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weil man es zu lauten Konzerten mitgenommen hat oder weil man das zu Hause eingesperrt hat.
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Also das waren so ein paar Gründe, warum das jetzt verurteilt wurde.
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Und da gibt es in der Regel allerhöchstens eine dreijährige Haftstrafe oder eine Geldstrafe.
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Wenn Eltern ihre Kinder aber zum Beispiel schlagen oder denen kein Essen geben oder irgendwie in einer anderen Form quälen,
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dann kann die Strafe natürlich auch viel höher ausfallen bei Misshandlung von Schutzbefohlen auch bis zu zehn Jahren Haft.
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Aber nur weil das Sorgerecht zum Beispiel jetzt das Jugendamt bekommt, heißt das natürlich nicht,
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dass es dann alles super ist und es keine Probleme mehr gibt.
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Für den zweijährigen Kevin aus Bremen zum Beispiel, den ihr vielleicht als den Jungen aus dem Kühlschrank kennt,
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hatte das Jugendamt Bremen die Vormundschaft.
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Und obwohl Kevin in seinem Leben von ganz vielen Ärztinnen, ErzieherInnen und auch SozialarbeiterInnen gesehen wurde,
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konnte sein Ziehvater ihn im Mai 2006 zu Tode prügeln und seine Leiche dann in den Kühlschrank stecken.
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Hier hatte tatsächlich das Jugendamt und sein Vormund das Sorgerecht.
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Also hier war ganz klar, da hatte man sich nicht gekümmert.
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Und deswegen kam eben nicht nur der Täter am Ende vor Gericht, sondern auch der Vormund.
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Der wurde dann wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.
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Das Verfahren wurde dann aber eingestellt.
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Und da muss man vielleicht auch zu sagen, dieser Mann, der für Kevin zuständig war,
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war auch noch für mehr als 200 andere Kinder zuständig.
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Wo man sich dann natürlich auch fragen kann, ja, also wie sehr kann man dann gewährleisten,
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dass es allen 200 Kindern, dass es denen quasi gut geht, ja.
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Und deswegen, also wegen des Fall Kevins ist es jetzt so, dass seit 2011 ein Amtsvormund
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auch nicht mehr als 50 Fälle betreuen darf.
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Ja, und das ist natürlich auch sau wichtig, weil das Jugendamt halt so viel zu tun hat.
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Und selbst wenn die sich total gut kümmern wollen, stell dir mal vor, du hast 50 Problemfälle.
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Das ist ja eigentlich immer noch zu viel.
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Ich meine, muss man auch einfach mal oft sagen, dem Jugendamt sind halt auch oft die Hände gebunden,
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sowohl personell oder halt eben rechtlich.
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Die können nicht einfach irgendwo reinmarschieren und die Kinder rausholen.
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Und mich hat das in meinem Fall so geärgert, weil das Jugendamt so hinterher war,
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diese Kinder aus der Familie zu holen.
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Aber sie können es halt einfach nicht, wenn es keinen gerichtlichen Beschluss dafür gibt, ja.
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Und in meinem Fall lag einfach das Problem beim Gericht, die immer gesagt haben,
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ja, nee, ach, da ist noch Zeit, ach, dies, ach, das ist nicht eilig und so.
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Was willst du denn dann machen?
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Ja, das Wichtigste beim Sorgerecht ist, und das hat unser Experte uns ja auch tausendmal gesagt,
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ist eben das Wohl des Kindes.
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Und ich glaube, wenn man das wirklich immer vor Augen hätte,
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dann könnten viele Fälle, die wir jetzt heute besprochen haben, verhindert werden.
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So, das war die letzte Folge, bevor die Tour anfängt.
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Wir sind sehr aufgeregt.
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Wir haben tolle Sachen für euch vorbereitet.
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Wir kriegen immer noch oft Fragen, wo man Tickets kaufen kann.
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Im Grunde ist alles ausverkauft, außer unsere Städte im Osten.
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Da gibt es noch Tickets.
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Also da geht noch ein bisschen.
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Generell aber mal so als Tipp, viele können kurzfristig dann doch nicht,
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weil sie die Spannung nicht aushalten können, die ihnen da geboten wird oder so.
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Ja, deswegen komme ich vielleicht auch nicht.
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Ja, dann haben wir aber ein Problem.
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Das ist ja mein größter Albtraum, auf einer Bühne zu stehen
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und dann nicht zu wissen, was man machen soll und das Publikum wartet.
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Und das könnte passieren, wenn du nicht kommst.
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Also von daher, bitte, bitte tauch einfach auf.
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Das möchte ich auch für unser Publikum.
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Ich hätte nämlich einen Plan B, womit ich die Leere und Stille füllen würde,
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wenn ich nicht weiß, was zu tun ist.
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Ich habe nämlich als Kind immer diesen einen Traum gehabt.
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Und zwar möchte ich einmal
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How will I know who you are?
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von Jessica Volker auf einer großen Bühne singen.
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Und ich kann gar nicht singen.
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Und normalerweise legt man ja beim Erwachsenwerden
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also alle Kindheitsträume ab.
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Die meisten zumindest.
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Aber der hat sich bei mir einfach so durchgesetzt.
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Deswegen könnte es sein, dass ich sonst das tun würde.
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Oh Gott, das muss ich verhindern.
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Das musst du verhindern, genau.
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Aber weil die Gefahr natürlich immer noch besteht,
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Kauft euch bitte keine Tickets im Fansave für 200 Euro auf Eventim.
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Das lohnt sich nicht.
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Selbst wenn ich singen würde.
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Und eine Ankündigung haben wir noch zu machen.
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Und zwar wird es ein exklusives Tourshirt geben.
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Mit einer geilen Grafik.
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Mit vielen Insidern.
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Ja, das ist richtig geil.
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Das sieht richtig aus wie so ein Band-Shirt.
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Quasi wie die Paulina-Laura-Fussel-Band.
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Wir freuen uns auf euch in Hamburg natürlich mit Blazer.
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Ja, ich werde natürlich auch einen ziehen.
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Ist ja wohl klar.
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Beide Abende auch.
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Hintergrund ist,
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Laura's Obensen möchte,
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dass sie seriös aussieht.
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Schick aussieht.
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Und da sie in Hamburg ist,
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ist Hamburg Blazer statt.